Protocol of the Session on June 6, 2007

Es ist auch so, dass die Wirtschaft gefordert ist. Wenn wir in einer Umfrage feststellen, dass nur 50 % der Unternehmen glauben, dass fehlende Fachkräfte für sie ein Problem darstellen können, dann zeigt sich, wie viel auf diesem Gebiet noch an Aufklärungsarbeit bei den Unternehmen notwendig ist, damit diese erkennen, dass sie sich rechtzeitig um diese Ausbildungswilligen bemühen müssen. Eine Ausbildung dauert zwei bis drei Jahre. Wir alle wissen, dass jemand, der die Ausbildung abgeschlossen hat, trotz aller Kenntnisse und Fertigkeiten noch kein vollwertiger Mitarbeiter im Unternehmen ist. Es sind zwei bis drei Jahre Arbeitspraxis im Unternehmen erforderlich, um voll mitarbeiten zu können. Das heißt, die Leute, die in sechs Jahren das Unternehmen tragen sollen, müssen heute ausgebildet werden. Ich glaube, diesbezüglich ist die Wirtschaft immer noch nicht in der Lage, dieses Problem flächendeckend zu erkennen. Hier ist die Wirtschaft gefordert, darüber nachzudenken, wie man in den

Unternehmen bessere Maßnahmen ergreifen kann, damit die Unternehmen dieses Problem erkennen und sich rechtzeitig, das heißt bereits heute, auf diese Lücke vorbereiten können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Für die Fraktion der GRÜNEN spricht der Abg. Herr Weichert.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alle Jahre wieder: Das gilt nicht nur für die Weihnachtszeit, sondern auch für den Frühsommer, wenn wir alljährlich über das Thema Lehrstellen debattieren. Die Zahlen sind bekannt: Auf jede Lehrstelle in Sachsen kommen zurzeit drei Bewerberinnen und Bewerber, darunter vor allen Dingen die Altbewerber.

In der Presse war zu lesen, dass Sie, Herr Staatsminister Jurk, gesagt haben: „Ausbildung ist in erster Linie Sache der Unternehmen.“ Dieser Satz ist nicht falsch, aber eben nur die halbe Wahrheit. Wenn das die ganze Wahrheit wäre, ist zu fragen, warum die SPD-Fraktion in der letzten Legislaturperiode 15 – ich wiederhole 15! – Anträge zum Thema Berufsausbildung in den Landtag eingebracht hat. Die SPD-Fraktion hat zum Beispiel in der Drucksache 3/0053 seinerzeit die Landesregierung ersucht – ich zitiere – „… zu sichern, dass Jugendlichen eine Ausbildung noch in diesem Ausbildungsjahr ermöglicht wird“.

(Zuruf des Staatsministers Thomas Jurk)

Meine Damen und Herren! In diesem Jahr sind die Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen, besser denn je. Wir befinden uns in einer soliden Wachstumsphase, in der Wirtschaft herrscht bereits ein Mangel an Facharbeitern. Wenn manche Unternehmen kurzsichtig agieren, muss man ihnen eben auf die Sprünge helfen. „Unternehmen, die über einen Fachkräftemangel klagen, allerdings selbst nicht ausbilden, kann ich nicht verstehen“, sagt unser Wirtschaftsminister. Recht hat er!

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Aber warum, Herr Minister, geben wir den Unternehmen nicht zusätzliche Anreize, junge Leute einzustellen? Wir geben jedes Jahr einen dreistelligen Millionenbetrag aus, um Unternehmen in Sachsen anzusiedeln, finanzieren die Investitionen aus öffentlichen Mitteln großzügig mit, achten aber nicht darauf, dass diese Unternehmen ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen.

(Staatsminister Thomas Jurk: Doch!)

Die Unternehmen, denen wir mit öffentlichen Geldern helfen, sich am Standort Sachsen anzusiedeln oder ihre Expansion zu finanzieren, stehen auch in der Verantwortung, den jungen Menschen in Sachsen eine Perspektive zu eröffnen

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

und sich damit letztlich die eigene Zukunft im Hinblick auf die Mitarbeiterschaft zu sichern.

Weil sich ein Ausbildungsvertrag über mehrere Jahre erstreckt, habe ich überhaupt nichts dagegen, über staatliche Anreize nachzudenken. Derzeit ist genug Geld vorhanden. Die Bundesagentur für Arbeit erwirtschaftet Überschüsse. Wo wäre dieses Geld besser angelegt als in der Förderung von Ausbildung, meine Damen und Herren?!

Ich habe bei einer öffentlichen Kofinanzierung überhaupt keine Angst vor Mitnahmeffekten. Dass Betriebe, die über Bedarf ausbilden, Gelder erhalten, geht in Ordnung, denn es ist volkswirtschaftlich gesehen gut angelegtes Geld.

Meine Damen und Herren! Das Lehrstellenthema ist meiner Ansicht nach viel zu ernst, als dass wir es nur in einer Aktuellen Debatte besprechen sollten. Jeder junge Mensch, der keine Lehrstelle bekommt, ist einer zu viel. Wenn wir es jetzt nicht schaffen, Angebot und Nachfrage in Übereinstimmung zu bringen, wann dann? Wir haben eine anziehende Konjunktur, die Aussichten für die meisten Branchen sind gut.

Im aktuellen Jahrgang der jungen Leute, die eine Lehrstelle wollen, hat sich bereits die demografische Wende, der sogenannte Wendeknick von 1990, manifestiert; das heißt, die Zahl der Nachfrager geht kontinuierlich nach unten.

Wenn sich auch in diesem Jahr die Probleme der Vergangenheit fortsetzen, sollten wir uns noch einmal grundsätzlich damit beschäftigen, wie wir erstens das duale System der Berufsausbildung weiterentwickeln können und was wir zweitens – das ist sehr wichtig – in der schulischen Ausbildung tun können und müssen, um den Betrieben mehr junge Leute zu bieten, die in der Lage sind, eine Ausbildung anzugehen und erfolgreich abzuschließen.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Meine Damen und Herren! Die Vorschläge von Bundesminister Tiefensee, die Abwanderung von jungen Menschen, vorwiegend von Frauen, im Osten zu stoppen, waren – ich sage es sehr zurückhaltend – sehr nett. Wenn wir allen einen Ausbildungsplatz mit beruflicher Perspektive und damit eine Lebens- und Familienperspektive bieten könnten, wäre das in meinen Augen die effektivere Maßnahme als eine rollende Stadt- oder Landbibliothek.

Meine Damen und Herren! Ich wiederhole zum Schluss: Günstiger werden die Bedingungen nicht. Geburtenschwache Jahrgänge bei anziehender Wirtschaft und einer hinreichenden Mittelausstattung vom SMWA und der Bundesagentur auf dem Lehrstellenmarkt unterzubringen sollte möglich sein.

Falls wieder zahlreiche junge Menschen auf der Straße bleiben, müssen wir einige grundsätzliche Fragestellun

gen aufwerfen. Dafür reicht eine Aktuelle Debatte allerdings nicht aus.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir gehen in die zweite Runde. Die Linksfraktion.PDS, bitte; Frau Abg. Schulz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Beitrag passt gut an den des Abg. Weichert. Gestatten Sie mir bitte, dass ich ihn mit einigen Zitaten beginne: „Im Osten fehlen die Frauen“, „Die klugen Mädchen vom Lande lassen die ostdeutschen Arbeitsjungen zurück“, „Männerüberschuss“, „Frau = schlau = weg“. – Dies sind Überschriften aus Zeitungen der letzten Tage. Die Betrachtungen und Fakten in den entsprechenden Artikeln wurden durch eine Studie initiiert, die das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung im Mai dieses Jahres herausgegeben hat. Darin werden Tatsachen geschildert, die ich in diesem Hause vor fünf, sechs Jahren noch als Befürchtungen formuliert hatte. Ich warnte damals: „Wenn es Politik und Wirtschaft nicht verstehen, Frauen und Mädchen als gleichberechtigte und gleichwertige Partnerinnen in Gesellschaft und Wirtschaft zu etablieren und ihre Chancen zu verbessern, werden sie ihnen weglaufen, und dann haben Sie, die Männer, ein Problem.“ – So ich damals. Wie heißt die Studie? „Not am Mann“. – Stimmt!

(Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS: Richtig!)

Dies ist mehrseitig interpretierbar, und auf die biologische Seite möchte ich nicht unbedingt eingehen. Ich will gern erklären, was die Studie mit unserem heutigen Thema zu tun hat. Genau zum gleichen Zeitpunkt veröffentlichte die Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit die Daten zum sächsischen Arbeitsmarkt. Wenn sich, wie heute bereits mehrfach dargelegt, „nur“ 2,9 Bewerber auf einen Ausbildungsplatz bewerben, so ist dies zwar besser als in den Vorjahren, doch auch dazu waren wieder unzählige Anstrengungen der Arbeitsagenturen nötig. Immerhin haben sie für 1 062 zusätzliche Ausbildungsplätze die Unternehmen förmlich „zum Jagen tragen“ müssen.

Noch ist nicht erfasst und ablesbar, wie sich dies für die kommenden Jahre für die Mädchen darstellt. Die Unternehmen geben jetzt zu, dass ihnen Fachkräfte fehlen. Meist sind es Unternehmen der Industrie, der Metall- und Elektroindustrie, der gewerblichen Wirtschaft, die das ganz plötzlich und jetzt ganz akut von gestern auf heute feststellen. Was haben sie in der Vergangenheit getan und was wollen sie jetzt tun? Zum Demografiegipfel des Ministerpräsidenten im vergangenen Herbst brachte der stellvertretende Präsident des VSMI eine Stellungnahme, in der nicht ein einziges Wort darüber zu hören war, welche Anstrengungen die boomende Metall- und Elektroindustrie Sachsens unternimmt, um jungen Menschen – geschweige denn, jungen Mädchen – eine Perspektive in

ihren Unternehmen zu geben. Auch auf eine Nachfrage habe ich keine Antwort bekommen.

(Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS: Das ist sehr schlimm!)

Ich erinnere daran, dass es Studien über Studien gab, Anhörungen und Anträge – auch hier im Sächsischen Landtag in der Vergangenheit –, in denen Unternehmen förmlich mit der Nase auf die demografische Entwicklung hingewiesen wurden und die Hinwendung junger Mädchen zu technischen Berufen gefordert wurde. Es hat nicht viel genützt. Die gut motivierten, ehrgeizigen Mädchen sind uns davongelaufen; denn sie reagieren bekanntlich in ihrer Berufswahl flexibler auf Handlungsoptionen hinsichtlich ihrer Berufswahl und des Ausbildungsortes. Finden sie außerhalb Sachsens Ausbildung und Arbeit, finden sie auch dort eine familiäre Perspektive.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Das sind aber nicht alle!)

Wie reagieren die Mädchen, die hier bleiben? Auch sie reagieren flexibel und passen sich den Bedingungen vor Ort an, jedoch entgehen sie damit keineswegs der Kanalisierung in geschlechtsspezifische Arbeitsmarktsegmente.

Durch die ARGEn oder Arbeits- und Sozialzentren oder Grundsicherungsbetriebe, wie sie sich auch immer nennen, werden sie in Ausbildungen vermittelt, und zwar in solche, die sich schnell und unkompliziert organisieren lassen. Was lernen sie? Eine Statistik des Statistischen Landesamtes brachte es am 26. April 2007 zum Ausdruck: Sie lernen Kauffrau für den Einzelhandel, Bürokauffrau, Verkäuferin, Frisörin, Restaurantfachfrau, Hotelfachfrau oder Fachkraft im Gastgewerbe; und dazu fällt mir, ehrlich gesagt, nichts mehr ein.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Diese Einengungen münden später wiederum in prekären Beschäftigungsverhältnissen, Arbeitslosigkeit, drohender Altersarmut, oder auch diese jungen Mädchen gehen weg – gen Österreich oder Schweiz. Auf diese Situation sind wir seit circa zehn Jahren sehenden Auges und ziemlich ergebnislos zugeschlittert.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Weichert sagte es bereits: Wenn es uns gelingen würde, Ausbildungsplätze – vernünftige, gesellschaftlich notwendige und akzeptierte – für Mädchen in Sachsen zu schaffen, dann könnte Herr Tiefensee ruhiger schlafen und brauchte nicht solche abstrusen Programme aufzulegen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Die CDUFraktion; Herr Abg. Rasch.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Schulz, Sie sprechen mit der Frage des Verhaltens der Mädchen wirklich ein echtes Thema an.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: So sind wir!)

Ich möchte nur so nebenbei mit ins Spiel bringen, dass unser Statistisches Landesamt vor Jahren bereits eine spezielle Untersuchung vorgelegt hatte, wie es mit dem Wanderungsverhalten sächsischer junger Mädchen und Frauen aussieht. Dort gibt es tatsächlich ein Problem, ein Problem, das allerdings auch darauf hinweist, dass das Thema Berufsorientierung, das seit einigen Jahren – aus meiner Sicht sinnvollerweise in der letzten Zeit forciert – betrieben wird, ein zentrales Thema ist. Ich denke, es ist wichtiger als zum Beispiel die Ansicht – da wir gerade die Kassen gut gefüllt haben –: Mehr Geld ins System, das löst die Probleme.

(Karl-Friedrich Zais, Linksfraktion.PDS: Das hat doch keiner verlangt!)

Ich bin fest davon überzeugt, dass mehr Geld das Problem nicht löst, sondern ich meine, wir müssen differenzieren. Einerseits müssen wir uns als Staat aus der Förderung hoch qualifizierter Schulabgänger zurückziehen. Dort ist die Wirtschaft am Werke, und dort hat sie für ihre eigene Zukunft bezüglich qualifizierter Arbeitskräfte zu sorgen. Das andere Thema sind die Geringqualifizierten, zu denen ich vorhin bereits erwähnte, dass es dort trotz der demografischen Veränderungen nur eine ganz leicht sinkende Tendenz geben wird. Dem müssen wir uns stellen, und dafür werden wir relativ viel Geld in die Hand nehmen müssen. Dort liegen – nicht zuletzt in der Koordinierung unseres Lehrstellenkollegiums – sinnvolle Aktivitäten.

Dazu möchte ich Ihnen nur einmal den Begriff QAB, Qualifizierung von Arbeitslosen ohne Berufsabschluss, nennen, wo inzwischen individualisierte Ansätze in relativ großer Breite erprobt werden, bei denen es darum geht, die vorhandenen Kompetenzen der Menschen erst einmal herauszukitzeln, an denen man vielleicht eine sinnvolle Qualifizierung andocken kann, nach der eine individuelle Curriculumgestaltung auch für diese Menschen mit geringen Voraussetzungen eine Chance bieten soll. Dies ist aufwendig, und da müssen wir dranbleiben.

Was wir jedoch mit viel Geld auf keinen Fall erreichen werden: zum Beispiel Motivationsdefizite bekämpfen. Ich denke, auch dabei ist Berufsorientierung sinnvoll. Es geht nicht nur darum, eine ausreichende Zahl qualifizierter Bewerber in den benötigten Berufen bereitzustellen; es geht auch darum, Abbrecherquoten zu senken. Es geht aber auch darum, Demotivationspotenziale in dem vielleicht später ungeliebten Beruf zu vermeiden. Vor allem aber geht es darum, Motivation bereits in der Schule entstehen zu lassen – auf dem Weg zum Wunschberuf. Wenn wir solche Bewegungen in Gang setzen können, sind wir, denke ich, gut beraten.