Protocol of the Session on May 10, 2007

Eine Aktuelle Stunde in diesem Hause darf sich zur Abwechslung auch einmal mit wirklich Aktuellem befassen. Ganz aktuell ist die Erkenntnis, dass die Geheimdienste dieses Staates schon seit geraumer Zeit OnlineDurchsuchungen bei privaten Computern durchführen, obwohl Schäuble wochenlang erklärte, dafür erst die rechtlichen Voraussetzungen schaffen zu müssen. Dieser Quantensprung in den bundesrepublikanischen Überwachungsstaat kam nur zufällig ans Licht der Öffentlichkeit, weil sich ein Vertreter des Kanzleramtes auf einer Sitzung des Bundestagsinnenausschusses im April regelrecht verplapperte und diesen groben Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht einräumte.

Nur einen Tag nach dieser Sitzung teilte das Innenministerium mit, dass man die rechtswidrigen OnlineSchnüffeleien bei unbescholtenen Bürgern gestoppt habe. Wie freundlich und wie beruhigend! Ermöglicht worden waren diese seit 2005 bereits praktizierten Ausspähungen durch eine ebenso schlichte wie abenteuerliche Dienstvorschrift des damaligen SPD-Bundesinnenministers Otto Schily, der mit seinem Verbotsantrag gegen die NPD vorher schon eine Kostprobe seines fragwürdigen Rechts- und Demokratieverständnisses gegeben hatte. Das NPDDebattenthema „Den Orwell-Staat stoppen – Nein zu Online-Überwachung und Rundum-Kontrolle“ ist also, meine Damen und Herren, von brennender Aktualität.

Der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz sind durch immer neue Befugnisse längst dabei, zu einem informationellen Staat im Staate zu werden. Dass der Verfassungsschutz die Verfassung so wenig schützt wie das Frostschutzmittel den Frost, das könnte auch Innenminister Buttolo bei Gelegenheit ruhig einmal einräumen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar bezeichnet diese Online-Durchsuchungen, die, wie gesagt, seit 2005 rechtswidrig stattfinden, kurz und knapp als verfassungswidrig. Zitat: „Ich habe im Innenausschuss erklärt, dass es dafür keine verfassungsrechtlich tragfähige Grundlage gibt.“ Als Begründung führte Schaar die Verletzung von Grundrechten an, nämlich des informationellen Selbstbestimmungsrechtes, der Unverletzlichkeit der Wohnung und des Fernmeldegeheimnisses. Der Bundesdatenschutzbeauftragte erklärte weiter, dass für solche Eingriffe eine „klare gesetzliche Grundlage erforderlich“ sei. Das gelte auch bei Geheimdienstoperationen zur Terrorabwehr. „Auch Geheimdienste sind im Rechtsstaat an Recht und Verfassung gebunden“, diktierte Schaar den großen und kleinen Schäubles ins Stammbuch.

Nachdem der Bundesgerichtshof das heimliche Ausspähen von Privatcomputern schon Anfang Februar für verfassungswidrig erklärt hat, drängen die CDU/CSU und das Bundeskriminalamt auf eine schnelle gesetzliche Neuregelung, damit das erst eine Rechtsgrundlage be

kommt, was seit 2005 rechtswidrigerweise sowieso schon praktiziert wird. Ein Rechtsstaat, der solche Freunde wie die von den Unionsparteien hat, braucht wahrlich keine Feinde mehr. Deren in Teilen schon eingelöster Wunschzettel führt auf direktem Wege in ein freiheitsfeindliches Sicherheitsregime, wie man es aus den Vereinigten Staaten von Amerika des George W. Bush kennt. Der Forderungskatalog umfasst den Kleinen und Großen Lauschangriff, eine umfassende Kommunikationsüberwachung, die Ortung von Mobiltelefonen, die VideoÜberwachung von Plätzen, städtische Gesichtserkennungssysteme, die routinemäßige Erstellung von Bewegungsprofilen durch RFID-Chips – zum Beispiel in Geld, Ausweisen und Fahrkarten –, die automatische Nummernschilderkennung, die satellitenbasierte Mautkontrolle, Datenbanken zur Speicherung des genetischen Fingerabdruckes, Massengentests und biometrische Erfassungssysteme.

Der schon zitierte Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar gab deshalb zu Protokoll: „Die Bundesrepublik war nie ein Überwachungsstaat, aber wir entwickeln uns zu einer Gesellschaft, in der immer mehr Überwachung stattfindet.“ Die NPD-Forderung, den Orwell-Staat zu stoppen, wendet sich aber nicht nur gegen die unmittelbare Verletzung von Grundrechten durch staatliche Überwachungsmethoden. Den heraufdämmernden Orwell-Staat zu stoppen bedeutet nämlich auch, die viel weiter gehenden Techniken der Herrschaftsausübung und Herrschaftskontrolle durch Ausspitzelung der Bürger zu verhindern.

Ich komme zum Schluss.

(Heinz Eggert, CDU: Schön!)

Ja. Es gibt aber noch einen Nachschlag. Sie dürfen sich nicht zu früh freuen.

Wer von Terrorgefahren spricht – mein letzter Satz für diesen Teil –, darf von den importierten Sicherheitsrisiken durch eine nahezu unkontrollierte Einwanderung nicht schweigen. Dieses spannende und für Sie alle besonders unangenehme Thema hebe ich mir für meinen zweiten Redebeitrag auf.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Piwarz, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meinen Redebeitrag mit einer Zahlenkombination beginnen, die lautet: 217.186.120.13. Das ist die IP-Adresse des damaligen Landtagsabgeordneten Matthias Paul. Am 23. August 2005 um 20:29 Uhr klickte Paul laut dem Magazin „Focus“ unter dieser IPAdresse auf einen Link mit kinderpornografischem Inhalt.

(Alexander Krauß, CDU: Hört, hört!)

Mit diesem Klick geriet der damalige NPD-Pressesprecher in das Visier des LKA Brandenburg. Die Online

Überwachung eines Filesharing-Programmes hat hier also zu strafrechtlichen Ermittlungen gegen einen NPD-Mann geführt. Auch aus dieser Sicht, meine Damen und Herren von der NPD, scheint es verständlich, dass Sie sich wiederholt als Kämpfer gegen sogenannte Überwachung darstellen.

(Beifall bei der CDU – Alexander Delle, NPD: Das ist eine Unverschämtheit!)

Man will halt nicht gerne bei seinem Treiben beobachtet werden. Deshalb wettern Sie gegen den Verfassungsschutz, weil er Ihre extremistischen Bestrebungen offen legt.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb wettern Sie gegen Online-Recherchen und Strafverfolgung, weil auch die angeblichen Saubermänner aus den eigenen Reihen dabei mit überführt werden. Wahrscheinlich, meine Damen und Herren, werden Sie jetzt demnächst auch noch die Finanzbehörden angreifen, denn diese treiben jetzt per Gehaltspfändung die Steuerschulden Ihres Neulings Peter Klose ein. Über Jahre aufgelaufene Hundesteuer für Schäferhund Adolf – da kommt eine ganze Menge zusammen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Dass ausgerechnet die NPD eine Debatte zur Online-Überwachung initiiert, ist an sich schon verwunderlich genug, dass sie dabei auch noch den Namen George Orwells missbraucht, ist geradezu absurd.

(Beifall bei der CDU)

Der Schriftsteller George Orwell hat sich zeitlebens in seinen Werken gegen den Totalitarismus gewandt – Totalitarismus, wie er uns aus den zwei deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts nur allzu bekannt ist. Gerade für die NPD mit ihrer Begeisterung für das Dritte Reich und dessen Führerstaat ist Orwell als Kronzeuge daher denkbar ungeeignet.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ein totalitärer Überwachungsstaat, wie ihn Orwell in seinem Werk „1984“ beschrieb – übrigens in deutlicher Kenntnis der Erfahrungen aus dem Nationalsozialismus –, zeichnet sich dadurch aus, dass eine massive Überwachung und Verfolgung politischer Gegner stattfindet. In dieser Ausprägung sind Gestapo und Stasi die zwei berüchtigtsten Überwachungs- und Repressionsapparate der beiden deutschen Diktaturen.

Wenn wir aber heute über Überwachung diskutieren, geht es nicht um die Verfolgung und Bespitzelung Andersdenkender, wie es vielleicht der Titel dieser Debatte suggerieren soll. Es geht vielmehr darum, angemessene Mittel im Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus zu finden.

(Beifall bei der CDU)

Dabei – das ist und bleibt wichtigster Maßstab – sind stets die Anforderungen und Grenzen des Grundgesetzes zu

wahren. Wie notwendig und richtig der Einsatz moderner Überwachungsmaßnahmen ist, zeigt zum Beispiel der vereitelte Anschlag auf den Neubau der Münchner Synagoge durch Rechtsextremisten im Jahr 2003. Ohne eine Telefonüberwachung der Täter hätte deren feige Tat schwerlich verhindert werden können.

Meine Damen und Herren! Angesichts der fortschreitenden Nutzung des Internets durch Kriminelle und angesichts neuer Formen der Verbrechensbegehung sind auch neue Wege in der Bekämpfung und Verfolgung schwerster Straftaten notwendig. Der Rechtsstaat muss immer wieder Antworten finden, um der Kriminalität Einhalt zu gebieten. Notwendig ist dabei immer eine Debatte, was geht und was nicht. Diese Debatte müssen wir immer wieder und gern auch kontrovers führen. Das war in den Neunzigerjahren bei der Einführung des Großen Lauschangriffs so, dies ist auch heute bei der Frage der Zulässigkeit von Online-Überwachung der Fall. Aber, meine Damen und Herren, die NPD ist dabei der denkbar schlechteste Ratgeber einer solchen Debatte.

(Volker Bandmann, CDU: Sehr richtig!)

Mit einem Überwachungsstaat, wie es der heutige Titel suggerieren soll, hat dies nämlich überhaupt nichts zu tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich erteile das Wort der Linksfraktion.PDS. Herr Dr. Hahn, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben zur Innenpolitik gestern eine Debatte auf Basis eines Antrags der Linksfraktion.PDS geführt. Wir werden morgen auf Antrag der FDP eine Aktuelle Stunde haben. Von daher sehen wir heute keine Notwendigkeit, in dieser Debatte zu sprechen.

Ich will aber noch einen Satz sagen, nachdem Herr Apfel ja gestern seinen unsäglichen Auftritt hatte. Als Hüterin für Menschenwürde und auch für Rechtsstaatlichkeit ist die NPD mit Sicherheit völlig ungeeignet.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der FDP – Jürgen Gansel, NPD: Aber die Mauermörderpartei?!)

Ich frage die Fraktion der SPD. – Kein Redebedarf. FDP? – Kein Redebedarf. GRÜNE? – Kein Redebedarf. Dann die Fraktion der NPD; Herr Gansel, bitte.

(Das Mikrofon scheint nicht sofort zu funktionieren.)

Das Mikrofon ist angeschaltet, Herr Gansel.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Selbst die Technik verweigert sich – es muss etwas dran sein!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf das Ablenkungsmanöver von Herrn Piwarz lasse ich mich namens meiner Fraktion gar nicht ein. Hier unbewiesene Vorwürfe aufzuwärmen, zu denen sich die Staatsanwaltschaft Dresden seltsamerweise seit sechs Monaten nicht äußert – dieses Ablenkungsmanöver lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Zurufe von der CDU)

Ein zweiter Aspekt zu Ihrer Rechtspolitik: Wenn Sie im Freistaat Sachsen und Ihre Regierenden in Berlin mal eine wirklich vernünftige Sicherheitspolitik betreiben würden, dann wären solche Kinderschänder und Kindermörderfiguren wie Herr Kolbig aus Leipzig nach einer fünfmaligen Verurteilung wegen Kinderschänderei überhaupt nicht wieder auf freien Fuß gekommen, und er hätte dieses neunjährige Kind in Leipzig gar nicht ermorden können. Also greifen Sie sich bitte mal an die eigene Nase!

(Beifall bei der NPD)

Und nicht immer diese durchsichtigen, billigen Ablenkungsdebatten!

(Zurufe von der CDU)