Lassen Sie mich ganz klar sagen: Wir leben verschwenderisch. Weil diese Gesellschaft immer noch nicht begriffen hat, welches Potenzial ältere Menschen haben, verschwenden wir zuhauf ihr Wissen, ihre Erfahrungen und auch ihre Kraft. Eine Gesellschaft, die denkt, auf ihre Alten verzichten zu können, ist eine sehr arme Gesellschaft, meine Damen und Herren.
Trotzdem ist klar, dass leider nicht alle älteren Menschen gesund und fit ihren Lebensabend werden verbringen können. Deshalb war das Thema „Alter(n) neu denken“ des letzten Altenhilfekongresses hier in Dresden auch gut
gewählt. Was meines Erachtens klar wurde, ist, dass Altenhilfe nicht nur die Versorgung von Pflegefällen in stationären Einrichtungen ist. Die Altenhilfe der Zukunft wird sich darauf einstellen müssen, dass ältere Menschen erst deutlich später die Angebote von stationären Pflege- und Betreuungseinrichtungen nutzen werden. Sie werden so lange wie möglich – und sie sind dazu inzwischen auch mehr als früher in der Lage – ganz individuell in ihren eigenen vier Wänden oder in auch von der Ministerin favorisierten modernen Formen des Zusammenlebens, wie beispielsweise in Mehrgenerationenhäusern oder in den schon angesprochenen Alten-WGs, leben. Diese Menschen brauchen individuelle und punktuelle Hilfsangebote und eine gute ambulante Gesundheits- und Pflegeversorgung.
Das größte Problem in der Pflege ist sicherlich das System an sich. Die Finanzierung hat man wider besseres Wissen wieder als Generationenvertrag angelegt, ein Unding – Frau Nicolaus hat davon bereits gesprochen –, wenn man sich die immer weiter abnehmende Erwerbsbevölkerung in Deutschland ansieht. Die Gesellschaft hat es leider nicht geschafft, bei der Regelung zur Pflegeversicherung wirklich umzudenken und einen echten Systemwechsel in Angriff zu nehmen. Wie beim Gesundheitswesen und bei der Rente drohen damit auch bei der Pflege steigende Beiträge bei weniger werdender Leistung. Es ist aus meiner Sicht unvermeidbar, dass wir in wenigen Jahren vor großen Problemen bei der Finanzierung der Pflege stehen werden.
Ein zweites Problem sind aus unserer Sicht die Pflegestufen. Sie sind zu unflexibel und zu ungenau und spiegeln den tatsächlichen Pflegebedarf nicht wider. Problematisch wird es vor allem dann, wenn neben körperlichen Gebrechen – auch dazu hat sich Frau Nicolaus schon geäußert – Demenzerkrankungen hinzukommen. Bei der derzeitigen Konzeption der Pflege sind die Unterbringung und die Finanzierung Demenzkranker ein großes Problem. Das gilt auch für Krankenhäuser, die auf die steigende Anzahl demenzkranker Patienten oft überhaupt noch nicht richtig vorbereitet sind.
Ein drittes Problem, das wir auch aus vielen anderen Bereichen und nicht nur aus dem Sozialbereich kennen, ist die überbordende Bürokratie. Oft wird beispielsweise beklagt, dass sich die Pfleger kaum noch um die Patienten kümmern können. Das ist kein Wunder bei dem engen Personalschlüssel, den wir überall vorfinden, und bei den immer zahlreicher werdenden Dokumentationspflichten. Hier muss sich dringend etwas ändern. Altenhilfe ist die Arbeit am Menschen und nicht das Protokollieren seiner Gebrechen, meine Damen und Herren.
Aber die Probleme in den Bereichen Altenhilfe und -pflege haben ihre Ursache eben nicht nur in den eben genannten Punkten. Die Probleme entstehen oft im Ergebnis der dramatischen Folgen des demografischen Wandels und der Abwanderung. Viele Kinder und Enkel haben den Freistaat in Richtung Westen verlassen; sie können sich nicht mehr um ihre Eltern und Großeltern
kümmern. Familien wurden zerrissen. An vielen Stellen droht auch so etwas wie eine Vereinsamung. Die Folgen für das soziale Gefüge im Freistaat Sachsen können wir noch gar nicht absehen.
Hinzu kommt, dass die Strukturen im ländlichen Raum immer altenunfreundlicher werden. Ich will es klar sagen: Wenn wir es mit Altenhilfe ernst meinen, müssen wir zuallererst dafür sorgen, dass die urbanen Strukturen im ländlichen und kleinstädtischen Raum erhalten bleiben.
Ich komme zum Schluss. – Die Rettungsdienste müssen in der vorgeschriebenen Zeit beim Patienten sein. Ein öffentlicher Nahverkehr gehört genauso dazu wie vernünftige Grundversorgungseinrichtungen. Wir dürfen nicht zulassen, meine Damen und Herren, dass der ländliche und kleinstädtische Raum weiter ausblutet. – Danke schön.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen kein Defizitmodell des Alters. Viele ältere Menschen finden es belastend, dass das Alter durch die Diskussion um Rente und Pflegeversicherung, Heime etc. in erster Linie mit Kosten und Problemen in Verbindung gebracht wird. Das Bild von den körperlich hinfälligen alten Menschen stimmt aber nicht. Menschen können und wollen auch im Alter ein selbstbestimmtes Leben führen. Altenhilfe hat nach § 75 des Bundessozialhilfegesetzes das Ziel: „Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, am Leben in der Gesellschaft teilzunehmen.“
Da, liebe Kolleginnen und Kollegen, steckt doch eine Menge von Aufgaben drin, und es kann ungeheuer interessant sein, kreativ über die Möglichkeiten des Umgangs mit dem Alter nachzudenken. Wir brauchen diese grundlegende Diskussion aber nicht nur als Aktuelle Debatte, weil es eben mal dran ist, darüber zu reden, sondern der Gedanke der Gestaltung unserer älter werdenden Gesellschaft muss sich bei allen unseren Themen einmischen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gilt als wesentlicher Schritt in der Menschheitsgeschichte, dass die Menschen heute mit einiger Wahrscheinlichkeit sehr alt werden können. Darin liegt eine Aufgabe für uns. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, die Möglichkeiten des Alters besser zu nutzen. Und das Alter ist bunt, es ist vielfältig. Das wissen wir doch alle. Dafür brauchen wir Orte in der
Das brauchen wir umso mehr, weil ein großes Problem im Alter die Vereinsamung ist. Diese Vereinsamung fällt eben nicht vom Himmel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wer im Alter einsam ist, hat als jüngerer Mensch Chancen nicht genutzt, aus welchen Gründen auch immer.
Manchmal ist er einfach nur den Problemen aus dem Wege gegangen, war konfliktscheu, hat sich beim geringsten Problem in eine Art Schneckenhaus zurückgezogen. Dafür gibt es dann im Alter die Quittung. Das heißt doch aber, wer nicht einsam sein will, muss beizeiten anfangen zu lernen, seine Kontaktfähigkeit zu trainieren. Das kann man in jedem Alter lernen. Das kann man trainieren. Das würde allen Generationen nützen. Dafür brauchen die Menschen in unserer Gesellschaft auch Angebote.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Spannungsfeld bei der Sicht auf Demografie, auf Wandel und Alter besteht darin, die Realität anzuerkennen, Probleme auch zu benennen, aber dann Antworten zu entwickeln und auch Chancen zu sehen.
Ein Beispiel: Frau Orosz, Sie nehmen 6 Millionen Euro in die Hand und fördern bürgerschaftliches Engagement in Sachsen. „Wir für Sachsen“ heißt diese Stiftung. Damit können wir wirklich etwas bewirken, und das ist gut so. Bürgerschaftliches Engagement kann auf der einen Seite eine wichtige Säule in einem zukünftigen Hilfe- und Pflegemix für die Älteren sein. Man kann damit Lücken füllen, wenn fehlende familiäre Pflege vor Ort zu konstatieren ist. Andererseits bietet bürgerschaftliches Engagement eine Möglichkeit für ältere Menschen, in der Mitte der Gesellschaft zu bleiben, ihre Erfahrungen einzubringen. Und das ist nicht nur für ältere Menschen gut, das ist für uns alle gut, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Weil sich viele Menschen engagieren wollen und weil das Geld nicht reicht, auch wenn Sie noch eine zusätzliche Million herausgeschlagen haben, brauchen wir an dieser Stelle Kriterien, die benennen, was wir wirklich fördern wollen. Diese Kriterien können sich an verschiedenen Dingen orientieren, zum Beispiel daran, ob es beispielgebend ist bei der Förderung im Sinne eines Pflegemixes von professionellen und ehrenamtlichen Helferinnen, oder an der Frage, wie ein solches Engagement begleitet wird: Gibt es Kurse, gibt es Vernetzungen, gibt es Angebote, die ältere Menschen für ihr Engagement fit machen?
Ich denke, dass wir auch anders planen müssen. Wir brauchen andere Simulationstechniken. Es genügt einfach nicht zu sagen, für 3 bis 5 % der über 65-Jährigen müssen wir einen Platz in einem stationären Pflegeheim vorhalten.
Dann würden im Jahre 2050 zwei Millionen Bundesbürger im Pflegeheim leben. Das kann es doch wirklich nicht sein. Wir reden schließlich von uns selbst. Können Sie sich das für sich vorstellen? Ich glaube, das wollen wir alle nicht. Die Bedürfnisse der Älteren und die Bedarfe sind so vielfältig wie die Menschen selbst. Wir müssen also weitere Faktoren in unsere Planung einbeziehen, zum Beispiel Nachbarschaftsstrukturen oder soziale Netzwerke. Diese müssen wir unter anderem auch mit solch einem Programm wie „Wir für Sachsen“ fördern.
Damit unterstützen wir den Einzelnen, seine Fähigkeiten zu erhalten und auch für sich selbst ein tragfähiges Netzwerk für das Alter zu entwickeln.
Noch einmal: Demografie und Gestaltung unserer zukünftigen Gesellschaft müssen wir bei allen Themen mit bedenken. Wir brauchen den gesellschaftlichen Dialog. Ich finde diesen ungeheuer spannend – nicht nur an dieser Stelle in der Aktuellen Debatte.
Es gibt kein geschlossenes seniorenpolitisches Konzept der Regierung, es gibt keinen aktuellen Altenhilferahmenplan und auch keine Reform der Pflegeversicherung. Insofern könnten vielleicht manche zu der Meinung kommen, dass die Debatte das Ziel verfehlt.
Aber ich glaube, wenn es darum geht, gerade die Gelegenheit einer Aktuellen Debatte zu nutzen, um Argumente auszutauschen, um festzustellen, wo die einzelnen Fraktionen die Schwerpunkte ihrer künftigen Arbeit auf diesem Gebiet sehen, war es gerade richtig, dass wir heute darüber diskutiert haben. Ich bin sicher, dass die Staatsministerin die Anregungen, die heute zu diesem Thema gekommen sind, für die zukünftige Arbeit nutzen wird. Insofern halte ich die Debatte für sehr gelungen.
Wird von der SPD-Fraktion noch das Wort gewünscht? – Dann die Linksfraktion.PDS; Herr Dr. Pellmann, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Jähnichen, es tut mir leid, dass ich noch nach Ihrem Schlusswort spreche. Aber ich denke, wir werden das aushalten.
Ich möchte noch einige Bemerkungen zu der Problematik Perspektiven und Herausforderungen machen und aus unserer Sicht fünf Positionen benennen.
Die erste Position. Ja, wir brauchen in der Tat ein seniorenpolitisches Gesamtkonzept. Ob das, Frau Staatsministerin, der von Ihnen vorgestellte Altenhilfeplan leisten kann, werden wir sehen. Wir kennen ihn nicht. Das ist problematisch. Wir hätten ihn möglicherweise einbeziehen können.
Auf jeden Fall kann ich Ihnen schon einen Änderungsantrag ankündigen, obwohl ich den Plan noch nicht kenne. Meine Fraktion wird den Titel per Änderungsantrag verändern. Da bin ich wieder bei Herrn Gerlach. Herr Gerlach, wir mögen in den abgeleiteten Positionen übereinstimmen; aber der Begriff Altenhilfe steht für eine antiquierte Philosophie im Umgang mit Alter. Insofern muss er abgelegt werden.
Die zweite Position. Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat haben wir uns auf wachsende Altersarmut einzustellen. Dazu braucht man nicht viele demografische Kommissionen. Man kann das relativ leicht berechnen. Nach meinem vorsichtigen Überschlag werden wir in Sachsen etwa im Jahr 2020 ein Fünftel der Rentner haben, die als altersarm gelten. Das, denke ich, ist eine riesengroße Herausforderung. Hinzu kommt, dass das offensichtlich noch nicht ausreichend erkannt ist. Ansonsten müssten wir sofort den Finanzverteilungsmechanismus bei der gegenwärtig gültigen Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung verändern. Gegenwärtig zahlt der Bund, der sie auf den Weg gebracht hat, nur einen Abschlag von rund 10 %.
Da wir Gott sei Dank noch relativ wenige auf diese Hilfe Angewiesene in Sachsen haben, macht sich das für die Kommunen haushälterisch noch nicht so drastisch bemerkbar. Aber in zehn bis 15 Jahren wird das eine Lawine sein. Dann brauchen wir einen anderen Verteilungsmechanismus: Es muss sich auch der Freistaat beteiligen, und die Kommunen dürfen nicht im Regen stehen bleiben.
Die dritte Position. Wir brauchen neue Überlegungen, wie wir künftig die soziale Infrastruktur für ältere Menschen zu verändern haben. Vieles ist dazu gesagt worden. Insofern will ich nur auf ein Problem aufmerksam machen.
Schon nach einem Jahr zeigt sich die verheerende Wirkung des Woba-Verkaufes in Dresden. Ich lese heute in einer Zeitung dieser Stadt, dass man dringend nach Wohnungen für einkommensschwächere Bürgerinnen und Bürger sucht. Das ist völlig klar: Wenn ich alles privatisiere und verschleudere und an sogenannte Heuschrecken verhökere, dann muss ich mich nicht wundern.