Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, es ist schon richtig, dass wir diese Aktuelle Debatte hier im
Landtag beantragt haben, um uns auch einmal mit den Inhalten des Maßregelvollzuges zu befassen. Ich zolle meiner Vorrednerin Respekt.
Sie hat sich mit den Inhalten des Maßregelvollzuges befasst, und das nicht erst seit dem heutigen Tag, sondern sie hat dies auch mit Kleinen Anfragen getan. Deshalb möchte ich ihr für ihren qualifizierten Beitrag, dem ich auch vieles entnehmen konnte, was ich nicht kannte, durchaus Respekt zollen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Auch wenn wir in der Öffentlichkeit nach dem Tod des kleinen Mitja in Leipzig, den ich sehr bedauere, eine sehr schlimme und bedauerliche Diskussion erfahren haben – ich bedauere auch, dass es niemandem gelungen ist, diesen Tod zu verhindern; und unsere Anteilnahme gilt den Eltern, die den jüngsten Sohn verloren haben –, ist die Diskussion zum Maßregelvollzug jedoch eine andere. Sie hat ein anderes Thema. Frau Kollegin Herrmann hat darüber aus ihrer Sicht gesprochen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Selbstverständlich ist es gut, wenn man sich einmal vor Ort anschaut, wie der Maßregelvollzug funktioniert. Für mich als Rechtspolitiker der CDU-Landtagsfraktion war es sehr lehrreich, in Großschweidnitz und Arnsdorf zu Besuch gewesen zu sein. Ich gebe auch zu, Herr Staatsminister der Justiz, man kann etwas von den Sozialpolitikern lernen,
wie man mit straffällig Gewordenen umgeht, und ich sage einmal: Es ist keine Schande, wenn man zugibt, dass man etwas lernen kann, was man bisher nicht wusste.
Nun zu den Entweichungen. Erstens. Ich denke, dass man auch das Problem der Entweichungen qualitativ entsprechend nachfragen muss. Was ist denn in Großschweidnitz passiert? – Ich sage einmal deutlich: Jede Entweichung ist eine zu viel und sie muss zu unterbinden versucht werden. Das ist der Grundsatz. Dazu sind die Straftäter ja auch dort untergebracht.
Zweiter Ansatz. Aus den geschlossenen Unterbringungen sind meines Erachtens in den letzten Jahren keine Entweichungen vorgekommen. Das Problem in den offenen Bereichen, in denen die dort Befindlichen jeden Morgen, jeden Tag frei herumlaufen können – sie tragen sich in ein Buch ein und können heraus; sie können zu ihrer Therapie gehen, sich im Krankenhaus bewegen und sie können sich auch dann, wenn es Lockerungen gibt, frei bewegen –, ist der Versuch, diese Patienten auf das Leben nach der Unterbringung vorzubereiten. Dies hat nichts damit zu
tun, dass sie aus geschlossenen Bereichen entwichen sind. Deshalb, denke ich, muss man die Diskussion wieder zurück auf die Füße stellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch eine andere Geschichte: Wenn man zurückblickt, muss man deutlich sagen, dass in Sachsen nicht nur geredet wird. Es ist ein Trugschluss zu sagen, wir hätten in den letzten Jahren auch über das Thema Sexualstrafrecht nur geredet. Wir haben gehandelt. Schon Anfang der Neunzigerjahre ist der Maßregelvollzug einer grundlegenden Überprüfung unterzogen worden und man hat einen Maßnahmenkatalog aufgestellt, für den man den Sozialpolitikern Respekt zollen muss. Danach sind intensive Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt worden, und es ist natürlich irgendwann einmal ein Abschluss zu erwarten. Leider ist es eben erst 2009 so weit – wenn man die Kritik von Kollegen Martens aufnimmt –, aber dann sind mit den Baumaßnahmen die Sicherungsmöglichkeiten abgeschlossen. In Sachsen haben wir nicht nur geredet, sondern wir haben bereits gehandelt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich verweise dabei auch auf den ehemaligen Sozialminister. Frau Sozialministerin Orosz, er hat hier Mitte der Neunzigerjahre, auch mit dem Konzept, das er im Jahr 1999 vorgestellt hat, schon Markenzeichen für die Entwicklung des Maßregelvollzugs gesetzt.
Lassen Sie mich noch auf einen Aspekt hinweisen: Wir haben bei unseren Besuchen Hausaufgaben mitgenommen, die wir in der Justiz zu klären haben, und zwar bei den Gerichten. Verfahrensdauern sind schlichtweg zu lang, blockieren damit auch Plätze im Maßregelvollzug, die wir dort benötigen. Da werden wir das faire Gespräch suchen, was zu verändern ist. Wir werden aber auch die Probleme klären müssen, die vielleicht im Zusammenhang mit Vorführungen durch zu wenige Polizisten entstehen.
Frau Staatsministerin, ich bitte – auch im Namen der Koalitionsfraktionen – darum, alles zu unternehmen, damit die Zahl von Entweichungen in Zukunft reduziert wird und damit wir einen modernen Maßregelvollzug auf die Beine bringen, der eines erreichen soll:
Wird von der SPD-Fraktion noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann die Linksfraktion.PDS. Herr Wehner, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich finde es richtig, dass wir uns heute im Rahmen einer Aktuellen Debatte über die Situation im Maßregelvollzug verständigen. Ich bin aber auch der Auffassung, dass es nicht ausreicht, sich nur im Rahmen einer Aktuellen Debatte darüber zu verständigen. Bitte bedenken Sie, meine Damen und Herren: Der letzte Bericht über Entwicklung, Stand und Perspektive des Maßregelvollzugs in Sachsen stammt aus dem Jahr 1999. Es ist an der Zeit, einen neuen Bericht zu erhalten und sich anhand dieses Berichts, wie Frau Herrmann sagte, sachlich mit den Fragen und Problemen des Maßregelvollzugs zu beschäftigen.
So ist eine Antwort auf die Frage zu geben, ob es denn tatsächlich sein muss, dass die Verweildauer in diesen Einrichtungen derart lang ist. Was wird denn eigentlich getan, damit sich diese reduziert? Was sind Gründe für die lange Verweildauer? Liegt das möglicherweise daran, dass wir doch nicht ausreichend Personal, und zwar fachkundiges Personal, in den Einrichtungen haben? Dessen Vorhandensein will ich gar nicht anzweifeln. Welche Rolle spielen die Besuchskommissionen, die im Bericht 1999 noch mit als das entscheidende Gremium avisiert waren? Was haben diese getan? Wie geht die Staatsregierung mit den Ergebnissen der Arbeit der Besuchskommissionen um? Das, finde ich, muss geklärt werden.
Ich meine auch, dass es hier ein besseres Zusammenspiel sowohl von der sozialpolitischen Seite als auch von der Justiz zu den Gutachten geben muss, Herr Bräunig. Es könnte mehr kritische Auseinandersetzung vonseiten der Justiz mit den Gutachten geben, ob tatsächlich jemand in den Maßregelvollzug gebracht werden muss. Ich finde, wir brauchen in diesen Einrichtungen besonders qualifizierte Therapeuten, denen es gelingt, den Menschen besser wahrzunehmen und dazu beizutragen, dass der maßgeregelte Patient zeitiger aus der Verwahrung herauskommt.
Des Weiteren, meine Damen und Herren: Das Therapieren und Behandeln sollte im Vordergrund stehen, nicht das Ruhigstellen. Wie viele von denen, die sich im Maßregelvollzug befinden, werden nicht erst durch diesen drogenabhängig? Auch dazu gibt es keine genaueren Untersuchungen und hierauf – der Meinung bin ich – hat die Staatsregierung dem Landtag Antworten zu geben.
Das war es, was ich unbedingt an dieser Stelle sagen wollte. Ich finde, wir brauchen eine sachliche Debatte und vor allen Dingen brauchen wir einen neuen, ausführlichen Bericht über die Situation im Maßregelvollzug.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu Ihnen sind wir sehr wohl der Meinung, dass der Fall Mitja hier an dieser Stelle durchaus diskutiert gehört, denn wir denken, dass er symptomatisch ist für eine viel zu liberale Strafgesetzgebung in einer Bananenrepublik, die den Tätern die Türen aufschließt und die Opfer verhöhnt.
Wer die vielfach mit wichtigtuerischer Miene vorgetragenen Worte der Koalition hört, kann den Eindruck gewinnen, als ob der Maßregelvollzug sich bei Ihnen in fürsorglichen Händen befindet. Doch Sie sollten uns und den Bürgern Ihren Theaterdonner ersparen. Der Kongress tanzt und das Parlament schwatzt.
Unwillkürlich muss man an ein Gedicht aus dem Revolutionsjahr 1848 denken. Frei abgewandelt könnte man reimen: „Die Gänse die da gi-ga-gackern im Parla-ParlaParlament, das Reden nimmt kein End’. Zu Dresden an der Elbe ist’s jeden Tag dasselbe.“
Wie wichtig, meine Damen und Herren in den Blockparteien, in diesem Haus der Maßregelvollzug ist, kann jeder feststellen, der sich die Parlamentsdokumentation ansieht. In den letzten dreieinhalb Legislaturperioden wurden hier insgesamt rund 36 700 Drucksachen erzeugt. Unter dem Schlüsselbegriff Maßregelvollzug finden sich in diesem Zeitraum ganze 15 Drucksachen. Das meine ich mit Theaterdonner.
Diese nachweisbaren Fakten zeigen, dass die Blockparteien als angebliche Kontrollorgane der Regierung versagen. Sie haben dieses wichtige Thema immer auf kleiner Flamme gehalten. Und was unternimmt Herr Mackenroth? – Der Justizminister lehnt bis heute effektivere Strafen im Kampf gegen Sexualstraftäter ab. Stattdessen fordert er nur professionellere Gutachten, um die Sexualstraftäter anschließend als geheilt entlassen zu können. Das übliche liberale Geschwätz.
Im Fall des ermordeten Mitja wurden inzwischen neue Details über den mehrfach verurteilten Sexualstraftäter bekannt:
Nach Informationen des „Focus“ hatte der Psychiatrieprofessor Hans-Ludwig Kröber bereits 1998 vor dessen Gefährlichkeit gewarnt. Bei ihm bestehe auch künftig die Gefahr erheblich rechtswidriger Taten, heißt es in einem Gutachten für das Leipziger Landgericht. Dort musste sich der Angeklagte, der zuvor viermal wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt wurde, wegen versuchter Vergewaltigung eines Elfjährigen verantworten. Während der
Tat im August 1997 hatte der Verbrecher 2,9 Promille im Blut. Auch bei früheren sexuellen Übergriffen spielte der Alkohol eine Rolle. In dem Gutachten verweist Kröber auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen den Taten des Straftäters und dessen Hang zum übermäßigen Alkoholgenuss. Der Experte erachtete eine Alkoholtherapie für sinnvoll, aber nur einigermaßen Erfolg versprechend.
Das Gericht verurteilte Uwe K. im Februar 1998 zu zwei Jahren Haft und ordnete die Unterbringung in einer Erziehungsanstalt an. Im Juli 1998 trat er eine Alkoholtherapie an. Weil die Ärzte aber keine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg sahen, wurde die Therapie im März 2000 abgebrochen. Nach seiner Haftentlassung am 15. Juli 2000 unterzog er sich einer Sexualtherapie. Aufgrund einer Empfehlung des verantwortlichen Therapeuten verfügte das Landgericht im Juli 2004, dass er seine Therapie beenden darf.
Meine Damen und Herren! In Deutschland gelten für Sexualstraftäter die Maßstäbe einer viel zu toleranten Justiz.