Protocol of the Session on March 14, 2007

Danke schön.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Meine Damen und Herren! Das war die Linksfraktion.PDS. Ich rufe die SPD-Fraktion auf. Herr Brangs, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Lieber Kollege Tischendorf, damit unsere Debatte etwas gehaltvoller wird: Was du hier als Kollege vertreten hast, ist absolut die reine Lehre. Das ist ein dogmatischer Ansatz, der noch nicht einmal in der Realität anderer Bundesländer Bestand hat, in denen die PDS in der Regierungsverantwortung ist. Was hier immer wieder vor sich hergetragen wird, dieser Ansatz, als seien hier die Gralshüter der Arbeitnehmerrechte unterwegs – ich sage das mit Blick in die Geschichtsbücher: Wir brauchen als Sozialdemokraten keine Belehrungen, was Arbeitnehmerinteressen anbelangt.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Nicht mit Blick in die Geschichtsbücher!)

Ja, ein Blick in die Geschichtsbücher ist nicht schlecht.

Aber man kann in die Debatte auch noch einen anderen Schlenker bringen, wenn man sich ansieht, wie die anderen Gralshüter, nämlich die der reinen Marktwirtschaft, die mir huldvoll zuhören, handeln. Die Debatten auf dem letzten FDP-Parteitag fand ich sehr interessant. Da wird zum Beispiel der Vorsitzende zitiert: „Schwerpunkt unserer Arbeit wird künftig verstärkt die Familien- und Sozialpolitik sein. Besonders die Gesundheitspolitik und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollen die Arbeit der kommenden Jahre bestimmen.“ Dazu mein Rat: Gehen Sie damit einmal in das Gesundheitswesen und in den Einzelhandel und versuchen Sie den Familien zu erklären, wie dann ein Zusammenhang herzustellen ist zwischen Beschäftigten, die eine Reihe von Entbehrungen in Kauf nehmen müssen für ihre Beschäftigung, die sie dort ableisten, und der Tatsache, dass es im Wesentlichen Frauen sind, die im Einzelhandel und im Gesundheitswe

sen beschäftigt sind. Mich interessiert, wie Sie da rauskommen wollen. Auf der einen Seite Familienfreundlichkeit, auf der anderen Seite natürlich die reine Lehre.

Deshalb überrascht es mich auch nicht, denn da gibt es einen Zusammenhang. Familienpolitik und Selbstbestimmungsrecht hat ja auch etwas damit zu tun, dass Menschen arbeiten und dass sie von dieser Arbeit auch vernünftig leben können. Es überrascht mich überhaupt nicht, dass sich gerade die FDP im Bundestag, auch die Abgeordneten aus Sachsen, im Übrigen als einzige Fraktion, bei der Ausweitung des Entsendegesetzes auf die Gebäudereiniger nicht der Stimme enthalten, sondern dagegen gestimmt hat. Das heißt, Sie wollten nicht, dass es hier in Sachsen einen Lohn von 6,36 Euro für die Gebäudehandwerker gibt. Das war Ihnen anscheinend zu viel. Dies zum Stichwort Vereinbarkeit und der Frage, wie man dort mit den Themen umgeht.

Aber noch einmal etwas zu diesen Stichworten, die teilweise schon genannt wurden. In der Tat ist es so, dass ich mir beim Thema Föderalismusreform andere Beispiele gewünscht hätte, in denen auch die Länder von ihrer Kompetenz Gebrauch machen können. Ich glaube nicht, dass das Thema Ladenöffnungszeiten das beste Beispiel dafür ist. Ich habe immer davon gesprochen – davon möchte ich auch nicht zurückgehen –, dass es bei diesem Thema Ladenöffnungszeiten eigentlich ein Pseudoföderalismus ist. Wir werden natürlich – es wird suggeriert, als sei das jetzt eine Stärkung des Landesgesetzgebers – feststellen, dass es in vielen Bereichen mit unterschiedlichen Ansätzen zu einer Kleinstaaterei kommen wird. In den nächsten Jahren werden wir unterschiedliche Beispiele dazu finden. Davon bin ich fest überzeugt.

Natürlich hätte man sich darauf versteifen können zu sagen, wenn es nach großen Teilen auch unserer Fraktion geht und nach den Gesprächen, die wir mit dem zuständigen Minister geführt haben, dass wir es beim Status quo belassen. Aber – das muss man zur Kenntnis nehmen, da bin ich durchaus selbstkritisch – wir leben nicht auf einer Insel, und wir können als Sachsen nicht sagen, dass das alles nichts mit den Veränderungen zu tun hätte, die um uns herum passieren. Insofern müssen wir natürlich sehen, dass es, wenn es ein Interesse von unterschiedlichen Gruppen, von Verbänden und Institutionen in der Bevölkerung gibt, die Ladenöffnungszeiten zu verändern, und wenn es auch in anderen Bundesländern zu Veränderungen gekommen ist, richtig ist, denke ich, dass man eine Diskussion führt, um diese regionalen Besonderheiten, aber auch die unterschiedlichen Interessenlagen miteinander abzuwägen und auszugleichen.

So sehe ich auch den vorliegenden Gesetzentwurf, denn jeder hier im Haus weiß, dass es auch innerhalb der Koalition dazu eine Reihe von Diskussionen und Gesprächen gegeben hat, die im Übrigen sehr konstruktiv waren und sehr kollegial verlaufen sind. Das mag in der Öffentlichkeit anders dargestellt werden, aber die Fachpolitiker haben an dieser Stelle miteinander gerungen und versucht, die Debatten zu führen. Es ist klar, dass es auch da ein

Interesse gab, die Ladenöffnungszeiten rund um die Uhr zu gestalten. Aber ich glaube, dass der Gesetzentwurf diesen Bedingungen, die ich gerade geschildert habe, Rechnung trägt und dass wir damit die Möglichkeit haben, heute einen ausgewogenen Gesetzentwurf vorzustellen, der auf die Interessen der Käufer und auf die Interessen derer, die eine längere Öffnungszeit haben wollen, Rücksicht nimmt, aber auch auf die Interessen der Beschäftigten. Deshalb ist das klare Nachtarbeitsverbot zwischen 22 und 6 Uhr durchaus der richtige Weg. Vor allem die Übernahme von entscheidenden Bestandteilen aus dem Bundesladenschlussgesetz, was die Arbeitnehmerrechte anbelangt, ist ein richtiger Weg.

Persönlich – auch das gehört zur Fairness und zur Ehrlichkeit in der Debatte dazu – hätte ich mir natürlich an der einen oder anderen Stelle eine andere Regelung vorgestellt. Das ist nicht nur bei dem Stichwort Sonntagsarbeit so; da bin ich im Einklang mit Vertretern der Kirche und Teilen von Vertretern der Koalition. Auch da gab es eine Debatte darüber, wie wir mit dem Sonntagsarbeitsverbot umgehen. Die Öffnung des Sonntagsarbeitsverbotes hat auch eine Rolle gespielt. Aber man darf nicht vergessen, dass wir durch die Ausweitung der Sonntags- und Samstagsöffnungen eine starke Belastungssituation für die Beschäftigten im Einzelhandel provozieren werden.

Wenn man sich den Gesetzentwurf ansieht, so ist es ein Kompromiss des Machbaren unter der Konstellation der Koalition, die wir in Sachsen haben. Das sage ich ganz deutlich. Es ist ein deutliches Zeichen in Richtung Beschäftigte. Es ist aber auch ein deutliches Zeichen an diejenigen, die der Auffassung sind, dass man damit regionale Wirtschaftskreisläufe befördern und regional etwas zur Belebung des Marktes tun kann. Im Übrigen ist das auch der Grund, warum wir Ende des letzten Jahres gemeinsam hier im Landtag der Auffassung waren, etwas für das „Weihnachtsland Sachsen“ zu tun und gerade dieser Besonderheit mit den vier verkaufsoffenen Sonntagen Rechnung zu tragen.

Was mir nicht gefällt – auch das zur Ehrlichkeit –, ist, dass wir auf einmal in ganz Sachsen das Weihnachtsland geworden sind und dass jetzt jede Tankstelle den Weihnachtsmarkt hat, weil sie immer schon einen Weihnachtstankstellenmarkt hatte und dies sozusagen zur Identität dazugehört. Das überzeugt mich nicht. Das ist aber die Konsequenz daraus, dass von einer solchen Öffnung, die regional gedacht war – ich kann mich gut an die Debatte mit den Einzelhändlern hier aus Annaberg-Buchholz erinnern, die auf die besondere Interessenlage der Weihnachtsmarktregion im Erzgebirge eingegangen sind –, nicht alle partizipieren sollten. Das war jedem klar, als wir diese Regelung vorgeschlagen haben.

Ich möchte noch einmal an den Punkt anknüpfen, den Kollege Tischendorf angeführt hat. Man muss die warnenden Signale derer ernst nehmen, die sich über viele, viele Jahre nicht nur in der Wissenschaft mit der Frage der

Entwicklung im Handel beschäftigten: Frage Kaufkraft, Umsatz, Verkaufsfläche.

Dies muss man natürlich ernst nehmen. Wenn man sich die Zahlen des Statistischen Landesamtes angesehen hat – dazu hatte jeder von uns Gelegenheit –, dann muss man feststellen, dass die zusätzlichen verkaufsoffenen Sonntage im Advent trotz der anstehenden Mehrwertsteuererhöhung, die 2007 angeblich der Grund dafür gewesen sein soll, dass noch sehr viele gekauft haben, nur zu einem realen Anstieg des Umsatzes von 0,6 % geführt haben. Wenn man den Zahlen des Statistischen Landesamtes Glauben schenken darf – und davon gehe ich aus –, hat der Umsatz im Einzelhandel nominal um 1,2 % und real um 0,4 % zugenommen. Gleichzeitig gibt es aber seit Jahren eine Erhöhung der Verkaufsfläche und eine Entwicklung, dass immer mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in diesem Bereich verdrängt wird und immer mehr sozialversicherungspflichtige Stellen verändert werden – teilweise von Vollzeit- in Teilzeitstellen, aber auch von Teilzeit- in Midi- und Minijobs. Ich halte das für ein Warnsignal, das wir ernst nehmen sollten.

Insofern ist es folgerichtig, dass wir mit dem vorgelegten Gesetzentwurf eine Befristung eingeführt haben, da genau diese Befristung die Chance lässt, dass man sich über die Jahre mit diesem Thema beschäftigt und eine Evaluierung durchführen kann, wie denn wirklich die Zahlen in Sachsen sind und welche Möglichkeiten diese gesetzliche Neuregelung für die Wirtschaft und für die Beschäftigten gebracht hat.

Ein Punkt stößt mir immer wieder sauer auf – Klaus Tischendorf, ich habe am Anfang meiner Rede etwas dazu gesagt –: Du hast zwar zum Schluss selbst noch den Schlenker hinbekommen und gesagt, du weißt, was in Berlin passiert ist. Nur, sich hier hinzustellen und zu sagen, ich weiß, was in Berlin passiert, aber das ist nicht das, was wir wollen, ist genauso kleinkariert wie der Vorwurf an uns, dass wir unter den Bedingungen des Machbaren das geregelt haben, was umsetzbar war. Da ist mir aber das, was wir in Sachsen gemacht haben, allemal lieber als das, was deine Parteifreunde in Berlin gemacht haben, nämlich die vollkommene Freigabe an die zuständige Wirtschaftssenatorin, die Kollegin Knake-Werner, und der Zuständige für Wirtschaft, Technologie und Frauen, Harald Wolf – die beiden gehören der Linksfraktion.PDS an –, und wenn man sich ansieht, was in Berlin passiert, hat das mit dem, was im Moment in Sachsen diskutiert wird und was zum Gesetz werden soll, wenig zu tun.

(Volker Bandmann, CDU: Hört, hört!)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, gern.

Herr Brangs, habe ich recht, dass in Berlin neben der Linksfraktion.PDS die SPD regiert, die ja Ihre Parteifreunde sind?

(Leichte Heiterkeit – Beifall des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Ja, gut, das ist vollkommen richtig. Die Frage ist aber doch nur, wie man mit solchen Vergleichen umgeht. Ich wollte darauf hinweisen, dass das Ausder-Verantwortung-Stehlen mit dem Hinweis auf Sachsen nicht dem gerecht wird, was in Berlin unter anderen Bedingungen passiert. Deshalb müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen, dass Vertreter der Gewerkschaften inklusive meiner eigenen Truppe, selbst der Bundesvorstand von ver.di sagen, dass das sächsische Gesetz mit Blick auf die Arbeiternehmerrechte und die Ausgestaltung und die Frage der Ausgewogenheit zwischen den Interessenlagen durchaus ein positives Beispiel für Deutschland ist. Das muss man auch zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich.

(Volker Bandmann, CDU: Sachsen ist ohnehin ein positives Beispiel für Deutschland!)

Fast immer, Kollege Bandmann.

Herr Prof. Porsch, bitte.

Sehen Sie, der Zwischenruf beweist, wie Sie danebengegriffen haben.

Ja, klar, Sie haben es als positives Beispiel benannt.

Ich oder Kollege Bandmann, wer denn jetzt?

Sie sind mit Kollegen Bandmann einer Meinung und – –

Aber ich bin nicht mit ihm verheiratet.

(Heiterkeit)

Jetzt die Zwischenfrage, bitte.

Meinen Glückwunsch übrigens zu der Tatsache.

Herr Brangs, Sie haben selbst darauf hingewiesen: Berlin hat andere Bedingungen. Ist Ihnen bekannt – einmal ganz unabhängig davon, wie man tatsächlich zu den Dingen steht, die in Berlin in Bezug auf den Ladenschluss gemacht wurden; dazu gibt es Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Parteien, und das ist bei Ihnen auch hin und

wieder möglich –, dass in Berlin tatsächlich andere Bedingungen sind und dass man in einem föderalen System auch immer im Rahmen der traditionellen Bedingungen denken muss – nicht um konservativ zu sein, sondern um zu sagen, was machbar ist, was richtig ist und was angenommen wird?

Das ist mir bekannt.

Ihre Frage, bitte.

Das ist die Frage. Berlin hat zum Beispiel bei der Sperrstunde – ist Ihnen das bekannt? – eine ganz eigene Tradition – nämlich überhaupt keine Sperrstunde bzw. 10 Minuten, als sie dazu gezwungen wurden.

Das ist mir auch bekannt.

Da gibt es natürlich auch eine andere Tradition beim Ladenschluss, ist Ihnen das bekannt?

Das ist mir auch bekannt, hat aber mit dem Thema nichts zu tun.

(Leichte Heiterkeit – Beifall des Abg. Mario Pecher, SPD, und bei der Staatsregierung)