Ihnen, Herr Bandmann: Wer tatsächlich seinen zwölf Jahre alten Führer über die Neustadt zitiert und allen Ernstes behauptet, dass man sich nachts nicht in die Neustadt getrauen könnte – entschuldigen Sie, wie soll ich es höflich ausdrücken –, der hat wirklich keine Ahnung von diesem Stadtteil. Ich frage Sie: Wann waren Sie zum letzten Mal in der Neustadt? Das ist eine derartige Verzerrung der Wirklichkeit – Sie haben es auf heute bezogen –, die mich einfach nur zu der Auffassung bringt, dass Sie die Neustadt nun wirklich nicht kennen
und sich vielleicht auch deswegen zu diesem Themenbereich möglicherweise etwas sorgfältiger hätten äußern können.
Zum Zweiten, Herr Bandmann: Ich verwahre mich gegen die unterschwellige Unterstellung in Ihren Redebeiträgen, als ob diejenigen, die gegen eine Videoüberwachung in der Neustadt eintreten, unterschwellig gemeinsame Sache mit irgendwelchen Krawallmachern, Randalemachern oder sonstigen Personen machen und in deren Sinne handeln würden. Das ist nicht der Fall. Herr Bandmann, vielleicht wissen Sie es nicht, aber wir haben im Ortsbeirat – der auch sonst immer sehr kluge Beschlüsse fasst; übrigens mit den Stimmen der Vertreter der CDU, wenn ich mich recht erinnere, ich war nämlich anwesend – die Randale, die Silvester stattgefunden haben, ausdrücklich verurteilt; ich werde noch darauf zurückkommen.
Danke. – Herr Lichdi, da Sie ja nicht selten ziemlich zerstreut sind: Ist Ihnen entgangen, dass ich das zitiert habe? Es ist ein Beitrag aus einer Zeitschrift gewesen, wie andere, die von außen kommen, diese Neustadt sehen. Es war ein Zitat – das wird ja noch zulässig sein –, und dann sollten Sie es auch als solches darstellen.
Herr Kollege Bandmann, ich habe sehr wohl wahrgenommen, dass Sie gesagt haben, dass dieses Zitat aus dem „Merian“ 1995 stammt. Ich habe aber auch sehr wohl wahrgenommen, dass Sie gesagt haben, dass das ja noch heute gelte, und sich dann auf diese Krawalle oder Vorfälle im Dezember 2006 bezogen haben. Deswegen war mein Angriff auf Sie, ob Sie die Neustadt bis heute nicht kennengelernt haben – offensichtlich waren Sie noch nicht da –, vollkommen zutreffend.
Lieber Kollege Lichdi, wären Sie bereit, Kollegen Bandmann klarzumachen, dass auch der Merian-Verlag mit seinem Führer seine Sicht auf die Neustadt korrigiert und deshalb vor zwei Jahren eine Neuauflage herausgebracht hat und dass dort zum Beispiel eine junge Autorin namens Franziska Gerstenberg diesen Stadtteil beschreibt?
Herr Kollege Gerstenberg, ich bitte vielmals um Entschuldigung – das war mir entgangen. Aber natürlich weiß ich, dass deine Tochter Franziska einen Beitrag geschrieben und es etwas anders, differenzierter dargestellt hat.
In ihrer Stellungnahme zum Antrag stellt die Staatsregierung fest, dass die Videoüberwachung in der Neustadt unverzichtbar sei. Zitat: „Bisherige Erfahrungen haben gezeigt, dass die Videoüberwachung im öffentlichen Raum an Kriminalitätsschwerpunkten unter Beachtung der speziellen örtlichen Gegebenheiten grundsätzlich dazu geeignet ist, im Bereich der allgemeinen Kriminalität präventiv zu wirken.“ – So weit die Glaubensüberzeugung des Innenministers.
Wir sind es gewohnt, dass wir die Staatsregierung darauf hinweisen müssen, dass staatliches Handeln verfassungsrechtliche Grenzen hat. Wo ist die Basis für die vom Innenminister herangezogene Argumentation?
Die Staatsregierung wird nicht müde zu betonen, dass es nicht um die gezielte Überwachung der Bürgerinnen und Bürger geht, sondern gerade um ihren Schutz. Es gibt aber nicht nur ein Sicherheitsbedürfnis, sondern auch ein Bedürfnis nach Freiheit und Anonymität. Beides gegeneinander auszuspielen ist zwar eine Spezialität der CDU, wird dadurch aber nicht richtiger.
Videoaufnahmen sind personenbezogene Daten. Jeder hat das Recht, über diese selbst zu bestimmen – auch im öffentlichen Raum. Ich zitiere gern aus dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Juristen mögen es mir nachsehen; aber ich denke, man kann es nicht oft genug tun: „Wer nicht mit hinreichender Sicherheit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informationen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommunikationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wäre eine Gesellschaftsordnung – –“
Das Bundesverfassungsgericht spricht von „Gesellschaftsordnung“. Es wehrt sich also ausdrücklich gegen die simplifizierende, individualisierende Betrachtungsweise, die Sie hier immer anstellen, nach dem Motto: da eine Kamera, da eine Kamera, da eine Kamera. Dass wir in der Kantine und in der Straßenbahn eine Kamera haben, ficht Sie nicht an. Sie tun immer so, als ob es hier
nicht um die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas gehe. Sie führen diese Debatte nicht, sondern verdrängen sie. Das werfe ich Ihnen vor.
Weiter das Bundesverfassungsgericht: „Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wäre eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der die Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.“
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kann nur durch Gesetz eingeschränkt werden. Nicht wir Kritiker sind also in der Pflicht, die Unzulässigkeit der Überwachung zu beweisen, sondern Sie, Herr Staatsminister, müssen die Notwendigkeit der Videoüberwachung in der Neustadt begründen.
Sehen wir uns die Rechtsgrundlage genauer an. Sie ist mit § 38 Abs. 2 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Nr. 2 des Sächsischen Polizeigesetzes formal gegeben.
Meine lieben Herren Staatsminister, es ist mir bekannt, dass dem so ist. Es ist interessant nachzulesen, was in § 19 Abs. 1 Nr. 2 steht. Demnach geht es um Orte, an denen sich erfahrungsgemäß Straftäter verbergen oder sich verabreden.
Einen Moment, bitte. – Sie haben damit bestätigt, dass Sie die gesamte Neustadt, nicht nur den Platz vor der „Scheune“, überwachen lassen wollen. Das haben Sie im Innenausschuss gesagt. Sie definieren also die Neustadt insgesamt als Ort, an dem sich Straftäter aufhalten. Das ist die gesetzliche Voraussetzung. Genau dieser Punkt regt uns Neustädter so auf.
versuchen Sie doch offensichtlich vom Thema abzulenken. Deswegen frage ich Sie: Ist Ihnen die Chronik der Neustadt-Randale nicht noch deutlich vor Augen? Ist Ihnen bekannt, dass sie lautet:
20./21. Oktober 2006 – vor der Gaststätte „Scheune“ werden Holzbarrikaden errichtet, Mülltonnen angezündet, sieben Festnahmen;
14. Oktober 2006 – Mitternacht brennen wieder Mülltonnen, 100 Randalierer gehen mit Steinen und Knüppeln auf Polizisten los, acht Festnahmen;
17./18. Juni 2006 – zur Bunten Republik rotten sich Sonntagnacht 150 Jugendliche zusammen, bewerfen Polizisten mit Flaschen, schießen mit Leuchtraketen, 14 Randalierer verhaftet, sechs Polizisten teils schwer verletzt;
16. Juni 2005 – 40 linke Chaoten gehen auf 20 Rechte los, vier Schwerverletzte, darunter eine Frau, vier Autos demoliert.
Da ich mich nachts in die Neustadt traue, ohne mich an solchen Krawallen zu beteiligen, ist mir das sehr wohl bekannt.
(Dr. Fritz Hähle, CDU: Was schließen Sie daraus? – Karl Nolle, SPD: Herr Bandmann wollte es einmal gesagt haben!)
Die Staatsregierung beruft sich auf Erfahrungen, dass die Videoüberwachung im Bereich der allgemeinen Kriminalität präventiv wirke. Ich sage Ihnen: Diese Erfahrungen gibt es schlichtweg nicht. Es fehlen in Deutschland verlässliche, einheitliche Studien. Einzig in Brandenburg hat die dortige Landesregierung Anfang letzten Jahres dem Landtag einen Bericht zur Wirksamkeit der Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen vorgelegt. Herr Staatsminister, es wäre doch ein schönes Unterfangen, wenn Sie etwas Ähnliches für Sachsen in Auftrag geben würden.