Protocol of the Session on December 14, 2006

Zur landesweiten Umsetzung dieses Bleiberechtsbeschlusses ist Folgendes zu sagen: Der Beschluss entfaltet keine unmittelbare Regelungswirkung. Er bedarf der Umsetzung durch Verwaltungsvorschrift des Staatsministeriums des Innern. Diese Anordnung, diese Verwaltungsvorschrift wird mit Hochdruck erarbeitet. Der Entwurf der VWV ist derzeit in der Anhörung. Wir sind zuversichtlich, dass die Anordnung noch im Laufe des Dezembers veröffentlicht werden kann.

Meine Damen und Herren! Die Innenminister haben die Interessen der betroffenen ausländischen Staatsbürger und die der Gesellschaft sorgfältig abgewogen und mit ihrem Bleiberechtsbeschluss bekräftigt. Ich bitte Sie deshalb, diesen Beschluss als tragbaren Kompromiss gemeinsam zu unterstützen und mit Leben zu erfüllen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Herrmann für die Fraktion der GRÜNEN, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Innenministerkonferenz hat sich am 17. November 2006 auf einen Beschluss zum Bleiberecht für in Deutschland langjährig lebende Flüchtlinge geeinigt. Die Grundzüge dieses Beschlusses hat Herr Staatsminister Mackenroth gerade dargelegt. Der Beschluss drückt drei grundsätzliche Prinzipien aus:

Erstens stellt er eine Zwischenstation dar, zweitens will er faktisch und wirtschaftlich im Bundesgebiet integrierten Ausländern ein gesichertes Aufenthaltsrecht gewähren und drittens soll dabei eine Zuwanderung in die Sozialsysteme vermieden werden.

Zum ersten Punkt, der Zwischenstation. Der Bleiberechtsbeschluss der Innenministerkonferenz stellt nur eine Absprache zwischen den Bundesländern dar. Die Anordnung selbst wird nach § 23 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz von den Bundesländern erlassen. Deshalb geht es uns hierbei keineswegs um eine Revision des Beschlusses, Herr Staatsminister Mackenroth, sondern es geht uns darum, den Beschluss der Innenministerkonferenz mit Leben zu erfüllen.

Es gibt bei der Umsetzung dieses Beschlusses schnelle und zielstrebige Länder, wie Baden-Württemberg, Hessen, Hamburg – es sind noch viele mehr –; Bremen hat den Beschluss drei Tage nach der Innenministerkonferenz gefasst. Sachsen befindet sich einen Monat nach der Innenministerkonferenz immer noch in der Abstimmung. Da der Innenminister im Innenausschuss nicht bereit war, auf unsere Fragen zur Innenministerkonferenz und zur Umsetzung des Beschlusses angemessen zu antworten, wollen wir heute darüber debattieren – auch das haben Sie, Herr Staatsminister, eben angeregt.

Zu Beginn möchte ich Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, entgegnen: Wir sind der Auffassung, dass im Parlament nicht erst zu debattieren ist, wenn ein Ergebnis vorliegt, sondern dass es die Aufgabe des Parlamentes ist, sich im Vorfeld an der Findung von Beschlüssen zu beteiligen.

Zur Zwischenstation im Konkreten. Der Bleiberechtsbeschluss lässt den Ländern einen erheblichen Entscheidungsspielraum. Welche Punkte schwerpunktmäßig verankert werden müssen, um es Antragstellerinnen und Antragstellern in Sachsen konkret zu ermöglichen, die Kriterien zu erfüllen, dazu komme ich noch. Im Moment werde ich mich auf einige wenige Punkte beschränken, nämlich die Punkte, die Familie und Arbeit betreffen.

Zum Punkt Arbeit. Ich habe schon gesagt: Ein Schwerpunkt des Bleiberechtsbeschlusses ist, dass unsere Sozialsysteme nicht durch Flüchtlinge belastet werden. Deshalb haben diese nachzuweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie eigenständig durch ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis sichern. Hierzu müssen aber in Sachsen die Bedingungen geschaffen werden. Dabei gibt es mehrere Probleme. Abgesehen von der Arbeitsmarktsi

tuation im Land, sind die Residenzpflicht und die Nachrangigkeit bei der Arbeitsaufnahme die Probleme. Genau diese Problemlagen müssen beseitigt werden. Dazu gehört, dass die Residenzpflicht für die Arbeitssuche aufgehoben, dass eine Duldung bis zum 30. September 2007 ausgestellt wird und dass die zu erteilenden Duldungen mit einem Hinweis versehen werden, dass im Falle einer Zusage für Arbeit eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Bayern hat das in seinem Beschluss schon vorgesehen. Hier ist eine formlose behördliche Erklärung der Rechtslage für potenzielle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber vorgesehen. Unsere Fraktion ist der Auffassung, dass das auch in Sachsen unproblematisch möglich sein müsste.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir fordern zudem in unserem Antrag, dass für diesen Nachweis auch befristete Beschäftigungsverhältnisse ausreichen. Wenn hier verlautbart wird, dass das Innenministerium sogar auf Arbeit nach Tarif besteht, dann entsteht bei mir und meiner Fraktion der Eindruck, dass Herr Dr. Buttolo keine Erfahrungen hat, wie es auf dem sächsischen Arbeitsmarkt aussieht.

Ich möchte nur ein Beispiel nennen: Im Jahre 2004 hatten 62 % der Bevölkerung in Deutschland ein unbefristetes Vollzeitarbeitsverhältnis, das heißt, über ein Drittel der Bevölkerung erfüllte diese Voraussetzungen nicht – Tendenz steigend. In Sachsen waren im Jahre 2005 allein 3 % weniger sozialversicherungspflichtig beschäftigt als im Jahre 2004.

(Heinz Lehmann, CDU: Ist aber besser geworden!)

Dass Menschen, die seit Jahren in Sachsen leben, aber bisher keinerlei Förderung erhalten und auf dem Arbeitsmarkt bisher nachrangig berücksichtigt wurden, eine Arbeit nach Tarif bezahlt wird, ist unrealistisch. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist der Meinung, dass es unverschämt ist, eine solche Forderung aufzumachen, wenn man die damit verbundenen Prämissen, also bisherige Nachrangigkeit auf dem Arbeitsmarkt, in Betracht zieht. Das wäre in unseren Augen eine Verkehrung des Bleiberechtsbeschlusses.

Daher fordern wir die Anerkennung von befristeten Arbeitsverhältnissen, unabhängig von der tariflichen Entlohnung. Dem Grundsatz, dass die Sozialversicherungssysteme nicht belastet werden, ist unserer Meinung nach damit Genüge getan.

Zum Thema Familie. Der Bleiberechtsbeschluss sieht vor, dass bei Ausschluss eines Familienmitgliedes wegen Straftaten grundsätzlich der Ausschluss der gesamten Familie erfolgt. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist eine Form von Sippenhaft, wie wir sie aus der Zeit des Nationalsozialismus kennen und

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

auch aus der Zeit der DDR. Denken Sie nur an den CDUAußenminister Georg Dertinger. Sippenhaft meint die

Inhaftnahme von Familienangehörigen – das waren in der Vergangenheit zumeist politische Gegner – aufgrund von Straftaten eines Familienmitgliedes. Dies widerspricht unserer Meinung nach dem Grundprinzip unseres Rechtssystems, dass jeder die Verantwortung für seine eigene Tat trägt.

(Volker Bandmann, CDU: Herr Dertinger hat überhaupt keine Straftaten begangen, das stellen Sie verzerrt dar!)

Nur er oder sie allein sind dafür zur Verantwortung zu ziehen. Es verkehrt zudem den grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie, der jedem zusteht – nicht nur Deutschen –, in sein Gegenteil. Ein Ausschluss der gesamten Familie aufgrund der Straftat eines Angehörigen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, schlichtweg verfassungswidrig. Wir fordern daher, dass der Schutz von Ehe und Familie im Vordergrund steht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Staatsregierung sieht in einer Trennung von Eltern und Kindern, wie sie im Bleiberechtsbeschluss angelegt ist, keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das hat Herr Staatsminister Buttolo im Innenausschuss gesagt. Wir halten es aber nicht für vereinbar mit dem elementaren Grundrecht auf Familie, wie es im Grundgesetz und in den Menschenrechtskonventionen verankert ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit diese Zwischenstation, der Bleiberechtsbeschluss, in Sachsen tatsächlich seine Wirkung entfaltet bzw. entfalten kann, bleibt noch viel zu tun. Wir haben in unserem Antrag auch diejenigen berücksichtigt, die die formalen Kriterien nicht erfüllen, die vom Bleiberechtsbeschluss verlangt werden. Auch für diese Personen muss langfristig ein Konzept vorgelegt werden. Sie können doch nicht den Kopf in den Sand stecken und nicht sehen wollen, dass es nach wie vor Menschen gibt, die faktisch nicht abgeschoben werden können. Eine Förderung dieser Menschen, eine Investition in ihre berufliche Zukunft, zum Beispiel durch die Erlaubnis, an Integrationskursen teilzunehmen, wäre ein erster Schritt, auch diesbezüglich die Sozialsysteme zu entlasten.

Daher fordern wir die Staatsregierung auf, sich sowohl auf Landesebene als auch auf Bundesebene mit diesem Personenkreis auseinanderzusetzen, damit auch diese Menschen in Sachsen unter menschenwürdigen Bedingungen leben und arbeiten können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann die Aufforderung von Herrn Staatsminister nur wiederholen und Sie bitten, sich an der Auseinandersetzung zu beteiligen und gemeinsam mit uns dafür zu sorgen, dass die zu fassenden Beschlüsse in dem Sinne, wie ich es vorgetragen habe, gelingen.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. – Für die CDU-Fraktion spricht der Abg. Seidel.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich verzichte eingangs darauf, nochmals den gesamten IMK-Beschluss vom 17. November dieses Jahres vorzustellen; dies haben wir heute Morgen bereits gehört, und Herr Staatsminister Mackenroth hat eben noch einmal die Grundzüge dieses Beschlusses dargelegt.

Bei diesem IMK-Beschluss zum Bleiberecht handelt es sich um einen tragbaren Kompromiss, der nach – wie wir hörten – harten Verhandlungen abgeschlossen wurde. Er stellt eine Verbindung humanitärer Gesichtspunkte mit den Interessen unseres Staates dar, und Familien stehen dabei im Mittelpunkt. Langjährig in Deutschland lebende Betroffene, die in der Bundesrepublik eigentlich eine Heimat gefunden haben und die wirtschaftlich und sozial integriert sind, sollen eine Chance erhalten, eine sachgerechte Zukunftsperspektive zu entwickeln. Ich werte diesen Kompromiss als eine wirkliche Chance der betroffenen Ausländer für einen dauerhaften und rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik.

Insbesondere eröffnet diese Herangehensweise den betroffenen Kindern, die teilweise hier aufgewachsen sind, eine wirkliche Perspektive und eine Chance zur echten Integration; und das – wie heute Morgen durch unseren Kollegen Herrn Apfel geschehen – als verbrecherischen Unsinn zu bezeichnen,

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Nicht „Kollegen“!)

ist wirklich verbrecherischer Unsinn. Fest steht aber auch, dass der Beschluss der IMK keine unmittelbare Außenwirkung entfaltet, sondern der Umsetzung bedarf. Ich gehe davon aus, dass auf Bundesebene zügig an einem Gesetzentwurf zur Umsetzung der Beschlüsse gearbeitet wird.

Ich habe den eben gehörten Ausführungen von Herrn Staatsminister Mackenroth entnommen, dass das Sächsische Staatsministerium des Innern konzentriert an einer Verwaltungsvorschrift arbeitet. Diese soll die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung, also die Duldung für die Übergangsfrist bis zum 30. September 2007, regeln. Ich bin optimistisch, dass das Innenministerium die Zusage halten wird und die Verwaltungsvorschrift noch im Dezember dieses Jahres in Kraft tritt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die im Antrag der GRÜNEN geforderte Einflussnahme auf die Staatsregierung, den Bundesrat und die Bundesregierung lehnen wir ab und erinnern an unseren Landtagsbeschluss vom 23. Juni 2006, mit dem wir unseren Innenminister aufgefordert haben, sich auf der Bundesebene für eine humanitäre Bleiberechtsregelung einzusetzen. Dies hat er getan, und wir gehen davon aus, dass er eine sachgerechte Umsetzung des Bleiberechtsbeschlusses in Sachsen auf den Weg bringt. Dafür bedarf es des zur Diskussion stehenden Antrages nicht. Im Übrigen – damit nehme ich noch einmal Bezug auf unseren Landtagsbeschluss –: Bis

zum Inkrafttreten der Anordnung des Abschiebestopps werden keine betroffenen Ausländer abgeschoben, wenn eine sorgfältige Prüfung des konkreten Falles zu dem Ergebnis kommt, dass die zu erwartende Bleiberechtsregelung auf diesen Betroffenen anwendbar ist.

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir lehnen den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ab, da wir davon ausgehen, dass die Koalition auf Bundesebene die am 17. November 2006 getroffene Bleiberechtsregelung sachgerecht in Bundesrecht umsetzen wird und dass bis zu einer derartigen Regelung auch eine humanitäre landesweite Umsetzung des Bleiberechtsbeschlusses auf der Grundlage des Beschlusses unseres Landtages erfolgt.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Für die Linksfraktion.PDS spricht nun Frau Dr. Ernst; bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was am 17. November dieses Jahres als IMK-Beschluss in dieser Frage beschlossen wurde, ist alles, nur keine Bleiberechtsregelung. Es ist eine Stichtagsregelung für einige wenige Menschen, denen ich das von Herzen gönne, keine Frage, und eine Regelung, die, wenn man es sich genau anschaut, mit einer verschärften Bekämpfung von Geduldeten verbunden ist. So ist dieser Kompromiss erkauft worden – ein mieser und unfairer Handel! Das Ziel, für ungefähr 200 000 Geduldete, die über viele, viele Jahre bereits hier leben, eine Lösung zu finden, wurde komplett verfehlt. Circa 20 000 Menschen – vielleicht noch ein paar mehr – werden bundesweit in den Genuss dieser Regelung kommen. Ich möchte unsere Kritik an dieser sogenannten Bleiberechtsregelung konkret machen.

Erstens. Wieder keine gesetzliche Regelung zum Bleiberecht, wieder nichts! Das heißt, wir haben uns immer gegen Stichtagsregelungen stark gemacht, weil für diejenigen, die nach dem Stichtag kommen, natürlich die Chancen schlecht stehen oder ganz und gar weg sind. Also wieder keine gesetzliche Regelung, und dazu sage ich: Dieser IMK-Beschluss stellt keine einklagbare Rechtsgrundlage für die Betroffenen dar, und wir als Partei und als Fraktion haben gefordert,

(Volker Bandmann, CDU: Ich denke, Sie sind ein Verein, Sie sind gar keine Partei mehr?)

dies im Aufenthaltsgesetz in Form einer gesetzlich garantierten Aufenthalts-Altfallregelung festzuschreiben. Das ist der einzig vernünftige Weg, alles andere bringt uns nichts.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)