Protocol of the Session on November 17, 2006

Drucksache 4/6555, Antrag der Fraktion der FDP

Die Reihenfolge: FDP, Linksfraktion.PDS, SPD, NPD, GRÜNE; Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile nun der einreichenden Fraktion das Wort; Herr Abg. Zastrow, bitte.

(Präsidentenwechsel)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch wenn die „19“ schon so ganz grell am Horizont leuchtet, kann ich Ihnen leider das Thema Mehrwertsteuererhöhung heute nicht ersparen. Ich denke auch, dass es sich einige in diesem Hause redlich verdient haben – zumal sie schon so langsam das Jahresende erblicken können –, noch einmal darüber zu sprechen. Sie von der CDU, weil Sie aus unserer Sicht eine der aus wirtschaftlicher Sicht unsinnigsten Entscheidungen getroffen haben – die Entscheidung, für die Mehrwertsteuererhöhung zu stimmen, die vor allem die Bürger mit geringem Einkommen ganz besonders belastet –; Sie von der SPD, weil Sie sich mit Ihren im letzten Bundestagswahlkampf gemachten Aussagen zur Mehrwertsteuererhöhung in die jetzige Bundesregierung hineingetrickst haben. Sehr geehrte Damen und

Herren von der SPD, Sie haben sich Ihren Wahlerfolg nicht verdient, Sie haben ihn sich erschlichen.

(Beifall bei der FDP)

Heute sollte ein bisschen Zeit für einen Rückblick sein. Während die CDU immerhin ehrlich angekündigt hatte, die Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte erhöhen zu wollen, haben Sie von allen Tribünen und allen Plakaten herunter eine „0“ gezeigt. Sie haben behauptet, wer Ihnen die Stimme gebe, der verhindere die von der CDU geplante Mehrwertsteuererhöhung. Sie haben Wähler gewonnen, weil Sie ihnen versprochen hatten, dass es mit der SPD keine Mehrwertsteuererhöhung geben werde. Das Plakat „Mehrwertsteuer ist Merkelsteuer“ hing auch bei mir am Zaun. Mit der SPD, haben Sie gesagt, werde es nach der Bundestagswahl keine Mehrwertsteuererhöhung geben.

Ich zitiere aus Ihrem Bundestagswahlflyer: „Angela Merkel will die Mehrwertsteuer auf mindestens 18 % erhöhen. Damit wäre das Vertrauen der Verbraucher sofort wieder verspielt. Allein schon die Möglichkeit einer Steuererhöhung trübt das Konsumklima deutlich ein.“

Letzteres, meine Damen und Herren, ist volkswirtschaftlicher Unsinn, wie wir im Moment alle sehen können.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Herr Zastrow, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Sofort, einen Satz noch! – Die Menschen haben in Erwartung der Mehrwertsteuererhöhung natürlich schon in diesem Jahr investiert. Jeder, der eine größere Anschaffung vorhatte, hat sie in diesem Jahr getätigt. Damit haben wir unsere Binnenkonjunktur im Jahr 2006 auf eine ganz ordentliche Größe gebracht. Leider wird es im nächsten Jahr wohl anders sein, wenn man den Wirtschaftsforschungsinstituten glauben kann.

Herr Porsch.

Herr Zastrow, ist Ihnen bekannt, dass der Name „Müntefering“ aus zwei niederdeutschen Wörtern besteht?

Das erste heißt „Münze“, das zweite „fälschen“.

(Beifall des Abg. Sebastian Scheel, Linksfraktion.PDS)

Vielen Dank für diese Information! Sie hilft mir mit Sicherheit weiter. Wenn Sie wieder einmal so etwas haben, dann immer ran!

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Gern! – Heiterkeit bei der Linksfraktion.PDS und der FDP)

Das passt gut zur Debatte.

Meine Damen und Herren! Wir sollten in dieser Runde feststellen: Dass die Sozialdemokraten überhaupt Teil dieser Bundesregierung sind, ist das Ergebnis des wahrscheinlich größten Wahlbetrugs in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der FDP und der NPD)

Was wir in der Steuerpolitik ab 2007 erleben werden, ist die größte Steuer- und Abgabenerhöhungsorgie in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer, über die wir gerade reden, ist aber nicht die einzige Maßnahme. Sechs Steuererhöhungsgesetzen steht gerade einmal ein einziges Steuersenkungsgesetz gegenüber. Die Steuersenkung kommt – Sie wissen es – durch die Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen zustande. Vom 22. Dezember 2005 bis zum 19. Juli dieses Jahres sind fünf Steuererhöhungen verabschiedet worden. Ich will nicht alle Maßnahmen aufzählen, sondern nur an einige erinnern: Streichung der Eigenheimzulage, Reduzierung der Sparerfreibeträge, Einschnitte bei der Absetzbarkeit des häuslichen Arbeitszimmers, familienunfreundliche steuerliche Absetzbarkeit von Steuerberatungskos

ten, Gewährung des Kindergeldes nur noch bis zum 25. Lebensjahr und so weiter und so fort. Das gerade eben hinzugekommene Gesundheitsreförmchen wird vor allem uns in Sachsen treffen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen sich darauf einstellen, dass die Belastung durch Krankenversicherungsbeiträge um mindestens 2 % steigt.

Ich darf auch an die Kürzung der Pendlerpauschale erinnern. Im Jahr 2004 haben – das wissen wir aus der Antwort auf eine von uns gestellte Kleine Anfrage – etwa 610 000 Sachsen in ihren Lohnsteuerjahresausgleichen bzw. Einkommensteuererklärungen die Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsstätte steuerlich geltend gemacht. Angesichts dieser Zahlen wissen Sie, wie stark auch diese Kürzung unsere Bürgerinnen und Bürger trifft.

Die FDP hat im September dieses Jahres im Bundestag nachgefragt, welche Folgen das insgesamt für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben wird.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Negative!)

Die Antwort lautet: Im Zeitraum 2007 bis 2010, also innerhalb von nur vier Jahren, sind es rund 140 Milliarden Euro Mehrbelastung für die Bürgerinnen und Bürger. Die Entlastung durch die Steuerreform aus dem Jahr 2000 wird damit zu mehr als der Hälfte wettgemacht. Allein auf die Mehrwertsteuer entfallen im Zeitraum 2007 bis 2010 rund 89 Milliarden Euro Mehrbelastung für die Bürgerinnen und Bürger.

Dabei irritiert wohl jeden in unserem Land, dass die Steuereinnahmen des Bundes, des Landes und der Kommunen schon seit einiger Zeit von Monat zu Monat steigen und eine Rekordmeldung die andere jagt. Angesichts dieser Zahlen muss man sich tatsächlich die Frage stellen, ob wir die Mehrwertsteuererhöhung zum heutigen Zeitpunkt eigentlich noch brauchen. Aus der Sicht der FDP brauchen wir sie nicht!

(Beifall bei der FDP)

Nur zur Erinnerung! Im November 2005 haben die Steuerschätzer auf ihrer Tagung in Warnemünde erstmals seit vielen, vielen Jahren die Zahlen nicht mehr nach unten, sondern nach oben korrigiert, also eine positive Prognose für die Steuereinnahmen erstellt. Im Mai, bei der vorletzten Steuererhöhung, hieß es bereits, dass wir uns über 8 Milliarden Euro mehr freuen dürften. Die aktuelle Steuerschätzung vom November ergab plötzlich 19,4 Milliarden Euro mehr. Wenn ich alles zusammenrechne, kommen wir in diesem Jahr, also noch ohne die Mehrwertsteuererhöhung überhaupt greifen zu sehen, auf Steuermehreinnahmen von fast 28 Milliarden Euro. Die Mehrwertsteuererhöhung wird in ihrer Endausbaustufe, also dann, wenn sie richtig wirkt, gerade einmal 23 Milliarden Euro einbringen. Meine Damen und Herren! Wir brauchen tatsächlich keine Mehrwertsteuererhöhung in unserem Land!

(Beifall bei der FDP – Peter Wilhelm Patt, CDU: Das ist eine Milchmädchenrechnung!)

Herr Patt, Sie müssen sich daran gewöhnen, dass einfache Rechnungen ab und zu funktionieren.

(Peter Wilhelm Patt, CDU: Nein, nicht bei Ihnen!)

Ich frage Sie: Wo liegt Ihre Begründung für diese Mehrwertsteuererhöhung? Das können Sie mir gleich erklären, Herr Patt. Ich freue mich auf Ihren Beitrag. Das Geld, das Sie von CDU und SPD im letzten Jahr als Fehlbedarf entdeckt haben, hat Ihnen die Konjunktur inzwischen von allein in die Kassen gespült. Obwohl Sie Ihr Geld von den Bürgern und den Unternehmen bereits bekommen haben, bekommen Sie jetzt den Hals nicht voll genug. Anstatt endlich auf allen Ebenen eine Aufgaben- und eine Ausgabenbeschränkung vorzunehmen, an die Strukturen heranzugehen und wahre Reformen – nicht dieses Gesundheitsreförmchen – anzupacken, wursteln Sie im Grunde genauso weiter wie bisher. Schon heute ist klar, dass die Luft, die Ihnen die ungerechtfertigte Mehrwertsteuererhöhung verschafft, schon bald wieder dünner wird sowie Bürgern und Unternehmen wohl neue Belastungen ins Haus stehen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Herr Abg. Rohwer spricht für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist nicht einfach, jetzt hier zu sprechen, nachdem wir zwei Tagesordnungspunkte zuvor darüber gesprochen haben, eine Steuererhöhung zu verhindern. Jetzt lautet das Thema, die beschlossene Mehrwertsteuererhöhung zu verteidigen. Die FDP hat beantragt, sie zurückzunehmen. – Lassen Sie es mich mal versuchen …

Ich sage Ihnen: Herzlich willkommen bei der FDPKampagne „Stoppt die Mehrwertsteuererhöhung!“ Die PR-Maschine der FDP ist angelaufen und hat eine Anti19-%-Kampagne produziert. Heute ist sie im Sächsischen Landtag zu Gast. Wir sind die Gastgeber, werden aber wahrscheinlich schlechte Gastgeber sein. Wir wollen die Kampagne nicht und werden den Antrag daher ablehnen.

Doch noch einmal zur Vorgeschichte! Anfang des Jahres wurde die Kampagne „Stoppt die Mehrwertsteuererhöhung!“ von der FDP-Bundespartei gestartet. Es gab Unterschriftenaktionen, Protestmailings und eine Aktion vor dem Bundesrat. Genau dort, vor dem Bundesrat, brachte die FDP am 16. Juni 2006 ihren Protest auf den Punkt. Mitglieder des FDP-Bundesvorstandes sagten: „Jetzt schlägt’s 19!“

Meine Damen und Herren von der FDP-Fraktion, Sie sind, so scheint es mir, ein wenig spät dran. Ihre Aktion vor dem Bundesrat war am 16. Juni, Ihr Antrag stammt aber vom 26. September, also gut drei Monate später. Mal ehrlich: Wer hat denn da geschlafen?

Meine Damen und Herren! Wenn wir gerade beim Schlafen sind: Mir scheint es, die FDP hat auch die Aussagen

der Wirtschaftsweisen in der letzten Woche verschlafen. Die Wirtschaftsweisen haben Folgendes festgestellt: „Die Lage des Bundeshaushaltes bleibt prekär und trotz der Umsatzsteuererhöhung vom 1. Januar 2007 sind weitere Sparanstrengungen geboten.“ „Trotz der Umsatzsteuererhöhung“ sagten die Wirtschaftsweisen. Sie sagten nicht „wegen der Umsatzsteuererhöhung“, was die Sparanstrengungen mit der Mehrwertsteuererhöhung verknüpft hätte. Sie sagten „trotz der Mehrwertsteuererhöhung“. Das ist ein kleiner, aber wichtiger Unterschied, der hoffentlich im weiteren Verlauf meiner Rede einleuchten wird. Auch da werde ich Ihnen, Herr Zastrow, denke ich, nachweisen, dass man die Sache nicht nur von der einen Seite, nämlich der Sicht der Bürger, sondern dass man sie auch von der anderen Seite betrachten muss.

(Holger Zastrow, FDP: Sparen!)

Meine Damen und Herren, wir behandeln heute keinen Antrag an die Bundesregierung. Meine Damen und Herren, wir behandeln auch heute keinen Antrag an den Bundesrat, der zwar letztlich der Adressat des Antrages der FDP sein soll. Wir behandeln heute einen Antrag an die Sächsische Staatsregierung,

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sehr richtig!)

einen Antrag, der diese und letztlich uns zum Verzicht auf rund 250 Millionen Euro auffordert. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Die FDP möchte die aktuellen Einnahmen des sächsischen Haushaltes um rund 250 Millionen Euro verringern bzw. um eine halbe Milliarde Euro, betrachtet man den kommenden Doppelhaushalt.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Mit wie viel belastet man die Bevölkerung?)

Wir sollen mit der Hoffnung auf die Konjunkturentwicklung und hoffentlich sprudelnden Steuereinnahmen auf den Länderanteil aus der Mehrwertsteuererhöhung verzichten. Da kann man einfach nur sagen: Nein.

An drei Punkten möchte ich Ihnen zeigen, warum das ein böser Irrtum wäre. Gemeinsam hat die Koalition in Sachsen eine kleine Sensation geschafft. Als erstes Bundesland werden wir hier im Sächsischen Landtag einen Haushalt ohne Nettoneuverschuldung beschließen. Natürlich wird auch Bayern einen Haushalt ohne Nettoneuverschuldung haben. Aber die Bayern erreichen es nur durch massive Privatisierungen.