Protocol of the Session on October 12, 2006

In der Vergangenheit wurde die Frühverrentung subventioniert. Durch die Anreizsysteme war es für Arbeitnehmer und Arbeitgeber attraktiv, wenn Erwerbstätige früher aus dem Beruf ausschieden. Hier müssen wir umdenken. Arbeitgeber werden die Erfahrungen älterer Arbeitnehmer auch aus demografischen Gesichtspunkten in der Zukunft stärker schätzen müssen. Und es muss für Arbeitnehmer lohnend sein, länger zu arbeiten.

Wie gehen hier andere Länder vor? Ich nenne ein Beispiel aus dem Steuerrecht. In den Niederlanden gibt es die sogenannte Arbeitspauschale. Das ist eine Möglichkeit, das zu versteuernde Einkommen zu senken. Die Höhe der Arbeitspauschale ist abhängig vom Lebensalter des Arbeitnehmers. Am höchsten ist sie für 60- bis 65-Jährige.

Weder die Niederlande noch Schweden haben ein Renteneintrittsalter festgeschrieben. Der Renteneintritt in Schweden ist mit 60 bis 70 Jahren und in den Niederlanden mit 60 bis 67 Jahren möglich. Allerdings fällt die Rente kleiner aus, je früher man in Rente geht.

Auch die Rentenformel dient als Steuerungsinstrument. Finnland belohnt ältere Arbeitnehmer ab 60 Jahren. Arbeitsjahre ab dem 60. Lebensjahr werden bei der Rente stärker berücksichtigt als die Jahre davor.

Voraussetzung für die Teilhabe älterer Menschen am Arbeitsmarkt ist natürlich auch die Bereitschaft, sich weiterzubilden, also lebenslang zu lernen. Dafür ist es wichtig, dass Menschen das Lernen als Freude empfinden und als Bedürfnis wahrnehmen. Diese Einstellung, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird in der Kindheit gefördert. Damit sind wir bei der gestrigen Debatte über die Qualität der Kindertageseinrichtungen.

Und wir brauchen Angebote für die Weiterbildung älterer Menschen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Zugang zur Bildung ist die soziale Frage dieses Jahrhunderts. Das gilt für alle Menschen, für junge und natürlich auch für ältere.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann erteile ich der Staatsregierung das Wort. Bitte, Frau Ministerin Orosz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser Rentensystem basiert auf dem Generationenvertrag. Die derzeit Erwerbstätigen und ihre Arbeitgeber kommen mit ihren Beiträgen für die Altersruhegelder der heutigen Rentner auf. Dieses umlagefinanzierte Rentensystem hat in Deutschland alle geschichtlichen Umbrüche des letzten Jahrhunderts überstanden und zuletzt in den Jahren nach der Wende in der DDR dafür gesorgt, den ostdeutschen Rentnern eine angemessene Höhe ihrer Rente zu sichern.

Seit Langem ist in der Tat allen Verantwortlichen klar, dass wir das System der Rentenversicherung aufgrund vielfältiger Veränderungen in der Gesellschaft reformieren müssen. Frau Schütz, um noch einmal auf die Kritik in Richtung Bundesminister Blüm einzugehen, darf ich nur daran erinnern, dass zu dieser Zeit auch die FDP in der Bundesregierung Verantwortung getragen hat.

Meine Damen und Herren! Verschiedene Faktoren stellen derzeit das System des Generationenvertrages infrage. So hat sich die durchschnittliche Rentenbezugsdauer in den letzten 40 Jahren von zehn auf 17 erhöht, und der sich durch die höhere Lebenserwartung verändernde Altersaufbau der Bevölkerung wird noch verstärkt durch den Rückgang der Geburten. Die für ein stabiles Verhältnis der Generationen erforderliche Zahl von durchschnittlich 2,1 Geburten wurde letztmals in Deutschland bereits 1969 erreicht. Inzwischen hat sich die Zahl auf 1,4 Kinder reduziert. Schließlich geht auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse, die die Grundlage der Beitragszahlung bilden, seit Jahren bekannterweise zurück. In Sachsen betrug der Rückgang seit dem Jahr 2000 über 12 %.

Meine Damen und Herren! Die vorliegende Antwort der Staatsregierung auf die Große Anfrage zur Zukunft der Altersvorsorge in Sachsen zeigt, wie diese Faktoren die umlagefinanzierte Rentenversicherung beeinflussen werden. Sie wird in Zukunft nicht mehr den Lebensstandard der Erwerbsphase sichern, sondern nur noch die Basis für die Alterssicherung sein können. Das Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung wird spürbar sinken, ihr Anteil an der gesamten Altersfürsorge kontinuierlich zurückgehen. Allerdings müssen wir die Situation realistisch darstellen und dürfen nicht nur in völlige Schwarzmalerei verfallen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

So hat die „Stiftung Warentest“ errechnet, dass die Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung auch für diejenigen, die in den nächsten Jahrzehnten in Rente gehen werden, noch positiv sein wird. Aber fest steht: Zu der Basisabsicherung durch die gesetzliche Rentenabsicherung müssen die betriebliche Altersvorsorge und die private Vorsorge hinzutreten.

Die betriebliche Altersvorsorge gewinnt, meine Damen und Herren, auch in Sachsen immer mehr an Bedeutung. So verfügt in den neuen Bundesländern fast ein Drittel der

in der Privatwirtschaft Beschäftigten über eine solche Zusatzvorsorge. Durch die Möglichkeit der Entgeltumwandlung hat sich in diesem Bereich eine besondere Dynamik entwickelt. Die zusätzliche betriebliche Altersversorgung kann den Rückgang beim Leistungsniveau der gesetzlichen Rentenversicherung aber natürlich nicht ausgleichen.

Um im Alter eine angemessene Absicherung zu erreichen, ist in der Tat eine ergänzende private Altersvorsorge unabdingbar. Mit der Riester-Rente steht dazu ein staatliches Förderinstrument zur Verfügung. Auch hier sind Ihre Aussagen, Frau Schütz, von mir zu widerlegen. Mir liegen nämlich Daten vor, dass immer mehr Bürger inzwischen Gebrauch von dieser Förderung machen. Auch im Jahr 2006 hält nachweislich der Trend an. So wurden im 1. Halbjahr 2006 bereits über 1,1 Millionen neue Riester-Rentenverträge abgeschlossen. Daher, meine Damen und Herren, verbinde ich mit dieser Debatte nicht zuletzt auch die Hoffnung, dass einerseits das Vertrauen

in die gesetzliche Rentenversicherung weiterhin erhalten bleibt und andererseits aber auch die Notwendigkeit ergänzender privater Altersvorsorge stärker in das Bewusstsein rückt.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Gibt es aus den Fraktionen noch Diskussionsbedarf? – Keinen. Dann ist die Behandlung der Großen Anfrage beendet, und ich beende den Tagesordnungspunkt 4. Herr Dr. Jähnichen, bitte.

Frau Präsidentin, erlauben Sie ein Schlusswort zu dieser Debatte?

Das geht laut Geschäftsordnung nicht.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 5

Entwicklung des sorbischen Schulwesens

Drucksache 4/5514, Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

Bestandsgarantie für das bestehende Netz sorbischer Schulen in Sachsen

Drucksache 4/5247, Antrag der Linksfraktion.PDS, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Hierzu können die Fraktionen wie gewohnt Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: CDU, SPD, Linksfraktion.PDS, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile den Einreicherinnen des ersten Antrages, der CDU und der SPD, das Wort. Herr Abg. Schiemann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Martin Luther um das Jahr der Reformation 1517 vor den Toren Wittenbergs zu den Sorben predigte, war das Siedlungsgebiet noch sehr groß. Durch Verbot der Sprache, durch Kriege, wirtschaftliche und politische Veränderungen wurde die Assimilierung verstärkt. Das Siedlungsgebiet der Sorben verkleinerte sich damit enorm und befindet sich heute traditionell nur noch in der Ober- und Niederlausitz.

Dabei hat das 20. Jahrhundert besonders viele Wunden hinterlassen: zwei verheerende Weltkriege, Verbot des Sorbischen in Schule und Kirche in der Zeit des Dritten Reiches, Vertreibung der Lehrer und Pfarrer aus ihrer Heimat. Die Zeit der DDR mit Zwangskollektivierung und dem Abbaggern sorbischer Dörfer für die Braunkohlengewinnung setzte eins drauf. Damit wird es nicht besser.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Es wird nicht besser!)

Die Schulstrukturen wurden in Sachsen seit 1921 immer stärker zentralisiert. Gab es vorher ein- bis zweiklassige Schulen vor Ort, wurden die Wege immer länger, und durch die Zentralörtlichkeit sind natürlich an den Peripherien viele Sprachsubstanzen verloren gegangen. Dies hat sich auf das Siedlungsgebiet und natürlich auf die Sprachsubstanz schlecht ausgewirkt.

Mit diesen riesigen Verlusten der vergangenen Jahre und Jahrhunderte sind die sächsischen Sorben dennoch hoffnungsvoll in den Herbst 1989 gegangen. Danach haben sich die Sorbische Nationalversammlung und die Domowina für einen Neubeginn auch an sorbischen Schulen eingesetzt. Die Rechte der Sorben in der Verfassung des Freistaates Sachsen und in einzelnen Gesetzen, zum Beispiel im Sächsischen Schulgesetz, sind umfassend geregelt. Viel wichtiger für die Sorben ist jedoch die tatsächliche Ausgestaltung dieser verbrieften Rechte.

Aus Sicht der sorbischen Interessenvertreter ist in den letzten Jahren sehr viel Neues im schulischen und vorschulischen Bereich entstanden. Ich glaube aber auch, für Teile der Mehrheitsbevölkerung im Freistaat Sachsen ist das nicht anders gewesen. Dies wissen die Sorben auch sehr zu schätzen. Dass sie allerdings mit der Einhaltung der Regelungen nicht immer einverstanden sind, wie zum Beispiel mit der beabsichtigten Schließung der sorbischen Mittelschule in Panschwitz-Kuckau, ist aus Sicht der Sorben aber auch verständlich.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich möchte folgende Dinge hervorheben: Der Sorbische Schulverein, 1991 gegründet aus Vertretern der Elternschaft, der Lehrerschaft und weiteren Interessenten, hat einen neuen Weg begründet. Er hat das Modellprojekt Witaj für die frühkindliche vorschulische Erziehung entwickelt und setzt dieses seit 1998 in acht Kindergärten erfolgreich um. Beispiel war dort die Entwicklung in der Bretagne, wo die Bretonen versucht haben, mit Eigeninitiative, mit wenig Unterstützung vom Zentralstaat in Paris dennoch die Sprache zu revitalisieren und ihren Kindern wieder ein Angebot in bretonischer Sprache zu geben. Dies haben sich einige Engagierte aus der Lausitz angeschaut und haben versucht, es in dieses Witaj-Konzept einzubeziehen.

Dabei können über 400 Kinder in der Ober- und Niederlausitz über die vollständige Immersion die sorbische Sprache erlernen. Der Sorbische Schulverein betreut derzeit über 60 % aller sorbischen Kinder und Kinder in Witaj-Gruppen. Das Erlernen der sorbischen Sprache bereits in der Kindertagesstätte wird vom Sorbischen Institut Bautzen/Budyšin und dem Witaj-Sprachzentrum, ebenfalls in Bautzen/Budyšin, wissenschaftlich begleitet.

Dem Beispiel folgend, sind seit 1998 19 Witaj-Gruppen mit circa 250 Kindern in 15 weiteren Kindertagesstätten entstanden. Die Rahmenbedingungen hierbei sind unterschiedlich zu bewerten und könnten in dem einen oder anderen Fall durchaus noch verbessert werden, um das Erlernen des Sorbischen voll zu ermöglichen. Je besser die Erzieherinnen die sorbische Sprache anwenden, desto stabiler sind die Grundlagen für die Weiterführung der zweisprachigen Bildung in der Grundschule bzw. Primarstufe.

An dieser Stelle sei mir gestattet, mich bei allen zu bedanken, die diese Witaj-Modelle in den Kindertagesstätten ermöglichen.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Es ist für die Sorben, aber vielleicht auch für die Eltern deutscher Kinder, die der sorbischen Sprache nicht mächtig sind, ein einmaliges Angebot, das wir vorher nicht hatten.

Ich kann Ihnen von einem Mädchen berichten, dessen Eltern in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen sind. Es hat einen Kindergarten besucht, natürlich mit dem Vorteil in Crostwitz. Dieses Mädchen befindet sich jetzt an einem ganz wichtigen Gymnasium hier in Dresden, und ich muss mit Erstaunen feststellen, dass es eine viel bessere Sprache spricht als viele Kinder, die von zu Hause die Sprache erlernt haben. Große Ehre also auch denjenigen aus dem deutschen Bereich, die diese Angebote annehmen.

Ich möchte, meine sehr geehrten Damen und Herren, natürlich dem Sozialministerium, das bereits seit Beginn der Neunzigerjahre auch den Kindertagesstätten diese Unterstützung gegeben hat und sich an der Finanzierung der Witaj-Modelle beteiligt, herzlich danken. Es war ein ganz wichtiger Schritt, denn ohne diese Unterstützung

wären die Besonderheiten, die durch Sprachvermittlung notwendig sind, nicht in die Realität umsetzbar gewesen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Danken möchte ich den Trägern sowie den sorbischen Vertretern, die dieses Modell mit viel Engagement erarbeitet haben.