Protocol of the Session on October 11, 2006

Vielleicht darf er deswegen heute zu Ihrem Antrag nicht sprechen.

Meine Damen und Herren! Wir haben mit dem Gesetzentwurf konkrete Probleme, was das Trennungsgebot angeht; das ist gesagt worden. Es geht nicht nur um die Sammlung von Daten aus Verfassungsschutzbehörden, Militärischem Abschirmdienst, Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und Landespolizeien sowie um den Austausch von Daten zum Zweck der Bekämpfung oder Verhütung des internationalen Terrorismus. Das steht dort nicht drin. In § 6 Abs. 1 Nr. 1 heißt es, dass diese Daten und Erkenntnisse auch zur Bekämpfung schwerer Straftaten verwendet werden dürfen. Damit wird eindeutig ein Türchen geöffnet – weg von dem angeblichen Zweck der Bekämpfung des internationalen Terrorismus hin zu einer Komplexdatei, die auch für polizeiliche Zwecke im Rahmen der Strafverfolgung zur Verfügung steht. Das ist ein eklatanter Verstoß gegen das Trennungsgebot. Es wundert mich wirklich, warum die Große Koalition in diesem Haus zumindest bei diesem Punkt nicht wenigstens ansatzweise Bauchschmerzen äußert, sondern so tut, als sei überhaupt nichts dabei und alles in bester Ordnung. Das ist es nicht!

(Beifall bei der FDP, den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Die Einhaltung des Trennungsgebotes kann ausschließlich dann wirksam gewährleistet werden, wenn die Datei eine reine Indexdatei ist. Das ist sie aber nicht. Im Index geht es nicht nur um die Identifizierung von Personen – dazu sind relativ wenige Daten notwendig –, sondern es werden die sogenannten erweiterten Grunddaten eingestellt, bis hin zu Dialektangewohnheiten, Flug- und Fahrerlaubnissen. Diese Angaben sind zur Identifizierung eines einzelnen Betroffenen nicht notwendig. Hier wird anhand der Daten der verschiedenen Dienste und der Polizei bereits so viel Material angesammelt, dass von einer durchaus veritablen Erkenntnislage gesprochen werden kann. Das ist keine Indexdatei mehr, sondern eine Volltextdatei, nur in kleinerem Umfang, eine sogenannte Volltextdatei light. Diese findet nicht unsere Zustimmung.

Wir verlangen klare Zugriffsregelungen: Welche Polizeibehörden haben die Möglichkeit, auf welche Daten zuzugreifen? Es darf nicht sein, dass sich die vom Sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz gesammelten Daten in der Indexdatei spiegeln und dort wiederum von der Polizei zur Strafverfolgung oder im Polizeirecht abgerufen und eingesetzt werden können. All dies wird nicht geregelt. Gleiches gilt für den restriktiven Zugriff auf die sogenannten erweiterten Grunddateien.

Herr Brangs, Sie haben gesagt, dieses Gesetz trage eine sozialdemokratische Handschrift. Es genügt allerdings nicht rechtsstaatlichen Anforderungen. Es mag sein, dass das sozialdemokratische Handschrift geworden ist; seit Otto Schily glaube ich Ihnen das.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Insofern kann man sagen: Ob Beckstein oder Schily – es ist immer das Gleiche drin. Wir werden dem im Bund nicht zustimmen und uns auch, so wie ich es jetzt tue, im Sächsischen Landtag dagegen wehren.

Zum Trennungsgebot ein kurzes Zitat von Christoph Gusy: „Am Horizont wird der rechtsstaatliche Kern des Trennungsgebotes erkennbar. Wer fast alles weiß, soll nicht alles dürfen. Wer fast alles darf, soll nicht alles wissen.“

Wenn wir internationalen Terrorismus mit Augenmaß und mit Rücksichtnahme auf die Grundrechte der Bürger bekämpfen wollen, dann müssen wir uns mehr Gedanken machen und zu besseren Regelungen kommen, als sie im vorliegenden Dateien-Gesetzentwurf des Bundes vorhanden sind.

Wir werden dem Antrag der GRÜNEN bis auf die Punkte I, III und IV zustimmen. Deshalb bitte ich für meine Fraktion um punktweise Abstimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Für die Linksfraktion.PDS Frau Dr. Ernst, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Brangs, Sie haben eine sozialdemokratische Rede gehalten. „Jein“ war die Antwort. Am Ende weiß bei Ihnen wirklich niemand mehr, was Sie wollen – was sozialdemokratisch ist, ohnehin nicht.

Herr Bandmann hat eine Rechtsauffassung, die ich abenteuerlich finde. Sie ist wirklich außerhalb dieses Rechtsstaates geboren. Ich kann nur sagen: Davor graut es mir, auch vor dem, was Sie gesagt haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Bartl hat den verfassungsrechtlichen Kern auf den Punkt gebracht. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch einen anderen Aspekt anbringen: Mit einer Antiterrordatei werden nicht nur – was schlimm genug ist! – polizeiliche und geheimdienstliche Daten miteinander vermischt, sondern es entsteht zum ersten Mal in diesem Maße ein Datenpool über Personen, wie wir ihn in dieser Republik noch nie hatten. Zum anderen handelt es sich um eine neue Art von Datenerfassung, die in keiner Weise mehr Transparenz gewähren kann.

Es geht auch um die Dichte standardisierter Dateien, die in der Bundesrepublik bisher unvergleichlich ist. Wir stehen mit dieser Position nicht allein. Das ist Herrn Bandmann und Herrn Brangs vermutlich überhaupt nicht klar. Wir stehen in der Frage in einer Reihe mit dem Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, der deutlich gemacht hat, dass es keine begründbare Veranlassung für eine solche Ausweitung der Befugnisse für die Polizei wie auch für die Geheimdienste gibt. Mehr noch: Wir halten eine Ausweitung der Kompetenzen im Bereich der Nachrichtendienste über das bestehende grundrechtliche Maß hinaus für fahrlässig.

Das muss man auch so sagen, und zwar aus folgendem Grund, der schon ein wenig von Herrn Lichdi angedeutet wurde: Polizeiliche Daten stehen de facto, wenn man so will, unter gerichtlicher Kontrolle. Es sind ermittelte Daten. Die Polizei hat Exekutivbefugnisse, ganz klar. Das trifft aber für die Daten von Nachrichtendiensten logischerweise gar nicht zu, weil von ausländischen Diensten bestimmte Informationen, von Gewährsleuten Informationen kommen und gewissermaßen ungesicherte Daten gesammelt werden. Wenn sich diese beiden Arten von Daten vermischen, können völlig neue Aussagen entstehen und neue Identitäten geschaffen werden, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen und einen nicht vertretbaren Eingriff in die Freiheitsrechte von Personen darstellen.

Ich will nur eine ganz simple Frage stellen: Wie ist zum Beispiel mit solchen Daten umzugehen, die durch gravierende Grundrechtseingriffe gewonnen wurden, wie zum Beispiel bei Lauschangriffen? Wie geht man damit um? Die Frage ist nicht beantwortet worden.

Meine Damen und Herren! Solche Datenerfassungen, wie sie hier in Bezug auf Terrorismusbekämpfung anvisiert werden, gibt es schon in anderen Bereichen und sie werden auch in anderen Bereichen angestrebt. Ich erinnere nur an das „großartige“ Analysezentrum zur Bekämpfung von illegaler Migration, das GASIM. Das ist das gleiche Prinzip, das hier angewendet wird: Es werden immer mehr Datennetze erstellt, die durch die Bürger logischerweise nicht mehr wahrgenommen werden können. Aus dieser Sicht entsteht aus diesem Land eine neue Sicherheitsarchitektur. Über die muss man reden. Das ist eine Sicherheitsarchitektur, die auch einer neuen Philosophie unterliegt, nämlich zuerst der Staat und dann der Bürger. Das ist ein Philosophiewandel, den wir auf keinen Fall wollen und gegen den man sich verwahren muss. Auch in dieser Beziehung haben wir viele Gründe gegen eine solche Datei wie die Antiterrordatei.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn dann noch, wie in unserem Fall – vor wenigen Wochen ist das ja in den Medien hochgekommen – der Verfassungsschutz eines Landes wie in Sachsen nicht einmal das tut, was er machen soll, nämlich die Verfassung schützen, dann wird es ganz verrückt in diesem Land. Dann gerät die Kontrolle außer Kontrolle. Insofern ist das rechtswidrige Verhalten des Verfassungsschutzes, wie jüngst bekannt wurde, ein Präzedenzfall. Ich kann Ihnen nur sagen: Das Ergebnis ist, dass damit ein bezeichnendes Licht auf den Verfassungsschutz und generell auf die Nachrichtendienste geworfen und die Frage nach Kontrollierbarkeit gestellt wird.

Ich sage Ihnen für unsere Fraktion: Wir sind generell gegen die Ausweitung der Überwachung von Bürgern in Deutschland in diesem Maße. Das muss man, denke ich, sehr deutlich zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die vorgesehene Antiterrordatei ist ebenso wie Biometriedaten, exzessive Videoüberwachung – alles Lieblingskinder der Innenminister – ein weiteres Stück auf dem Weg zur Totalüberwachung der Gesellschaft. Das wollen wir nicht. Dagegen müssen wir auch etwas tun. Deswegen muss hier tatsächlich gesagt werden, dass wir mit einer solchen Antiterrordatei überhaupt nicht leben können. Dazu haben sich viele geäußert. Die drei Fraktionen GRÜNE, FDP und Linksfraktion im Bundestag haben sich dagegen verwahrt. Der Bundesdatenschutzbeauftragte warnt vor der Gefahr einer Rundumüberwachung in Deutschland und nennt noch andere Datensammlungen, die auch angefertigt werden: Autobahnmaut, Telekommunikation, Sicherheitschips. Das ist doch alles in eine Richtung entwickelt worden.

Der Deutsche Anwaltsverein warnt vor einem Abschleifen der Hemmschwelle und verweist auf das unvorstellbare Dateninteresse der sogenannten Sicherheitsbehörden. Das ist ja Ihr Begriff.

Die Humanistische Union stellte ihren Verbandstag am 15. September 2006 unter das Thema: „Freiheit stirbt mit

Sicherheit“. Das sind alles keine Dinge, die man sich so einfach ausdenkt. Wir unterstützen deren Position, dass die Balance von Grundrechten und Sicherheit gewahrt bleiben muss.

Noch etwas: Restrisiken gibt es immer. Wer glaubt, mit einer Antiterrordatei Terrorismus als solchen bekämpfen zu können, verstrickt sich in einer Illusion. Mit Dateien allein lässt sich das nicht erreichen. Dabei haben wir wirklich große Bedenken. Das verständliche Bedürfnis nach Sicherheit darf man nicht mit Aushebelung der Grundrechte in diesem Maße verwechseln.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 10.09.2006 hat der Bundesinnenminister in einem Interview im Deutschlandfunk gesagt: Innere und äußere Sicherheit könne man nicht mehr trennen. Das hat mich nervös gemacht. Davor habe ich Sorge, wenn man einmal ausdekliniert, was es bedeutet. Wir sind der Auffassung, dass das nicht der Kompass zu einer neuen Sicherheitsarchitektur in dieser Republik und auch nicht in diesem Freistaat werden darf. Die Antiterrordatei, GASIM und die beabsichtigten Antiterror-Bekämpfungsergänzungsgesetze sind ein Meilenstein zu einer Big-Brother-Demokratie, die dann keine mehr ist und die wir nicht haben wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man könnte sicherlich noch vieles sagen. Der allseits bekannte Heribert Prantl definierte in der „Süddeutschen Zeitung“ einmal die ganze Geschichte als Spannungsverhältnis zwischen starkem Staat und einer Politik der inneren Unsicherheit. Wenn das der Weg ist, den wir hier gehen wollen, dann sind wir auf dem falschen Weg. Ich hoffe dennoch auf Vernunft.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Gibt es dennoch Diskussionsbedarf? – Herr Abg. Bandmann, bitte.

Das ist eine sehr politische Debatte geworden. Ich denke, es ist wichtig, noch einmal auf die Fragen, die von Frau Ernst als Parteivorsitzende der Linkspartei und Innenpolitische Sprecherin und von Herrn Bartl aufgeworfen worden sind, einzugehen. Weil Herr Bartl moniert hat, dass das Wort „Polizei“ im Stichwortverzeichnis des Grundgesetzes oder deren Kommentaren nicht gefunden werden könne, vielleicht noch einmal eine Klarstellung.

Die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes ist in Artikel 73 des Grundgesetzes normiert. Genau in diesem Artikel 73 ist auch die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder a) in der Kriminalpolizei und b) zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und des Bestandes der Sicherheit des Bundes oder eines Landes normiert. Ich denke auch, die Dinge, die im Bundeskriminalamt zusammengefasst werden sollen, und die internationale Verbrechensbekämpfung – um diese Fragen geht es letztlich – haben sich dort niedergeschlagen.

Nach Ihren Ausführungen ist für mich eigentlich ganz deutlich: Die SED war Steigbügelhalter für Terror in Europa. Das ist doch Ihre Herkunft, aus der Sie kommen!

(Zurufe von der Linksfraktion.PDS)

Wenn jetzt in Deutschland vorhandene Daten zur Terrorbekämpfung unter den rechtswahrenden Normen zusammengefasst werden sollen, dann versuchen Sie, das mit aller Macht zu verhindern. Wir sagen Ihnen: Die Bevölkerung hat kein Verständnis dafür, dass vorhandene Erkenntnisse nicht genutzt und Terroranschläge möglicherweise nicht verhindert werden können. Wir hatten das doch mit Atta. Wie waren die Verhältnisse in Hamburg? Die Terroranschläge in den Vereinigten Staaten hätten möglicherweise verhindert werden können, wenn der Verfassungsschutz in Hamburg gearbeitet hätte und eben Erkenntnisse vorhanden waren. Vor diesem Hintergrund sagen wir, dieser Gesetzentwurf des Bundes muss sicherlich sorgfältig geprüft und beraten werden. Wir stellen uns aber im Grundsatz genau hinter diese Position.

Ich möchte Herrn Brangs ausdrücklich in Schutz nehmen. Wenn alles, was Schily gefordert hat, umgesetzt worden wäre, wären wir an vielen Stellen einen Schritt weiter.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abg. Bartl, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bandmann, ich wollte es im Interesse der Zeit sein lassen. Sie haben vorhin über das Bild nachgedacht, wie ich mit Schlapphut aussehe. Ich sage Ihnen, mit Ihrer Sicherheitsdoktrin hätten Sie in jedes Volkspolizeikriminalamt als „Poli“ hineingepasst.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Sie wären in jeder Bezirksverwaltung der Staatssicherheit als Parteisekretär durchgegangen. Mit Sicherheit.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Volker Bandmann, CDU: Sie können mich nicht beleidigen!)

Da bin ich mir ganz sicher. Ich kann Sie mir ganz hervorragend am Pult jeder Kreisdelegiertenkonferenz der Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt vorstellen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Gelächter bei der NPD)

Sicherheit zuerst.

Bei uns ging es auch um die Sicherheit der Bürger, um Schutz vor dem imperialistischen Gegner oder vor dem Überfall aus Washington, woher auch immer. Wir haben nie etwas anderes gesagt. Genau dasselbe. Sie sind wirklich ein Kind der DDR.