Protocol of the Session on September 13, 2006

Bei behinderten Menschen kann das sogenannte Argument, dass man ja einsparen könne, weil die Bevölkerung zurückgehe, gleich gar nicht gelten. Denn die Zahl von Behinderten ist in Sachsen relativ und absolut nach wie vor steigend.

Die 900 000 Euro für Beratungsstellen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt, die im Titel „Zuwendungen für Modellvorhaben“ gelandet sind, sind auch viel zu wenig für die Sicherung und vor allem den Ausbau des Netzes von Frauen- und Kinderschutzeinrichtungen, Interventionsstellen, Täterberatung sowie Beratung für Opfer von Menschenhandel.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Das ist zu wenig, weil das Netz in Sachsen Lücken in der Fläche hat, weil Sachsen schon seit Jahren im Vergleich mit anderen Bundesländern in Bezug auf die Beteiligung an der Finanzierung von Frauen- und Kinderschutzeinrichtungen an hinterster Stelle steht und weil es keine Pflicht für die Kommunen zur Finanzierung gibt.

In den Jahren 2001 bis 2005 ist die Bettenzahl in den Einrichtungen von 372 auf 246 gesunken, das heißt um circa ein Drittel. Sicherung der Grundversorgung würde jedoch bedeuten, dass für 10 000 Einwohner ein Frauenhausplatz vorgehalten wird. Das heißt, es müssten derzeit in Sachsen eigentlich 427 Plätze vorhanden sein. Wir haben es also mit einer 1,7-fachen Unterversorgung zu tun.

Das Staatsziel tatsächlicher Gleichberechtigung erscheint angesichts der Notwendigkeit solcher Einrichtungen ohnehin sehr weit entfernt. Wir entfernen uns davon angesichts der eben genannten Zahlen offensichtlich noch weiter.

Mit dem Doppelhaushalt 2007/2008 liegen uns jetzt neue Zahlen im Bereich der Förderpolitik vor. Dieser Haushalt zeigt, dass Sie, meine Damen und Herren der Staatsregierung, die Koalitionsvereinbarung offensichtlich zu den Akten gelegt haben. So wollte man die Förderquoten im Hinblick auf ihre Steuerungswirkung überprüfen. Wir haben beim Lesen des Haushaltes davon nichts gemerkt. Ganz im Gegenteil: Die Zahl der Förderprogramme bleibt nahezu unverändert viel zu hoch. Anstatt Förderprogramme zu bündeln, hat man in vielen Bereichen bisherige Bündelungen wieder auseinandergenommen. Von einer Konzentration auf Förderschwerpunkte kann keine Rede sein, denn man erkennt keine Schwerpunkte. Sie fördern vieles weiter, was bisher schon gefördert wurde, und ergänzen dies durch einige Marginalien wie ein Energieeffizienzprogramm und Ähnliches.

Was heißt das unter dem Strich? Auch bei bestem Willen und größter Mühe wird niemand hier im Saal kurz und prägnant umreißen können, auf welchem strategischen

Gerüst die Haushaltspolitik beruht und wie sich daraus die vorwiegende Förderarchitektur ergibt.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Sie werden diesbezüglich nichts sagen können, weil Diesbezügliches einfach nicht existiert. Die Sächsische Staatsregierung führt uns gerade hier vor, wie man ohne eine erkennbare politische Idee für dieses Land einen Haushalt aufstellen kann, der zwar einer haushaltstechnischen Überprüfung standhalten mag, aber in keiner Weise mit dem Begriff einer zukunftsfähigen Politik für dieses Land im Einklang steht.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Nur eines ist klar – Herr Metz, da können Sie sagen, was Sie wollen, die Anhörung hat etwas anderes ergeben –: Sachsen gibt zu viel EU-Fördermittel für Straßenbau aus und zu wenig für Bildung und Forschung. Auch wir können uns über die jüngste OECD-Studie nicht arrogant erheben.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wir halten es für skandalös, dass bisher kein Operationelles Programm für den Europäischen Sozialfonds vorgelegt worden ist. In der ESF-Förderung findet sich im Haushalt ausnahmslos nur Stückwerk. Die Ministerien wurden sich nicht einig, hat man uns gesagt. So finden wir zwar viele Fördertitel, doch die Ziele der Förderprogramme bleiben im Nebel. Ordnung im Kabinett scheint nicht an erster Stelle zu stehen.

Der Europäische Sozialfonds dient vor allem der Schaffung und dem Erhalt von Arbeitsplätzen. Wenn wir heute über den Haushalt sprechen, dann müssen wir feststellen, dass die Staatsregierung mit diesem Haushalt wohl zugleich den arbeitsmarktpolitischen Offenbarungseid leistet. Arbeit und Beschäftigung, meine Damen und Herren, stehen für die linke Liste, für die Linke.PDS – Entschuldigung, ich hatte heute bei den Anfängern begonnen – jedoch an erster Stelle jedweder politischer Handlungsaufgaben.

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Arbeit und Beschäftigung zu schaffen – – Herr Hähle, wir kennen unsere ganze Geschichte, wir haben nirgendwo Zäsuren geschaffen, und darum kann man sich auch einmal mit dem Namen verheddern.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Das wäre bei Blockparteien anders gewesen.

Arbeit und Beschäftigung zu schaffen ist angesichts der kaum veränderten Lage am Arbeitsmarkt, der Zehntausenden betroffenen Menschen vor allem unter den Bedingungen von Hartz IV, die größte politische Herausforderung auch in Sachsen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Hierbei sind wir am weitesten vom Staatsziel entfernt. 400 000 Arbeitslose plus minus circa 30 000 sind seit

über zehn Jahren trotz Abwanderungen und zunehmender Auspendlerzahlen die Norm. Nichts weist darauf hin, dass sich das nachhaltig ändern wird. Auf der einen Seite wird aus dem Vollen geschöpft, auf der anderen Seite werden sinnvolle Ansätze aufgegeben. Unverständlich ist, warum einige Förderprogramme auf null gefahren werden.

Unverständlich ist, um nur ein Beispiel zu nennen, warum die Technologiezentren den Technologietransfer nicht mehr gefördert bekommen sollen. Damit gefährden Sie deren Bestand. Die Technologiezentren sind in einigen Gegenden die letzten Hochburgen des innovativen Potenzials. Diese gilt es zu stärken und auszubauen. Es ist unverständlich, warum Sie angesichts dieser Tatsachen den Technologiezentren eine Grundfinanzierung verweigern, aber gleichzeitig eine neue Einrichtung wie das Bündnis für Arbeit schaffen. Gut, dieses Bündnis steht nun wieder im Koalitionsvertrag. Doch im Koalitionsvertrag steht auch, dass es einen Innovationsbeirat beim Wirtschaftsminister geben soll. Dieser wurde bis heute nicht berufen.

Sie wollen eine Dienstleistungsoffensive starten und stellen dafür 200 000 Euro ein? Sicher, das beschert Ihnen die eine oder andere Überschrift. Darin sind Sie mittlerweile Künstler geworden, sich so etwas zu organisieren. Doch was wollen Sie mit 200 000 Euro zuwege bringen? Allein die Koordinierungsstelle Biotechnologie hat 600 000 Euro zur Verfügung und dies ist auch schon wesentlich weniger als zu Beginn der Arbeit.

Die Mittel für das Sonderförderprogramm für regionales Wachstum werden um 33 % gekürzt. Zudem werden die Mittel für diese Netzwerke um 3,6 Millionen Euro sowie für Investitionen um 2,6 Millionen Euro gekürzt. Das Sonderförderprogramm für Gebiete mit besonderem Entwicklungsbedarf befindet sich im Sinkflug von 40 Millionen Euro 2006, über 30 Millionen Euro 2007 auf 15 Millionen Euro 2008.

Georg Milbradt forderte im Wahlkampf 2004 die Leuchtturmpolitik ein und schrieb die Gebiete mit besonderem Entwicklungsbedarf ab. Herr Jurk als Spitzenkandidat der SPD protestierte und sprach von anzugleichenden Lebensverhältnissen in der Verfassung.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Alles vergessen!)

Doch nun setzt Herr Jurk die einst kritisierte Politik von Georg Milbradt um. Es kann ja sein, dass die Förderprogramme nicht alle genutzt werden. Doch vielleicht liegt es auch daran, dass der Minister für Wirtschaft und Arbeit keine Ideen hat, wie man die Regionen entwickeln, innovative Potenziale bündeln und Entwicklung ermöglichen kann. Die Wählerinnen und Wähler haben es wohl geahnt, weshalb Ihnen 2004 nur etwas mehr als 9 % vertrauten. Wir werden Ihnen deshalb für die Beratung der Einzelhaushalte eine stärkere Konzentration der Mittel auf die Entwicklung aller sächsischen Regionen und dazugehöriger Regionalbudgets vorschlagen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Das haben uns wiederum mehr als 23 % der Wählerinnen und Wähler aufgetragen.

Ich habe den Eindruck, dass heute Innovationen gar nicht mehr auf die Schaffung versicherungspflichtiger Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt gerichtet sind. Wie in einem Brennglas wird deutlich, wo wir heute hingekommen sind, wenn man Herrn Tiefensees Plan von den Bus- und Straßenbahnbegleitern betrachtet. Über Jahrzehnte wurde das Begleitpersonal im ÖPNV abgebaut und eingespart. Jetzt werden die gleichen Stellen wieder geschaffen. Die Leute arbeiten jetzt praktisch umsonst bzw. dürfen sie Hartz IV aus den Bäumen fressen. Das alles von einem Sozialdemokraten! Wie weit sind wir gekommen?! Ich denke, wenn Bismarck das geahnt hätte, hätte er sich selbst die Sozialistengesetze noch überlegt.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Herr Ministerpräsident! In der „Financial Times“ erschien unlängst ein Artikel über die angebliche Erfolgsgeschichte Sachsens mit der Überschrift „Die Milbradt-Dividende“. Darauf hat Herr Metz hingewiesen. Gute Dividenden erzielt man mit Aktien wirtschaftlich erfolgreicher Gesellschaften an der Börse. Wir alle wissen, was heute die Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg und damit Erfolg an der Börse sind: Investitionen, Rationalisierung, Abbau von Belegschaft bei Erhöhung der Ansprüche an die Verbliebenen bis an die Grenzen des Erträglichen, Abbau von Sozialstandards und Trennung von wirklich oder meist nur vermeintlich verzichtbaren Aufgaben. Genau dieser Logik folgt Ihr Haushalt. Deshalb ist es mit der Dividende gar nicht so falsch.

Personalabbau, Lohnabbau und Sozialabbau im öffentlichen Dienst – besonders schmerzlich an den Schulen und bei der Polizei. Verwaltungsreform ohne Konzeption als Einsparungsreservat, Einschränkung des Asylrechts, Sparen auf Kosten von Minderheiten, Sparen auf Kosten von Umwelt und gesunder Ernährung, Privatisierungswahn, Individualisierung der Lebensrisiken, Kulturabbau, Senkung der Mittel für zivilgesellschaftliche Projekte oder drastische Einschränkungen im ÖPNV. Übrigens, beim ÖPNV bringt auch der plötzliche Geldsegen nicht zurück, was schon lange weg ist. All das, meine Damen und Herren, reduziert Menschen auf Humankapital, trennt sie in verwertbar und unnütz. Das alles macht Sachsen vielleicht börsentauglich, sachsengerecht ist es jedoch ganz und gar nicht. Das sollte der SPD zu denken geben, die doch mit der Losung „Sachsengerecht“ in den Wahlkampf 2004 gezogen ist.

Wir von der Linkspartei haben schon fünf Jahre zuvor die Losung „Sachsen gerecht werden“ in den Wahlkampf eingebracht. Ein Schelm ist natürlich derjenige, der jetzt an Abkupfern denkt.

(Volker Bandmann, CDU: Wie hieß sie damals?)

Sie hieß „Sachsen gerecht werden“. Herr Bandmann, wissen Sie – –

(Zuruf der Abg. Sebastian Scheel, Linksfraktion.PDS, und Volker Bandmann, CDU)

Herr Bandmann, Sie kennen unseren Mädchennamen so gut wie wir, aber wir sind begehrt und wir sind attraktiv und uns will man auch heiraten.

Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wir stehen auch heute noch zu dieser Losung, denn immer noch ist Sachsen gerecht werden eine Aufgabe für die Zukunft, deren Lösung, wie der Haushaltsentwurf der Koalition zeigt, von der Koalition nicht zu erwarten ist. Damit muss ich sagen, dass der Haushalt die Aufforderung des Artikels 13 der Landesverfassung nicht erfüllt. Es wird an diesem Haushalt sehr viel zu ändern sein. Machen Sie sich auf die künftigen Debatten gefasst!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Dr. Hähle, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Vorredner, der Vorsitzende der Linkspartei, hat von seiner so knapp bemessenen Redezeit immerhin einige Minuten für die Erörterung des Redezeitmodells verbraucht. Dabei wollte er uns und der Öffentlichkeit suggerieren, dass die Verteilung der Redezeiten in diesem Landtag undemokratisch geregelt sei.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Ist sie doch auch!)

Er verschleiert bewusst, dass es sich auch heute nicht um die vorweggenommene Haushaltsberatung und Haushaltsdebatte handelt, sondern um die Einbringung des Haushalts durch den Finanzminister.

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