Protocol of the Session on July 21, 2006

Um eine kontinuierliche Bekämpfung der drogen- und suchtbedingten Probleme unserer Gesellschaft zu ermöglichen, fordert die Koalition, wie schon in Vorbereitung des ersten Landesplanes zur Suchtprävention, einen aktuellen und umfassenden sächsischen Sucht- und Drogenbericht. Auf dessen Grundlage können die jeweiligen Schlussfolgerungen gezogen werden, wie in dieser Frage weiter vorangegangen werden kann und soll.

Im modernen Präventionsbegriff lassen sich Primärprävention, Sekundärprävention und Tertiärprävention nicht mehr unabhängig voneinander bearbeiten. Alle drei Arbeitsfelder stehen in einer engen Beziehung miteinander und zueinander. Ebenso wie nicht potenziell gefährdete Suchtkandidaten müssen Risikogruppen, aufgrund ihrer Lebenslage oder ihres bereits festzustellenden Suchtmittelkonsums, als gefährdet eingeschätzt und genauso wie unmittelbar vom Suchtmittelgebrauch Betroffene betreut werden.

Von besonderer Wichtigkeit ist dabei die stetige Aktualisierung und Anpassung der Konzepte aufgrund unserer Verhaltensmuster und Gefahren. Darauf zielen unsere beiden Anträge ab. Ich lade Sie nunmehr zur weiteren Diskussion ein und bin ganz Ohr, was Sie hier im Hohen Hause dazu darzulegen haben.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Dr. Gisela Schwarz, SPD)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Herr Gerlach, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, um auf den Redebeitrag meiner Kollegin noch einmal einzugehen, aus dem Zeitalter, da der Raucher zum Nichtraucher sagt, dass es ihn nicht stört, dass er nicht raucht, sind wir auch im Sächsischen Landtag schon ein ganzes Stück heraus. Trotzdem begrüße ich ausdrücklich, was Sie hier vorgeschlagen haben.

13 Kommunen wurden vorige Woche von der Bundesgesundheitsministerin für ihre vorbildlichen Aktivitäten zur Alkoholprävention ausgezeichnet. Vorausgegangen war der Wettbewerb „Alkoholprävention vor Ort – vorbildliche Strategien kommunaler Suchtprävention“. Wer solch

eine Preisverleihung nötig hat, hat ein Problem im Land. Und wir haben eins.

Etwa 14 Millionen Menschen haben in der Bundesrepublik Deutschland einen gesundheitsgefährdenden Alkoholkonsum. 1,7 Millionen gelten als alkoholabhängig. Damit ist der Alkohol die Volksdroge Nummer 1.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sehr richtig!)

Wir sagen höflich „legale Droge“ zum Alkohol, weil er nicht strafbedroht ist. Prof. Porsch hat schon einmal zu Beginn dieser Legislatur zu diesem Thema gesprochen, damals aber mehr im Sinne einer Büttenrede, als dem Thema gerecht werdend.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sie haben es nicht begriffen!)

Ich habe noch nie richtig begriffen, was Sie hier alles so erzählt haben, Herr Porsch. Damit werde ich wahrscheinlich den Rest meines Lebens auskommen müssen.

Nach dem Alkohol oder parallel zum Alkohol kommen alle nicht nikotinhaltigen Stoffe, dann die Aufputschmittel, dann die frei verkäuflichen Medikamente und dann sind wir schon beim Cannabis, beim so genannten Kiffen.

Eine schwierige Diskussion beginnt: Ist Cannabiskonsum suchtfördernd – ja oder nein?

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Nein!)

Ist es Einstiegsdroge für härtere Drogen?

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Nein!)

Ist es abgrenzbar?

Ist die komplette Freigabe von Cannabis besser, weil sie den Hauch von Verbotenem wegnimmt usw. usf.?

Leider gibt es im Moment noch mehr Fragen als Antworten. Die Antworten, die es gibt, unterscheiden sich in der Regel deutlich. Getreu dem Motto, man findet für alles, was man sucht, einen Professor, der ein entsprechendes Gutachten schreibt, ist es auch in diesem Bereich so.

Aber einige Fakten dazu: In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Cannabiskonsumenten in Deutschland um mehr als 70 % erhöht. Der Anteil der 18- bis 29-Jährigen, die Cannabis rauchen, stieg in der gleichen Zeit sogar um 170 %. Noch weit übertroffen wird das von der Zahl Rat suchender Konsumenten in Drogen- und Jugendhilfeeinrichtungen. Die nahm in den vergangenen Jahren um 750 % zu.

Diese Zunahme korreliert – Gott sei Dank – nicht mit der Zunahme der Cannabiskonsumenten, sondern ist vor allem ein gutes Zeichen für funktionierende Beratungsstellen.

Die Bewertung des Cannabiskonsums erfordert eine differenzierte Betrachtung, die einen Redebeitrag im Landtag weitgehend überschreitet.

Deshalb nur ein qualitativer Hinweis auf die Veränderungen der letzten Jahre: Der Drogenkonsum von heute hat mit den „gemütlichen Kifferrunden“ der siebziger Jahre nicht mehr viel gemein. Die Hochrisikogruppe unter den Kiffern verbringt in einem Monat – hören Sie zu! – durchschnittlich 28,2 Tage im Rausch und konsumiert diesen Stoff zirka zehnmal pro Tag. Das ganze Leben dieser Menschen spielt sich damit im Rausch ab.

Unsere Jugendlichen – das ist auch ein Fakt und erwiesen – haben mehr Taschengeld; das höchste interessanterweise die Hauptschüler. Wer mehr Geld hat, kauft mehr Zigaretten. Wer mehr Zigaretten kauft, kauft rein statistisch auch mehr andere Zigaretten, die zum Beispiel Cannabis enthalten, bzw. dreht sie sich selbst.

(Dr. Martin Gillo, CDU: Aha!)

Wir haben 2005 als Arbeitskreis ein Therapiezentrum in Großrückerswalde in der Nähe von Marienberg besucht. Dort hat uns der Chef dieses Hauses, der ja nun tagtäglich mit dieser Problematik zu tun hat, sinngemäß Folgendes gesagt. – Ich muss es kurz machen, weil man das, was wir in zwei Stunden diskutiert haben, nicht in wenigen Minuten rüberbringen kann.

Er hat gesagt, es ist relativ harmlos für die Gesellschaft und für die Betroffenen, wenn sich Erwachsene in einer so genannten – Entschuldigung, wenn ich das so leger sage – Kifferrunde zusammensetzen. In weniger als zehn Minuten haben sie alle Probleme dieser Welt gelöst, was sich nach ein oder zwei Stunden wieder auflöst.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Aber da passiert nicht viel Schlimmes. Doch hier setzt mein großes Aber an. Er hat gesagt, es ist höchst gefährlich, wenn junge Leute – und das Einstiegsalter beginnt heute bei zehn, elf, zwölf Jahren – anfangen, von diesen Dingen abhängig zu werden, und es nicht mehr steuern können. Neugier und ähnliches Verhalten spielen dabei eine große Rolle.

Das gebe ich einfach nur zu bedenken, wenn dann viele sagen, das macht nicht süchtig, das bringt eigentlich nicht viel usw. usf.

Damit wir in Sachsen gut reagieren können, brauchen wir den Suchtbericht. Deshalb haben wir auch den Antrag geschrieben. Ob wir ihn eventuell mehr als einmal pro Legislatur brauchen, was die Linksfraktion.PDS fordert – Sie hatten beim letzten Mal, als es auf der Tagesordnung stand, glaube ich, sogar den identischen Änderungsantrag drauf –, werden wir entscheiden, wenn wir den ersten vorliegen haben. Vorher bitte nicht!

Ein gutes Beispiel, wie ein Staat auch restriktiv reagieren kann, ist die massive Besteuerung bei den Alkopops. Sie erinnern sich an die süßen alkoholischen Getränke, die einmal ganz groß in Mode gekommen waren. Innerhalb kurzer Zeit sanken die Verkaufszahlen deutlich, als die Steuer drastisch angehoben wurde. Hier ist die damalige rot-grüne Regierung ihrer Vorsorgepflicht gut nachgekommen.

In Sachsen haben die 46 ambulanten Suchtberatungs- und -behandlungsstellen, so heißen sie offiziell, im Jahre 2005, also im letzten Jahr, 29 000 Betroffene beraten und behandelt, 60 % davon wegen Alkoholproblemen, 20 % immerhin wegen illegaler Drogen. Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten eine lobenswerte Arbeit. Hut ab!

Immer wichtiger wird neben der klassischen Betreuung die psychosoziale Betreuung bei Substitutionsbehandlungen. Bei ehemals oder noch Suchtkranken ist die Konzentration auf die individuelle Situation der Betroffenen ausschlaggebend für den Erfolg oder eben auch für das Scheitern des Weges aus der Sucht. Dabei spielen persönliche Neigungen und Vorprägungen eine genauso große Rolle wie das soziale Umfeld.

In einer Veranstaltung der Sächsischen Landesstelle gegen Suchtgefahren in der vorigen Woche, deren Jahresberichte ich als Lektüre ausdrücklich nur empfehlen kann, wurde festgestellt, dass mehr als 50 % der länger als ein Jahr Arbeitslosen gesundheitliche Probleme und von diesen wiederum 20 % Suchtprobleme haben.

Damit sich die von uns geforderten Arbeits- und Wohnprojekte genau auf die sehr persönliche Situation der Drogenkranken einstellen können, brauchen sie möglichst viel Freiraum und Eigenverantwortung. Wir wünschen uns deshalb möglichst wenig einengende Vorgaben, was die Arbeit vor Ort betrifft. Kontrolle muss sein. Das ist klar. Immerhin werden hier staatliche Gelder ausgegeben. Aber da sich speziell in diesem Hilfebereich niemand niederlässt, der sich nur einmal so vor der Arbeit drücken will, sollten wir genug Mut haben, gerade diesen Hilfe- und Beratungsstellen möglichst viel Vertrauen und Freiheit zur selbstgestalteten Arbeit zuzubilligen.

Eines bleibt natürlich unbenommen: Jeder vermiedene Suchtfall ist immer viel besser als jede noch so gute Therapie, das ist klar. Prävention und vorbildliches Verhalten, beginnend im Kindesalter, ist die Aufgabe für uns alle – egal, wo wir Verantwortung tragen.

Die in Sachsen durchgeführten Schülerqualifizierungen zu SuchtberaterInnen in den eigenen Schulen sind ein gutes Beispiel für solches Handeln, und ich kann diejenigen, die dies noch nicht kennen, nur ermutigen, sich einmal in die Schulen zu begeben und es sich anzuschauen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Ich erteile der Linksfraktion.PDS das Wort. Frau Klinger, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schön zu sehen, dass Oppositionsarbeit in Sachsen funktioniert. Kaum besetzt die Oppositionsfraktion – in diesem Fall die Linksfraktion – ein Thema, sieht sich die Koalition genötigt, ebenfalls parlamentarisch initiativ zu werden.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Heinz Lehmann, CDU: Das werden wir ja wohl noch hinbekommen!)

Aber um im Bilde zu bleiben: Oppositionsarbeit funktioniert – ganz anders als das Drogen- und Suchthilfesystem in Sachsen, wie die Große Anfrage unserer Fraktion zu diesem Thema beweist. Es ist jedoch erst einmal positiv zu bewerten, dass auch die Koalition die Wichtigkeit dieses Themas anerkennt und initiativ wird. Allerdings, Frau Nicolaus, kann man sich bei Ihren Anträgen nicht des Eindrucks erwehren, dass auch hier nicht konsequent zu Ende gedacht wird. So schreiben Sie selbst in dem Antrag, meine Damen und Herren der Koalition, dass das Konzept zur Suchthilfe kontinuierlich aktualisiert und angepasst werden müsse. Wie dies allerdings funktionieren soll, sagen Sie nicht.

Das bisherige Drogenhilfesystem in Sachsen besteht aus Repression und Prävention, dies ist auch aus Ihren Redebeiträgen hervorgegangen. Hierzu muss gesagt werden, dass Prävention nur ein kleiner Teil eines komplexen Drogenhilfesystems sein kann. Dass Sie sich jedoch auch weiterhin nur auf Prävention konzentrieren wollen, spiegelt sich in Ihren Anträgen wider.

Ich möchte gern ausführen, welche Probleme wir sehen und was getan werden muss, um die Sucht- und Drogenhilfe in Sachsen wirklich auszubauen und wirksam zu machen. Es existiert nach wie vor kein Verbundsystem der Suchtkrankenhilfe, das den Bedürfnissen unterschiedlicher Gruppen von Drogengebrauchern angepasst ist. Die schon bestehenden Angebote beschränken sich auf eine klassische Therapiekette von Erstkontakt über Therapie bis hin zur Abstinenz. Das Verfahren wird jedoch den vielfältigen Lebenslagen Drogenabhängiger in Sachsen nicht gerecht. Somit fällt ein wesentlicher Teil der KonsumentInnen durch das sehr hochschwellig angelegte Netz der Hilfemaßnahmen. Eine prekäre soziale Situation, eine prekäre gesundheitliche Situation. Verelendung, Marginalisierung und – Sie sagten es, Frau Nicolaus – Beschaffungskriminalität sind die Folgen.

Wir brauchen zielgruppenspezifische, niedrigschwellige Überlebenshilfeangebote. Die Angaben des Berichtes der Ambulanten Suchtkrankenhilfe in Sachsen 2004 weisen weiterhin auf eine mangelnde Versorgungsdichte mit Angeboten der Drogenhilfe hin. Sie haben von einem flächendeckenden Netz der Beratungsstellen gesprochen. Mir liegen andere Zahlen vor. Die als bedarfsgerecht festgelegte Versorgung mit einer Fachkraft auf 20 000 Einwohner wird in einigen Landkreisen nicht einmal zur Hälfte erreicht. So wurden allein seit dem Jahr 2000 16 Fachkräfte in Suchtberatungsstellen entlassen. Gleichzeitig nahm die Zahl der Klienten jedoch um 30 % zu.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)