Protocol of the Session on July 19, 2006

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Trefft euch doch einmal sonntags!)

Herr Abgeordneter, stimmen Sie mir zu, dass Herrn Jähnichens Vorstellung vom Trauschein etwa der Vorstellung von einer Aktie ähnelt, mit der man Gewinn machen kann?

(Proteste bei der CDU – Zuruf von der CDU: So ein Quatsch!)

Das ist ein Umstand, der besonders dann nicht so toll sein dürfte – wir waren gerade bei der unterschiedlichen Verteilung der Einkommen –, wenn sich eine Ehe gerade einmal nicht in ihrer harmonischsten Phase befindet. Die längst überholte Hausfrauenehe, in welcher die Frau höchstens ein paar Cent dazuverdient, ist die eigentliche Zielgruppe dieser Subvention. Der höchste Anreiz oder der höchste Ertrag besteht also dann, wenn die eine Person sehr viel und die andere Person nichts verdient – in der Regel der Mann sehr viel, die Frau nichts.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Hausfrauenehe als Lebenskonzept ist im Osten nicht so ausgeprägt wie im Westen. Vielleicht ist das der Grund dafür, warum es in Sachsen tatsächlich und endlich auch Stimmen in der Union gibt, die das Ehegattensplitting kritisch hinterfragen wollen. Nur Mut! Dazu noch zwei Denkanstöße von unserer Seite für Sie.

Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht 1957 das Ehegattensplitting nicht gefordert, sondern das war nur eine mögliche Option unter vielen. Zum anderen gehen nur 7 % der Förderung über das Ehegattensplitting – insgesamt beträgt diese Förderung immerhin fast 20 Milliarden Euro pro Jahr – in den Osten Deutschlands. Das sollte doch zum Nachdenken anregen.

Allerdings ist das neuerdings von CDU und FDP gepriesene Wundermittel, das Familiensplitting, der klassische Fall der Verschlimmbesserung. Damit werden zwei Ungerechtigkeiten zusammengeführt: erstens das Ehegat

tensplitting und zweitens die Praxis der Kinderfreibeträge, die immer vor allem Besserverdienenden nutzen. Mit der Zusammenführung würde die Ungerechtigkeit noch verstärkt. Besser- und Bestverdienende könnten mittels ihrer Kinder in Größenordnung Steuern sparen, während dem Staat das Geld für die Förderung der Kinder gerade aus einkommensschwachen Familien fehlen würde. Bei Einführung des Familiensplittings – so hat eine Anhörung im Sozialausschuss ergeben – würde es beispielsweise bei 80 % der Alleinerziehenden zu einer Verschlechterung der derzeitigen Situation kommen.

Im Übrigen wird durch die Einführung des Familiensplittings mitnichten der negative Anreiz für Zweitverdiener abgeschafft, sondern er bleibt im gleichen Maße wie beim Ehegattensplitting erhalten. Deswegen ist es wichtig – und das hat auch die Anhörung zum Familiensplitting deutlich gemacht –, dass nach der Abschaffung des Ehegattensplittings nicht das Familiensplitting folgen kann, sondern dass es darum geht, eine konsequente Individualbesteuerung sicherzustellen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der zweite Punkt in unserem Antrag betrifft die Einführung einer einkommensunabhängigen Kindergrundsicherung. Nach unseren Vorstellungen soll diese bei zirka 415 Euro pro Monat liegen, jedem Kind unabhängig von der Leistungsfähigkeit der Eltern zur Verfügung stehen und nicht auf das Arbeitslosengeld II oder das Sozialgeld angerechnet werden. Darüber hinaus ist es endlich angezeigt, dass Unterstützungsleistungen für Kinder nicht mehr über das Steuerrecht geregelt werden. Das betrifft sowohl die bereits erwähnten Kinderfreibeträge im Steuerrecht als auch die Freibeträge bei der Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten.

Sie als Sozialministerin, Frau Orosz, haben zwar in aller Öffentlichkeit zu Recht kritisiert, dass eine solche Absetzbarkeit gerade für untere Einkommensgruppen ungerecht sei. Aber wirklich getan haben Sie nichts, um diese Situation zu verändern.

Das Ungerechte bei der Förderung über Steuern bleibt, dass diejenigen, die viel verdienen, auch höhere Steuervergünstigungen haben als diejenigen, die weniger verdienen.

Warum ist die Unterstützung des Staates für das eine Kind höher als für das andere? Das wäre ja noch verständlich, wenn das ärmere Kind mehr bekäme. Aber es ist genau andersherum. Das ist wirklich nicht mehr nachvollziehbar, denn Kinder sollten unserer Gesellschaft eben nicht unterschiedlich viel wert sein.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Aus diesem Grund soll als dritter Punkt unseres Antrages die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten in eine Regelfinanzierung des Bundes von Kindertagesstätten gewandelt werden. Gerade wenn die Bundespolitik immer wieder die Notwendigkeit frühkindlicher Bildung und deren Ausbau betont, ist eine Beteiligung an der Finanzierung die logische Konsequenz.

Sehr geehrte Damen und Herren! Keine staatliche Bevorzugung bzw. Diskriminierung bestimmter Lebensweisen, eine Kinderförderung als direkte Leistung jenseits des Steuerrechts und eine Regelfinanzierung der frühkindlichen Bildung – das sind die Grundgedanken unseres Antrages. Ich möchte hiermit um Ihre Zustimmung werben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Frau Nicolaus von der CDU spricht als Nächste zu uns.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Neubert, ich bin Ihnen ganz dankbar, dass Sie gleich zu Anfang gesagt haben, dass wir sicher von vornherein unterschiedliche Standpunkte haben, was Ehe und Familie betrifft. Aber auch Sie müssen natürlich das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zur Kenntnis nehmen. Dort sind Ehe und Familie unter besonderen Schutz gestellt.

(Dr. Cornelia Ernst und Caren Lay, Linksfraktion.PDS: Die Familie!)

Die Ansätze, die uns prägen, beruhen auf diesen gesetzlichen Grundlagen.

Der von Ihnen gestellte Antrag – so verstehe ich ihn zumindest – soll darauf abzielen – das haben Sie auch noch einmal erläutert –, dass eine Förderung von Kindern im Rahmen der von Ihnen gesetzten Akzente erfolgen soll. Wir haben dazu andere Auffassungen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist richtig, dass auch wir in der Union uns darüber Gedanken gemacht haben, das Ehegattensplitting mit einem Familiensplitting zu ergänzen. Zu diesem Familiensplitting gibt es verschiedene Modelle. Sie haben zu Recht die Anhörung, die dankenswerterweise durch die FDP initiiert wurde, angeführt. Dort wurden verschiedene Varianten aufgezeigt.

Es gibt das französische Modell. Die Franzosen stellen explizit auf eine Mehrkinderfamilie ab, die steuerlich begünstigt werden soll. Es ist weniger die Einkindfamilie, die bezuschusst wird und Sachleistungen erhält, sondern das setzt besonders beim zweiten und dritten Kind ein.

Auch das angeführte Familiensplittingmodell hat verschiedene Nuancen. Wir werden sehen, wie sich dieses Modell in Zukunft gestalten lässt.

Ich will an dieser Stelle nicht verhehlen, dass wir in den neuen Bundesländern nicht die vordergründig Begünstigten sein werden. So ehrlich muss man an dieser Stelle sein, das ist keine Frage. Denn natürlich sind die Einkommensverhältnisse in den neuen Bundesländern anders als in den Altbundesländern.

Aber wir können, wollen und müssen uns nicht verstecken. Wir haben eine aktive Familien- und Kinderförderung, speziell auch im Freistaat Sachsen. Sie haben in

Ihrem Antrag mehr bundespolitische Themen angesprochen, die am Ende auch auf bundespolitischer Ebene umgesetzt werden sollten. Wir sollten uns in diesem Hohen Haus aber mehr darauf konzentrieren, was wir im Land Sachsen tun können. Wir haben schon viel getan. Einen Aspekt davon haben wir in der vorangegangenen Debatte ausführlich beleuchtet. Das ist aber nur eine Nuance.

Ich verweise auf die flächendeckende Kindertagesstättenbetreuung im Freistaat Sachsen, den vorschulischen Bereich und vieles mehr, wo finanziell, aber auch von den vor Ort agierenden Personen, den Erzieherinnen und Eltern, viel geleistet wird. Das sind aus meiner Sicht sachbezogene Leistungen.

Ich möchte auch noch einmal das Landeserziehungsgeld ansprechen, das als ergänzende Leistung zu betrachten ist.

Ab dem 01.01.2007 werden wir – wenn wir uns jetzt doch auf die bundespolitische Ebene bewegen – das Elterngeld als ersetzende Lohnleistung, so darf man es ja betrachten, einführen. Das ist natürlich ein Schritt nach vorn, um für die Eltern bestimmte finanzielle Defizite abzupuffern und Kinder zu fördern. Das sind für uns die richtungweisenden Dinge, was Kinderförderung im Speziellen betrifft.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Wir sollten uns, wenn wir Ihren Antrag betrachten, nicht Sand in die Augen streuen, dass mit der Abschaffung des Ehegattensplittings und der Neugestaltung der Kinderförderung die Dinge gerichtet oder dass jetzt mehr Kinder geboren werden. Das ist eine Fehleinschätzung. Wir sollten an alten Gleisen festhalten und diese aufpeppen, denn es wird in Deutschland ungemein viel Geld in Familienförderung hineingesteckt. Trotzdem haben wir nicht die Ergebnisse wie andere Länder, die weniger Geld aufwenden.

Frau Nicolaus, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja. Bitte, Frau Dr. Runge.

Frau Nicolaus, ist Ihnen bekannt, dass in Schweden seit Anfang der siebziger Jahre das Ehegattensplitting abgeschafft worden ist und eine Modernisierung der Gesellschaft anhand der Leitlinie Gleichstellung jetzt über Jahrzehnte durchgeführt worden ist mit dem Effekt, dass Schweden die höchsten Geburtenraten in Europa hat, nämlich knapp unter 2 %, und – –

(Dr. Matthias Rößler, CDU: Hatte!)

Moment bitte, Frau Dr. Runge, erst einmal eine Frage. Jetzt antwortet Frau Nicolaus.

Frau Dr. Runge, mir ist das bekannt. Aber darauf zu reflektieren, dass mit der Abschaffung des Ehegattensplittings mehr Kinder geboren worden sind, erscheint mir etwas fragwürdig.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Jetzt fragen wir Frau Nicolaus, ob sie eine zweite Frage zulässt.

Natürlich.

Bitte schön.

Ist Ihnen bekannt, dass mit dieser Gleichstellungspolitik die Ausrichtung dieser Gesellschaft auf die Zwei-Verdiener-Ehe den Effekt hat, dass 77 % der Frauen in Schweden berufstätig sind? Ist Ihnen das bekannt?

Mir ist das bekannt. Ich kenne die norwegischen Modelle. Aber man muss auch die deutschen Verhältnisse sehen. Wir haben eine hohe Berufstätigkeit. Gerade in den neuen Bundesländern und in Sachsen arbeiten sehr viele Mütter und Väter – es ist ja nicht nur an die Mütter gebunden, sondern auch an die Väter. Wir haben gute Voraussetzungen, dass die Frauen bzw. die Väter Beruf und Familie vereinbaren können. Das wollen wir weiter fortschreiben. Man kann aber nicht einfach ein Modell wie Schweden herausnehmen und sagen, okay, und das ist das für Sachsen oder für Deutschland. Man muss es im Gesamtkontext sehen, welche Leistungen dort angeboten werden, welche Leistungen hier angeboten werden, wie die Strukturen gewachsen sind.

Es wird nie Gerechtigkeit bei steuerlichen und sachbezogenen Leistungen geben. Es wird immer einen Kompromiss geben müssen, aber es muss ein Kompromiss sein, der den Eltern entgegenkommt und der Kinderfreundlichkeit hervorruft. Da haben wir noch einiges zu tun. Wir sind auf dem Weg dahin.

Ich nehme noch einmal die vorangegangene Diskussion auf. Wir lehnen Ihren Antrag ab, Herr Neubert, liebe PDSFraktion, weil wir denken, dass das der Weg in die verkehrte Richtung ist. Wir sind in der richtigen Richtung unterwegs.