1. In der kurzen Zeit, in der wir die Chance hatten, die Papiere von gestern zu heute durchzusehen, ist uns nicht schlüssig geworden, wo der tolle Fortschritt beim Wegfall dreier Regierungspräsidien zu zwei Landesdirektionen zu sehen sein soll. Unsere Vorstellung, dass man die Regierungspräsidien gänzlich abschaffen könnte und einige Aufgaben in Richtung Ministerien, die anderen in Richtung Kreisebene zu verlagern wären, ist aus meiner Sicht nicht entkräftet. Das ist aus unserer Sicht immer noch die bessere Lösung.
3. Dieses wurde von Herrn Brangs bereits angesprochen: dass nämlich die Verlagerung von Aufgaben auf die kommunale Ebene Bürgernähe schaffen würde. Es ist für mich völlig unerkennbar, wie das sein soll. Wenn ich die Kreisreform gleichzeitig durchziehe, also aus zwei oder drei Landkreisen einen Kreis mache, wo kommt dann die Bürgernähe her? Die wenigen Aufgaben, die jetzt für den Bürger im Bereich Regierungspräsidien direkt erledigt wurden, wiegen doch gar nicht auf, was an anderen Aufgaben vom Bürger wegverlagert wird. Ich nehme nur einmal das Beispiel Führerscheinstelle, die in den jetzigen Kreisstädten angesiedelt ist, in den Großkreisen dann wahrscheinlich auch nur in den dann noch bestehenden Kreisstädten. Das heißt, die Leute haben für die Aufgabe, die für sie oftmals wichtig ist, einen viel längeren Weg. Das Ganze ist aus meiner Sicht nicht zielführend.
Herr Minister Jurk, das werden wir sehen. Am Ende sehen wir die Ergebnisse, auch wenn Sie sagen, das passiert nicht.
Was eigentlich das Hauptproblem ist und was hier alle Oppositionsfraktionen bewegt, ist die Informationspolitik. Wir haben gestern dieses Papier ausgereicht bekommen. Ich halte es für einen Skandal, dass der Gesetzgeber, der Landtag, das Papier maximal zeitgleich, wenn nicht gar später als die Presse erhält. Gestern war die Presse mit Vorschlägen zur Verwaltungs- und Kreisgebietsreform schon voll, da war das Parlament als Entscheidungsgremium noch nicht informiert. Das ist eigentlich das Hauptproblem, über das zu sprechen ist.
Die vorliegenden Anträge sind als Vehikel völlig ungeeignet, weil das, was an Problemen ansteht, nicht erreicht wird. Die Regierungserklärung, ob vom Staatsminister oder vom Ministerpräsidenten, wird immer nur das beinhalten, was diese uns rüberbringen wollen. Wenn vonseiten des Innenministeriums nicht weitere Arbeitsmaterialien wenigstens auch an den Innenausschuss kommen, der bis jetzt relativ kurz gehalten wurde, muss das Parlament vielleicht als solches selbstständig aktiv werden, wie es in anderen Bereichen auch ist. Aber das ist aus meiner Sicht im Moment nicht der Weg.
Ich bitte um punktweise Abstimmung über den GRÜNEN-Antrag. Punkt 2 halte ich für zustimmungswürdig, weil in ihm die Richtung vorgegeben werden soll, wie wir weiter miteinander verfahren. Die anderen Punkte würden sowohl vom Innenminister wie auch vom Ministerpräsidenten in gleicher Form behandelt werden wie heute im Eingangsstatement des Staatsministers. Da ist aus meiner Sicht nichts Neues zu erwarten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass solche Anträge überhaupt erst gestellt werden müssen, um die Staatsregierung zu bewegen, über den aktuellen Stand der Verhandlungen zu berichten, ist einfach deprimierend. Die Staatsregierung wäre hier meiner Meinung nach in der Pflicht gewesen, ganz von allein und in kurzen Abständen über den aktuellen Stand der Entwicklung den Landtag, die Medien und die Bürger zu informieren.
Gerade die Bürger in Sachsen, die direkt von der anstehenden Verwaltungs- und Funktionalreform betroffen sind, haben das Recht auf genaue Information. Es handelt sich hier ja immerhin um keine Angelegenheit, die man ausschließlich hinter verschlossenen Türen abhandeln muss.
Als Gründe für die geplante Reform werden notwendige Sparmaßnahmen einerseits und sinkende Einwohnerzahlen andererseits genannt. Gespart werden soll vor allem beim Personal. Die Stellen sollen an die Kommunen übertragen, gestrichen oder privatisiert werden. Teilzeitstellen und geringe Tarife sollen zusätzlich den Kostendruck senken. Davon sind 3 500 Stellen, also 3 500 Menschen, betroffen.
Ob letztlich auch mehr Bürgernähe erreicht wird, wenn die Verwaltung abgespeckt ist, muss bezweifelt werden. Und auch wenn bestimmte Aufgaben in Zukunft von den Kommunen wahrgenommen werden, kann durch die Verlagerung nach unten zu den Bürgern hin noch lange nicht angenommen werden, dass sich zum Beispiel die Öffnungszeiten und die Bearbeitungszeiträume bei Anträgen für die Menschen vor Ort zum Positiven verändern.
Bedingt durch den vor allem im ländlichen Gebiet dramatischen Bevölkerungsrückgang kommt es zur infrastrukturellen Ausdünnung ganzer Landstriche. Damit verbunden sind Schulschließungen, Wegfall von Dienstleistungen, die Einkaufsmöglichkeiten und Post- und Geldinstitute. Hinzu kommt der Weggang hauptsächlich junger Menschen wegen fehlender Zukunftsaussichten, Lehrstellenmangels oder Arbeitslosigkeit.
Die Politik, welche bei diesen Problemen schon längst kapituliert hat, reagiert nur noch, anstatt entsprechend gegenzusteuern. Es werden nur die Symptome bekämpft, anstatt die Ursachen anzugehen.
Der Zuschnitt der neuen Landkreise erfolgt so, dass im Jahre 2020 jeweils mindestens 170 000 Menschen in den neuen Landkreisen wohnen sollen. Das heißt aber auch, dass bis dahin die Einwohnerzahlen weiter drastisch zurückgehen werden; dass man dies weiß und einfach so hinnimmt.
Meine Damen und Herren, Sie machen sich somit lediglich zu Verwaltern des Niedergangs – nach uns die Sintflut. Dabei müssten die politisch Verantwortlichen doch eigentlich alles erdenklich Mögliche tun, um die Bevölkerungszahlen zu halten und wieder zu erhöhen.
Bei dem neuen Zuschnitt der Kreise sollte man nicht einfach willkürlich und rein nach wirtschaftlichen Ge
sichtspunkten vorgehen. Wichtig für die Akzeptanz der Verwaltungs- und Funktionalreform bei den Bürgern ist die Beibehaltung oder Wiederherstellung der Identität, die durch Landschaft, Kultur und Geschichte geprägt ist. Ich denke da nur an das Erzgebirge oder die Oberlausitz. Die Menschen identifizieren sich mit ihrer Heimat und wollen keine künstlichen Verwaltungsstrukturen übergestülpt bekommen.
Die angestrebte Reform, die den Bürgern nur Vorteile bringen soll – so heißt es jedenfalls –, wird wieder einmal über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden. Ist diese Reform denn eigentlich bei den Einwohnern der jetzigen Landkreise gewünscht? Wer immer nur über die Köpfe der Menschen hinweg entscheidet, entmündigt diese letztlich und braucht sich somit auch nicht über die Politikverdrossenheit und geringe Wahlbeteiligungen zu wundern. In der Begründung heißt es dann meist: Was geht mich das noch an? Die da oben machen sowieso, was sie wollen.
Es wäre wünschenswert, in Zukunft bei derartigen Entscheidungen die betroffenen Menschen zu fragen und diese nicht wie entmündigte Bürger zu behandeln.
Danke schön. – Herr Dr. Hähle von der CDU-Fraktion hat signalisiert, dass er noch einmal sprechen möchte; Herr Dr. Martens ebenfalls.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Debatte ist ein Beispiel dafür, wie man mit Unwissen, Halbwissen und Vermutungen die Bevölkerung maximal verwirren kann.
(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das machen Sie! Ohne Regierungserklärung wird das nicht anders sein! – Zuruf des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)
Dass wir mit dem Konzept der Reform noch nicht fertig sind, wissen Sie doch ganz genau. Es gibt allenfalls einen Grobentwurf – darüber ist Ihnen gestern eine Mitteilung gemacht worden, wie weit wir auf dem Weg zum Gesetzentwurf sind –, und das Parlament kann doch eigentlich nur ganz vernünftig diskutieren, wenn ein Gesetzentwurf schwarz auf weiß vorliegt, der zuvor dem Parlament zugeleitet worden ist.
Ich kann es Ihnen nicht ersparen – ich habe das an gleicher Stelle zum gleichen Thema schon einmal gesagt –; es gibt drei Möglichkeiten, Gesetzentwürfe in den Landtag einzubringen: Entweder eine oder mehrere Fraktionen bringen einen solchen Gesetzentwurf ein oder die Staatsregierung, oder es gibt einen Volksantrag, der als Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht werden kann.
So weit sind wir bei dieser Reform noch nicht, sondern es wurde ganz klar gesagt – einen Moment, bitte! –, dass jetzt die Phase der Bearbeitung der Gesetzentwürfe beginnt, dass sie Anfang 2007 dem Parlament vorgelegt werden sollen und dass wir dann ausreichend Zeit haben, uns über Sinn und Unsinn eines jeden Paragrafen auseinander zu setzen; dass bei den Anhörungen und Ausschussberatungen noch vieles den Feinschliff erhalten kann. Aber solch ein Verwirrspiel, wie es hier abgelaufen ist, bringt uns keinen Schritt weiter.
Bevor ich eine Zwischenfrage zulasse, will ich noch zu Herrn Friedrich sagen: Sie kommen schon noch dahin, dass Sie die Staatsregierung und die regierungstragenden Fraktionen vor sich hertreiben können. Sie können es ja gar nicht erwarten, deshalb wollen Sie uns möglichst irgendwelche Informationen aus der Nase ziehen, die doch gar keine sind, damit Sie schon vorher alles zerreden können. Und das wollen wir eben nicht.
– Ich muss schon den Applaus abwarten, den hat er sich zur Hälfte verdient. Denn, Herr Hähle, alles, was Sie gesagt haben, ist ein Stück der Dinge, die laut Verfassung dem Parlament zugeschrieben sind: Gesetze zu diskutieren und zu verabschieden. Stimmen Sie mir darin zu, dass dies der Landtag, aber auch Stätte der politischen Willensbildung ist; und stimmen Sie mir auch zu, dass einer Verwaltungs- und Funktionalreform, die in eine Kreisreform mündet, auch politische Willensbildung vorangehen muss, bevor man sich daranmacht, entsprechende Gesetze zu formulieren, und dass es deshalb eine legitime Forderung ist, bereits vor der Vorlage eines Gesetzentwurfes hier in die Diskussion zu treten?
Das ist richtig, die Parteien sind aufgefordert, laut Verfassung an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Der Landtag ist in der Tat Stätte der politischen Willensbildung. Ich stelle sie mir aber so vor, dass jeder seine Vorstellungen vorträgt und nicht ängstlich überprüft, was denn in der Staatsregierung bereits aufs Papier geschrieben worden ist oder was sich die, die es vorbereiten wollen, schon gedacht haben, und dass man das immer nur an diesen Dingen diskutiert.
Das können Sie machen, Sie haben heute einen Antrag als Vehikel eingebracht, Sie wollen eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten. Einer hat dazwischengerufen: Was ist denn bis jetzt schon da? – Nun, nichts, hat ein
Herr Dr. Hähle, Sie haben gesagt, dass man hier bei der politischen Willensbildung seine politischen Vorstellungen einbringt. Können Sie mir erläutern, wo die Koalition bisher dem Hohen Hause ihre Vorstellungen zur Verwaltungsreform zur Kenntnis gebracht hat?
Sie haben doch eben bestätigt, dass Sie etwas erhalten haben, und das ist das Ergebnis des Lenkungsausschusses. Dort sind die beiden Koalitionsfraktionen angemessen vertreten,
ebenso wie die Vertreter der kommunalen Ebene und die Regierung. Diese sind jetzt gemeinsam gehalten, einen oder mehrere Gesetzentwürfe zu erarbeiten. Diese liegen noch nicht vor. Sie zünden hier irgendwelche Nebelkerzen und vermuten, was alles schon gemacht oder gedacht worden sei, und diskutieren darüber. Das ist keine klare politische Willensbildung, sondern das ist eine Verbildung des politischen Willens.
Herr Hähle, könnten Sie mir nicht zustimmen, dass gerade eine Regierungserklärung dem Anspruch gerecht werden würde, uns hier die Vorstellungen der Regierung, der sie tragenden Mehrheitsfraktionen vorzutragen, und dann könnten auch wir unsere Vorstellungen vortragen?