Inzwischen pfeifen das nicht nur die Spatzen von den berühmten Dächern, sondern – hört, hört! – eine Reihe von Ministerpräsidenten der CDU-geführten Länder, auch der hiesige, stellen sich plötzlich hin und meinen, sie hätten es ja schon immer gewusst. Dazu sage ich: Welch Wunder der Verwandlung! Der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen hat – neben anderen – nicht nur im Dezember 2003 im Vermittlungsausschuss Hartz IV zugestimmt –; nein, ihm war es gelegen, ganz persönlich noch zur Verschärfung beizutragen; insbesondere – was jetzt beklagt wird – etwa durch die Zusammenführung von zwei völlig unterschiedlichen Behörden, nämlich der Kommunen und der Arbeitsagentur in den so genannten Arbeitsgemeinschaften.
Davon will man heute freilich nichts mehr wissen – mehr noch, man meint, jetzt müsse erst recht Hand angelegt werden und die Hartz-IV-Gesetzgebung sei erheblich zu verschärfen.
Da sage ich jetzt erneut voraus: Das wird nicht gelingen. Man kann etwas, was gescheitert ist, nicht verschärfen. Man muss es abschaffen. Das ist die Botschaft, die wir hier zu verkünden haben.
Aber, meine Damen und Herren, man gibt sich gewaltige Mühe, uns zu suggerieren, weshalb man denn die Sache noch retten und verschärfen könne. Dafür lassen Sie mich in meinem Beitrag sechs dieser so genannten Argumente anführen, aus denen uns weisgemacht werden soll, wie notwendig es denn sei, dass am 6. Juli auch im Bundesrat dem so genannten Optimierungsgesetz zugestimmt wird.
Das erste Argument: Es wird behauptet – auch vom sächsischen Ministerpräsidenten –, dass die Finanzierung von Hartz IV auf Dauer nicht mehr zu bewältigen sei. Der Ministerpräsident hat kürzlich in einem „F.A.Z.“Interview sogar zugespitzt, es würde sich um eine finanzpolitische Bombe handeln. Ja, meine Damen und Herren, seriöse Ökonomen – davon gibt es wahrscheinlich in den Regierungen leider nicht sehr viele – haben allerdings berechnet, dass diese Behauptung zumindest bestenfalls eine Halbwahrheit ist, denn es werden einfach die Einsparungen, die die Bundesagentur für Arbeit hat, ausgeblendet, indem sie nämlich in diesem Jahr etwa 4,5 Milliarden Euro weniger an Arbeitslosengeld I ausreichen muss – einfach deshalb, weil wesentliche Teile derer, die Arbeitslosengeld I bekommen, alsbald in das Arbeitslosengeld II fallen werden, wenn sie keinen neuen Job erhalten.
Wir wissen ja, wie kompliziert es ist, neue Arbeitsplätze zu schaffen, geschweige denn, welche anzubieten. Das, was bei Hartz IV an Mehrausgaben prognostiziert ist, liegt in diesem Jahr bei drei Milliarden Euro. Wenn man das zusammenrechnet, bleibt immer noch eine Einsparung von 1,5 Milliarden Euro. Wer dann der Meinung ist, dass das Ganze aus dem Topf quellen wird, der möge bitte noch einmal in den Nachhilfeunterricht der Grundstufe für Mathematik gehen.
Das Zweite, was deutlich gemacht werden muss und bei dem sich auch unser Ministerpräsident befleißigt hat, die Trommeln mit zu schlagen: Es gebe, wird behauptet, angeblich erheblichen Missbrauch bei Hartz IV. Ich habe die Staatsregierung mehrfach dazu befragt. In einer ersten Antwort wurde mir mitgeteilt, darüber habe die Staatsregierung keine Daten. Gut, man ist geduldig, deswegen habe ich nachgefragt und es wurde mir mitgeteilt, es gebe bei so etwa 6 000 Leistungsempfängern Ungereimtheiten. Dabei ist noch gar nicht klar, worin diese bestehen.
Wir bleiben bei dieser Zahl von 6 000. Wir haben insgesamt in Sachsen etwa 530 000 bis 550 000 von Hartz IV Betroffene. Wenn man dem die 6 000 entgegenhält, dann sind dies sicher zu viele und wir sind gerade auch als
Linksfraktion der Auffassung, man muss sich an Gesetze – ob wir sie gut finden oder nicht – halten; aber wer von einem Massenmissbrauch spricht, der beleidigt die gesamte Schar von Langzeitarbeitslosen, und das lassen wir nicht durchgehen und sprechen es hier öffentlich und deutlich an.
Die dritte Behauptung, man habe nicht mit so vielen Bedarfsgemeinschaften rechnen können: Inzwischen sind es im Bundesdurchschnitt 25 % mehr, als man ursprünglich glaubte.
Ja, wir, Herr Porsch, wir! Aber die damalige Bundesregierung – die heutige ist da nicht besser – hat doch folgenden Trick angewandt: Der damalige Finanzminister wollte unbedingt seinen ohnehin aus den Fugen geratenen Haushalt irgendwie noch zuschnüren – und was hat er gemacht: Er hat einfach eine wesentlich geringere Zahl von Hartz IV betroffenen Bedarfsgemeinschaften in die Statistik hineinmanipuliert. Es war von vornherein völlig klar, dass das nicht aufgehen konnte. Insofern kann man sich doch heute nicht hinstellen und meinen, die Menschen würden sich nur in Bedarfsgemeinschaften melden, weil sie die Gesetze trickhaft ausschöpfen.
Ja, wer ist Herr Beck? Bei dem häufigen Wechsel um den Vorsitz muss man abwarten, was da noch kommt; die Halbwertzeit schein nicht allzu lang zu sein.
Das Vierte: Es wird behauptet, es sei ein Skandal, wenn junge Menschen den elterlichen Haushalt verlassen, obwohl sie das 25. Lebensjahr noch gar nicht vollendet haben. Wo kommen wir denn hin? Wollen wir demnächst, wenn die Kassenlage wieder nicht stimmt, vielleicht noch dazu übergehen, je nach Gutdünken die Altersgrenze derer, die zwangsweise im Elternhaus verbleiben müssen, auf 30 oder 35 zu erhöhen? Das kann es doch nicht sein! Ich sage durchaus polemisch, junge Menschen unter 25 Jahren – ich habe selbst zwei in dem Alter – werden zwar gebraucht, wenn es um Militäreinsätze in Afghanistan, im Kongo oder sonstwo geht, da sind sie mündig, aber wenn es darum geht, einen eigenen Hausstand zu gründen, dann versagt ihnen der Gesetzgeber ein Menschenrecht. Das kann nicht so weitergehen.
Fünftens. Es wird behauptet, wenngleich glücklicherweise nicht vom ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten,
der Regelsatz sei viel zu hoch. Bei ihm, und so scheint es mir, wenn ich die letzten Interviews lese, kommt zu hoher Intelligenz, die ich immer anerkannt habe, nun auch noch Altersweisheit hinzu. Ich meine, wenn beides zusammenkommt, habe ich sogar noch Hoffnung beim gegenwärtigen Ministerpräsidenten, aber möglicherweise gilt das erst, wenn man das Amt abgegeben hat.
Was hat die jüngste Verbraucherstichprobe ergeben, für deren Auswertung man drei Jahre brauchte? Sie hat ergeben, dass der Regelsatz nicht zu hoch ist. 345 Euro sind das absolute Existenzminimum. Man kann sich darüber streiten, ob die Verbraucherstichprobe wirklich auf sinnvollen Kriterien basierte. Wir sehen das zum Teil etwas anders. Aber es wird gesagt, es kann doch nicht sein, dass diese 345 Euro und verschiedene Nebenleistungen zu einem Einkommen führen, das über dem von Menschen liegt, die einer geregelten Arbeit nachgehen, ob als Frisöse oder als Wachmann. Natürlich kann es nicht sein, dass man für geregelte Arbeit in diesem Staat weniger erhält, als wenn man vom Staat gezwungenermaßen alimentiert wird, weil es nicht genügend Arbeitsplätze gibt. Wir brauchen den gesetzlichen Mindestlohn, damit das aufhört.
Sechstens. Viele offerieren uns einen Namen für dieses Gesetz. Nun komme ich auf den Zwischenruf zurück. Ich vergesse das doch nicht. Es wird suggeriert, es würde sich um ein Fortentwicklungsgesetz handeln.
Vorher war man der Meinung, Optimierungsgesetz wäre der richtige Name. Optimierung ist ein Fremdwort, das verstehen vielleicht nicht alle. Fortentwicklung, meint man als Referent, der so etwas schreibt, müsse man verstehen. An die Adresse meines Fraktionsvorsitzenden, der mit diesen Dingen enger vertraut ist, will ich sagen, dass der Begriff Fortentwicklung im deutschen Sprach- und Dialektraum sehr unterschiedlich aufgefasst wird. Im Westen mag man darunter Weiterentwicklung verstehen, in Sachsen heißt das kleine Wort „fort“ „weg“. Wenn wir den Begriff zusammenführen, heißt das Ganze Wegentwicklung. Insofern haben die westdeutschen Referenten des Gesetzes mehr oder weniger unwissend eine Wahrheit ausgesprochen.
Ich darf Ihnen, meine Damen und Herren, deshalb nur empfehlen, unserer Staatsregierung den Auftrag mit nach Berlin zu geben, dieses Fortentwicklungsgesetz am 6. Juli abzulehnen. Es wird so kommen, dass dieses Gesetz genauso scheitert, wie wir es bei Hartz IV erlebt haben.
üblicherweise die „unwillkürliche, durch einen Reiz ausgelöste Bewegung“ verstanden. Jemand reagiert auf ein Ereignis, ohne auf seine Reaktion einen eigenbestimmten Willen ausüben zu können. Die Handlung des Betroffenen ist nicht steuerbar. Bei einem Reflex kann der Betroffene seinen Willen nicht einsetzen.
Meine Damen und Herren, schon beim ersten Lesen des Antrages der Linksfraktion.PDS und auch unter dem Eindruck der Rede von Herrn Dr. Pellmann komme ich nicht umhin, den Antrag wie die Rede als reflexartiges Verhalten zu bezeichnen.
Herr Pellmann, Sie haben überhaupt keine Auseinandersetzung mit dem von Ihnen selbst gestellten Antrag gewagt. Sie haben sich erneut mit einer – ich möchte allerdings sagen – sehr inhaltsdürftigen und substanzlosen versuchten Generalabrechnung befasst. Reflexartig ist bereits die von Ihnen unterstellte Behauptung, die Bundesregierung beabsichtige mit diesem Gesetz eine – Sie haben es so bezeichnet – Verfolgungsbetreuung gegenüber Arbeitslosen aufzubauen. Das ist schlicht und einfach falsch –
(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung – Widerspruch des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)
abgesehen davon, dass die Bundesregierung mit dem Gesetz Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende beabsichtigt, Herr Porsch, das Leistungsrecht zu optimieren, also zu verbessern. Um die Verwaltungspraxis zu verbessern, geht es auch darum, Fälle von Leistungsmissbrauch zu vermeiden. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit dem von Ihnen immer wieder behaupteten Leistungsmissbrauch zu tun. Richtig ist, dass es Leistungsmissbrauch gibt, richtig ist aber auch, dass damit keineswegs alle anderen Betroffenen und schon gar nicht die Leistungsempfänger in irgendeiner Weise diffamiert oder diskreditiert würden.
Meine Damen und Herren! Ich stelle nur fest, von einem angeblichen massiven Leistungsmissbrauch sprechen allein Sie.
Meine Damen und Herren, tatsächlich ist es so, dass bislang eine Statistik über so genannte Betrugsfälle nicht existiert.
Meine Damen und Herren, abgesehen von dem reflexartigen Verhalten, das Sie jetzt noch einmal zeigen, geht es mir nur darum, dass Fälle von Leistungsmissbrauch, soweit sie existieren, schlicht und einfach beseitigt und geahndet werden müssen. Ich rede davon, dass Maßnahmen bedacht werden müssen, wie Leistungsmissbrauch vermieden werden kann. Ich frage Sie nun, meine Damen
Soll das falsch sein? Ist es nicht richtig, wenn beispielsweise Verdachtsfälle auf Leistungsmissbrauch erkannt und beseitigt werden? Ist es falsch, wenn beispielsweise in anderen Staaten der Europäischen Union vorhandenes Vermögen von Antragstellern und Leistungsbeziehern in Form von Konten oder Depots aufgedeckt wird? Ist es nicht richtig, dass dieses Geld, das den Leistungsempfängern zu Unrecht ausgereicht worden ist, den berechtigten Leistungsempfängern zur Verfügung steht? Genau das hat heute auch die „Sächsische Zeitung“ berichtet. Setzen Sie sich bitte auch einmal damit auseinander.
Meine Damen und Herren von der Linksfraktion.PDS, ich stelle fest: Sie wollen dies nicht zur Kenntnis nehmen, im Übrigen ebenso wenig wie die NPD-Fraktion, die morgen bekanntlich dasselbe Thema zu beackern versucht wie Sie. Ich sage Ihnen, Sie machen nichts anderes, als sich vor den Karren von Fällen des Leistungsmissbrauchs und von Betrugstatbeständen zu spannen. Mit Ihrem Antrag wird genau das offensichtlich, und zwar wenn Sie von Verfolgungsbetreuung gegenüber Arbeitslosen fantasieren.
Herr Kollege, kann es sein, dass Sie uns weismachen wollen, dass, wenn es ein Gesetz gibt, es auch noch ein zweites Gesetz geben muss, das die Übertretung des ersten Gesetzes verurteilt und für strafbar erklärt?
Also, Herr Prof. Porsch, ich will Ihnen überhaupt nichts „weismachen“, sondern ich will nur von Tatsachen sprechen, und anders als Sie versuche ich überhaupt nicht zu skandalisieren und schon gar nicht von Verfolgungsbetreuern zu fantasieren. Richtig ist aber auch, dass man bei einem Gesetz, das man einmal auf den Weg gebracht hat, wenn man den Verbesserungsbedarf sieht, auch daran ansetzt. Um nichts anderes geht es.