Protocol of the Session on April 6, 2006

Aber ich würde gern noch einmal auf den Antrag zurückkommen. Wir haben als Freistaat Sachsen eine sehr große Chance, zwei Universitäten in der Spitzengruppe der deutschen Universitäten zu platzieren, und der Antrag soll ein Zeichen für die Deutsche Forschungsgemeinschaft und an den Wissenschaftsrat sein, dass das sächsische Parlament geschlossen hinter den Anträgen steht – nicht mehr und nicht weniger. Es ist keine Debatte zur Hochschulreform, sondern ein politisches Zeichen, das heute von hier ausgesandt werden soll. Deshalb hoffe ich, dass Sie entweder dafür oder dagegen stimmen und sich nicht zieren und der Stimme enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Danke schön. – Damit kommen wir zur Abstimmung, meine verehrten Damen und Herren. Ich stelle die Drucksache 4/4772 zur Abstimmung. Wer der Drucksache seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei einer Gegenstimme und zahlreichen Enthaltungen wurde der Antrag mit übergroßer Mehrheit angenommen und dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 8

Konsequenzen aus den amtlich geduldeten Dioxin-Austritten beim ESF-Stahlwerk in Riesa

Drucksache 4/4767, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Herr Lichdi steht schon für die einbringende Fraktion, die GRÜNEN, auf dem Sprung; danach die gewohnte Reihenfolge. – Bitte, Herr Lichdi.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Vor drei Wochen wurden wir durch die Meldung aufgeschreckt, dass das Stahlwerk Riesa seit 1993 die Grenzwerte für Dioxine und Furane nicht einhält. Kein Geringerer als unser Umweltminister Herr Tillich hat das bestätigt. Ich zitiere: „Der in den Genehmigungsbescheiden festgelegte Emissionsgrenzwert für polychlorierte Dibenzo-p-Dioxine/ polychlorierte Dibenzofurane (PCDD/PCDF) im Abgas des Schornsteins des Elektrostahlwerks wird seit Beginn des Stahlwerksbetriebes nicht eingehalten.“

Lassen Sie mich zunächst auf die Gesundheitsschädlichkeit von Dioxin eingehen.

Dioxine und Furane sind chlororganische Verbindungen, die bei Verbrennungsprozessen entstehen. Sie sind extrem toxisch, ihre Giftwirkung übertrifft Blausäure sowie die Nervengase Sarin und Tabun. Dioxine sind kanzerogen, zu Deutsch krebserzeugend, und führen zu Missbildungen und Tod bei Embryos. Das so genannte Seveso-Dioxin gilt als die toxischste jemals synthetisierte, nicht natürlich vorkommende Substanz.

Dioxine gelangen über die Luft in den Boden und von dort in die Nahrungskette. Der Mensch nimmt sie insbesondere mit Fleisch und Milchprodukten auf. Dioxine lagern sich im fettreichen Gewebe an und werden mit einer Halbwertszeit von sieben bis 20 Jahren abgebaut. – Übrigens, Herr Minister, verdanke ich diese meine Erkenntnisse dem Umweltbundesamt. Dort kann das jeder herunterladen und nachlesen.

Leider ist oft gerade die Muttermilch besonders belastet. In Schweden wird werdenden Müttern empfohlen, nicht mehr als einen Fisch pro Monat aus der Ostsee zu essen, weil die Fische so dioxinbelastet sind. Es existiert kein Schwellenwert, unter dem eine Dioxinaufnahme ungefährlich wäre.

Bevor Sie mir jetzt wie üblich Unsachlichkeit vorwerfen, gestehe ich Ihnen zu, dass die Dioxinemissionen in Sachsen seit 1990 und insbesondere seit 1994 stark zurückgegangen sind. Die verbleibenden Emissionen werden weit überwiegend durch Großfeuerungsanlagen der Stahl-, Eisen- und Metallverarbeitung verursacht, zu denen das Stahlwerk in Riesa gehört.

Wie sieht es nun in Riesa aus? Das Regierungspräsidium Dresden möchte uns weismachen, dass Emissionen ungefährlich seien, weil sie – so wörtlich – „räumlich

verteilt“ und „verdünnt“ würden. Ich finde das schon im Ansatz ungeheuerlich! Grenzwerte sind einzuhalten und basta! Punkt! – Ich finde es schon seltsam, wenn gerade die, die manchen anderen des Öfteren die Duldung „rechtsfreier Räume“ vorwerfen, in diesem Punkt so nachlässig sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Nach der Emissionserklärung des Riesaer Stahlwerkes des Jahres 2004 betrug die Dioxin-Jahresfracht 0,756 Gramm. Dies entspricht nach meiner Rechnung – Sie mögen mich korrigieren – reichlich 1 % der Gesamtjahresemission an Dioxinen in ganz Deutschland! Bereits 1998 hat der 3. Dioxinbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe festgestellt, dass in Riesa – Zitat – „deutliche Belastungswerte“ vorliegen, und zwar nicht in der Emission, sondern in der Immission, im Boden.

Im Übrigen liegen uns Meldungen vor, die besagen, dass die Leberkrebsraten in Riesa signifikant erhöht sind. Wir haben im Statistischen Landesamt nachgefragt und heute die Nachricht erhalten, dass die Brustkrebsraten in Riesa doppelt so hoch sind wie im sächsischen Landesdurchschnitt. Auch der Krebs der Atmungsorgane – gemeint ist offensichtlich Lungenkrebs – ist signifikant erhöht. Ich denke, spätestens dies sollte uns alarmieren und zu denken geben, Herr Staatsminister.

Meine Damen und Herren, es liegen seriöse Daten vor, keine grüne Panikmache, die Sie ja sonst so gerne ausmachen wollen. Ich verlange im Interesse der Anwohnerinnen und Anwohner Aufklärung. Ich verlange Vorsorgeuntersuchungen und eine Gesundheitsberatung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wie ist es nun dazu gekommen? Die Genehmigungsbehörden haben angeblich gehandelt. Sie haben laufend gehandelt. Sie haben seit 1994 nicht weniger als neun Genehmigungen bzw. Änderungsgenehmigungen erteilt, vier nachträgliche Anordnungen getroffen und sogar – man höre und staune! – zwei Stilllegungsanordnungen erlassen, ohne dass seit zwölf Jahren rechtmäßige Verhältnisse eingekehrt wären.

Ich fange einmal an. Es ist sehr hilfreich, sich das zu vergegenwärtigen. Die Genehmigung vom 9. August 1994 setzte für Dioxine und Furane einen Emissionsgrenzwert von 0,1 Nanogramm pro Kubikmeter fest. Damit hätte das Stahlwerk 1993 einen Anteil von sage und schreibe 13 % der gesamten Dioxinemissionen von Elektrostahlwerken in Deutschland gehabt. – Herr Staatsminister, dies ist auch keine grüne Panikmache, sondern dies entnehme ich dem

Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Dresden vom 20. September 2000. Das ist dort auf Seite 16 nachzulesen.

Leider sah sich das Stahlwerk ESF nicht in der Lage, den Grenzwert einzuhalten. Das RP sah nun vier Jahre lang zu, bevor es am 15. Mai 1997 eine Anordnung zur Stilllegung traf. Dabei wurde aber nicht die sofortige Stilllegung angeordnet, sondern es wurden erneut anderthalb Jahre Zeit bis zum 1. November 1998 gewährt.

Nun geschieht etwas Seltsames: Am 7. September 1998, also knapp zwei Monate vor Ende der Stilllegungsfrist, schließt das RP Dresden einen öffentlich-rechtlichen Vertrag mit dem Betreiber. Bemerkenswert an diesem Vertrag ist, dass die Frist zur Einhaltung des Grenzwertes wiederum um ein Jahr, nämlich bis zum 15. Oktober 1999, hinausgeschoben wird. Also, die einzige Neuerung außer einer weiteren Duldung – die wievielte eigentlich? – ist die, dass sich jetzt auch der Betreiber verpflichtet, die Anlage stillzulegen. Noch vor Ablauf der Frist wird dies erneut mit nachträglicher Anordnung bestätigt. Aber wieder passiert nichts.

Dennoch erhält der Betreiber eine Änderungsgenehmigung zur Betriebserweiterung vom 12. November 1999. Aus dem Widerspruchsbescheid vom 20. September 2000 erfahren wir, dass ESF den Grenzwert trotzdem seit nunmehr sieben Jahren nicht einhält. Dennoch gewährt das RP einen weiteren Aufschub bis zum 22. Mai 2001 und gestattet dabei – man höre und staune! – den dreifachen Emissionsgrenzwert.

Die Nebenbestimmung wird wie folgt gefasst – ich zitiere –: „Die Quenche (Sprühkühlung) sowie ihre Einbindung in das Abgassystem des Elektrolichtbogenofens ist innerhalb eines Zeitraums … bis zum 22. Mai 2001 weiter bezüglich ihrer emissionsmindernden Wirkung an PCDD/PCDF-Emissionen zu optimieren mit dem Ziel der dauerhaften und sicheren Einhaltung des oben genannten Emissionsgrenzwertes. Während der Zeit der Optimierung dürfen die Emissionen an PCDD/PCDF 0,30 ng/m³ nicht überschreiten.“

Das geht so munter weiter. Es gibt noch die nachträgliche Anordnung vom 5. März 2004. Dort heißt es – ich zitiere –: „Der Betrieb des Elektrolichtbogenofens ist nur bei bestimmungsgemäß funktionierender Sprühkühlung gestattet. Bei Störung der Sprühkühlung (Quenche) ist der Betrieb einzustellen.“

Trotz dieser Gruselgeschichte an Endlosduldungen kündigt das RP – und das schlägt in meinen Augen dem Fass den Boden aus – per Pressemitteilung vom 22. März 2006 ungerührt an, die Grenzwertüberschreitung bis Herbst 2006 weiter dulden zu wollen.

Meine Damen und Herren, ich sage es Ihnen ganz klar, auch wenn Sie gleich über mich herfallen werden: Ich halte dies für einen ausgemachten Skandal und für eine Schweinerei!

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Alexander Delle, NPD)

Ich möchte das hier in aller Deutlichkeit auch so scharf ausdrücken. Ich sage Ihnen: Die sächsischen Umweltbehörden haben hier ihre Pflichten in grober Weise verletzt.

Wir fordern mit unserem Antrag von der Staatsregierung: erstens unverzügliche Gewährleistung der Einhaltung der Dioxingrenzwerte im Stahlwerk Riesa; zweitens Einrichtung eines wirksamen Dioxinmess- und -kontrollregimes; drittens Immissionsmessungen der Dioxindepositionen im Boden; viertens unverzügliche Beseitigung der Belastungen; fünftens Gesundheitsuntersuchungen; sechstens Überprüfung und Beendigung der Praxis der Endlosduldungen.

Die über zwölfjährige Duldung eines rechtswidrigen Zustandes kann nicht mit dem Versagen bestimmter Mitarbeiter erklärt werden. Offensichtlich, Herr Staatsminister, gibt es offizielle oder inoffizielle Weisungen oder eine gewisse Behördenübung, die eine Stilllegung oder die energische Rechtsdurchsetzung bei Industrieanlagen verhindern. Dies ist offen zu legen. Ich fordere Sie auf, diesen Verwaltungsvollzug zu verändern.

Ich sage Ihnen auch: Für mich ist es nicht vorstellbar, dass derart weit reichende Entscheidungen auf Sachbearbeiterebene im Regierungspräsidium getroffen werden. Wenn es so wäre, wäre es noch schlimmer.

(Beifall der Abg. Caren Lay, Linksfraktion.PDS)

Daher ist zu klären, welche Personen und welche Funktionen auf den Leitungsebenen des Regierungspräsidiums und des SMUL von dem Vorgang Kenntnis hatten oder Weisungen erteilt haben.

Herr Lichdi, die Redezeit Ihrer Fraktion ist um!

Dazu möchten wir Aufklärung. Wenn Sie diese Aufklärung nicht leisten, werden wir sie uns über Kleine Anfragen holen. Sie können sicher sein, dass wir hier hart bleiben und weiter nachsetzen werden. Stimmen Sie unserem Antrag zu!

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die CDUFraktion Herr Prof. Dr. Mannsfeld; bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sollte eine große Horrorshow werden: die Nachricht von den zeitweiligen Überschreitungen der Dioxinkonzentration an der Emissionsquelle der Elbestahlwerke Feralpi in Riesa. Jetzt eben haben wir ja einen kleinen Eindruck von diesem inszenierten Vorgehen erhalten.

Herr Prof. Dr. Mannsfeld, gestatten Sie schon eine Zwischenfrage?

Ich habe ja noch gar keinen Satz gesagt, zu dem nachgefragt werden könnte. Kollege Lichdi bleibt bestimmt dort stehen und dann kommt er auch zu seinem Recht.

Aber bei allem Respekt – und das betone ich und möchte bitten, dass das auch zur Kenntnis genommen wird – vor einer parlamentarischen Initiative mit der Absicht mitzuhelfen, die Grenzwerte der TA Luft einzuhalten, also dass dieser Vorgang von uns durchaus für berechtigt und wie auch immer eingeschätzt wird, ist letztendlich die gesamte Debatte nahe daran, wie eine Seifenblase zu zerplatzen. Das beginnt schon mit dem Titel des Antrags, meine sehr verehrten Damen und Herren. Was ist ein „amtlich geduldeter Dioxin-Ausstoß“? Da nun in der Abluft eines Stahlwerkes immer Dioxine und Furane vorkommen, hat selbstredend die immissionsschutzrechtliche Betriebsgenehmigung von 1994 eine, wenn Sie das so wollen, amtliche Duldung gehabt.

Was die Fraktion der GRÜNEN offensichtlich gemeint hat – und der Kollege Lichdi hat dabei auch ausreichend sein Temperament bemüht, uns das darzulegen –, sind zeitweilige Grenzwertüberschreitungen und diese sind – im Gegensatz zu den Behauptungen, die wir hier gehört haben und welche die Linksfraktion.PDS noch schnell mit einer Pressemitteilung vom 22. März nachlegte – eben nicht amtlich geduldet worden. Vielmehr wurden über einen längeren Zeitraum notwendige Maßnahmen zur Reduzierung der Immissionsgrenzwertüberschreitungen eingeleitet und auch kontrolliert. Wir hörten schon von einigen dieser Maßnahmen.

(Johannes Lichdi, GRÜNE, steht am Mikrofon.)