Protocol of the Session on March 16, 2006

Ich bitte Sie einfach, auf Ihren Antrag zu verzichten. Wir haben heute den ersten Schritt getan, indem wir die Staatsregierung bitten, auf diese Fragen zu antworten. Ich würde Sie wirklich bitten, die Justiz in ihrer Tätigkeit jetzt nicht zu überlasten. Wir sollten eines klarstellen: Die Aufgabe, die Jugendkriminalität einzudämmen, ist viel wichtiger, als uns jetzt Zahlen zu liefern. International können wir alles über den Computer abfragen, können wir selbst vergleichen. Bitte, die praktische Arbeit ist wichtiger als jetzt nur Antworten für uns zu finden.

Deshalb wird meine Fraktion, werden die Koalitionsfraktionen dem Antrag nicht zustimmen.

Für die Linksfraktion.PDS Herr Abg. Bartl.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Das Anliegen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützen wir an sich uneingeschränkt.

Im Prinzip brauchen wir normalerweise, wenn wir den neuen Ansatz, den wir dem Antrag von CDU und SPD entnehmen, tatsächlich wagen wollen, die Basisziffern, die Ausgangspunkte, die die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit dem erstem und dem zweitem Anstrich von der Staatsregierung abfragen will.

Allerdings ist es tatsächlich folgendermaßen: Wenn wir in diesem Hause eine Anfrage stellen, die zum Beispiel in die Frage hineinreicht, welche Sanktionen im Jugendstrafverfahren verhängt worden sind, hat das zur Konsequenz, dass sich in Chemnitz der Jugendstaatsanwalt hinsetzt – oder drei, je nachdem, wie umfänglich es ist – und dann eine Woche nicht dazu kommt, zur Verhandlung zu gehen, weil er jetzt die Akten einstrichelt und sagt: Da gab es das, da gab es das und das. – Das ist so. Man wird

dann, wenn man ihn irgendwo auf dem Gang trifft, auch belegt und er sagt: Wir hätten vorige Woche schon verhandeln können, ich saß aber über eurer Kleinen Anfrage.

Insofern gebe ich zu, dass bei dem Aufwand, der in den Anstrichen 1 und 2 steckt, im Verhältnis zu dem, was wir damit bewirken wollen, „verhältnismäßig“ tangiert wird. Es wäre besser, wir hätten eine wissenschaftliche Kriminalitätsforschung, die Derartiges im Ministerium erheben würde. Das wäre das Beste. Das sollte man sich überlegen und darüber müsste man nachdenken. Aber wie es im Moment eingerichtet ist und bei der zeitnahen Verfügbarkeit der Sache hätten wir jetzt praktisch die genannte Konsequenz.

Der dritte Anstrich ist mit diesem Aufwand nicht verbunden. Das ist eine ganz wesentliche Frage. Der dritte Anstrich fragt nach der Problematik der Aufbringung der Mittel für die ambulante Betreuung. Da ist die Not: Ein nicht geringer Prozentsatz unserer jugendlichen Straftäter kommt in den Vollzug, weil irgendeine Betäubungsmittelabhängigkeit besteht, sehr oft auch bei ganz normalen Eigentumsdelikten, weil es Beschaffungskriminalität ist.

Das Problem ist normalerweise Folgendes: Diese jugendlichen Straftäter kann man zwei oder drei Jahre lang verwahren, man hat zwar einen kalten Entzug, aber es bringt nichts. Bevor man sie in eine Therapie bekommt, steht das Problem, dass man über Monate treppauf, treppab läuft, um die Finanzierung zu klären, und dass sich dann tatsächlich die Vereine, die sich darum kümmern, hoch verdient machen, aber ein bestimmter Prozentsatz derjenigen, die nicht krankenversichert sind etc. pp., dennoch nicht in die Therapie hineinkommt. Das ist ein maßgeblicher Aspekt, bei dem wir auch wesentlich Prävention betreiben können. Insofern denke ich, der letzte Anstrich ist nicht mit Aufwand verbunden. Er enthält einfach eine Frage, die sich über Land/Kommune sehr schnell recherchieren lässt, und er würde uns in dieser Frage einen wesentlichen Ansatz bringen.

Wir bitten, über den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach den Anstrichen getrennt abzustimmen.

Gibt es dazu weitere Redewünsche? – Das ist nicht der Fall.

Dann, meine Damen und Herren, kommen wir zur Abstimmung. Es ist von der Linksfraktion.PDS beantragt worden, über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Drucksache 4/4633 punktweise abzustimmen.

Ich rufe den Punkt 1 dieses Antrags auf. Wer diesem Punkt zustimmen kann, den bitte ich um sein Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei Stimmenthaltungen und Stimmen dafür ist dieser Punkt 1 mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich rufe den Punkt 2 auf. Wer dem zustimmen kann, den bitte ich um sein Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Gleiches Stimmverhal

ten. Dem Punkt 2 ist mehrheitlich nicht zugestimmt worden.

Ich rufe den Punkt 3 auf. Wer kann diesem zustimmen? – Danke. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Bei einigen Stimmenthaltungen und einer größeren Anzahl von Dafür-Stimmen ist der Punkt 3 dennoch mehrheitlich abgelehnt worden.

Damit ist der gesamte Änderungsantrag abgelehnt worden.

Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung über den Ursprungsantrag in der Drucksache 4/4544 und ich bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Danke schön. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei Stimmenthaltungen, ohne Gegenstimmen ist dieser Antrag mehrheitlich beschlossen worden. Damit können wir den Tagesordnungspunkt beenden.

Erklärung zu Protokoll

Den vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen begrüße ich. Er trägt der außerordentlichen Bedeutung einer schnellen und effektiven Umsetzung der in Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende getroffenen Entscheidungen Rechnung. Selbstverständlich wird die Staatsregierung zu den einzelnen Punkten des Antrages detailliert berichten. Gestatten Sie mir jedoch vorab einige Worte.

Stärker noch als im allgemeinen Strafrecht gilt die Regel, dass die Sanktion der Tat „auf dem Fuße“ folgen muss. Insbesondere die mit den so genannten Zuchtmitteln oder Erziehungsmaßregeln, also den Sanktionen unterhalb der Schwelle einer Jugendstrafe, angestrebte Wirkung kann nur dann erreicht werden, wenn die Zeit zwischen Straftat und vollzogener Sanktion möglichst kurz ist. Der berühmte „Schuss vor den Bug“ wirkt nur sofort oder gar nicht mehr.

Eine zeitnahe Vollstreckung, insbesondere des Jugendarrestes, ist daher seit jeher unser Anliegen. Durch die zusätzliche Einrichtung von Jugendarrestabteilungen mit jeweils 16 Plätzen in den Justizvollzugsanstalten Dresden im Jahr 2000 und in Bautzen im Jahr 2005 konnte das Kontingent auf insgesamt 52 Plätze erweitert und so eine Verkürzung der Wartezeit bis zum Arrestantritt bewirkt werden. Eine verbesserte Abstimmung zwischen den Justizvollzugsanstalten und den Vollzugsleitern – das sind die Jugendrichter – hat gleichfalls zur Beschleunigung der Arrestvollstreckung beigetragen. Die Zeit zwischen Rechtskraft und Verurteilung und Arrestantritt beträgt gegenwärtig etwa acht Wochen.

Ursache für diese – nach meiner Ansicht immer noch zu lange – Wartezeit ist unter anderem die noch nicht ausreichende Anzahl von Arrestplätzen im Freistaat Sachsen. Eine schnellere Vollstreckung ist nach der Erweiterung dieser Kapazität möglich. In der im Bau befindlichen Jugendstrafanstalt Regis-Breitingen könnten in relativ kurzer Zeit zirka 50 zusätzliche Arrestplätze geschaffen werden. Mit Blick auf die demografische Entwicklung hat das Sächsische Staatsministerium der Justiz eine solche Baumaßnahme bisher nicht forciert. Sollte der Bedarf an Jugendarrestplätzen allerdings gleich bleiben oder gar steigen, würden wir gegensteuern.

Die von Jugendrichtern angeordnete gemeinnützige Arbeit ist eine der am häufigsten verhängten Sanktionen im Jugendstrafrecht. In der Regel werden die Arbeitsleistungen in gemeinnützigen Einrichtungen in kommunaler, freier oder privater Trägerschaft erbracht. Eine Erweiterung der Ableistungsmöglichkeiten auf Wirtschaft, Handel und Handwerk ist wünschenswert.

Ein schnelles Arbeitsangebot bedarf hier einer noch engeren Zusammenarbeit der Jugendgerichtshilfe mit der Wirtschaft und den freien Trägern, denn in der Praxis hat die Jugendgerichtshilfe zunehmend Schwierigkeiten, geeignete Ableistungsstellen zu finden. Diese ergeben sich zum einen daraus, dass eine fachliche Betreuung des Jugendlichen notwendig ist, die momentan unentgeltlich vom Träger geleistet wird; zum anderen macht sich die allgemeine Arbeitsmarktsituation bemerkbar.

Die Vollstreckung von Sanktionen im Jugendstrafrecht müssen wir beschleunigen und so gestalten, dass eine intensive und erzieherisch wirksame Betreuung erreicht wird. Sachsen hat dies frühzeitig erkannt und als erstes Bundesland eine Jugendsozialtherapie eingerichtet. Mit ihren 37 Plätzen ist sie die zweitgrößte im Bundesgebiet.

Ich möchte auch darauf verweisen, dass wir innovative Wege beispielsweise mit der Integration von Therapie in die Behandlungsmaßnahmen gehen. Darüber hinaus bieten wir den Jugendlichen eine Berufsausbildung in modularer Form an. So können sie auch bei einer kürzeren Haftzeit eine Berufsausbildung beginnen, die Module Schritt für Schritt abschließen und nach der Entlassung weiter fortsetzen.

Hat der Jugendrichter auf eine Jugendstrafe erkannt, dann ist die intensive Behandlung und Betreuung der Verurteilten während der Haft unverzichtbar. Über die Haftzeit hinaus muss ein den Jugendlichen unterstützendes Netzwerk entstehen. Dieses muss neben Jugendstrafvollzug, Jugendgerichtshilfe und Sozialem Dienst der Justiz auch die Institutsambulanzen insbesondere für alkoholabhängige, psychisch kranke oder sexuell auffällige Jugendliche einbinden.

In diesem Bereich geht das SMJus mit dem Projekt „Durchgehende Betreuung“ bereits einen ersten wichtigen Schritt. Dieses Vorhaben begründet eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Sozialdienst des Justizvollzuges und

der Bewährungshilfe mit dem Ziel, Doppelarbeit zu vermeiden und eine effektive Kommunikation zu gewährleisten. Die Einbeziehung des Jugendvollzugs und die Einbindung der Jugendgerichtshilfe sind geboten. Dafür entstehen mit dem Neubau der Jugendstrafanstalt RegisBreitingen konzeptionelle Freiräume. Eine intensive Betreuung durch Menschen, die den Jugendlichen über

längere Zeit kennen gelernt haben, ist ganz besonders für die Vorbereitung der Entlassung in der Phase der „Abkopplung“ vom Jugendvollzug wichtig.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 5

Aufforderung an den Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen zur Abgabe einer Regierungserklärung über die Auswirkungen der Föderalismusreform auf den Freistaat Sachsen

Drucksache 4/4119, Antrag der Linksfraktion.PDS

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: als Einreicherin die Linksfraktion.PDS, dann CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung.

Ich erteile der einreichenden Fraktion das Wort. Herr Abg. Dr. Friedrich.

(Präsidentenwechsel)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Am 10. März dieses Jahres ist im Bundestag und im Bundesrat das Gesetzgebungsverfahren für die Föderalismusreform, oft auch Bundesstaatsreform genannt, gestartet. Nur drei Stunden waren für die 1. Lesung der bisher umfangreichsten Änderung des Grundgesetzes in der Geschichte der Bundesrepublik – immerhin sollen 19 Artikel geändert, zwei gestrichen und vier hinzugefügt werden – vorgesehen. Ein dazugehöriges Föderalismusreformbegleitgesetz sieht die Änderung von weiteren insgesamt 21 Bundesgesetzen vor.

Mehr als genug Stoff also für Debatten, so sollte man meinen, zumal „die Mutter aller Reformen“ – das hat Edmund Stoiber gesagt – die Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern völlig neu ordnen, für klare, auch für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbare Zuständigkeiten sorgen – –

Herr Abg. Friedrich, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

– und bisherige Blockaden aufbrechen soll. – Wenn mein Satz zu Ende ist, ja.

Bitte schön, Kollege Prof. Porsch.

Herr Kollege Friedrich, halten Sie es der Würde des Hauses angemessen, dass aus Anlass der Forderung einer Fraktion, und zwar der zweitgrößten Fraktion im Haus, nach einer Regierungserklärung von der Regierung einzig und allein der Leiter der Staatskanzlei anwesend ist?

Selbstverständlich halte ich das nicht für angemessen und es gibt verschiedene parlamentarische Möglichkeiten in der Geschäftsordnung, über die man nachdenken könnte.

Ich schließe nicht aus – ich bin ein notorischer Optimist –: Es könnte sein, dass sich die Plätze der Ministerriege im Verlauf der Debatte etwas füllen und wir vielleicht doch noch die erbetene Regierungserklärung bekommen. Angemessen ist es mit Sicherheit nicht, weil das Thema ausdrücklich jedes Fachministerium angehen sollte, und zwar aus folgendem Grund: Es mehren sich die Zeichen, dass die „Mutter aller Reformen“ zur „Mutter allen Murkses“ mutieren könnte. Das hat der GRÜNENGeschäftsführer Volker Beck gesagt. Immer mehr Politiker und Fachexperten warnen davor, die Verfassungsreform als ein reines Prestigeobjekt der Berliner Koalition nur um ihrer selbst willen und noch dazu in einem wahren Schweinsgalopp durchzudrücken, weil dabei wesentliche Inhalte unter die Räder kommen. – Ich komme im zweiten Teil meines Redebeitrages darauf zurück.

In dieser Situation – so sollte man jedenfalls meinen – müsste doch die ergebnisoffene parlamentarische Debatte dieses hoch komplizierten Vorhabens einschließlich entsprechender Expertenanhörungen quer über alle betroffenen Politikfelder das Allerwichtigste sein. Ich sage noch einmal: Es gibt kein Politikfeld, das nicht davon betroffen wäre.

Doch Fehlanzeige! Kaum war die mühsame Einigung zwischen den Koalitionsfraktionen und den Länderfürsten Mitte Februar zustande gekommen, beeilten sich die Spitzen der Koalition – angefangen von der Bundeskanzlerin über die Verhandlungsführer Stoiber und Müntefering bis hin zum CDU-Fraktionsvorsitzenden Kauder – in einer wahren Basta-Politik. Ex-Kanzler Schröder hätte es nicht besser gekonnt. Um Gottes willen dürfe das mühsam geschnürte Gesetzespaket ja nicht wieder aufgeschnürt werden. Der mühsam ausgehandelte Kompromiss zwischen Bund und Ministerpräsidenten, dem die entsprechenden Vorschläge im Anhang der Koalitionsvereinbarung zugrunde liegen, die wiederum auf den Vorschlägen der 38-köpfigen Bundesstaatskommission beruhen,

dürfe nicht wieder aufgedröselt werden, solle es zu einem Erfolg dieses Jahrhundertwerkes kommen.

Leider haben auch Sie sich, Herr Ministerpräsident Milbradt, sofort in den Chor dieser Basta-Sager eingereiht.