Protocol of the Session on March 16, 2006

formellen Erledigung in Verfahren deutlich überlegen ist und ambulante Sanktionen effektiver als stationäre Sanktionen arbeiten. Hierzu wurde bereits mehrfach angesprochen, dass die Insassen von Jugendstrafanstalten hinterher eine wesentlich höhere Rückfallquote zu verzeichnen haben als die Teilnehmer an ambulanten Programmen.

Es gibt auch Vergleichsstudien auf internationaler Ebene, insbesondere die Komiteeempfehlungen der EU-Justizminister zum Umgang mit Jugenddelinquenz, die hier nur angeführt sein sollen. Es geht auch um die Beschleunigung der Vollstreckung, meine Damen und Herren. Hier geht es ebenfalls um Modelle, bei denen sich die Staatsregierung umschauen kann. Insbesondere zu nennen sind dabei die Varianten, mit denen Verfahren in BadenWürttemberg durch die räumliche und organisatorische Zusammenfassung der am Jugendstrafvollzug beteiligten Stellen beschleunigt wurden.

Wir begrüßen diesen Antrag. Gleichzeitig rufen wir die Staatsregierung auf: Warten Sie nicht allzu lange. Prüfen Sie die Haftpflichtversicherungsfragen im Detail, aber lassen Sie sich nicht davon abhalten, die großen Grundlinien, die Rahmenbedingungen des Jugendstrafvollzuges, zu ordnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Frau Herrmann von der Fraktion der GRÜNEN hat das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anfang Februar dieses Jahres polterte der Hamburger Justizsenator Roger Kusch mit der wohl durchdachten Forderung in die Öffentlichkeit, kurzerhand einmal das Jugendstrafrecht abzuschaffen. Leider wird das öffentliche Bild von Kriminalität eher von solch medienwirksamen Äußerungen und zweifelhaftem Schlagabtausch als von inhaltlichen Diskussionen geprägt. Trotzdem wird an diesem realitätsfernen Bild festgehalten, dem Bild, dass Mord und Totschlag zunehmen, die Täter immer brutaler und jünger werden. Folgerichtig kann es für manchen nur einen Ausweg geben: die Verschärfung des Strafrechts, der Warnschussarrest für Jugendliche und die Abschaffung des Erziehungsgedankens im Jugendstrafrecht.

Für unsere Fraktion ist der Antrag der Koalition, der heute vorliegt, ein Versuch – ich zitiere –: „ein an den modernen Erziehungsgrundsätzen orientiertes Jugendstrafrecht zu stärken“. Deshalb kann der Antrag zur Versachlichung der Debatte beitragen. Wir begrüßen die angestrebte Verbesserung beim Vollzug von Sanktionen als ersten Schritt.

Herr Bartl hat in diesem Zusammenhang bereits Anmerkungen zu Sanktionen gemacht. Zielrichtung des Jugendstrafrechts ist die Erziehung der Jugendlichen und Heranwachsenden, um weitere Straftaten zu verhindern. Strafe steht also nicht im Vordergrund. Ganz konkret geht es um ambulante Maßnahmen, wie zum Beispiel soziale

Trainingskurse, Täter-Opfer-Ausgleich und Erziehungsbeistandschaft, sowie um stationäre Maßnahmen: Jugendarrest, Erziehungshilfe und Jugendstrafe.

Heute wird nach jahrelangen Diskussionen in Wissenschaft und Rechtsprechung überwiegend die Meinung vertreten: Ziel des Jugendstrafvollzuges ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als die zukünftige Bewährung in der Legalität.

Wir müssen den erzieherischen Ansatz des Jugendstrafrechts stärken. Warum? Längsschnittuntersuchungen zum Einfluss einer Haftstrafe auf die Lebensgeschichte von Jugendlichen bestätigen die Untersuchungen zur Wiederholungsquote. Die zu einer Haftstrafe – dies wurde bereits gesagt – verurteilten Jugendlichen weisen ein erhöhtes Wiederholungsrisiko auf. Bei den zu Bewährungsstrafen Verurteilten dagegen sinkt dieses Risiko deutlich.

Für die allermeisten Jugendlichen bleibt die Straffälligkeit ein einmaliges Ereignis in einer häufig turbulenten Lebensphase. Eine Haftstrafe dagegen kann der Beginn einer kriminellen Karriere sein – natürlich nicht zwangsläufig. Unter den Bedingungen des Freiheitsentzuges ist Erziehung zwar schwierig, aber nicht unmöglich. Dazu brauchen wir in Sachsen jedoch dringend ein pädagogisches, erfahrungsgeleitetes Grundkonzept, denn der Haftalltag steht häufig im Widerspruch zum Erziehungsgedanken. Nicht die Kompetenzgewinnung der Jugendlichen oder eine selbstverantwortliche Lebensführung stehen im Vordergrund, sondern das Erreichen von Disziplin durch willkürliche Maßnahmen.

Für den Vollzugsalltag mag das positiv sein, für das Leben nach dem JVA-Aufenthalt dürfte es eher schaden. Der Görlitzer Gefängnisseelsorger Diedrich Immer bringt es in einem Zeitungsbericht auf den Punkt: „Sein Leben eigenverantwortlich gestalten lernt hier niemand.“

Was müssen wir also in Zukunft verbessern? Wir brauchen in einem Land mit stetig sinkender Bevölkerung keine zusätzlichen Haftplätze, sondern mehr Trainings- und Beratungsangebote, die helfen, den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden. Die JVAs in Zeithain und Zwickau, zukünftig in Regis-Breitingen, benötigen mehr Freiräume und Ressourcen für die pädagogisch sinnvolle Gestaltung des Haftalltages.

Der entscheidende Punkt ist aber – Herr Dr. Martens ist darauf schon eingegangen –, dass in Sachsen wie auch in anderen Bundesländern der Jugendstrafvollzug ohne gesetzliche Grundlage durchgeführt wird. Der Freistaat muss sich deshalb auf Bundesebene für ein eigenständiges Jugendstrafvollzugsgesetz einsetzen, das den Erziehungs- und Fördergedanken des Vollzugs endlich einheitlich regelt und auf einen verfassungskonformen Boden stellt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Letztlich kommen wir in der Verbesserung des Vollzugs bei der Jugendstrafe nur dann voran, wenn wir uns für ein bundeseinheitliches Jugendstrafvollzugsgesetz einsetzen. Vor dem Bundesverfassungsgericht wird derzeit eine Verfassungsbeschwerde eines jugendlichen Inhaftierten

verhandelt. In wenigen Monaten wird sich entscheiden, ob eine spezielle gesetzliche Grundlage für den Jugendstrafvollzug verfassungsrechtlich erforderlich ist. Sinnvoll ist sie schon jetzt und die GRÜNEN setzen sich auch schon lange dafür ein.

Vor diesem Hintergrund lehnen wir den Vorstoß von Justizminister Geert Mackenroth strikt ab, sich im Rahmen einer Föderalismusreform für die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug vom Bund auf die Länder einzusetzen.

Der vorliegende Antrag ist ein kleiner, aber richtiger Schritt in eine richtige Richtung. Wir werden ihm zustimmen und einen eigenen Änderungsantrag dazu stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Gibt es aus den Fraktionen noch Redewünsche? – Von der Staatsregierung? – Herr Staatsminister Winkler.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte meinen Kollegen Geert Mackenroth vertreten und mich zu Beginn meiner Ausführungen gleich freuen, dass es, was das Grundanliegen betrifft, weitestgehende Einigkeit in den Fraktionen gibt. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir gerade bei Jugendlichen und Heranwachsenden darauf achten, dass schnell und eben auch effektiv reagiert wird. Das heißt, dass die Sanktion der Tat wirklich auf dem Fuße folgen muss. Dann wirkt sie auch besser. Genauso wichtig ist es jedoch, eine intensive und vor allem erzieherisch wirksame Betreuung zu erreichen.

Ich möchte sagen, dass ich den Ausführungen besonders der Abg. Schiemann und Bräunig nichts weiter hinzuzufügen habe. Die Staatsregierung wird detailliert zu den einzelnen Punkten berichten. Ich möchte deshalb die weiteren Ausführungen zu Protokoll geben. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. – Wenn es keinen weiteren Redebedarf gibt, kommen wir zum Schlusswort: Herr Schiemann für die Koalitionsfraktionen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch heute dürfte eine vor 400 Jahren in Shakespeares „Wintermärchen“ durch den alten Schäfer vorgetragene Klage an Bedeutung nicht verloren haben: „Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen zehn und 23 Jahren oder die Jungen verschliefen die ganze Zeit; denn dazwischen ist nichts als die Älteren Ärgern, Stehlen und Balgen.“ Das hat der alte Schäfer vor 400 Jahren von Shakespeare im „Wintermärchen“ in den Mund gelegt bekommen.

Was können wir darauf antworten? Nur gut, dass alle Mitglieder dieses Hohen Hauses sagen können: Wir sind

auch einmal zehn und später 23 Jahre alt gewesen, wir haben diese Zeit auch erlebt. Es ist gut, dass wir diese Zeit erlebt haben, und ich glaube, es ist auch gut, dass Jugendliche diese Zeit mit den entsprechenden Erfahrungen erleben. Nur eine Erfahrung sollen sie nicht machen: Sie sollten sich nicht in das Milieu der Kriminalität begeben. Das sollte die Grenze sein. Das sollte das Plädoyer auch an die sächsischen Jugendlichen sein: Die Grenze zur Kriminalität sollte nicht überschritten werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bedanke mich für die Debatte, schließt sie sich doch an die Debatten an, die wir Jahre zuvor zu diesen Themen geführt haben. Ich erinnere mich daran, dass die SPD-Fraktion vor Jahren eine Initiative in den Sächsischen Landtag eingebracht hat. Ebenso erinnere ich mich an Initiativen unserer Fraktion und anderer Fraktionen.

Bleibt für mich noch festzustellen, dass es wichtig ist zu wissen, dass all die Aufgaben, die heute auch angesprochen worden sind, nicht nur Aufgaben von Justiz und Polizei sind. Die Justiz ist nicht Reparaturbetrieb der Gesellschaft. Für Fehler, die in der Gesellschaft entstehen, für Verfehlungen Einzelner kann die Justiz nicht der Korrekturbetrieb sein. Deshalb werden, glaube ich, auch weiterhin mehr Kräfte nötig sein. Es ist der Bereich des Sozialministeriums, es ist die Schule, die einen ganz wichtigen Beitrag zur Prägung Jugendlicher leistet.

Ich habe von Vorbildern gesprochen. Ich kann mich auch an Lehrer erinnern, die mir nicht gepasst haben, die mir aber dennoch zum Vorbild geworden sind. Ich würde mir wünschen, dass viele Schüler auch von ihren Lehrern sagen können: Das ist ein gutes Vorbild; an dem will ich mich orientieren. – Die Schule hat einen ganz wichtigen Beitrag zu leisten.

(Beifall des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Ich glaube aber auch, die kommunale Ebene sollte ihre Verantwortung wahrnehmen, um Jugendlichen den Raum und die Grenzen zu geben, aber besonders den Raum und die Begleitung der Erwachsenen, um Kriminalität zu verhindern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bedanke mich ganz herzlich für die Debatte und würde mich freuen, wenn Sie dem Antrag zustimmen würden.

(Beifall bei der CDU und der SPD sowie des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS)

Meine Damen und Herren! Zur Drucksache 4/4544 liegt Ihnen in der Drucksache 4/4633 ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor. Wer möchte diesen Antrag einbringen? – Frau Herrmann.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns dafür entschieden, einen Änderungsantrag einzubringen, um konstruktiv mit der Koalition auf Verbesserungen im Vollzug der im Jugendstrafrecht verhängten Sanktionen hinzuwirken.

Zu den ersten beiden Punkten unseres Änderungsantrages: Sie wollen Vollzugskonzepte überprüfen. Dazu müssen Sie erst einmal analysieren, welche ambulanten und stationären Maßnahmen Richter und Richterinnen bei welchen Straftaten im bundesweiten Vergleich und im Vergleich zu anderen OECD-Staaten verhängen und wie die Wiederholungsquote aussieht. Letztlich kann nur so ein vernünftiger Vergleich zustande kommen. Bis 2002 haben wir aufgrund einer Großen Anfrage der PDS einige Daten vorliegen. Ab 2002 benötigen wir diese noch, und zwar differenziert nach Alter, Geschlecht, Migrationshintergrund und Bildung.

Warum wollen wir diese detaillierten Angaben, warum haben wir dieses Auskunftsersuchen? Zum einen: Der Trend geht jüngeren Forschungen zufolge zu mehr Jugendstrafe ohne Bewährung, obwohl kein Anstieg der Straftaten, der diesem Verhältnis entspräche, zu verzeichnen ist. Zum anderen: Bei uns im Freistaat hat ein Jugendlicher eine sehr viel höhere Chance, zu einer Strafe ohne Bewährung verurteilt zu werden, als zum Beispiel in Rheinland-Pfalz – und das trotz der hohen Wiederholungsquote, die der Strafvollzug ohne Bewährung mit sich bringt.

Dieses Beispiel soll erläutern, wie wichtig es ist, differenzierte Daten zu erheben und dem Parlament vorzulegen. Wir müssen also auch fragen, ob es eventuell in der Jugendrichterschaft Schulungsbedarf gibt usw.

Zu Punkt 3 des Änderungsantrages: Obwohl ambulante Maßnahmen wie soziale Trainingskurse höhere Erfolge dahin gehend erzielen, dass Jugendliche in der Legalität bestehen, werden immer häufiger Arrest und Jugendstrafvollzug verhängt – und dies, obwohl der Jugendstrafvollzug eigentlich die Ultima Ratio sein müsste, da sich kriminelle Karrieren zumeist eher im Jugendknast als im sozialen Trainingskurs bilden.

Nun ist es so, dass die Finanzierung der ambulanten Maßnahmen alles andere als geklärt ist. Die Länder ziehen sich immer mehr aus ihrer Finanzierungsverantwortung zurück, die Kommunen sind in finanziellen Zwängen. Es macht eben einen Unterschied, ob in einem sozialen Trainingskurs fünf oder 20 Jugendliche geschult werden und ob sich ihre Betreuer und Betreuerinnen in prekären Arbeitsverhältnissen bewegen. Sollte dies auch in Sachsen der Fall sein, haben wir als Parlament die Aufgabe, darauf Einfluss zu nehmen.

Zum Schluss: Wenn wir uns für eine Verbesserung des Vollzugs der ambulanten und stationären Maßnahmen im Jugendstrafvollzug einsetzen wollen, müssen wir genaue Kenntnisse haben. Hierzu gehören die Fragen, welche Maßnahmen bei welchen Straftaten verhängt werden, wie diese finanziert werden und welche Problempunkte dort auftreten.

Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. René Fröhlich, Linksfraktion.PDS)

Gibt es Aussprachebedarf dazu? – Herr Abg. Schiemann, CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben uns den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN angeschaut und ich möchte darauf verweisen, dass wir gemeinsam mit der SPD-Fraktion im Vorfeld auch über eine Erweiterung unseres eigentlichen Antrages nachgedacht haben. Wir haben darauf verzichtet, das Justizministerium, aber auch die Polizei mit Mehraufwand zu belasten. Ich verweise dabei auf einen Antrag, der von der Staatsregierung am 10. Mai 2004 im 3. Sächsischen Landtag beantwortet worden ist.

Damals hat schon einmal eine Gruppe von Mitgliedern des Landtages Anfragen gestellt und ich verweise darauf, dass entsprechend der damaligen Antwort davon auszugehen war, dass 90 000 bis 100 000 Akten einzusehen gewesen wären. Diese Akten wären zu Vergleichen auszuwerten gewesen. Jetzt nehmen Sie noch die internationalen Akten hinzu. Es wären nach damaliger Prognose über 6 000 Stunden nötig gewesen, um ein Material liefern zu können.

Ich bitte Sie einfach, auf Ihren Antrag zu verzichten. Wir haben heute den ersten Schritt getan, indem wir die Staatsregierung bitten, auf diese Fragen zu antworten. Ich würde Sie wirklich bitten, die Justiz in ihrer Tätigkeit jetzt nicht zu überlasten. Wir sollten eines klarstellen: Die Aufgabe, die Jugendkriminalität einzudämmen, ist viel wichtiger, als uns jetzt Zahlen zu liefern. International können wir alles über den Computer abfragen, können wir selbst vergleichen. Bitte, die praktische Arbeit ist wichtiger als jetzt nur Antworten für uns zu finden.