Protocol of the Session on January 26, 2006

Noch ein Wort. Ich saß gestern Abend in der Frauenkirche zur Gedenkveranstaltung für Prof. Nadler. Da schoss mir durch den Kopf: Wann ist die Frauenkirche gebaut wor

den, wann die Hofkirche? Wann sind diese ganzen Prachtbauten mit einem erheblichen Aufwand errichtet worden? Wie viele Menschen haben damals in Sachsen gelebt, wie viele in Dresden? Was war damals möglich? Was sind heute unsere Probleme? Ich denke, es gibt noch ziemlich viel, worüber wir nachdenken müssen.

Danke schön.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die NPD-Fraktion erhält das Wort. Herr Petzold.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben zu dem hier in Rede stehenden Bund-Länder-Programm Stadtumbau Ost die wichtigen Fakten dankenswerterweise bereits referiert, sodass sich meine Fraktion auf das Wesentliche beschränken kann.

Die zentralen Aspekte sind bislang noch überhaupt nicht zur Sprache gekommen, und das kann auch nicht verwundern. Sehen Sie, meine Damen und Herren, dieser Stadtumbau Ost ist ja gerade ein klassischer Fall von „Neusprech“. Es geht, wie wir hörten, um den Abriss von rund 300 000 bis 400 000 leer stehenden Wohnungen in den neuen Bundesländern, und das in einem Zeitraum von zehn Jahren. Uneinig sind sich die Experten lediglich darüber, warum dieser Abriss notwendig ist. Die einen sagen, weil immer mehr Leute wegziehen und der frei werdende, häufig marode Wohnraum nicht mehr gebraucht wird. Die anderen sagen, damit die Preise auf dem Wohnungsmarkt stabil bleiben. – Auf diese Argumentation komme ich gleich noch zurück.

Die grundsätzliche Tatsache ist dabei völlig unstrittig. Wohnraum soll abgerissen werden, weil massenhaft Menschen abwandern oder sterben. Jeder im Plenum weiß oder sollte es zumindest wissen, dass die neuen Bundesländer seit 1990 einen Bevölkerungsschwund von rund einer Million Menschen zu verzeichnen haben, und zwar nicht nur infolge der Abwanderung, sondern auch als unmittelbare Folge der katastrophalen demografischen Entwicklung. Diese hat gerade meine Fraktion in den letzten 14 Monaten immer und immer wieder thematisiert, um von den etablierten Parteien dafür freilich ein ums andere Mal abgekanzelt zu werden. Ich darf Ihnen allerdings versichern, meine Damen und Herren von den Altparteien, wir werden Ihnen dieses Thema in den nächsten drei Jahren noch oft genug unter die Nase reiben. Sie können uns deswegen kritisieren, so oft Sie wollen, wir werden es schlicht und einfach nicht zulassen, dass Sie dieses zentrale Zukunftsthema unter den Teppich kehren.

(Heinz Lehmann, CDU: Das ist doch unser Antrag!)

Warum wird hier in bester Orwell-Manier die flächendeckende Entkernung Hunderter von Städten und Gemeinden in den neuen Bundesländern mit einem Kosmetik

begriff schönzureden versucht? Warum sagt man nicht einfach, wie es ist: Abriss Ost.

Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen schon sagen, warum: weil Ihnen der katastrophale Schrumpfungsprozess, dem ganze Landschaften in den neuen Bundesländern seit der Wende ausgesetzt sind, völlig einerlei ist, genauso wie Ihnen die demografische Katastrophe unseres Volkes absolut gleichgültig ist. Sie beschränken sich seit anderthalb Jahrzehnten darauf, die Entwicklung mit schönfärberischen Worten bestenfalls zu kommentieren und zu begleiten. Sie haben doch weder auf Bundesebene noch auf Landesebene in all den Jahren seit der Wende auch nur einen einzigen Schritt unternommen, um die demografische Katastrophe wirklich aufzuhalten.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Doch, Enkel!)

Hinzu kommt noch etwas, was viel zynischer ist. Warum muss überhaupt der massenhafte Abriss von Wohnraum sein? Im vorliegenden Antrag von CDU- und SPDFraktion heißt es schamhaft, dass der Rückbau irgendwelche Belebungseffekte für die betroffenen Städte habe. Das ist doch Augenwischerei. Tun Sie doch nicht so, als wollten Sie mit Ihrem Abrissprogramm verhindern, dass den Leuten vielleicht lockere Dachziegel auf den Kopf fallen! Lügen Sie sich und den Bürgern in den betroffenen Stadtarealen doch nicht in die Tasche, planierte Stadtareale seien eine Bereicherung für das Stadtbild! Geben Sie doch wenigstens zu, worum es bei Ihrem Stadtumbau Ost wirklich geht. Das hat die Kommission der Bundesregierung „Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen Bundesländern“ in ihrem Bericht im Jahr 2000 ganz deutlich ausgesprochen. Dort können Sie schwarz auf weiß nachlesen, dass die ganze Abrisspolitik dem „Ziel der Wiederherstellung eines Marktgleichgewichts“ dienen soll.

(Staatsminister Dr. Albrecht Buttolo: Was ist daran falsch?)

Es geht also nicht um einen nebulösen Stadtumbau, es geht auch nicht um städtische Verschönerungs- und Belebungsmaßnahmen, sondern es geht schlicht und einfach darum, dass die Immobilienpreise in den neuen Bundesländern in den Keller sacken.

(Martin Dulig, SPD: Verstehen Sie selber, was Sie erzählen?)

Meine Damen und Herren! In den Augen meiner Fraktion ist eine solche Städtebaupolitik blanker asozialer Zynismus. Das ist Politik mit der Abrissbirne. Offenbar ist die Abrissbirne die einzige Antwort, die Sie auf die zentralen politischen Herausforderungen unseres Volkes noch haben.

Da werden nicht etwa Familien gefördert, familienfreundliche Neubausiedlungen aus dem Boden gestampft oder Mehrgenerationensiedlungen gefördert – nein, stattdessen kommen die Bagger und reißen ganze Stadtviertel ab, damit die Immobilienpreise nicht in den Keller sacken.

(Allgemeine Unruhe)

Für uns ist das eine Bankrotterklärung, welche die Menschen, die in den betroffenen Regionen leben, noch teuer zu stehen kommen wird. Das saugt sich ebenfalls nicht etwa die NPD-Fraktion aus den Fingern, sondern das können Sie gleichfalls im zitierten Kommissionsbericht nachlesen. Die Experten, die diesen Bericht verfasst haben, prognostizieren dort ohne jeden Schnörkel – und ich darf wieder zitieren –: „Vorgänge der Schrumpfung und des Zerfalls zerstören das notwendige Gleichgewicht zwischen Bevölkerung, Wohnbauten, Verkehrssystemen sowie sämtlichen Elementen der privaten und öffentlichen Infrastruktur. Viele Städte drohen dadurch auseinander zu brechen.“

Dann besitzen Sie auch noch die Frechheit, solche Szenarien des Niedergangs mit irrwitzigen Projekten wie dem „Chinatown“-Vorhaben in Leipzig zu garnieren, damit der Ruin und die Ghettobildung in den von Ihnen verursachten Abrissgebieten auch wirklich irgendwann eintreten. Dazu sagen wir Nein, meine Damen und Herren. Wir wollen Ihren ruinösen Stadtumbau genauso wenig, wie wir die von Ihnen zu verantwortende katastrophale Bevölkerungspolitik wollen. Es ist überall die gleiche Mischung aus Nichtstun und Schönfärberei.

(Karl Nolle, SPD: Was hat man Ihnen für einen Mist aufgeschrieben?!)

Meine Fraktion wird das hier zur Diskussion stehende Auskunftsbegehren unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der NPD)

Die FDP-Fraktion ist aufgerufen; Herr Dr. Martens.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu meinem Vorredner nur ganz kurz: Wenn man wissen will, was krude Politik ist, schaut man sich das hier an. Da wird nichts abgerissen, da werden Siedlungen aus dem Boden gestampft. Wer das finanzieren soll, weiß kein Mensch. Wer dort wohnen soll, weiß erst recht keiner.

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD – Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung – Zuruf des Abg. Uwe Leichsenring, NPD)

Man kann aber auch großzügig darüber hinweggehen, wenn es um solche wichtigen Dinge wie Erhalt des Deutschtums an sich geht. So schnell kann das gehen, dass man Probleme bekommt, wenn man vom Volk ohne Raum zum Raum ohne Volk wird.

(Heiterkeit – Beifall bei der FDP, der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD und den GRÜNEN – Alexander Delle, NPD: Schön, dass Sie noch darüber lachen können!)

Meine Damen und Herren! Der Antrag selbst beschäftigt sich dem Wortlaut nach mit dem Programm „Stadtumbau Ost“. Aber der Gesamtkomplex, um den es hier geht, ist

wesentlich umfangreicher. Es geht nicht nur um die größte Finanzhilfe des Bundes im Rahmen der Städtebauförderung für die neuen Bundesländer und die Probleme, die mit Hilfe dieser städtebaulichen Maßnahme in Angriff genommen werden sollen, sondern das Problem ist insgesamt vielschichtig und es ist eines der wichtigsten – dies ist bereits gesagt worden –, mit denen wir in Sachsen auf längere Sicht zu tun haben. Die gegenwärtige Leerstandsquote von rund 17,6 % bei den Wohnungen in Sachsen wird sich nicht verringern, das ist bereits klar. Es gibt Untersuchungen des Verbandes der Wohnungswirtschaft, die selbst im günstigsten Fall bei einer Fortführung des „Stadtumbauprogramms Ost“ davon ausgehen, dass im Jahr 2020 die Leerstandsquote knapp 20 % betragen wird.

Entwarnung ist hier nicht in Sicht, und das Programm selbst – dies müssen wir uns eingestehen – wird nur verhindern, dass ein noch größerer Anstieg des Leerstandes eintritt. Es wird den Leerstand nicht senken können. Es ist erst einmal die Grundvoraussetzung, dies zu akzeptieren. Das ist bitter, aber wenn man bereit ist, es zur Kenntnis zu nehmen, ergeben sich daraus automatisch Handlungsfolgen für eine sinnvolle Stadtbaupolitik, die die vorhandenen Mittel in Sachsen möglichst effizient einsetzt, um für die Bürger in ihrem Wohnumfeld und für das Funktionieren der Städte möglichst viel zu erreichen.

Meine Damen und Herren! Es geht uns in der Tat um die Erhaltung funktionierender Strukturen in den Städten, die lebenswert bleiben sollen und in denen sich die Menschen wohl fühlen, Städte, die auch anderen Anforderungen als bisher an Wohnen, Arbeiten und Umwelt gerecht werden können. Das Programm „Stadtumbau Ost“ ist dabei dringend notwendig. Es führt auch – dies ist gesagt worden – zu einem Planungsdruck auf die Städte, die gezwungen werden, nunmehr integrierte Stadtentwicklungskonzepte vorzulegen, das heißt, sich wirklich mit den Problemen auseinander zu setzen, die sie im Hinblick auf die baulichen Strukturen, auf den Städtebau und auf die Maßnahmen, die es zu ergreifen gilt, haben. Tatsächlich Planungskonzepte zu entwickeln, anstatt Einzelmaßnahmen fördern zu lassen, ist eines der wichtigsten Ziele, das wir haben sollten.

Die Vorgaben für solche Konzepte sind ebenfalls bekannt: Es sind die demografischen Entwicklungen, neue, veränderte Nachfragegewohnheiten nach Wohnungen, zum Beispiel im Hinblick auf die Altersentwicklung, barrierefreies Wohnen, zentrumsnahes Wohnen, das Zusammenführen von Wohnen und Arbeiten. All dies sind Punkte, die bei solchen Stadtentwicklungskonzepten angesprochen werden müssen und auch angesprochen werden sollen. Nach unserer Auffassung soll dabei auch kontrolliert werden, ob solche Konzepte tatsächlich im Hinblick auf einen Stadtumbau erstellt werden oder ob sie nur als pro-forma-Erfüllung von Fördervoraussetzungen eingereicht werden, damit man die Gelder bekommt, die man von kommunaler Seite oftmals einfach an die Vorhabenträger weiterreicht, ohne damit wirklich konzeptionel

le Ziele zu verfolgen, wie der Rechnungshof in seinem Jahresbericht 2005 kritisiert hat.

Meine Damen und Herren! Die Voraussetzungen sind genannt, die Anwendungsfelder des Programms sind definiert. Lassen Sie mich noch eines zu den wenigen Folgerungen aus dem, was ich eben geschildert habe, darstellen.

Es wurde über das Quotenverhältnis zwischen Abriss- und Aufwertungsmaßnahmen im Rahmen des Stadtumbaus gestritten. Natürlich macht es Sinn, eine Quote von 80 zu 20 festzustellen. Wohnungsunternehmen wünschen sich eine Quote von 50 zu 50, übersehen jedoch oftmals, dass die Kommunen aufgrund ihrer Finanzstruktur überhaupt nicht in der Lage sind, die Komplementärmittel zur Verfügung zu stellen. Dies ist übrigens auch in anderen Bereichen kommunaler Investitionen so. Auch hier schlägt das Grundproblem der schwachen kommunalen Finanzausstattung zu.

Die Quotendiskussion Abriss – Aufwertung macht vielleicht Fachpolitikern Spaß, aber – ich hatte es eingangs bereits gesagt – angesichts der Zahlen und möglichen Effekte des Umbauprogramms könnte sie möglicherweise relativ nutzlos sein; denn wenn wir sehen, dass das Programm selbst bei maximaler Auslastung nur das Anwachsen der Leerstandsquote verlangsamen kann, können wir uns Verschönerungsdiskussionen in diesem Programm nicht unbedingt leisten, sondern wir sind – und dies ist nicht unbedingt angenehm – darauf angewiesen, hier die Mittel konzentriert für Maßnahmen vorwiegend im Abriss einzusetzen, und dabei nicht für Einzelmaßnahmen, sondern für einen flächenhaften Abriss, der im Weiteren von außen nach innen gehen muss und der – dies ist jedenfalls die Position der FDP – auch bei der Förderung den Rückbau der Versorgungsinfrastruktur berücksichtigen muss. Denn es ist klar: Wenn ich Komplexstandorte insgesamt zurückbaue, müssen auch die dort früher angebrachten Versorgungsstrukturen beseitigt werden. Dies kann nicht allein die Aufgabe der finanzschwachen Kommunen sein, sondern auch hier müssen die Mittel des Stadtumbaus eingesetzt werden können.

(Zuruf der Abg. Andrea Roth, Linksfraktion.PDS)

Meine Damen und Herren! Dies sind die Grundpositionen meiner Fraktion zum Thema „Stadtumbau Ost“. Wir haben natürlich noch weitere Probleme, wie die Finanzstruktur insgesamt, denen wir uns widmen müssen. Es kann nach unserem Dafürhalten nicht sein, dass Teilabrisse in den Kosten zu höheren Fördersummen führen als der vollständige Abriss von Bauten. Das heißt, hier muss dafür gesorgt werden, dass eine Ungleichbehandlung zwischen Abriss und Teilabriss beseitigt wird, um Fehlanreize zu vermeiden. Die Versorgungsinfrastruktur habe ich bereits angesprochen. Wir haben das Problem der Altschuldenhilfe im Sinne des § 6a AHG und seiner Anwendbarkeit auf die Abrisskosten, also auf abgerissene Wohneinheiten, bei Unternehmen mit einer fünfzehnprozentigen Leerstandsquote im Mindestmaß.

Meine Damen und Herren! Das waren die Positionen, die wir im Bereich „Stadtumbau Ost“ haben. Es liegt uns ebenfalls am Herzen, dass wir unsere Städte auch in Zukunft lebenswert erhalten können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Herr Dr. Gerstenberg spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn es einige Unverbesserliche am rechten Rand des Plenums nicht wahr haben wollen: Sachsen verliert an Bevölkerung und es altert dazu.

(Alexander Delle, NPD: Wer ist schuld? Sie!)

Für das letzte Jahr steht im Freistaat ein Minus von 14 526 Menschen zu Buche. Bis zum Jahre 2020 werden die Sächsinnen und Sachsen ein Durchschnittsalter von 49 Jahren statt bisher 43 Jahren haben. Das Land Sachsen folgt in der Bevölkerungsentwicklung dem Muster der anderen neuen Bundesländer: Die Menschen verlassen die ländlichen Regionen und nur die großen Städte und ihre Umkreise profitieren von der Binnenwanderung.

Besonders hart trifft der Bevölkerungsrückgang in Sachsen die kleinen und mittleren Städte. So hat Görlitz in den Jahren von 1990 bis 2001 21 % seiner Einwohner verloren, Hoyerswerda gar 29 %. Dieser Bevölkerungsrückgang – Hand in Hand mit der Tatsache, dass der Wohnungsbestand von 1990 bis 2002 durch den Neubau ständig zugenommen hat – hat seine Auswirkungen: In Sachsen stehen derzeit schätzungsweise 400 000 Wohnungen leer. Herr Hamburger, ich möchte mich nicht um die genaue Zahl der Wohnungen streiten, diese weiß niemand; es sind zirka 17 % des Bestandes. Das ist ein ostdeutscher Spitzenwert.