Protocol of the Session on January 26, 2006

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Ich rufe die SPDFraktion auf. Frau Abg. Weihnert, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte die von Herrn Hamburger aufgezeigten Aspekte noch einmal vertiefen, einfach weil sie wichtige Elemente und Momente in der Stadtentwicklung sind. Das Bund-Länder-Programm „Stadtumbau Ost“ ist derzeit das wichtigste Stadtentwicklungsprogramm in

Sachsen. Angesichts eines tief greifenden demografischen Wandels und eines Leerstands in Sachsen, wie er bereits benannt worden ist, ist es eine herausragende Zukunftsaufgabe, unsere Städte als funktionsfähige und attraktive Wirtschaft- und Wohnungsstandorte zu erhalten.

Belebung von stark vom Leerstand betroffenen Städten durch eine Stärkung der Innenstädte, Reduzierung überschüssigen Wohnraums und eine gezielte Aufwertung sind daher die stadtentwicklungspolitischen Zielsetzungen des Bund-Länder-Programms zum Stadtumbau Ost. Seit dem Jahr 2002 konnten primär aus den Mitteln des Programms „Stadtumbau Ost“ in Sachsen mehr als 35 000 Wohnungen abgerissen werden. Die Koalition – auch dazu bekennen wir uns – hat den Rückbau weiterer 250 000 Wohnungen im Koalitionsvertrag festgeschrieben.

Angesichts des weiteren Rückgangs der Einwohnerzahlen ist aber leider heute schon absehbar, dass es nur schwer gelingen wird, den Leerstand in Sachsen deutlich zu senken. Aus meiner Sicht scheint daher ein langfristiger Paradigmenwechsel im Stadtumbau geboten.

Meine Damen und Herren! Zwar kann die vorrangig wohnungswirtschaftlich ausgerichtete Bestandsreduzierung kurzfristig eine weitere Verschärfung der Problemsituation in einigen Städten verhindern, ich glaube aber nicht, dass diese Strategie tatsächlich zu einer langfristigen Problemlösung führen wird. So lassen sich städtebauliche Verbesserungen nicht allein durch Abriss des überzähligen Wohnraums erzielen. Der Abriss von bestehendem Wohnraum ohne gleichzeitige Aufwertung – das ist soeben schon vertieft worden – wird von vielen Menschen zu Recht als Niedergang oder Sterben ihrer Stadt empfunden.

Auch ist es völlig verfehlt, den Erfolg des Stadtumbaus ausschließlich anhand des bisherigen Abrisses zu messen. Trotzdem ist Abriss überschüssigen Wohnraums aus guten Gründen momentan die dominierende Stadtumbaumaßnahme.

Die Koalition steht also zu einem momentan notwendigen Verhältnis im Freistaat von 80 zu 20 zwischen Rückbau und Aufwertungsmaßnahmen im Zuge des Bund-LänderProgramms "Stadtumbau Ost", zumal wir darüber hinaus noch zusätzlich ein eigenes Landesrückbauprogramm haben.

Auch wenn mir bewusst ist, dass es vielen Kommunen schwer fällt, die Kofinanzierung für Aufwertungsmaßnahmen aufzubringen, kann und darf es nicht unsere Zielsetzung sein, die nicht abgeforderten Aufwertungsmittel einfach nur im Rückbau einzusetzen.

Um diesem Programmteil Aufwertung besser zum Durchbruch zu verhelfen, müssen wir unsere Kommunen stärker in die Lage versetzen, Aufwertungsmaßnahmen auch mit finanzieren zu können. Gleichzeitig aber – und auch da kann ich mich Herrn Hamburger anschließen – muss die kommunale Seite in ihrem jeweiligen Stadtentwicklungs

konzept den Schwerpunkt stärker auf Aufwertungsmaßnahmen legen.

Das heißt, es ist zukünftig notwendig, sich in der fachlichen Diskussion stärker auf die Frage der Aufwertung erhaltenswerter Wohnquartiere und ihrer künftigen Qualität zu konzentrieren, auch wenn der Erfolg von Aufwertungsmaßnahmen nicht wie beim Abriss mit einfachen Zahlen zu messen ist.

Aus der Sicht meiner Fraktion besteht erheblich die Gefahr, dass die begrenzt zur Verfügung stehenden Ressourcen des Stadtumbaues allein schon in solchen Stadtbereichen aufgezehrt werden, die seriös ohnehin kaum zu halten sind, gleichzeitig aber solche Gebiete im Verfall fortschreiten zu lassen, in denen bei sachgerechter Mittelverwendung noch hätte aufgehalten werden können.

Dies erfordert, dass die Kommunen nicht nur formal ein Stadtentwicklungskonzept haben. Sie müssen es immer wieder mit Leben erfüllen. Das heißt, ein integrierter Stadtentwicklungsplan ist eines der wichtigsten Instrumente einer lebens- und auch liebenswerten Stadt. Wichtig ist mir auch, dass die schmerzhaften Umbauprozesse und gravierenden Umbrüche im städtischen Raum nicht erst recht zu einer weiteren Abwanderung führen. Dies ist leider teilweise zu beobachten. Gerade diesen Prozess können wir nur stoppen, wenn die Bewohner diese Veränderungen auch als wahrnehmbare Verbesserungen empfinden und in den Veränderungsprozess aktiv eingebunden sind.

Die Ansprüche, die unsere Bürgerinnen und Bürger an eine attraktive und lebenswerte Stadt stellen, müssen viel stärker als bisher auch in das Zentrum des Stadtumbaues gerückt werden. Ich wünschte mir daher anstelle einer reinen Abrissfixierung in manchen Kommunen und auch auf Landesebene ein schärferes Bewusstsein für kreative Umnutzungen und individuelle Lösungen vor Ort.

Lassen Sie mich noch einen Punkt aufgreifen, den mein Kollege Hamburger ebenfalls genannt hat. Wenn eine Stadt in der Zukunft maßgeblichen Einfluss auf ihre städtebauliche Entwicklung behalten will, darf sie eine Mehrheitsbeteiligung an ihrer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft nicht aufgeben.

(Beifall bei der SPD, der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS, und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Angesichts der aktuellen Diskussion um den Verkauf der Woba in Dresden möchte ich deutlich davor warnen, zulasten von Mietern und eigenen Einflussmöglichkeiten einen radikalen Totalverkauf zu tätigen.

(Karl Nolle: SPD: Sehr richtig!)

Wie gesagt, Lösungen kommen nicht nur vom Markt. Gerade Stadtentwicklung gehört in die Hände einer Stadt.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich rufe die Linksfraktion.PDS auf. Herr Weckesser.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es wäre jetzt verlockend, ich will es trotzdem nicht tun, hier das zu wiederholen, was ich im Stadtrat mache. Ich verstehe ja, dass es zu diesen Geschichten im Zusammenhang mit dem Woba-Verkauf unterschiedliche Sichten gibt, dass es da Sorgen gibt. Ich werde trotzdem nicht darauf eingehen. Ich habe mir auch vorher vorgenommen, es nicht zu tun.

(Zuruf von den GRÜNEN: Warum nicht?)

Ich kann Ihnen aber gern, wenn Sie möchten, die Unterlagen zur Verfügung stellen. Frau Weihnert und Herr Hamburger, wir können einmal darüber reden. Es gibt da spannende Sachen.

Ich wollte bei Ihrem Thema anknüpfen. Ich bin Ihnen schon dankbar, dass Sie es auf die Tagesordnung gesetzt haben. Es ist insgesamt wichtig genug. Das Problem ist aber immer, dass niemand so genau weiß, wie die Zukunft sein wird. Das heißt, man ist auf Prognosen angewiesen. Man ist darauf angewiesen, sich selbst Vorstellungen zu machen, wie man glaubt, dass es sich künftig entwickelt, und was man gerne möchte.

Ich habe mir in Vorbereitung auf die heutige Debatte meine alten Redebeiträge angeschaut. Meine erste Rede, die ich zu diesem Themenkomplex "Wohnen" im Sächsischen Landtag gehalten habe, war im November 1999. Ich habe damals ziemlich heftig eine Lanze für den sozialen Wohnungsbau gebrochen. Man sollte sich schon ab und zu einmal seine alten Reden ansehen

(Zuruf der Abg. Margit Weihnert, SPD)

und nicht so ohne weiteres Fehleinschätzungen kritisieren, die man selbst einmal vertreten hat. Ich hatte bei dieser Rede festgestellt, dass damals der politische Wettlauf eigentlich darum ging, wer am lautesten, am heftigsten und am meisten "Wohnungsbau" gefordert hat. Das war noch im Herbst 1999. Das war ziemlich parteiübergreifend. Ich habe mich damals persönlich zum Beispiel auf die Zahlen anderer verlassen, auf Seriosität und fachliche Begründetheit des Deutschen Mieterbundes. Das beruhigt heute mein Gewissen. Dazu stehe ich. Es war trotzdem kurzsichtig und es war aus heutiger Sicht gesehen falsch.

Ich erinnere mich auch gut an das 10-jährige Jubiläum des Verbandes Sächsischer Wohnungsunternehmen nebenan in der "Yenidze", wo Finanzminister Milbradt und Wohnungsstaatssekretär Buttolo damals einen Paradigmenwechsel in der sächsischen Wohnungspolitik ankündigten. Das war zu jenem Zeitpunkt, weil ich mittlerweile zu ähnlichen Schlussfolgerungen gekommen war, nicht ganz so verblüffend für mich. Aber was mich verblüfft hat, war diese schonungslose Offenheit in der Analyse und in der Zielformulierung.

In der Folge wurde die Wohnungsbauförderung tatsächlich heruntergefahren und der Versuch gestartet in den

gesteuerten Abriss. Das sagen wir heute. Wie haben wir damals gesagt? Es wurde ein bisschen euphemistisch umschrieben, von Abriss war noch nicht so richtig die Rede.

Ich muss schon sagen: Sachsen ist lange vor dem Bund dort eingestiegen; damals noch auf eigenes Risiko und auf eigene Kosten. Es wusste ja niemand, wie es weitergehen wird.

Ich kann aber für mich selbst und für unsere Fraktion sagen: Wenn Sie sich anschauen, was in materialisierter Form von Kritik an der Politik hier gemacht wurde, merken Sie, dass wir keine Änderungsanträge – sehen Sie sich unsere Anträge an, wenn Sie einmal Zeit und Lust haben – in Bezug auf diesen Teil des Haushalts gestellt haben. Mit gutem Grund, weil wir gesagt haben: Wir wollen nicht das kritisieren, was wir für richtig halten.

Damit bin ich bei dem Antrag. Was Sie hier gesagt haben – alle beide –, das kann ich nur unterstützen. Das sehe ich im Grunde genauso. Das Problem ist nur: Dem Antrag selbst sieht man es eigentlich nicht an.

Sie fordern in zwei Punkten Berichte. Das ist korrekt. Das steht Ihnen zu. Sie haben damit immerhin dafür gesorgt, dass wir jetzt diese Debatte führen. Aber das, was Sie dort an Berichterstattung verlangen, ist aus meiner Sicht alles öffentlich. Das ist relativ leicht zu beschaffen. Man hätte es auch in Kleinen Anfragen herausbekommen können. Aber Sie wollten die Debatte im Plenum und Sie haben sie. Ich bin Ihnen, wie gesagt, dafür dankbar, weil ich diese Debatte auch für nützlich halte.

Was mich dann aber schon ein bisschen überrascht hat, war die ungewohnte Lieblosigkeit der Stellungnahme der Staatsregierung. Nun kann man sich das anschauen. Das war im Herbst vergangenen Jahres. Da waren die Bundestagswahlen vorbei. Kurz danach war derjenige, der diese Stellungnahme unterschrieben hat, schon gar nicht mehr hier, sondern ist jetzt in Berlin zugange.

Trotzdem: Ich sage nur einmal, der letzte Absatz zur Antwort 2 ist schlicht nicht nachvollziehbar, jedenfalls nicht für mich.

Die Grafik in Anlage 4 halte ich auch nicht gerade für gelungen. Aber es geht nicht um einen Schönheitspreis, sondern um eines der strategisch schwerwiegendsten Probleme der kommenden Jahre.

Nicht umsonst haben sich sowohl der Ministerpräsident sein eigenes Gremium geschaffen als auch der Landtag die Enquete-Kommission eingesetzt, weil sie das offensichtlich genauso sehen. In diesem Punkt wird die Stellungnahme ein wenig unscharf. Wenn dort steht, aufgrund der Zahlen aus dieser schon erwähnten Grafik, dass sich die Leerstandsentwicklung stabilisiert hat, dann teile ich diese Meinung nicht. Aus der Kenntnis der dahinterstehenden Probleme erwarte ich eigentlich, dass es eine zweite Leerstandswelle geben wird, die jenseits des hier in Rede stehenden Zeitintervalls steht. Ich denke, das geht erst ab 2010 wieder richtig los.

Nun komme ich zu einer Studie der TU Freiberg vom vergangenen Herbst, die ich mir intensiv angesehen habe. Dort wird aus meiner Sicht diese Entwicklung ziemlich brillant fachlich, methodisch und inhaltlich analysiert, bis 2020 extrapoliert in mehreren Varianten. Die Analyse basiert auf Zahlen des Statistischen Landesamtes und ist nicht aus der Luft gegriffen. Was dort aufgezeigt wird, zeichnet ein anderes Bild, und auch in den günstigen Varianten, dass wir den Stadtumbau im jetzigen Umfang aufrechterhalten, kommt sie zu der Schlussfolgerung, dass der Leerstand keinesfalls abnehmen, sondern zunehmen wird. Von den heutigen zirka 400 000 Wohnungen geht das je nach Variante bis zu 500 000 oder 600 000 Wohnungen. Für mich ist das beunruhigend, weil daraus nur der Schluss zu ziehen ist, dass wir den Abriss beschleunigen müssen, wenn wir eine Trendumkehr haben wollen.

Damit komme ich zum letzten Punkt meiner Rede. Schauen wir uns die Mittel im gesamten Bereich Wohnen und Raumordnung in Sachsen an, die über die Haushalte eingesetzt wurden: Anfangs waren es 1,6 Milliarden DM. Dann sank der Betrag auf 1,2 Milliarden DM, aktuell auf 0,6 Milliarden Euro herunter. Das ist meiner Meinung nach eine relativ heftige Absenkung. Daraus ergibt sich meine Frage – das soll keine Kritik sein, sondern eine Anregung zum Nachdenken: Wie viele Mittel wollen wir für dieses Problem einsetzen? Haben wir eine Chance, dort etwas zu ändern, damit wir von den Leerstandszahlen sowohl absolut als auch prozentual herunterkommen?

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Selbstverständlich, Frau Weihnert.

Wenn ich über Ihre Worte nachdenke, ergibt sich folgende Frage: Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie 100 % Abriss möchten?

100 % wovon, Frau Weihnert?

Von den Mitteln, die wir im Stadtumbau Ost zur Verfügung haben.

Ich begrüße die Festlegung Sachsens auf dieses Verhältnis 80 zu 20. Meine Intention war, darüber nachzudenken, wie wir das Volumen erhöhen könnten, nicht die Anteile verschieben. Ich würde es für strategisch falsch halten, die 100 %, die wir jetzt einsetzen, vollständig für den Abriss zu verwenden. Selbst wenn wir so handeln würden, könnten wir die Abrissentwicklung nicht stoppen. Das ist meine Sorge. Wir sind uns doch darin einig, dass wir mehr für Aufwertung tun müssen als die jetzigen 20 %. Das ist doch nicht die Frage.