Protocol of the Session on January 26, 2006

Werte Kolleginnen und Kollegen! Zukunftsfähige und lebenswerte Städte sind wichtige Standortfaktoren für die wirtschaftliche Entwicklung. Der Stadtumbau ist deshalb eine zentrale Aufgabe, um in den kommenden Jahren auf die Alterung und den Rückgang der Bevölkerung zu reagieren. In diesem Prozess wird die Schrumpfung bestehender Infrastrukturen eine wichtige Rolle spielen. Das Wort „Schrumpfung“ überhaupt in den Mund zu nehmen fällt heute vielen, die in öffentlicher Verantwortung stehen, noch sehr schwer; seien es die Planer, seien es die Verwaltungsspitzen oder auch die Politiker. Zu fest ist die Philosophie des ständigen Wachstums in den Köpfen verankert.

Die demografische Situation verlangt aber unabdingbar eine Änderung unserer Denk- und Verhaltensmuster. Wenn wir künftig erfolgreich Schrumpfungsprozesse planen und steuern wollen, dann brauchen wir bei allen Verantwortlichen eine große Offenheit für Veränderungen, verbunden mit neuen Ausbildungsprofilen und Qualifikationen. Wenn ich von Schrumpfung spreche, dann meine

ich nicht nur einen Rückbau von Wohnungen, sondern ich meine auch den Rückbau der Versorgungsinfrastruktur, also von Gasleitungen, von Wasserleitungen, von Abwasseranlagen und, meine Damen und Herren der Koalition, ich meine auch den Rückbau von Straßen.

Schon heute drücken finanzielle Lasten für Abwasser und Wasser auf die Bürger, schon heute sind die Kommunen und die Landkreise teilweise nicht mehr in der Lage, alle ihre Straßen zu unterhalten. Da mutet es doch recht seltsam an, wenn eine stark schrumpfende Stadt wie Hoyerswerda noch einen neuen Autobahnzubringer erhält.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir die Menschen im Land halten wollen, dann brauchen wir mehr Investitionen in die Köpfe und nicht vordergründig Investitionen in Beton.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS – Volker Bandmann, CDU: Darum wollen die GRÜNEN...!)

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch eine Bemerkung. Wenn ich von der Schrumpfung von Städten spreche, dann meine ich ein Schrumpfen von außen nach innen, das möchte ich ausdrücklich betonen. Ich meine nicht die perforierten Schrumpfungen, wie sie der ehemalige Leipziger Bau-Bürgermeister und jetzige Staatssekretär Dr. Engelbert Lütke Daldrup favorisiert. Nur mit Hilfe einer Schrumpfung von außen nach innen ist es möglich, kostenintensive Infrastruktur zurückzubauen.

Wir debattieren heute über den Stadtumbau Ost. Die rotgrüne Bundesregierung hat das Programm aufgelegt. Dieses Programm geht weit über ein Rückbau- und Abrissprogramm hinaus, als das es teilweise diffamiert und teilweise aber auch missbraucht wird. Es dient der Stabilisierung der durch physischen Zerfall und soziale Erosion bedrohten Stadtteile, aber ebenso dem Erhalt von teuer zu sanierenden und aus städtebaulicher Sicht besonders wertvollen innerstädtischen Altbaubeständen, die überdurchschnittliche Leerstandsquoten aufweisen. Dieses Programm soll sowohl die Funktionsfähigkeit der Wohnungsmärkte sichern als auch die nachhaltige Stadtentwicklung voranbringen und das Wohlfühlen und Identifizieren der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Stadt stärken.

Unsere Fraktion hält es für richtig, heute nicht nur über die Ergebnisse des Programms in Sachsen zu diskutieren, sondern wir sind dafür, dass dieses Programm in den nächsten Jahren weitergeführt wird, ebenso wie das Programm „Soziale Stadt“, das insbesondere die sozialen Aspekte stärker betont.

Der Freistaat Sachsen hat das Förderprogramm stark genutzt. Die Zahlen, die Ihnen allen vorliegen, sprechen für sich. Noch ein Positivum: Sachsen zeichnet sich gegenüber anderen Ländern dadurch aus, dass der Stadtumbau auf der Basis von integrierten Stadtentwicklungskonzepten, den so genannten InSEKs, erfolgen soll. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst von Innenminister Buttolo, der in seiner Zeit als Staatssekretär auch auf Fachforen

der GRÜNEN-Bundestagsfraktion dazu referierte und sich Anerkennung erworben hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Dieses Verdienst möchte ich würdigen. Aber ebenso sage ich: Wo in Sachsen künftig Wohnungen mit öffentlichen Mitteln finanziert werden sollen, muss ein verbindliches Integriertes Stadtentwicklungskonzept mit fachlicher Tiefe vorliegen.

Meine Damen und Herren! Das ist die positive Seite, sozusagen die Theorie. Doch die Prüfer des Landesrechnungshofes kritisieren in ihrem Jahresbericht 2005 die schwerwiegenden Mängel in der Praxis der Umsetzung des Programms. Sie kommen zu dem Ergebnis: Das Gesamtziel des Stadtumbauprogramms Ost, mit Finanzhilfen des Bundes und des Freistaates intakte Stadtstrukturen zu bewahren und den Wohnungsmarkt zu stabilisieren, kann nicht erreicht werden.

Kritisiert wurden die vorliegenden InSEKs, die unter der Aufsicht der Regierungspräsidien entstanden. Die untersuchten Konzepte enthielten mangelhafte oder fehlende Angaben zu ihrer Erstellung und sie berücksichtigten nicht die umfassenden Auswirkungen der demografischen Entwicklung. Die Prüfer monierten weiterhin, dass das SMI keine Förderschwerpunkte setzt. Nur wenige der Städte und Gemeinden streben einen flächenhaften Rückbau an, die meisten reagieren lediglich auf die Bereitschaft, dieses oder jenes Objekt abzugeben.

Herr Staatsminister, der Bericht des Rechnungshofes spricht eine deutliche Sprache. Was gut gemeint ist, wird nicht gut gemacht. Auf diese Art und Weise dürfen wir nicht weiter einen Stadtumbau in Sachsen betreiben. Sorgen Sie bitte umgehend dafür, dass die vorliegenden InSEKs überprüft werden und dass nicht weiterhin Fördermittel für geschönte Konzepte ausgezahlt werden. Stellen Sie sicher, dass die Regierungspräsidien zu einer kompetenten fachlichen Bewertung der Konzepte in der Lage sind und diese auch ausführen.

An dieser Stelle haben auch die Kommunen ihre Hausaufgaben zu machen. Die von Herrn Hamburger gestellte Frage kann ich als Dresdner Stadtrat sehr klar beantworten: Wenn eine Stadt wie Dresden die Stadtentwicklung und den Stadtumbau weiterhin in der Hand behalten und steuern will, dann ist der Totalverkauf der kommunalen Wohnungsgesellschaft der völlig falsche Weg.

(Karl Nolle, SPD: Sehr richtig!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Stadtumbau bleibt in Sachsen eine wichtige Aufgabe. Nur mit ihm können wir uns dem demografischen Wandel stellen. Die Menschen in Sachsen wie in den anderen neuen Bundesländern haben eine Stärke: Sie sind an Veränderungen gewöhnt und sie sind schneller zu neuen Veränderungen bereit. Wir müssen ihnen aber taugliche Konzepte vorlegen und sie bei dem Wandel unterstützen.

Unsere Fraktion wird zur Entwicklung solcher Konzepte beitragen, aber sie wird sie auch weiterhin kritisch begleiten.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Das war die erste Ausspracherunde der Fraktionen. Gibt es noch weitere Redewünsche? – Dann frage ich die Staatsregierung. – Herr Staatsminister Buttolo, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu dem Thema, zu dem jeder Redner bislang gesprochen hat – Herr Weckesser, ich werde dazu nichts sagen, meine Position war Mitte Januar in der „Welt“ nachzulesen –, will ich nicht provozieren und es nicht noch einmal bringen.

Ich möchte mich in meinem Beitrag darauf orientieren, wie es im Stadtumbau weitergehen kann. Welche Möglichkeiten und welche Chancen haben wir? Es ist in der Tat so, dass wir den Rückbau von zirka 140 000 Wohnungen innerhalb des Zeitraums des Stadtumbauprogramms Ost finanziell als gesichert ansehen können. Dabei sind schon die knapp 15 000 Wohnungen durch das Landesrückbauprogramm, so wie Herr Hamburger dargestellt hat, mit eingerechnet.

Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, was im Koalitionsvertrag steht. Ich werde zum Schluss meines Beitrages darauf zurückkommen, was wir tun sollten. Wir haben nicht umsonst im Koalitionsvertrag stehen, dass wir in diesem Zeitraum 250 000 Wohnungen abreißen sollen, weil das, was in der Studie von Freiberg erarbeitet wurde, uns zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt war. Ich will nicht den Schlaumeier spielen, aber das Innenministerium war einer der drei Auftraggeber für diese Studie, um von außen diese Position noch einmal herausstellen zu lassen.

Was brauchen wir? Wir brauchen mehr Qualität beim Stadtumbau. An dieser Stelle möchte ich auf die Diskussion zur Aufwertung zurückkommen. Wir müssen endlich weg von diesem Kästchendenken, dass wir ein Programm Stadtumbau haben, das einen Teil Rückbau hat, einen Teil Aufwertung. Dann haben wir noch die Programme Städtebauliche Erneuerung, Städtebaulicher Denkmalschutz und Soziale Stadt. All das gehört unter ein Dach. All das ist Stadtentwicklung, all das muss eigentlich dem Stadtumbau dienen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Wir haben erhebliche Probleme feststellen müssen, dass Kommunen das Geld für die Aufwertung nicht abrufen können, weil sie nicht kofinanzieren können. Das ist nicht nur in der Aufwertung so. Das ist auch bei den traditionellen Programmen der städtebaulichen Erneuerung, des

städtebaulichen Denkmalschutzes und der sozialen Stadt so.

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal für Ihre Unterstützung werben. Wir brauchen ein bisschen mehr Leine vom Bund. Wir brauchen die Erlaubnis, die wir schon einmal vor Jahren bei der Weiterentwicklung von Neubaugebieten hatten, dass die Großeigentümer – Genossenschaften und kommunale Gesellschaften – für dieses kommunale Drittel einspringen können. Warum ist das richtig? Einfach aus folgendem Grund: Dass man ein kommunales Drittel nicht durch den Zuwendungsempfänger ersetzen darf, hat in der Regel seinen richtigen Grund; denn wenn der Private Zuwendungsempfänger ist, würde der Private sich, nur weil er schon Geld hat, auch weitere Förderung erkaufen. Das kann nicht sein. Deswegen ist dieser grundsätzliche Ansatz des Bundes richtig. Aber, wenn wir über kommunale Gesellschaften und Genossenschaften reden, reden wir über Unternehmen, die nicht als Privatpersonen begünstigt sind, die im Interesse der Kommune eine Aufgabe wahrnehmen. Dort sehe ich es als wichtig an zu diskutieren, dass man für diese Fälle das kommunale Drittel, wenn die Großeigentümer es können und wollen, durch diese Großeigentümer auch ersetzen lassen sollte.

Ich denke, wir als Sachsen haben, wenn dies eine weiter zu verfolgende Richtung wäre, gar nicht mal so schlechte Karten. Wer könnte Unterstützer für diese Idee sein? Wir haben einen Kanzleramtsminister Dr. de Maizière. Wir haben einen Bundesminister, der für den Wohnungs- und Städtebau zuständig ist und Tiefensee heißt. Warum soll es nicht gelingen – da beide die Situation hinreichend kennen –, dass wir hier zu einer Veränderung kommen?

Dazu möchte ich einige Punkte nennen. Welche Schwerpunkte sehe ich in der Tat beim Stadtumbau? Natürlich spreche ich sehr für einen flächenhaften Rückbau von außen nach innen. Mein Ziel ist, dass wir die kompakte Stadt, wie wir sie als europäische Stadt kennen, erhalten. Ich möchte nicht, dass wir zu ausgeblätterten Stadtstrukturen kommen, bei denen man Quartiere hat, die sich selbst überlassen werden, bis diese Quartiere einmal abgerissen und irgendwann wieder aufgebaut werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte auch, dass wir eine hohe Wohnqualität in der Stadt schaffen. Auch dazu kann der Stadtumbau beitragen. Dazu ein Beispiel: Ich finde es sehr gut, dass der dritte und vierte Bauabschnitt der Kräutersiedlung in Dresden für einen Eigenheimbau innerhalb der Stadt freigeräumt wurde. Wir müssen sehen, dass wir für Familien, die diese Zielrichtung haben, innerhalb der Städte Flächen anbieten und innerhalb der Städte ihr Verbleiben ermöglichen, und das zu vernünftigen Preisen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Ein weiterer Punkt. Schauen wir uns doch die Entwicklung der Energiepreise an. Der Stadtumbau sollte so sein, dass wir energiebewusst umbauen. Das heißt, wir müssen

beim Auswählen der Objekte, die abgebrochen werden sollen, tatsächlich beachten, welche Konsequenzen dies auf die Leitungsführung hat. Braucht man dort einen Umschluss oder kann man kappen? Braucht man einen Umschluss – darüber müssen wir uns im Klaren sein –, reden wir über zum Teil verlorene Energie, die wir dort in Kauf nehmen müssen.

Was ich in den nächsten Jahren auch gern geändert sehen möchte: Wir haben in der Vergangenheit einen Stadtumbau betrieben, der sehr auf Quantität orientiert war. Ich bin froh darüber, dass wir dieses Ergebnis – 50 000 Wohnungen sind weg – erzielt haben. Rechnen Sie bitte hoch, was dies für eine Stadt ist. 50 000 Wohnungen würden bedeuten: über 100 000 Einwohner. Eine derartige Stadt in einem Gebiet wie Sachsen in wenigen Jahren wegzunehmen ist für die Akteure, die dies getan haben, eine große Leistung.

Aber wir brauchen auch einen qualitativen Ansatz. Meine Damen und Herren, wir wissen alle, dass wir älter werden. Wir wissen, dass wir unseren Bürgern das Verbleiben in ihren Wohnungen so lange, wie es geht, ermöglichen sollten; denn es wird nicht zu finanzieren sein, dass man überall auf Wohlfahrtsverbände zurückgreifen kann, die den Bürgern dann zur Seite stehen. Die Bürger müssen möglichst lange selbstständig bleiben können. Die Wohnung im 3. Stock ist an sich nicht das Problem für den älteren Bürger. Aber das Hinkommen in diese Wohnung ist das Problem. Wir müssen unsere Wohnungsunternehmen ermutigen, bei künftigen Modernisierungen im Bereich des Drei- und Vier-Familien-Hauses über eine preiswerte, vernünftige Liftlösung nachzudenken. Ansonsten tun wir unseren älteren Bürgern keinen Gefallen.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren, wie kommen wir dazu? Wir müssen erreichen, dass wir wirklich die 250 000 Wohnungen wegnehmen können, sonst tritt das ein, was von vielen Rednern heute aufgezeigt wurde: dass wir im Jahre 2015 oder 2020 die gleiche Situation haben wie heute – zirka 17 % Leerstand. Demnach müssen wir mehr wegnehmen. Die Forderung, dass wir mehr Geld vom Bund haben wollen, und die Forderung, dass wir im Land mehr Geld einstellen wollen, halte ich für eine Illusion, die nicht zielführend ist. Was wir tun sollten: Wir sollten endlich mit dem Bund in harte Verhandlungen eintreten mit dem Ziel, dass wir all die Programme der Städtebauförderung tatsächlich in Landeshoheit zumindest in der Form haben, dass wir selbst über die Quotierung entscheiden.

Es macht keinen Sinn, wenn der Bund die traditionelle Städtebauförderung als einen Titel im Haushalt führt und der Bund uns vorgibt, wie er diese Titel in den Ländern quotiert haben möchte.

(Beifall bei der CDU und der Linksfraktion.PDS)

Wir brauchen endlich die Freiheit, dass wir selbst darüber entscheiden können, was in unserem Land richtig und wichtig ist.

(Beifall bei der CDU)

Dann können wir mit dem Geld, das zur Verfügung steht, in der Tat einen Stadtumbau betreiben, wie wir ihn möchten – einen Stadtumbau, der uns wirklich die Zukunftsfähigkeit unserer Städte garantiert. Ich bin optimistisch, wenn wir – Sie als Parlamentarier und ich als zuständiger Fachminister – uns mit dem Bund in Verbindung setzen. Ich möchte die beiden Namen nicht noch einmal erwähnen. Ich denke, beide Minister kennen Sachsen und unsere Probleme. Ich hoffe darauf, dass uns beide Minister bei der Lösung dieser Aufgabe unterstützen werden.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich würde mich freuen, wenn wir diese Themenstellung, wie ich sie skizziert habe, gemeinsam angehen könnten.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren, gibt es noch Redewünsche? – Das ist nicht der Fall. Dann würde ich an dieser Stelle die Aussprache