Protocol of the Session on January 25, 2006

(Widerspruch bei der CDU und der SPD)

Bekanntlich liegt eine Fehleranalyse über die Gründe des Scheiterns, die uns bei der Kulturhauptstadt-Bewerbung durchaus nützliche Dienste hätte leisten können, bis heute nicht vor.

Verständlicherweise trugen die landespolitischen Ränkespiele und Machtkämpfe zwischen CDU und SPD unbestritten erheblich zum vorzeitigen Ausscheiden bei.

Von derartigen Kabalen blieb das KulturhauptstadtProjekt Görlitz/Zgorzelec zum Glück verschont. Aber eine einzige Erfolgsgeschichte ist es deshalb noch lange nicht. Insofern können wir heute auch keine Schönwetterdebatte oder gar eine Selbstbeweihräucherung gebrauchen.

(Peter Schowtka, CDU: … sondern schlechtreden!)

Die Versuchung ist sogar groß, den berühmtesten Sohn der Stadt Görlitz, den Mystiker und vormaligen Schuster Jakob Böhme, aus seinen Betrachtungen zum Zustand der christlichen Religion zu zitieren: „Wir bedürfen keiner Heuchler und Ohrenjucker, die uns trösten und viel güldene Berge verheißen, dass wir nur ihnen nachlaufen.“

Eine Bewerbung für die Kulturhauptstadt Europas gleicht, um die sportliche Metapher der Antragsteller noch einmal aufzugreifen, einem Marathonlauf mit entsprechenden Konsequenzen für die Vorbereitung und Durchführung einer derartigen Herausforderung. Bekanntlich kam die Staatsregierung trotz des einmütigen Votums des Landtags am 11. Juli 2003 – das ist heute bislang vergessen worden – nicht richtig aus den Startlöchern. Das Kulturhauptstadt-Projekt stand zunächst klar im Windschatten der Olympiabewerbung, und die an den Tag gelegte zögerliche Haltung der Staatsregierung wurde von manchem in Görlitz damals sogar als unterlassene Hilfeleistung empfunden. Nach dem Scheitern Leipzigs im Mai 2004 dachte man in Dresden schrittweise um, nicht zuletzt, weil die PDS-Landtagsfraktion mit ihrer Konfe

renz zur Kulturhauptstadt-Bewerbung am 4. Juni 2004 im Sächsischen Landtag und der gemeinsamen Erklärung mit polnischen und tschechischen Parlamentariern ein bemerkenswertes Unterstützungssignal gab.

(Beifall des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS)

Mit der Ernennung von Görlitz zu einer der beiden deutschen Kandidatenstädte begann am 10. März 2005 die zweite Hälfte des Marathonlaufes, folgerichtig mit neuem Schwung. Gegen die ruppige Ruhrgebietsmetropole Essen sah die kleine sächsische Europastadt allerdings zunächst wie ein krasser Außenseiter aus. Wer das UNESCOWelterbe „Zeche Zollverein“ einmal gesehen hat, weiß auch, warum.

Doch Görlitz und Zgorzelec konnten mit ihrem gemeinsam entwickelten und von beiden Städten getragenen Konzept eines „Laboratoriums der europäischen Integration“ visionäre Kraft entfalten und zunehmend in der Öffentlichkeit punkten. In der Europastadt wird der Entwicklungsprozess des Zusammenwachsens eines Europas der Regionen wie kaum anderswo mikroskopisch verdeutlicht. Kultur und Kulturwirtschaft werden in Görlitz zugleich als Motor und Chance begriffen, die Region auf ihrem Weg in die Zukunft zu begleiten, ein Weg, der unbestritten – Herr Hatzsch hat schon darauf verwiesen – auch von den vielen Problemen der Transformation in den neuen Bundesländern, wie Arbeitslosigkeit, Abwanderung oder Wohnungsleerstand, geprägt ist.

Allerdings hat die Bewerbung auf den letzten Metern noch diverse Hindernisse zu überwinden, wie der Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien bei einer Sitzung vor Ort unlängst erfuhr. Herr Heitmann hat das vorhin diskret umschifft. Zum einen gibt es noch immer gravierende Defizite bei der finanziellen Unterstützung durch die Staatsregierung. Zum anderen ist die Bewerbung nach der Einschätzung des Görlitzer Kulturbürgermeisters Ulf Großmann noch nicht „polnisch“ genug. Die schnellstmögliche Beseitigung beider potenziellen Stolpersteine ist der Linksfraktion.PDS so wichtig, dass meine Kollegen Hilker und Kosel dazu noch gesondert sprechen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Görlitz ist mit seinen verwunschenen Gassen, gotischen Kirchen und bestens restaurierten Bürgerhäusern noch immer eine weitgehend unentdeckte Kulturstadt, wenngleich das auf die einstigen sieben Görlitzer Neiße-Brücken gemünzte Lied „Über sieben Brücken musst du gehen“, dessen Text von dem Leipziger Schriftsteller Helmut Richter stammt, fast jeder im Lande kennt. Eine erfolgreiche Bewerbung verkörpert nunmehr die einmalige Chance, die Stadt und die Region sogar europaweit bekannt zu machen. Damit würde auch einer Intention der Erfinderin des Titels Kulturhauptstadt Europas, der vormaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercouri, Rechnung getragen.

Sorgen wir gemeinsam dafür, dass uns im Schlussspurt nicht die Luft ausgeht und Görlitz/Zgorzelec als Sieger ins Ziel gelangt! Die Linksfraktion.PDS wird ihren

Beitrag dazu leisten und alle entsprechenden Maßnahmen aktiv unterstützen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion der NPD das Wort. Herr Gansel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorausschicken möchte ich, dass die NPD-Fraktion die Bewerbung von Görlitz als europäische Kulturhauptstadt 2010 grundsätzlich unterstützt.

(Widerspruch bei der CDU und der SPD)

Grundsätzlich, jawohl. Würde Görlitz tatsächlich Kulturhauptstadt, wäre dies auch eine angebrachte Referenz an diese schöne Stadt mit ihrer vielhundertjährigen deutschen Geschichte, wovon etwa auch das Schlesische Museum beredtes Zeugnis ablegt.

Die deutsche Vergangenheit dieser schlesischen Stadt ist trotz Krieges und der Amputation des östlichen Stadtteils auch heute noch auf Schritt und Tritt zu sehen. Dennoch darf es bei der Bewertung der Bewerbung nicht vorrangig um Geschichtsreminiszenzen gehen, sondern der Nutzen einer solchen Bewerbung für das Hier und Heute ist genau zu wägen.

Deshalb sehen wir die Sache auch sehr viel nüchterner als die bekannten Euro-Schwarmgeister mit ihren Vorlieben für blumige Sonntagsreden und EU-signierte Hochglanzbroschüren. So wollen wir schon möglichst genau wissen, wie viel die Bewerbung den sächsischen Steuerzahler eigentlich kosten soll und warum der sächsische Steuerzahler für die Bewerbung viel tiefer in die Tasche greifen soll als der polnische für die Bewerbung des Ostteils der Stadt.

Frau Staatsministerin Ludwig hat eine diesbezügliche Kleine Anfrage im Dezember letzten Jahres auch beantwortet. Danach haben sich der Freistaat Sachsen mit Stand vom 24. November 2005 in den Jahren 2004 bis 2005 mit einer Summe von 256 454 Euro und die Stadt Görlitz selbst bereits mit einer Million Euro an den Bewerbungskosten beteiligt. Das wird finanziell aber lediglich die berühmte Spitze des Eisberges sein. Denn die Staatsregierung hat bereits im Juni 2004 zugesagt, Görlitz im Falle einer erfolgreichen Bewerbung ab dem Jahre 2007 fast 20 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS, und des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Möglicherweise, Herr Porsch, bewertet der Steuerzahler, der dafür aufzukommen hat, die Sache etwas anders als Ihre Fraktion.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Ja, ja!)

Im Fall einer erfolgreichen Bewerbung von Görlitz sollen zudem fast 20 Millionen Euro als Görlitzer Eigenanteil beigesteuert werden, was dann mit dem bisher geflossenen Geld die stolze – vielleicht könnte man auch sagen: unvertretbar hohe – Summe von 41,25 Millionen Euro ergibt, die allein aus Sachsen aufgebracht würde.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Nun kann man über Sinn und Unsinn des Etiketts „Kulturhauptstadt Europas“ geteilter Meinung sein, vor allem dann, wenn – wie im Fall von Görlitz – mit Worthülsen wie der von der „multikulturellen Stadt zweier Nationen“ auf sich aufmerksam gemacht wird. Wer aber immer noch glaubt, Multikulti sei ein kulturübergreifender „Ringelpiez mit Anfassen“ oder ein ewiges Straßenfest geschichtsvergessener Gegenwartsmenschen, der leidet unter Wirklichkeitsverlust im Endstadium.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Totalverlust!)

Herr Porsch, zu Ihnen könnte ich noch vieles sagen. Das hebe ich mir aber für ein anderes Mal auf.

Aber es geht in diesem Zusammenhang auch noch um andere Formen des Wirklichkeitsverlustes, genauer um den Versuch der Altparteien, ihr politisches Totalversagen zu kaschieren und die drückenden Probleme der Stadt Görlitz für einige Monate hinter Potemkin’schen Stellwänden mit Festtagsbeleuchtung zu verbergen.

Wie kaum anderswo in Mitteldeutschland kann man in Görlitz wie in einem Freiluftmuseum das Desaster des vermeintlichen Aufbaus Ost studieren. Früher hatte Görlitz 80 000 Einwohner. Davon sind heute gerade noch 58 000 übrig geblieben. Die drückende Schwere von Überalterung, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit liegt über dieser einst florierenden Stadt, deren herausgeputzte Fassaden das materielle und auch seelische Elend vieler Görlitzer verbergen, aber bestimmt nicht lindern können.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Die viel beschworene „Leuchtturmpolitik“ der Staatsregierung war hier ein voller Schuss in den Ofen. Der Wegzug der Menschen, insbesondere der leistungsfähigen Jugend, hält wegen der Strukturkrise in der Region unvermindert an.

„Der Aufbau Ost,“ schreibt denn auch zu Recht der beim Netzwerk „n-ost“ tätige Journalist Andreas Metz, „nirgendwo war er so grandios erfolgreich und ist gleichzeitig so grandios gescheitert wie in Görlitz.“

Dieses Versagen lässt sich auch durch die honorige Worthülse der Kulturhauptstadt 2010, wenn es denn klappen sollte, nicht unter den Teppich kehren.

Wenn man betrachtet, welche Folgekosten die Kulturstädte der letzten Jahre wegzustecken hatten, dann wird das Fragwürdige dieses ganzen Schaulaufens erst recht

offenkundig. In Graz, das 2003 europäische Kulturhauptstadt war, klaffte am Ende eine 144-Millionen-Lücke im Etat und die Stadt hatte plötzlich 700 Millionen Euro Schulden. Dreimal darf man raten, wer für solche Finanzlöcher in Görlitz geradezustehen hätte. Unsere polnischen Nachbarn etwa?

Anders als die etablierten Fraktionen verschließen wir nicht die Augen vor den finanziellen Risiken und Nebenwirkungen dieser Bewerbung von Görlitz zur Kulturhauptstadt.

Bitte zum Schluss kommen.

Ja. – Wir sehen klar, dass mit dieser Bewerbung allenfalls ein kosmetisches Lifting verbunden wäre, aber nichts, was den Menschen in dieser Stadt wirklich helfen würde. Wir als NPD-Fraktion beteiligen uns nicht am Aufbau neuer Potemkin’scher Dörfer auf Steuerzahlerkosten.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion der FDP das Wort.

(Karl Nolle, SPD: Bei Gansel sollte mal Fieber gemessen werden! – Jürgen Gansel, NPD: Sie sollten einen Diätplan entwickeln!)

Frau Schütz, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Gansel, Görlitz war länger böhmisch und preußisch als schlesisch.

(Beifall bei der FDP, vereinzelt bei der CDU, der SPD, den GRÜNEN und des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)

Wir bauen Europas Kulturhauptstadt 2010. Sie wissen, aus meinem Munde als Görlitzerin ist dies nicht nur im übertragenen Sinne gemeint.