Protocol of the Session on January 25, 2006

Wir bauen Europas Kulturhauptstadt 2010. Sie wissen, aus meinem Munde als Görlitzerin ist dies nicht nur im übertragenen Sinne gemeint.

Endspurt in der Bewerbung – es freut uns als FDPFraktion außerordentlich, dass wir Görlitz in der entscheidenden Bewerbungsphase um die Kulturhauptstadt Europas 2010 beglückwünschen und begleiten können. Dass die CDU-Fraktion heute diese Aktuelle Debatte beantragt hat, nachdem sich die Staatsregierung doch schwer getan hatte, die Bewerbung auf nationaler Ebene zu unterstützen, freut uns ganz besonders.

(Karl Nolle, SPD: Der positive Einfluss der SPD! – Allgemeine Heiterkeit)

In vier Jahren sollen die in den am 21.12.2005 an die internationale Jury überreichten Bewerbungsunterlagen benannten Projekte für Besucher aus ganz Europa und der Welt begreifbar und begehbar sein.

Der Brückenpark – ein stadtgestaltendes Vorhaben mit symbolischer Bedeutung.

Die Uferlandschaft an beiden Seiten der Neiße soll als urbaner Kulturraum gestaltet werden.

Begegnungen im geistig-kulturellen Zentrum der Europastadt Görlitz/Zgorzelec mit den Schwerpunkten Kultur, Bildung und Kommunikation.

Via Regia, der historische Handelsweg durch ganz Europa von Kiew bis Santiago de Compostela. Görlitz, an der Via Regia gelegen, verdankt nicht nur seinen Reichtum, sondern auch die Belebung in Kultur, Wissenschaft und Kunst dieser alten Handelsstraße.

Grenzgänge – drei Jahrtausende im Spiegel der Künste. Moderne Kunstwerke und Installationen wie zum Beispiel eine Spiegelgasse als bewusster Kontrastpunkt zur historischen Bausubstanz.

Steinerne Chronik – Görlitz als Modellstadt der Stadterneuerung kann neben seiner Sanierungsleistung in der historischen Altstadt auf eine 900-jährige Stadtarchitektur verweisen.

Landschaftsgestaltung im Umland von Görlitz – Renaturierungsvorhaben in ehemaligen Tagebaugebieten. Hier sei stellvertretend für den Berzdorfer See, der nun wahrscheinlich nicht bis 2010 vollständig geflutet sein wird, der Bärwalder See nordwestlich von Görlitz genannt.

Mit der Bewerbung und letztlich auch mit der Benennung als Kulturhauptstadt Europas 2010 kann Görlitz/ Zgorzelec als die „Europastadt in Sachsen“ internationale Bekanntheit erfahren. Das Bewusstsein, dass mit einer erfolgreichen Bewerbung von Görlitz/Zgorzelec auch in der Region wirklich Zukunft gestaltet werden kann, wächst in der Bevölkerung deutlich, wie auch die Akzeptanz, dass dafür Geld ausgegeben wird.

So kurz vor der Entscheidung zeigen immer mehr Einwohner, Offizielle und Multiplikatoren, dass sie stolz auf die Bewerbung sind, egal, ob sie das eine oder das andere, was nun gemacht wird, gut oder weniger gut finden.

An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich auch nicht jede Art von Kunst verstehe.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Genießen und nicht verstehen!)

Das Interesse von außerhalb in der Bewerbung führt mittlerweile auch dazu, dass man sich mit den Inhalten mehr beschäftigt. Dadurch werden wiederum mehr Interessierte eingebunden. Das Selbstbewusstsein der Bevölkerung und der Wille sich einzubringen nehmen stetig zu und konkretisieren sich, wie zum Beispiel in dem Staffellauf von Görlitz/Zgorzelec nach Brüssel in der Zeit vom 23. bis 27. März dieses Jahres, der von den Einwohnern aus Görlitz/Zgorzelec selbst organisiert wird.

Durch das rege Interesse nunmehr auch vor Ort wird die Arbeit des Büros der Kulturhauptstadt 2010 zunehmend geschätzt, und so wird besonders deutlich, dass man nur gemeinsam das Ziel erreichen wird. Dafür liegt immer noch eine große Aufgabe, eine Begeisterung in breiten Massen auszulösen, vor Görlitz/Zgorzelec. Das heißt, in

den kommenden Jahren muss die Zeit genutzt werden, zusätzlich für den Gedanken „Deutsch-polnische Europastadt zweier Nationen“ in der Bevölkerung zu werben.

Kurz vor der Entscheidung steigt die Betriebstemperatur. Das zeigen die vielen geplanten Aktivitäten und die intensive Wahrnehmung des Bewerbungsprocedere. Nichtsdestotrotz sollte Görlitz mutig und selbstkritisch sein und auch negative Stimmen zulassen; denn auf der Internetseite der Stadt findet sich leider kein einziges kritisches Wort. Wenn man aber eine so große Herausforderung sieht und dabei nicht ehrlich auch Probleme zugibt, halte ich das schon für bedenklich.

Das Engagement aller, gerade auch bei der Lösung der Probleme auf Landes-, Bundes- und Europaebene, ist gefragt. Ein kleiner Hinweis an Herrn Dr. Metz, der auch schon gegenüber den Mitgliedern des Wissenschaftsausschusses geäußert wurde: Mit den bestehenden Förderrichtlinien und den bisherigen finanziellen Zusagen wird dieses große Ereignis für Sachsen in Görlitz/Zgorzelec nicht zu verwirklichen sein.

Wir als FDP-Fraktion werden die Bewerbung nach allen Kräften mit unseren sächsischen Landes-, Bundes- und Europaabgeordneten unterstützen. – Sie sehen, meine Fraktionskollegen tragen den Pin mit dem Logo des über die Brücke hüpfenden Männchens.

Bitte zum Schluss kommen.

Wir bauen Europas Kulturhauptstadt 2010! Ich wünsche mir, dass dies zukünftig nicht nur Görlitzerinnen und Görlitzer sagen, sondern dass dies auch ein Werberuf, ein Slogan für alle in Sachsen wohnenden Bürgerinnen und Bürger wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Ich erteile der Fraktion GRÜNE das Wort; Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Beim Titel der heutigen Debatte habe ich natürlich auch ein sportliches Bild vor Augen gehabt, aber, Herr Külow, man muss schon den Blick an den Stadtgrenzen von Leipzig enden lassen, um dabei an die gescheiterte Olympiabewerbung zu denken.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: An nichts anderes hat Herr Külow erinnert! – Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Wenn wir Görlitz sehen, dann heißt dies doch, dass ein krasser Außenseiter am Start war und Görlitz sich jetzt auf der Zielgerade befindet. Nur Essen ist als Konkurrent überhaupt noch mit im Rennen, alle anderen wurden wegen Schwäche von der Jury aus dem Rennen genommen. Dieser Endspurt hat den Beifall und die Unterstüt

zung der GRÜNEN. Wir sehen die riesengroße Chance für die Stadt und die Region und sind überzeugt, die Menschen werden sie nutzen.

Diese Unterstützung haben wir Görlitz/Zgorzelec von Anfang an für die Bewerbung öffentlich angedeihen lassen, auch in schwierigen Zeiten. Es ist schon richtig, noch einmal daran zu erinnern, dass es auch Zeiten gab, als die Staatsregierung aus dem Munde des damaligen Staatsministers Rößler sagte, das Konzept stimme nicht, und als das Regierungspräsidium im Rahmen der Haushaltskonsolidierung ausgerechnet das Theater in Görlitz zur Disposition stellte. Diese Bestrebungen sind zum Glück nicht erfolgreich gewesen.

Ich habe gesagt, Görlitz wird seine Chance nutzen, das heißt, Görlitz wird mit seinen Stärken überzeugen. Worin bestehen die Stärken dieser Stadt? Die Jury hat es in ihrer Begründung gesagt: „Görlitz/Zgorzelec formuliert beispielhaft die Aufgaben der Versöhnung und des Zusammenwachsens Europas nach einem Jahrhundert der Kriege, Vertreibungen und Teilungen.“ Die oft benutzte Formel vom Brückenschlag wird in der Bewerbung von Görlitz/Zgorzelec greifbare Realität. Einst lag Görlitz in der Mitte Europas, im Schnittpunkt zweier bedeutender Handelsstraßen: der Via Regia, die bereits erwähnt wurde, und der Bernsteinstraße von der Ostsee an die Adria. Görlitz war ein Ort des Handels und des Austausches.

Im Gegensatz dazu steht die Trennung der Stadt 1945 durch die Neiße-Grenzziehung in einen deutschen Görlitz- und einen polnischen Zgorzelec-Teil. Herr Gansel: Die Trennung dieser Stadt und die Verringerung der Bevölkerungszahl haben Ursachen, die in dem verbrecherischen Kriegstreiben der Nationalsozialisten liegen – einer Ideologie, der Sie sich selbst in Ihrer Sprache, Ihren Schriften und Ihren Taten anschließen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD und der FDP – Uwe Leichsenring, NPD: Wir haben die Stadt nicht geteilt! – Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Ich kann es nicht akzeptieren, dass Sie sich vor dieser Vergangenheit und angesichts der Ideologie, die Ihrer Fraktion zugrunde liegt, in einer solch kleingeistigen und kleinkrämerischen Art äußern. Dies zeigt das kulturelle Niveau, das in Ihrer Fraktion existiert.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD und der FDP)

Die Städtepartnerschaft zwischen Görlitz und Zgorzelec hat die Grundlage für die Entwicklung gelegt. So ist Görlitz/Zgorzelec mit seiner Bewerbung ein exemplarisches Beispiel für Trennung und Zusammenwachsen von Städten in einer Region.

Die Bewerbung kommt auch in der richtigen Stunde nach der EU-Osterweiterung. Kulturhauptstadt – das ist ein wichtiges Zeichen der europäischen Idee, ein Zeichen dafür, dass Europa mehr ist als Euro oder Binnenmarkt. EU-Erweiterung war bisher vor allem eine Annäherung

der Staaten und ihrer Wirtschaften. Für die Annäherung der Menschen, die im Gange ist und intensiviert werden muss, sind Kunst und Kultur unersetzbar. Der kulturelle Austausch ist der beste Weg, um die europäische Gemeinsamkeit in ihrer Vielfalt zu entwickeln. Es ist diese Vielfalt der gemeinsamen Kultur, die uns in Europa verbindet und die die Grundlage für eine wachsende europäische Identität ist.

Görlitz ist geeignet wie kaum eine zweite Stadt, um dies zu beweisen und als Symbol Kulturhauptstadt zu demonstrieren. Es ist eine der schönsten deutschen Städte mit über 4 000 denkmalgeschützten Gebäuden, und es ist aufgrund seiner Geschichte auch jetzt eine Schnittstelle europäischer Kulturen. Die österreichisch-deutsch-schlesische Kultur trifft sich in Görlitz ebenso wie die Kultur des einstigen Judentums und die neue polnisch-schlesische Kultur, die ihre Wurzeln in den Gebieten der heutigen Ukraine und Belorusslands hat.

Der selbstbewusste Auftritt der Görlitzerinnen und Görlitzer mit dem Slogan „Wir bauen Europas Kulturhauptstadt“ ist ein richtiger Ansatz. Wir wollen, dass Görlitz das Ziel erreicht, Kulturhauptstadt zu werden. Aber auch das Bauen, der Weg ist bereits ein Ziel. Der Besuch des Kulturausschusses in Görlitz hat dies verdeutlicht. Das Treffen in den Räumen von Herrn Wieler, dem Intendanten des Görlitzer Theaters, mit einer Vielzahl von Initiativen und Verbänden hat deutlich gemacht, wie in der Phase der Bewerbung bereits der Austausch gewachsen ist, wie das Selbstbewusstsein und der Stolz der Görlitzer auf ihre Stadt gewachsen sind und welch große Rolle das Bürgerengagement spielt.

Bitte zum Schluss kommen.

Es sind die selbstbewussten Bürgerinnen und Bürger, die einst die Zerstörung ihrer Altstadt verhindert haben und die jetzt an der Kulturhauptstadt bauen. Die Probleme, die Görlitz noch hat, sind zugleich ihre Stärke. Die Transformationsprozesse in Görlitz sind härter als anderswo. Görlitz sollte sie in den Mittelpunkt stellen.

Bitte zum Schluss kommen.

Letzter Satz: Adolf Muschg hat es den Görlitzerinnen und Görlitzern für den Endspurt ans Herz gelegt: „Hören Sie auf mit Putzigkeit. Stehen Sie zu Ihren Problemen und Sorgen. Machen Sie etwas daraus!“

Wir unterstützen die Görlitzer dabei.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort; Herr Bandmann, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Görlitz wird Europas Kulturhauptstadt 2010. Ich bin ein gebürtiger und beken

nender Görlitzer. Frau Schütz sprach es bereits an: Die älteste Handelsstraße Europas, die Via Regia, führt von Kiew über Paris nach Santiago de Compostela. Ein Klima der europäischen Kultur weht in Görlitz mit einem fruchtbaren Dialog und Austausch.

Es waren zuerst die Kirchen, die auf ihr gemeinsames Erbe in dieser alten europäischen Kulturregion angeknüpft haben, gemeinsame Kirchentage und gemeinsame Prozessionen organisiert haben. Seit dem Herbst 1989 besteht wieder eine gemeinsame europäische Perspektive für unseren europäischen Kontinent, und wo wird dies spürbarer als an dieser Nahtstelle zwischen Görlitz und Zgorzelec? Eine europäische Kulturregion wächst wieder zusammen. Das Bindeglied über die Neiße sind in der Tat die Brücken. Sie symbolisieren nichts anderes als den Wiederaufbau und den Zukunftswillen der Stadt; und wer sich gegen Brücken ausspricht, spricht sich für Vergangenheit aus. Wir wollen Zukunft bauen, und die Brücke ist das Symbol der Kulturhauptstadt-Bewerbung. Der Mensch auf der Brücke weist auf das Entscheidende hin: dass es auf die Menschen ankommt, dies zu realisieren.