Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Es geht hier um Kinder, also um die Zukunft unseres Freistaates. Ich finde es beschämend, dass gerade bei dieser Debatte so wenig Abgeordnete anwesend sind. Wenn wir heute über den Gesetzentwurf der PDS zur Sicherung des Rechtsanspruchs von Kindern auf eine ganztägige Förderung in Kindertageseinrichtungen im Freistaat Sachsen sprechen, sollten wir die Einsicht beherzigen: Ein Kind ist kein Gefäß, das gefüllt, sondern ein Feuer, das entzündet werden will. Immer noch wird die Vorschulerziehung stiefmütterlich behandelt.
Gerade die Lernleistungsstudie „Pisa II“, die in den letzten Tagen vorgestellt worden ist, hat eine Diskussion über die Bildungspolitik erneut in die Gesellschaft hin
eingetragen. Dies ist gut so, da gerade die Bildung ein Gut ist, das es zu bewahren gilt. Doch greift diese Diskussion viel zu kurz, wenn lediglich über Reformen auf dem Schul- und Hochschulsektor nachgedacht wird. Bildung ist ein lebenslanger Prozess, der demzufolge schon beim Kleinkind anfängt. Da muss gerade auf dem Gebiet der Vorschulerziehung grundlegend umgedacht werden.
Gerade im Vorschulalter machen Kinder einen enormen Entwicklungsprozess durch. Das Kind lernt in dieser Entwicklungsphase, sich vor allem durch Ausprobieren die gegenständliche Welt anzueignen und sich in ihr zurechtzufinden. Zugleich werden in dieser Phase auch Identität, die Regeln, Normen und Werte durch das Kind erlernt.
Zu diesem Bildungsprozess benötigt das Kind eben auch andere Kinder. Nur in der Gemeinschaft kann letztlich die Sozialkonstruktion von Wissen stattfinden. Daher ist es notwendig, dass die beschriebene Sozialsituation des Kindes tatsächlich stattfindet. Es muss aus diesem Grunde gewährleistet sein, dass Kinder eben nicht aus diesem Reifeprozess ausgeschlossen werden.
Das bisher geltende Gesetz kann diese Anforderungen nicht in allen Punkten umsetzen. An dieser Stelle sieht meine Fraktion Handlungsbedarf. Wenn die Staatsregierung, was wir begrüßen, in der Koalitionserklärung die Lebensphase des Vorschulalters bereits als Bildungsphase begreift, dann findet Bildung dort nicht zwischen neun und zwölf Uhr statt, sondern zieht sich über den ganzen Tag hin.
Natürlich müssen sich in erster Linie die Eltern um ihre Kinder kümmern. Natürlich sind ein liebevolles Zuhause und eine gute Familie immer sehr wichtig. Aber wie die Kindertagesstätte nicht das Elternhaus und umgekehrt ersetzen kann, sind beide zusammen ein starkes Paar zur Entwicklung von kindlichem Potenzial in den ersten Lebensjahren.
Dass sich die Generationen immer weniger zu verstehen scheinen, immer weniger voneinander wissen, wird schon jahrelang propagiert, vor allem dann, wenn wieder etwas Schreckliches passiert ist. Dass es aber durchaus auch Wege aus dieser Ohnmacht geben kann, wird bei politischen Entscheidungen ausgeblendet. Wie sonst wäre zu erklären, dass Kinder- und Jugendarbeit, Kinder- und Jugendhilfe, Schulsozialarbeit durch Entscheidungen auf Landesebene in ihrer Existenz bedroht sind oder eingestellt werden mussten?
Soziale Auflösungserscheinungen in der Gesellschaft, Koalitionskonflikte haben immer noch eine längere Vorgeschichte. Wenn Kindern und Jugendlichen ein offizielles Bild über sich selbst vermittelt wird, das sie zum Problemfall werden lässt, macht es sie nicht neugierig auf ein Leben als Gemeinschaft. Junge Leute reagieren darauf völlig natürlich. Sie nehmen ihr Umfeld nicht als Gemeinwesen dar und konzentrieren sich auf ihren eigenen Lebensausschnitt. Da erleben wir heute auch die Abwanderungswelle in die westlichen Bundesländer, die uns zweifellos vor Probleme stellt.
Wir schaffen es nicht ohne die junge Generation. Deshalb muss die Botschaft sein, dass sie in unserer politischen Rangliste einen Platz ganz oben einnimmt. Wenn aber fortwährend in diesem Bereich gekürzt wird, dann sind
Kehren wir wieder zur Zukunftssicherung für Sachsen zurück. Wir haben mit diesem Gesetzentwurf die Möglichkeit, hier das rechte Signal zu setzen. Nutzen wir diese Chance!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der Absicht des In-Kraft-Tretens dieses Gesetzentwurfes zum 1.1.2005 lässt die PDS-Fraktion den wahrhaft guten Ansatz dieses Gesetzentwurfes leider ins Leere laufen. Auch die FDP setzt sich für ein qualitativ höheres Bildungsniveau in den Kindertageseinrichtungen in Sachsen ein. Kindertageseinrichtungen sind die erste Stufe im Bildungssystem. Ein kostenloses und gleichzeitig verpflichtendes Vorschuljahr, wie es die FDP vorschlägt, kann dabei ein wesentlicher Schritt sein. Der Rechtsanspruch, wie er hier formuliert ist, gibt den Eltern sofort die Möglichkeit, ihren Rechtsanspruch wahrzunehmen. Durch diesen so formulierten Rechtsanspruch sind die Kommunen aber auch sofort verpflichtet, entsprechende Angebote bereitzustellen. Da dies jedoch durch die abgeschlossenen Bedarfs- und Haushaltsplanungen in vielen Kommunen und Landkreisen bereits beschlossen ist, wird dies zum 1.1.2005 so nicht mehr möglich sein. Eine Angebotssteigerung von 70 % im Krippenbereich ist in den nächsten Jahren bei der derzeitigen Ausgangslage in Kommunen und Landkreisen nicht erreichbar. Selbst das Investitionsprogramm von 15 Millionen Euro lässt maximal den Neubau von etwa neun Kindertageseinrichtungen in ganz Sachsen zu. Wir halten eine Forderung nach einem grundsätzlichen Betreuungsanspruch von neun Stunden ab Geburt für unangemessen. Stattdessen stellen wir die Forderung nach mehr Flexibilität. Vereinbarkeit von Beruf und Familie neben hoher qualitativer Betreuung sollten oberstes Ziel eines entsprechenden Gesetzentwurfes sein. Uns fehlen die statistischen Größen der tatsächlichen Inanspruchnahme bei der entsprechenden Bedarfslage der Eltern und eine Aussage zum qualitativen Ausbau der Elternbildung. Wir werden uns daher bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf der Stimme enthalten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In der öffentlichen Diskussion zum Thema Ganztagsbetreuung steht in der Regel der Rechtsanspruch der Eltern im Vordergrund.
Sprechen wir über demografische Entwicklung, wird darauf verwiesen, dass ein Zusammenhang zwischen den Angeboten an Betreuungsformen und dem verwirklichten Kinderwunsch besteht. Nach einer Befragung des IPOS-Instituts vom September dieses Jahres sind immerhin 21 % der Befragten der Ansicht, dass die Bereitstellung von mehr Plätzen mit Ganztagsbetreuung für Kinder die Geburtenrate deutlich erhöhen würde. Damit rangiert dieser Aspekt der Ganztagsbetreuung immerhin vor der Bereitstellung von mehr Teilzeitarbeitsplätzen und vor der Erhöhung des Kindergeldes. Es sind dies auch unsere eigenen Erfahrungen aus Gesprächen mit Familien und Frauen. Denken Familien über den Kinderwunsch nach, dann überlegen sie, ob dieser mit der Berufsausübung – meistens der Frau – vereinbar ist.
Der Blickwinkel des uns vorgelegten Gesetzes ist jedoch ein anderer. Durch dieses Gesetz sollen die Belange der Kinder gestärkt werden. Das unterstützen wir. Darin stimmen wir auch mit dem Ministerpräsidenten überein, der heute Morgen sagte, das Bildungsangebot sei nicht nur an den Bedürfnissen der Eltern, sondern auch denen der Kinder auszurichten. Das verstehen wir unter Chancengleichheit; denn die Kinder sind es, die unter der Ausgrenzung leiden. Sie starten mit unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schule und können dieses Manko vielleicht nie wieder ausgleichen. Die Weichen für ihr Leben werden gestellt. Wir wissen, dass Entwicklungsnachteile durch professionelle Betreuung ausgeglichen werden können. Entwicklungsverzögerungen – zum Beispiel in der Sprachentwicklung – können rechtzeitig erkannt und positiv verändert werden.
Wir Bündnisgrünen fordern seit langem, dass der Bildungsauftrag in den Kindertagesstätten nicht nur formuliert, sondern auch eingelöst wird. Dazu gehört auch die Option einer ganztägigen Betreuung. Frau Nicolaus, es gibt zwar den Rechtsanspruch auf Besuch einer Kindertagesstätte ab dem Alter von drei Jahren, es gibt jedoch keinen Rechtsanspruch auf eine ganztägige Betreuung, und das steht im Gesetzentwurf.
Nur so erhalten Kinder aller sozialen Schichten von Anfang an einen gerechten Zugang zur Bildung. Dazu gehört unter anderem auch eine Professionalisierung der Erzieherinnenausbildung, die die Erzieherinnen in die Lage versetzt, Entwicklungsprobleme der Kinder frühzeitig zu erkennen und darauf angemessen zu reagieren. Dazu gehören auch Bildungsstandards; das ist jedoch heute nicht das Thema.
Es geht um eine quantitative und eine qualitative Verbesserung der Betreuung und Bildung, und zwar nicht unter Nützlichkeitsgesichtspunkten – sozusagen mit dem Gedanken an Verwertbarkeit verbunden –, sondern es geht um den Anspruch auf Chancengleichheit, und dieser liegt in der Person des Kindes und nicht im Anspruch der Gesellschaft begründet.
Deshalb brauchen wir den Rechtsanspruch von Kindern auf ganztägige Förderung, und wir brauchen ihn von
Die Staatsregierung verzichtet. Gibt es weiteren Bedarf zur Aussprache? – Herr Neubert möchte noch einmal sprechen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin etwas verwirrt, dass die Staatsregierung zu einem so wichtigen Thema nicht das Wort ergreift; einem Thema, das die letzten Jahre diesen Bereich dominiert hat. Ich möchte auf einige Dinge eingehen, die hier gesagt wurden. Zu dem neunstündigen Bildungs- und Betreuungsangebot als ganztägiges Angebot hat Frau Herrmann schon etwas eingewandt. Es ist natürlich auch klar, Frau Nicolaus, dass es früher an der einen oder anderen Stelle im Krippenbereich Wartelisten gab. Man muss aber feststellen, dass der Ausschluss, der jetzt stattfindet, ein per Beschluss und Kriterium an die Eltern gebundener Ausschluss ist. Das ist der Unterschied, denn generell wird danach der Bedarf etc. für die nächsten Jahre ermittelt. Wenn Sie sagen – und darüber streiten wir uns in diesem Haus immer wieder –, die Ablehnung von Zugangskriterien sei notwendig und es ist auch im Koalitionsvertrag so verankert, und daraus folgt jedoch keine Zustimmung zu unserem Gesetz – denn gesetzlich verankern kann man es nur auf diesem Weg –, dann finde ich das schade; denn im nächsten Jahr stehen in verschiedenen Kreisen – das wissen wir wahrscheinlich beide – wieder verschiedene Beschlüsse auf der Tagesordnung, die weitere Zugangskriterien einführen. Ich halte das für bedenklich, und wir könnten heute mit dem Gesetz die Möglichkeit schaffen, einen Riegel vorzuschieben.
Sie haben die Dinge, die in diesem Bereich positiv laufen, verschiedentlich ausgeführt. Selbstverständlich sind wir in den letzten Jahren im qualitativen Bereich vorangekommen. Die Erzieherinnenausbildung ist zurzeit noch eine große Baustelle, aber wir haben hierbei schon einen Schritt hinter uns gebracht. Die optimierte Schuleingangsphase, die in Sachsen eingeführt wurde, oder der Bildungsplan – selbstverständlich sind dies alles positive Dinge. Hier geht es aber um einen Bereich, an dem eine sehr starke Kritik unsererseits vorhanden ist. Das war mein Kernpunkt, den ich heute ausgeführt habe, und ich muss sagen: Eine Kindertagesstätte kann qualitativ noch so hochwertig sein, wenn aber Kinder über ein Kriterium der Eltern davon ausgeschlossen werden, halte ich das für falsch.
Das würde bedeuten, Kinder, deren Eltern Arbeit haben, dürfen diese hochwertige Bildung genießen, Kinder, deren Eltern arbeitslos sind, dürfen es nicht. Das ist politisch einfach falsch!
Sehr geehrte Damen und Herren! Noch ein paar Worte zu Frau Schütz von der FDP-Fraktion. Ich habe beim letzten Mal das ganze Feld grundsätzlich beleuchtet und natürlich auch gesagt, dass bestimmte qualitative Dinge mit auf die Tagesordnung gehören. Dieser Gesetzentwurf hat sich ganz konkret auf das Verbot von Zugangskriterien beschränkt. Aus diesem Grunde habe ich diese Dinge heute nicht noch einmal wiederholt.
Ich finde es bedauerlich, dass die CDU-Fraktion und die SPD-Fraktion, wie sich andeutet, diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen werden, und kann einfach nur noch einmal werben.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, wir werden an gegebener Stelle im nächsten Jahr sicherlich noch eine sehr intensive Diskussion über die genannte Thematik, die auch heute zum Thema geworden ist, führen. Aber lassen Sie mich noch ein paar Dinge zu dem sagen, was wir als Freistaat Sachsen zum Beispiel nicht in unserem Gesetz haben: Wir haben keine Zugangskriterien wie andere Bundesländer verankert – ich erinnere zum Beispiel an das Land Sachsen-Anhalt oder andere Bundesländer, die ich nicht alle nennen will –, sondern wir haben uns im Koalitionsvertrag, explizit von mir und auch von Frau Dr. Schwarz angesprochen, gegen die Zugangskriterien ausgesprochen und wir werden im nächsten Jahr das Übrige dazu tun, dass das auch festgeschrieben wird.
Nehmen Sie es doch hin! Wir wollen doch viel besser sein als Sie, Herr Dr. Hahn. Das habe ich doch vorhin erläutert. Gar keine Frage!
Das Gesetz ist doch viel zu einfach gestrickt. Wir wollen, wie vorhin ausgeführt, viel mehr in die Qualität investieren. Wir werden das auch tun. Dann werden wir das hochhalten und alle anderen Bundesländer werden uns darum beneiden. Dessen können Sie sicher sein.
Was ich mir aber wünschen würde, wäre schon jetzt vor Ort mehr Flexibilität. Dann würde das Problem, das der Ministerpräsident heute früh in der Regierungserklärung angesprochen hat, dass so wenig Kinder geboren werden, wahrscheinlich etwas minimiert. Denn warum gebären zum Beispiel so wenig Akademikerinnen Kinder? Weil sie, wenn sie in einem sehr hoch gestellten Job be