Eltern – das sage ich in aller Deutlichkeit – verstehen die teilweise dogmatischen Standpunkte ohnehin nicht mehr. Sie wollen die besten Chancen für ihre Kinder; denn ausnahmslos jedes Kind hat Anspruch auf eine erstklassige Ausbildung,
und zwar von Anfang an. Das Lernen beginnt nicht in der ersten Klasse. Deshalb legen wir einen Schwerpunkt auf die vorschulische Bildung. Die neue Staatsregierung hat das gemeinsame Ziel, den Bildungscharakter der Kindertagesstätten aufzuwerten. Das Angebot der Kitas ist nicht nur nach den Bedürfnissen der Eltern auszurichten, sondern vor allem nach den Chancen für unsere Kinder.
Früher hieß es: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“ – Diese Volksweisheit ist nicht altbacken; Neurologen bestätigen wissenschaftlich den Volksmund. Deshalb stehen unsere Kinder im Mittelpunkt.
Sie brauchen Erziehung und Bildung zu mehr Selbständigkeit, damit sie mit ihren eigenen Leistungen ihre Chancen in der Gesellschaft wahrnehmen können.
Bei dieser Aufgabe, meine Damen und Herren, sind aber auch die Eltern gefragt. Vorschule und Schule allein sind überfordert, wenn es darum geht, unseren Kindern die
bestmöglichen Chancen mit auf den Weg zu geben. Das Allermeiste nehmen unsere Kinder von zu Hause mit.
Wir alle, meine Damen und Herren, sind gefordert, damit unsere Kinder das entscheidende Enzym der Bildung entwickeln, nämlich die Neugier. Der wache Geist ist Voraussetzung für das Lernen und wird am leichtesten von den Eltern geweckt, die sich mit ihren Kindern beschäftigen. Wir alle müssen uns Zeit nehmen für unsere Kinder; denn das Lernen endet nicht mit dem Gong zum Schulschluss. Lernen verlangt mehr als Wissen und Kombinatorik.
Meine Damen und Herren, wir sind uns einig, dass die Qualität der Bildung mit bestimmten Werten fest verbunden ist. Unsere Gesellschaft bleibt ohne das Wissen um die jüdisch-christliche Geistestradition, die griechisch-römische Antike, ohne das Verständnis der Aufklärung und des Humanismus und ohne die Kenntnisse der eigenen Kultur und Geschichte unverständlich.
Achtung vor der Person des Gegenübers, Respekt vor dem Willen des anderen, die Freiheit des Denkens und der Worte, Rechtsstaat und Demokratie.
Meine Damen und Herren! Werte wie Toleranz und Weltoffenheit blieben hohle Phrasen und verkämen zur Beliebigkeit, wenn wir sie ohne den geistesgeschichtlichen Kontext weitergeben wollten. Wir tragen Verantwortung für die geistigen Errungenschaften unseres Kulturkreises. Wir werden uns allen Tendenzen und Strömungen entgegenstellen, die an die Grenzen unserer freiheitlichen Werteordnung stoßen, egal ob von innen oder von außen.
Sachsen ist über all die Jahrhunderte ein weltoffenes Land gewesen. Viele der kulturellen Schönheiten sind Einflüssen von außen zu verdanken. Ich halte die Parole „Grenzen dicht!“ für die denkbar dümmste Handlungsoption, wenn wir unsere Chancen in den kommenden Jahren nutzen wollen.
In diesem Jahr haben wir die politische Teilung Europas überwunden; die Grenzen zu unseren Nachbarn stehen nach 40 Jahren endlich wieder offen. Heute liegt Sachsen wieder in der wirtschaftlichen Mitte Europas. Viele sehen darin eine Bedrohung, aber darin liegt auch unsere große Chance. Meine jüngsten Gespräche in Wien und Warschau haben mir gezeigt, dass unsere Nachbarn mit den gleichen Hoffnungen auf das vereinte Europa blicken. Wir alle erhoffen uns, dass unsere Regionen in der Mitte des vereinten Europas wieder so aufblühen, wie sie vor dem Krieg auch gewesen sind.
Ich stelle mir ein weltoffenes, ein weltgewandtes Sachsen vor, ein Sachsen, das traditionell im Dialog mit Kunst und Kultur steht. Unser Land zählt zu den dichtesten Kulturregionen in Deutschland und in Europa. Jahrhundertealte Traditionen und ein gewachsenes bürgerschaftliches Engagement haben unser Land in besonderer
Ich freue mich ganz persönlich, dass William Forsythe an das Festspielhaus Hellerau kommt. Das neue Museum der Bildenden Künste in Leipzig ist selbstbewusster Ausdruck einer bürgerlichen und immer schon zeitgenössischen Sammlertradition.
Wir sind stolz auf die großartigen Leistungen unserer weltoffenen Kultur im Freistaat. Sie schaffen die nötige Identität in einer sich wandelnden Welt.
Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wir wollen diese Offenheit Sachsens auch für die Zukunft bewahren, gegen alle anderen Tendenzen, gegen alle Versuche der Polarisierung und Radikalisierung.
Meine Damen und Herren! Die Staatsregierung hat ein ehrgeiziges Programm geschnürt. Wir schauen mit Stolz auf das, was hinter uns liegt. Wir gehen mit gemeinsamer Kraft an die Dinge, die jetzt kommen. Dabei helfen uns nicht allein politische Programme und Absichten. Wir brauchen den Willen der Menschen. Wir brauchen die Begeisterung der Menschen für unser Land und die Freude, weiterhin dafür hohe Leistungen zu bringen.
Die Menschen in Sachsen haben hier ihre Heimat. Wir wollen, dass die Menschen hier in Sachsen nach vorn schauen, weil sie unser Land und die Menschen mögen und weil sie hier in Sachsen ihre Pläne machen und ihre Träume verwirklichen können.
Als 1989 die Wende kam, hatten wir alle große Hoffnungen. Vieles haben wir erreicht und können darauf aufbauen. Vieles mussten wir lernen und können heute davon profitieren.
Meine Damen und Herren, setzen wir mit Selbstbewusstsein diesen Weg fort! Die Geschichte unseres Landes ist eine Erfolgsgeschichte und muss eine Erfolgsgeschichte bleiben. Die Sachsen haben bewiesen, dass Leistung das Fundament für Wohlstand ist, dass nur aus Arbeit Arbeitsplätze entstehen.
Wenn wir heute die ersten Schritte auf einer neuen Etappe unseres Weges tun, wenn wir im neuen Jahr mit dem Solidarpakt II eine neue Phase der gesamtdeutschen Solidarität beginnen, dann tun wir das in der Gewissheit, dass Sachsen erwachsen geworden ist. Sachsen hat seine eigene kräftige Stimme in Deutschland wiedergewonnen. Die Staatsregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass diese Stimme für mehr Arbeit, für höchste Bildungsstandards und für faire Chancen für alle in diesem Land steht.
Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zur Aussprache über die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten. Ich bitte die Fraktion der PDS das Wort zu nehmen. Herr Prof. Porsch, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident! „Stolz sein auf Sachsen“ – damit wird es keine Not haben. Die Geschichte dieses Landes hilft uns da mit Sicherheit und es hängt nicht davon ab, ob wir gerade auch auf die aktuelle Regierung oder deren Ministerpräsidenten stolz sein können. Ich bin stolz. Ich lebe in Sachsen, in einem Lande, dessen Geschichte nicht durch die großen militärischen Siege geprägt ist, wenn es auch in viele militärische Abenteuer verwickelt war. Die fehlenden militärischen Erfolge gaben vielmehr die Chance, auf kulturelles Gebiet auszuweichen und sich wirtschaftlich durch Erfindungsreichtum, Fleiß, Mut und Vertrauen in die Zukunft zu profilieren, anstatt auf Expansion und Hegemonie zu setzen.
Freilich hielt man in sächsischen Königskreisen für den Gewinn einer Krone schon mal die Nase in den religiösen Wind. Oh, sächsisches Wunder aber, war dies doch zugleich die Überwindung des unsäglichen cuius regio eius religio – wessen Land, dessen Religion – der kriegerischen Zeiten nach der Reformation. Sachsen ertrug, dass die Landeskinder in großer Mehrheit protestantisch, das Herrscherhaus aber fortan katholisch sein konnte, bis hin zu Biedenkopf und Milbradt. Das ist ein fast einmaliger Vorgang in der europäischen Geschichte, der Sachsen zur Kultur und Innovationsfähigkeit auch noch die Toleranz und Weltoffenheit brachte. Nicht nur Richard Strauss nutzte das für seine im damaligen total katholischen Österreich unmögliche Scheidung und Wiederverheiratung.
Friedrich Augusts „Macht euern Dreck alleene!“ war die zwar vergnatzte, aber auch der aufgeklärten, spezifisch sächsischen Toleranz eines Königs geschuldete Abschiedsformel angesichts der an die Türe trommelnden Republik. Die Türe musste in Sachsen nicht eingetreten werden.
Augusts des Starken Religionswechsel übrigens machte ihn nicht nur zu einem starken politischen, sondern auch zu einem starken demografischen Faktor, weil er seine Kraft für die Zukunft des Landes einsetzen konnte, anstatt sie mit Kriegen zu vergeuden,
sieht man mal vom Intermezzo des Nordischen Krieges ab. Aber da half Russland – und August herrschte wieder über Polen, pflegte seine Kunstliebe, seine Prunksucht und seine Mätressen.
Sollte Augusts Treiben auch Sünde gewesen sein, brachte es doch sehr viel mehr Lust als jeder Krieg. Es stellte sich gerade in Sachsen heraus, dass dieser beileibe nicht Vater aller Dinge sein muss. Darauf will ich wohl stolz sein.
Ob August das, was Sünde war, auch wirklich bereute, wissen wir nicht. Nur so wäre ihm für die irdische Absolution in der katholischen Beichte auch im Himmel
rechtskräftig vergeben worden. Wir wissen deshalb auch nicht genau, wohin dieser sächsische Weg letztlich führt – ins Paradies oder ins Wehklagen; womit ich jetzt bei der Zukunft und dem „Mut zur Zukunft“ wäre. Da ist die Sache offensichtlich viel ungewisser als beim Stolz. Ich weiß nicht, Herr Ministerpräsident, ob Sie wirklich schon begriffen haben, dass Sie am 19. September dieses Jahres 16 % Ihres vormaligen Stimmenanteils und die absolute Mehrheit im Parlament verloren haben. Die Mehrheit in der Gesellschaft hatten Sie ohnehin schon lange nicht mehr. Sie stellen nur grantig fest, dass zu viele andere gewählt wurden, und bringen dabei gefährlicherweise noch ziemlich viel durcheinander. Sie sind offensichtlich immer noch nicht darüber hinweg, sich Ihr Sachsen zu träumen, das mit der Wirklichkeit nur wenig gemeinsam hat. Sie picken sich nur die Rosinen heraus, die Sie für den ganzen Kuchen halten. Persönlich seien Ihnen diese Rosinen gegönnt. Der restliche Kuchen schmeckt ja auch nicht. Wenn Sie dies aber als Ministerpräsident tun, so ist das fatal fürs Land. Denn die glitschige Masse des Kuchens ist das, wovon allzu viele im Lande sich nähren müssen, ohne je zu erleben, wie die Rosinen schmecken. Der Ministerpräsident kündigt zwar einen besseren Kuchen an. Allein, wie er werden soll, sagt er nicht. Alles soll noch attraktiver werden. „Es muss uns noch besser gelingen“ – das nannten wir früher den sozialistischen Papperlativ.
Sie beherrschen ihn, Herr Ministerpräsident, ebenso großartig wie einst ratlose Politbürokraten. Sie sprechen vom notwendigen zweiten Aufbruch. Da muss ja mit dem ersten, zumindest in den letzten Jahren, die Sie zu verantworten haben, einiges schief gelaufen sein. Den Erwartungen auf Konzepte für die Zukunft begegneten Sie heute über weite Strecken mit Politkitsch. Die Zahlenmagie, der sich der Ministerpräsident ergibt, ist die von Steigerungsraten, die allerdings kaum einen Arbeitsplatz schaffen. Da greift Ratlosigkeit um sich. Politikverdrossenheit im Lande ist die Folge. Nationalismus, Chauvinismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus drohen die sächsische Toleranz und Weltoffenheit nachhaltig abzulösen und geraten zur Schande so großer Sachsen wie Lessing, aber auch des Freigeistes Nietzsche. Willkommen ist nur mehr der Investor, nicht aber ein Nächster in Not. Man geht weg, um anderswo zu wirtschaften und zu heiraten. Im Lande ist eine neue politische Situation entstanden, und zwar geschuldet der Landespolitik der CDU, die seit Jahren nur noch den Problemstau verwaltet, und geschuldet einer Bundespolitik, die unter sozialdemokratischer Führung und unter dem Beifall der Unternehmerverbände mit dem Sozialstaat aufräumt, wie es sich konservative Politik wahrscheinlich nie getraut hätte. Hartz IV ließ im Sommer das Fass endgültig überlaufen,
nachdem schon die so genannte Gesundheitsreform kaum noch zügelbaren Unmut bei den Betroffenen hervorgerufen hatte. Das Fass lief über und schwemmte die SPD im Lande Sachsen hinein in ein historisch einmaliges Wahldesaster.
Die CDU bekam die Quittung für Fantasie- und Konzeptionslosigkeit angesichts andauernder Arbeitslosigkeit im Lande zwischen 17 und 19 %. Das sind seit Jahren konstant 400 000 von der Arbeitslosigkeit Betroffene, wobei sich die Langzeitarbeitslosigkeit fast schon galoppierend verbreitet. Die geringen Schwankungen bei den Arbeitslosen sind einzig saisonal und neuerdings auch statistisch bedingt. Strukturschwache Regionen hatte der Ministerpräsident schon explizit aufgegeben. Die Schule des 19. Jahrhunderts wird zum sächsischen Erfolgsmodell hochgelogen. Die finanzielle Knebelung und die mehr und mehr auch damit verbundene inhaltliche Beschränkung der Universitäten und Hochschulen wurden mit dem bekanntlich stinkenden Eigenlob für einen angeblichen Hochschulpakt zu verdecken versucht, der doch nur Ergebnis von Erpressung war. Kleine und mittlere Unternehmen verloren zunehmend an Förderung. Am schlimmsten aber: Schwarzer Filz im Verein mit absolutem schwarzem Herrschaftsanspruch überzog das Land und drohte es zu ersticken. Der Verlust von fast 16 % des Stimmanteils und damit auch der absoluten Mehrheit im Landtag ist angesichts solcher Tatsachen wohl mehr als gerecht.
Wir haben eine neue politische Situation im Lande, aus der sich mehrere mögliche Wege in die Zukunft ergeben. Die Situation ist durch Erfreuliches und Chancenreichtum ebenso charakterisiert wie durch möglicherweise Lähmendes oder sogar Katastrophales. Sehr unterschiedliche politische Kräfte konnten aus der Situation im Lande Vorteile und neue Positionierungen erlangen. Daraus sind neue Möglichkeiten für das Land entstanden – neue Möglichkeiten für politische Partnerschaften, aber auch ganz klar neue politische Konkurrenz und neue Gefahren für das Land: Sie kommen von rechts.