Protocol of the Session on December 9, 2004

Wir haben in den vergangenen Jahren solide und tragfähige Grundmauern errichtet, auf denen wir weiter aufbauen wollen. In vielen Bereichen haben wir westdeutsches Niveau erreicht bzw. stehen sogar besser da. Das sind auch Dinge, die das Leben lebenswert machen. Die Versorgung unserer Kinder im Vorschulalter ist im weltweiten Vergleich Spitze.

(Dr. André Hahn, PDS: Das haben Sie übernommen!)

Das bestätigt eine aktuelle Studie der OECD. Bei uns ist schöner Wohnraum leicht zu finden und zu bezahlen. Unsere Städte sind saniert und häufig Anziehungspunkte für Touristen aus aller Welt. Unser Land hat sich positiv verändert. Darauf können wir stolz sein.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Nur in einem Punkt können wir mit der Situation überhaupt nicht zufrieden sein: Nach wie vor ist in Ostdeutschland – und leider auch in Sachsen – die Arbeitslosigkeit doppelt so hoch wie in Westdeutschland. Fast jeder Fünfte in diesem Land findet keine Möglichkeit, für sich selbst zu sorgen. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Ich bin nicht bereit, mich damit abzufinden, und ich bin nicht bereit zu akzeptieren, dass die Hoffnung vieler Tausender Menschen von einem Sofortprogramm zum nächsten weitergereicht wird. Auch die Tatsache, dass Sachsen in Ostdeutschland die meisten Arbeitsplätze pro Kopf der Bevölkerung hat – sogar mehr als manches westdeutsche Land –, ist für mich eine bemerkenswerte Zahl, mit der allein ich mich jedoch nicht zufrieden geben kann; denn hier bei uns wollen mehr Menschen arbeiten, und das ist auch richtig so. Wir müssen mehr arbeiten, wenn wir aufholen wollen. Wenn wir wieder an die Spitze kommen wollen, brauchen wir mehr Arbeitsplätze in Sachsen.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Deshalb ist es das oberste Ziel der Staatsregierung, alles dafür zu tun, dass mehr Arbeitsplätze bei uns entstehen. Alle Maßnahmen der Politik müssen diesem Ziel dienen. Dabei sind uns die Erfolge der letzten Jahre eine Hilfe. Sachsen verfügt über kräftige Wachstumskerne, die bis in die Regionen ausstrahlen. Heute ist der Begriff „Clusterstrategie“ in aller Munde. Wir haben von Anfang an darauf gesetzt, wir haben in Sachsen vorhandene Traditionen fortgeführt und aus dem Vorhandenen Wachstum entwickelt. Automobilindustrie, Mikroelektronik, Maschinenbau – das ist in Sachsen nichts Neues. Es kommt darauf an, dass wir die Stärken stärken. Und Sachsen hat Stärken.

Wir haben aus dem Vorhandenen eine Struktur entwickelt, die auf Wachstum ausgelegt ist. Auch die Bundesregierung nennt unseren Weg „vorbildlich“. Die Ansiedlung von DHL in Schkeuditz ist das beste Beispiel für eine erfolgreiche Politik in Sachsen. Gerade die Infrastruktur um Leipzig wurde durch die Staatsregierung in

den vergangenen Jahren konsequent ausgebaut und für große Ansiedlungen ausgelegt. Porsche und BMW haben darauf aufgebaut. Auch DHL findet hier in Sachsen den Boden bereitet. Das sind 10 000 Arbeitsplätze weit in die Region hinein.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Schnelle Genehmigungsverfahren und verlässliche Entscheidungen der Verwaltung – das sind sächsische Markenzeichen, und das sollen sie auch bleiben. Davon profitieren nicht nur die großen Ansiedlungen, sondern auch kleine und mittelständische Unternehmen. Aber trotz all dieser Erfolge: Wir müssen gerade im Bereich der Verwaltung und der Verwaltungsentscheidungen noch mehr tun, um international wettbewerbsfähig zu sein.

Sachsens Stärken liegen nicht nur in den Zentren, wie oft behauptet wird. Damit sich die regionalen Potenziale noch besser entwickeln können, werden wir ein integriertes Förderprogramm „Regionales Wachstum“ mit 10 Millionen Euro bereitstellen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Damit der Mittelstand auch von dem guten industriellen Gerüst profitieren kann, werden wir einen mittelständischen Wachstumsfonds mit 30 Millionen Euro auflegen; denn oft können sich kleine Unternehmen die guten Bedingungen in Sachsen nur schlecht zunutze machen, weil ihnen schlicht und einfach Eigenkapital fehlt. Wir wollen – soweit es in unserer Macht steht – Wachstumshemmnisse beseitigen, damit auch die regionale Wirtschaft besser profitieren kann, damit Sachsen seine ganze Kraft ausspielt und sich ungebremst entwickelt. Wir werden alles daransetzen, dass Sachsen den Förderstatus als Ziel-1-Gebiet der Europäischen Union behält.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Wir wissen, dass wir in Brüssel viel Verständnis für unsere Anliegen gewinnen konnten. Der Abschlussbericht der Kommission enthält einen entsprechenden Vorschlag.

Meine Damen und Herren! Für uns steht Sachsen an erster Stelle, und wir werden darauf hinweisen, wenn Sachsen übergangen wird. Wir werden auch von anderen die Verantwortung für unser Land einfordern, und wir werden vor allem angesichts der Unterschiede in Deutschland zwischen Ost und West – gerade, was die europäische Politik betrifft – unseren Standpunkt laut und kräftig vertreten.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! An diesem Maßstab wollen wir uns aber auch selbst messen. Wenn wir besser sein wollen als andere, dann brauchen wir unsere geballte Kraft. Wenn wir uns behaupten wollen in einem vereinten Europa und in einer Welt, die über weltweite, sekundenschnelle Kommunikation zusammenwächst, dann müssen alle an einem Strang ziehen. Das gilt für Stadt und Land, für Wirtschaft und Verwaltung sowie für Ar

beitnehmer und Arbeitgeber. Wir alle sind aufgerufen, verantwortungsvoll und im gemeinsamen Interesse zu handeln, denn die Zeit der einfachen Wohlstandslösungen ist endgültig vorbei.

Meine Damen und Herren! Wir müssen erkennen, wann die Versprechen unseres Sozialstaats für unsere Kinder ungerecht werden. Wir müssen uns darüber klar werden, dass Solidarität kein Weihnachtsgeschenk des Staates sein kann. Wir müssen uns an die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „sozial“ erinnern. Der Sozius ist im Lateinischen ein Gefährte, einer, der gemeinsam den gleichen Weg mit uns beschreitet. Das Wort „Sozius“ hat beim Motorrad noch diese Bedeutung. Das Wort „sozial“ beschreibt also nicht ein Über- und Unterordnungsverhältnis, wie es zwischen Staat und Bürgern besteht. „Sozial“ beschreibt in erster Linie das Verhältnis der Bürger untereinander. Solidarität wird nicht verordnet, Solidarität müssen wir täglich leben – zwischen Alt und Jung, zwischen Stark und Schwach,

(Vereinzelt Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

zwischen Nord und Süd oder Ost und West.

Meine Damen und Herren, ich halte es für unverantwortlich, mit falschen Versprechungen das Vertrauen in die Kraft unserer Gemeinschaft zu zerstören. Was wir beim besten Willen nicht finanzieren können, sind populistische Scheinlösungen, die auf längere Sicht gegen die Interessen unseres Landes laufen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Wir müssen uns immer wieder fragen, wer welche Hilfen bekommt und wer welche Lasten trägt. Wir dürfen keinen lautstarken Parolen hinterherlaufen, sondern wir müssen die Arithmetik der sozialen Sicherheit genau unter die Lupe nehmen. Solidarität hat die gerechte Beurteilung der Leistungen jedes Einzelnen zum Fundament. Nur dann, wenn alle versprechen, das ihnen Mögliche zu leisten, kann unsere Gesellschaft die Erwartungen erfüllen, die wir an sie stellen. Beschäftigte können sich nicht auf Kosten des Sozialsystems verfrüht aus dem Berufsleben verabschieden, Arbeitgeber können nicht auf Kosten der Gemeinschaft ihren Personalbestand verjüngen und ihre Lohnkosten senken.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren, Schwarzarbeit mag ein willkommener Gewinn für den Einzelnen sein, aber sie ist ein riesiger Verlust für uns alle und auch unter den Managern können einzelne schwarze Schafe unsere gesamte Wirtschaft in Verruf bringen. Ich appelliere gerade an die Vorstände der DAX-Unternehmen, doch endlich ihre Gehälter offen zu legen und für Transparenz zu sorgen.

(Beifall bei der CDU, der PDS, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Wir wollen das Ansehen der Unternehmer stärken. Wirtschaftliches Engagement steht für Verantwortungsbewusstsein, Risikobereitschaft und Gestaltungswillen. Arbeitsplätze, die wir brauchen, kommen nicht vom Staat, sondern entstehen in den Unternehmen.

Wir wollen der Verantwortung und der Eigeninitiative wieder einen höheren Stellenwert einräumen; denn Neid und Anspruchsdenken sind Hemmschuhe auf dem Weg an die Spitze.

Natürlich wird die Hilfe der Gemeinschaft für diejenigen, die sich nicht selbst helfen können, weiterhin ein Grundpfeiler solidarischer Politik in Sachsen sein. Die Staatsregierung unterstützt die Reform zur Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, aber wir werden auch den Aspekt des Förderns weiter betonen. Klar ist aber auch, dass politische Instrumente den Arbeitsmarkt nicht behindern oder in Teilbereichen zum Erliegen bringen dürfen.

Wir brauchen neuen Ansporn, wir brauchen neuen Elan. Wir wollen, dass die Menschen in unserem Land ihre Leistungen zu ihrem eigenen Nutzen einbringen können. Deshalb wollen wir die Leistungsbereitschaft von Anfang an wecken. Für niemanden darf es zu spät sein, seine Chancen anzugehen. Wir wollen vor allem junge Menschen und Kinder von Anfang an bestmöglich unterstützen und fördern. Wir wollen alle Anstrengungen unternehmen, um die Chancen für jeden Einzelnen in der Wissensgesellschaft weiter zu steigern. Deshalb kommt der Bildungspolitik für die kommenden Jahre eine Schlüsselrolle zu.

Wir wollen künftige Generationen bestmöglich vorbereiten und deshalb werden wir uns weiterhin an den Besten in Europa orientieren. Seit wenigen Tagen liegt die neue Pisa-Studie für Deutschland vor. Deutschland hat sich insgesamt leicht verbessert, wir liegen aber nach wie vor im internationalen Durchschnitt oder teilweise darunter.

(Dr. André Hahn, PDS: Mittelmaß!)

Wir werden abwarten, bis im nächsten Jahr die Auswertungen für die deutschen Länder vorliegen. Nur eines – das sage ich gerade an die Zwischenrufer der PDS gerichtet –: Wir werden in Sachsen besser sein als der deutsche Durchschnitt.

(Dr. André Hahn, PDS: Trotzdem Mittelmaß!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Zurufe von der PDS)

Wollen Sie das etwa abstreiten, Herr Hahn? – Dann erkennen Sie es doch an und freuen Sie sich darüber, dass unsere Lehrer und unsere Erzieher das geschafft haben.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, PDS)

Aber wir werden unsere Schlussfolgerungen ziehen und in Sachsen passgenaue Lösungen entwickeln. Denn eines ist mir wichtig: Sachsen ist das Land in Deutschland, in

dem die Herkunft der Kinder die Ergebnisse am geringsten beeinflusst,

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, PDS)

und das soll auch so bleiben. Hintergrund der Eltern und das Zuhause spielen bei uns eine untergeordnete Rolle. Ich weiß mich mit allen einig, dass die Offenheit und die Durchlässigkeit weiterhin unsere Ziele sind und möglicherweise noch weiter verbessert werden sollten.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Diesem Ziel dienen auch die vereinbarten Gemeinschaftsschulen und andere Modellschulen mit besonderem Modellcharakter. Wir wollen die ideologischen Grabenkämpfe in der Bildungspolitik überwinden. Deshalb werden wir verschiedene Modelltypen unter wissenschaftlicher Begleitung einführen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das hätten Sie schon längst machen können!)

Wir wollen wissen, was für Sachsen das Beste ist, damit wir die jahrzehntealte Debatte hinter uns lassen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das hätten Sie aber schon früher haben können!)

Eltern – das sage ich in aller Deutlichkeit – verstehen die teilweise dogmatischen Standpunkte ohnehin nicht mehr. Sie wollen die besten Chancen für ihre Kinder; denn ausnahmslos jedes Kind hat Anspruch auf eine erstklassige Ausbildung,