Protocol of the Session on December 9, 2004

Wir haben eine neue politische Situation im Lande, aus der sich mehrere mögliche Wege in die Zukunft ergeben. Die Situation ist durch Erfreuliches und Chancenreichtum ebenso charakterisiert wie durch möglicherweise Lähmendes oder sogar Katastrophales. Sehr unterschiedliche politische Kräfte konnten aus der Situation im Lande Vorteile und neue Positionierungen erlangen. Daraus sind neue Möglichkeiten für das Land entstanden – neue Möglichkeiten für politische Partnerschaften, aber auch ganz klar neue politische Konkurrenz und neue Gefahren für das Land: Sie kommen von rechts.

Herr Ministerpräsident, Ihre klaren Worte heute zur NPD in Ehren – haben Sie herzlichen Dank dafür.

(Beifall bei der PDS)

Ihr egozentrisches politisches Weltbild, das Sie selbst zur Mitte macht und von ominösen Rändern gefährdet sein soll, sollten Sie jedoch vergessen. Es ist kreuzgefährlich.

(Beifall bei der PDS)

Die parlamentarische Sitzgeografie erklärt nichts. Rechts ist inhaltlich definiert: nationalistisch, leitkulturneurotisch, demokratiefeindlich und voll zerstörerisch aggressiver Angst vor Anderem und Fremdem.

(Zuruf von der NPD)

Das alles keimt und wächst auch in der Mitte der Gesellschaft. Politisch rechts und dementsprechend gefährlich bleibt es dennoch, nicht zuletzt wegen des perversen

Missbrauchs legitimer Bindungen und Identifikationen. Davon haben die Nazis schon einmal profitiert.

In einer solchen Situation ist eine orientierungslose Regierung der Zukunft des Landes beileibe nicht förderlich. Nur wegreden werden wir die Gefahren nicht. Ich weiß nicht, ob die Formulierung von der Koalition der Verlierer die Sache ganz trifft, die jetzt eingetreten ist. Sie trifft alles nur äußerlich. Ich meine vielmehr, wir müssen von einer Notgemeinschaft sprechen, die die Verlierer zusammenbrachte, denn einzig sie konnten – das muss man anerkennen – gerade noch so viel politische Gemeinsamkeit und noch so viel politisches Gewicht aufbringen, um sich eine rechnerische Mehrheit für ihre Koalition zu sichern. Eine politische Mehrheit haben sie aber weder im Parlament sicher und schon gar nicht in der Gesellschaft. Um dies zu erkennen, brauchte es nicht erst des Debakels bei der Wahl des Ministerpräsidenten. Es war aber beredter Ausdruck der politischen Wirklichkeit im Lande.

Der Koalitionsvertrag – Sie haben ihn gerade so gelobt, Herr Ministerpräsident – ist ein der Saison angepasster Wunschzettel an den Weihnachtsmann.

(Beifall bei der PDS)

Darauf steht, was man sich alles wünschen könnte. Der Weihnachtsmann dann, in Gestalt von vielen Kommissionen und Arbeitsgruppen, wird entscheiden, was man sich wünschen darf. Das wird nicht viel sein schon angesichts des dürftigen Wunschzettels, noch weniger wird es wohl im Lichte der finanziellen Möglichkeiten des Landes. Gerade wegen der eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten käme es aber darauf an, das wirklich Wichtige und das wirklich Richtige zu tun. Insgesamt handelt es sich bei der Koalitionsvereinbarung trotz der anerkennenswerten roten und rosaroten Punkte um ein längst überholtes konservatives Programm, das politische Gestaltungsmacht mit Wirtschaftsmacht verwechselt, und Wirtschaftsmacht wird einzig an Wachstum gemessen. Im Übrigen haben wir ja mittlerweile so einige Meldungen über die Realisierbarkeit der Wünsche auf dem Koalitionswunschzettel. An den Weihnachtsmann braucht dabei niemand zu glauben, wohl aber an den Ministerpräsidenten und an Staatsminister wie Frau Orosz oder Herrn Flath. Der Ministerpräsident wollte die Kommunen gleich aller zugesagten Geschenke berauben. Da gab es Radau und wie es scheint, sind jetzt die Geschenke doch gesichert. Allein der dreiste Versuch zeigt aber, womit wir noch rechnen müssen.

(Beifall bei der PDS)

Herr Flath erklärt uns, dass die Grundschulen nur dann etwas bekommen können, wenn man es den Gymnasien und Mittelschulen nimmt. Da beschenkt der Weihnachtsmann den einen auf Kosten der anderen. Wer sich darauf freute, dass die Kita-Plätze ohne Einschränkung zugänglich würden, weil ja Zugangsbeschränkungen von den Koalitionären im Vertrag eindeutig abgelehnt werden, der und die sieht sich eines Schlechteren belehrt. Frau Orosz sprach Klartext – ebenso Herr Flath, um noch einmal auf ihn zurückzukommen.

An die Stelle der Einlösung des Versprechens, so genannte Gemeinschaftsschulen zuzulassen, tritt die Verleumdung der bereits über 100 Anträge als Versuch, Schulstandorte zu retten. Und wenn schon, möchte man sagen – so mancher Schulstandort sollte ja auch gerettet werden! Wenn dann noch Neues, Besseres dabei entsteht, soll es doch recht sein, und dafür will ich mich dann sogar bei der SPD bedanken.

(Prof. Dr. Cornelius Weiss, SPD: Na also!)

Es muss aber erst entstehen, mein lieber Herr Weiss. Also müssen Sie schon noch ein bisschen arbeiten mit der Regierung und in der Regierung!

Fördermittel zur Verhinderung des Schlimmsten, was deutsche Sextouristen im tschechischen Grenzgebiet nicht zuletzt gegenüber Kindern anrichten, werden schon lange nicht mehr gewährt. Kinderweihnacht wird teilbar. Da kann ich gar nicht mehr lachen. Einzig Wirtschaftsminister Jurk erinnert sich seiner sozialdemokratischen Herkunft und winkt mit Gutscheinen für billiges Benzin. Die Gutscheine werden wohl so viel wert sein wie einst meine Gutscheine fürs Bravsein, die ich meiner Mutter zu Weihnachten schenkte. Gerührt waren wir alle und doch stand nur der Wille fürs Werk.

(Beifall bei der PDS)

Was der Wunschzettel wirklich wert ist, wird ohnehin erst die Haushaltsdebatte zeigen. Ich will dieser nicht vorgreifen. Klar ist aber, dass neue Wünsche weitgehend neue Schulden brauchen oder schmerzliche Kürzungen anderswo. Neue Schulden sind angekündigt genauso wie das weitere Sparen – koste es, was es wolle. Der Koalitionsvertrag ist schwammig genug – es mag ja sogar professionell sein –, um Reserven für Umschichtungen oder Streichungen vorzuhalten. Das betrifft vor allem den Bereich Soziales und Gesundheit. Es betrifft zum Beispiel die Jugendhilfe, die Polizei.

Bis auf die Bibliotheksausstattung – wieder etwas zu rühmen – betrifft diese Streichreserve auch die Hochschulen. Vor allem jedoch werden die Personalstellen schneller und drastischer gekürzt als zunächst vorgesehen. Das bisher gültige Personalabbaukonzept der Staatsregierung ging von der Zielgröße 88 500 Stellen im Jahr 2008 aus. Diese Zahl wurde im Einvernehmen der Koalitionspartner nun herabgesetzt auf 80 000. Die Zukunft ist also durchaus ungewiss. Vor allem für Menschen, für Einzelne ist sie ungewiss. Aber einer Sache können Sie sich ganz sicher sein, Herr de Maizière, da ist die Zukunft nie ungewiss: Die PDS-Fraktion wird wiederum und nun schon traditionsgemäß die Haushaltsdebatte mit einem eigenen alternativen Haushaltskonzept wesentlich mitgestalten.

(Beifall bei der PDS)

Dass Sie sich darauf freuen, ist klar, weil es da noch ein paar gute Ideen gibt, die Sie vielleicht dann dort einbauen können. Seit Jahren vergleicht uns der Ministerpräsident in eigener Manier an die Spitze im Wirtschaftswachstum, im Bildungswesen, bei den Hochschulen usw. – dazu hatten wir gerade wieder eine Lehrstunde.

Die Frage ist nur, was verglichen wird und womit. Insolvenzzahlen pro Kopf haben da zum Beispiel keinen Platz und der Durchschnitt Deutschlands reicht als Zielstellung. Siege in der letzten Liga werden bejubelt. Was die wert sind, Herr Ministerpräsident, können Sie bei Lok Leipzig nachfragen.

Inzwischen vergrößert sich aber der Rückstand zum EUDurchschnitt weiter – wenn auch mit etwas geringerer Geschwindigkeit als in den meisten anderen Bundesländern –, aber immer noch steht das Schlusslicht Deutschland-West vor dem Spitzenreiter Deutschland-Ost und am Abstand ändert sich nichts oder er wird größer.

Es bleibt dabei: Mit der CDU und der Majorität der CDU ist keine wirklich zukunftsfähige Politik für das Land zu machen. Das trifft auf alle wichtigen Politikfelder zu. Da mag eine SPD das eine oder andere korrigieren oder wenigstens entschärfen können; wie weit sie damit kommt, ist ihre Sache, an den Grundlagen ist nichts zu ändern. Deshalb wird unsere gesamte Politik in dieser Legislatur darauf gerichtet sein, dem Land und möglichen politischen Partnern zu zeigen, dass die für das Land so notwendigen politischen Alternativen links von der CDU liegen und nur mit der PDS und nicht gegen sie zu haben sind.

(Beifall bei der PDS)

Erstaunlicherweise scheinen wir uns ja in einigem einig zu sein: Alternativen braucht das Land – vor allem für die Entwicklung eines modernen Bildungssystems. Als Willensbekundung höre ich das schon seit langem aus dem Regierungslager, nur, es passiert nichts. Alternativen braucht das Land – für eine solche Entwicklung der Wertschöpfung, die deutlich mehr als bisher neue Arbeitsplätze schafft. Alternativen braucht das Land für die Beherrschung der demografischen Entwicklung und ihrer Folgen, für die sozialpolitische Gestaltung der weiteren Transformation und für seine demokratische und bürgernahe innere Verfasstheit, insbesondere also für die Verwaltungsmodernisierung und -reform. Diese Alternativen aber müssen Alternativen im Sinne der bestmöglichen Sozialpolitik sein, nämlich einer Politik, die es den Menschen ermöglicht, aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und damit ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Hierfür gibt es möglicherweise mehr Gemeinsamkeiten zwischen der demokratischen Opposition und der SPD als zwischen den Koalitionsfraktionen selbst. Wir wollen diese Möglichkeiten nutzen – freilich nicht, um einen oppositionellen politischen Einheitsbrei herzustellen. Es wird Schnittmengen geben, die es zu nutzen gilt; die Unterschiede dürfen und können aber auch nicht verwischt werden. Das wäre auch abträglich für Demokratie. Es ist ja gut, dass wir alle hier drin sitzen – nicht alle, aber fast alle.

Die PDS ist und bleibt Trägerin von eigenen und unverwechselbaren Alternativen, weil unsere demokratischsozialistische Option in allen konkreten politischen Angeboten und Handlungen den Durchbruch oder zumindest ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit bedeutet. Darunter ist mit uns nichts zu machen.

(Beifall bei der PDS)

Wir werden keinen vermeintlichen Sachzwängen folgen, die dem berechtigten sozialen Anspruch von Politikgestaltung zuwiderlaufen. Irdisch bleiben wir dennoch, das kann ich versprechen. Dass man uns etwas zutraut, davon zeugt das Wahlergebnis.

Wir werden selbstverständlich auch Positives, nach vorn Weisendes, so es denn aus der Koalition kommt, durchaus mit befördern, wenn es unserem Wahlspruch „Sozial – mit aller Kraft“ entspricht. Die wacklige Mehrheit der Koalition wird diese ohnehin dazu zwingen, früher oder später mit uns zu reden. Ich habe Herrn Milbradts Appell für Kollegialität im Parlament nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten nicht überhört. Wir sind zu Kollegialität bei Beratungen und Beschlüssen gern bereit, wenn wir den Eindruck haben, auch wirklich gehört und ernst genommen zu werden. Zum Mehrheiten-Retten oder SPD-Stärken stehen wir jedoch nicht zur Verfügung. Kollegialität bedarf übrigens zuvörderst der Rückkehr zur Fairness im Umgang miteinander. Dazu konnte ich keinen Beitrag für meine Fraktion in Ihrer heutigen Erklärung erkennen.

In „Aleksa.“, dem alternativen Landesentwicklungskonzept für den Freistaat Sachsen, haben wir von der PDS uns eine gute Grundlage für eine Politik geschaffen, die im Interesse des Landes ist, und indem wir eine solche Politik verfolgen, werden wir auch „Aleksa.“ weiterschreiben.

Die betriebswirtschaftliche Ausrichtung von Ökonomie braucht in Politik einen produktiven Widerpart, der volkswirtschaftliche und sozialstaatliche Ansprüche einbringt und durchsetzt. „Die Wirtschaft ist unser Schicksal“ kann nicht heißen, sich der Wirtschaft bedingungslos auszuliefern und die Aufgaben für Politik einzig darin zu sehen, die Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen Erfolg und notwendige Voraussetzungen dafür, wie zum Beispiel Bildung oder Sicherheit, zu schaffen. „Die Wirtschaft ist unser Schicksal“ kann nur so interpretiert werden, dass Wirtschaftstätigkeit und wirtschaftlicher Erfolg durch Politik so beeinflusst und genutzt werden, dass die Ergebnisse dem Nutzen aller zugute kommen. Dies ist übrigens ein Verfassungsgebot.

Es kann auch nicht sein, dass wir zum Teil zweistellige Steigerungsraten bei der Industrieproduktion oder im Exportgeschäft haben – erkauft mit riesigen Fördersummen – und dies keinerlei Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt insgesamt hat. Die PDS hat schon seit langem und sehr oft hier in diesem Hohen Hause und anderswo darüber gesprochen. Die vom Ministerpräsidenten heute wiederholte monolithische Theorie vom Wachstum als Ausweg aus allem Übel ist doch längst an solchen Zahlen zerschellt. Er will aber nicht einmal seinem Vorgänger, der sehr viel weiter in der Erkenntnis ist, Gehör schenken.

Herr Ministerpräsident, wenn Sie vielleicht sonst schon nichts von Marx halten – vielleicht sollten Sie ihm wenigstens in der Erkenntnis folgen, dass das Kriterium der Wahrheit die Praxis ist.

(Karl Nolle, SPD: Wohl wahr!)

Und die Praxis lehrt uns folgende Wahrheiten:

Na klar, Herr Nolle, es ist doch schön, dass Sie mir zustimmen – wohl wahr.

Die Praxis lehrt uns folgende Wahrheit – jetzt bin ich gespannt, ob Sie auch noch mal „wohl wahr“ ist – –

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Herr Nolle, Sie sind doch das lebende Beispiel für Transformation ohne Veränderung der äußeren Gestalt.

(Heiterkeit)

Die Praxis lehrt uns folgende Wahrheiten:

Erstens. Ein Bildungssystem ist dann modern, wenn es aufhört, ein Instrument zur Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse der Ungleichheit und ungleichen Chancenverteilung zu werden, und im Gegenteil dazu beiträgt, genau solche Verteilungsverhältnisse aufzuheben. Davon sind wir weit entfernt. Die Bildungsfähigkeit aller Kinder gleichermaßen auszuschöpfen muss unser Ziel sein, zu dessen Erreichung wir uns im Lande schnellstens auf den Weg machen müssen.

(Beifall bei der PDS)

Unser streng gegliedertes Schulsystem mit der frühen Differenzierung der Bildungswege ist dazu ungeeignet. Punktum!

(Beifall bei der PDS)

Wenn wir noch besser dastehen als andere, heißt das keineswegs, dass wir gut dastehen. Das Wissen um Bildung als Instrument zum sozialen Aufstieg hat sich in der DDR herausgebildet und prägt nach wie vor. Daran hat sich die CDU-Schule zwar versündigt; zerstören konnte sie es allerdings noch nicht ganz.