Protocol of the Session on January 24, 2006

Entwickelt wurde diese Verfassungskategorie am Rechtsgut der Umwelt exemplarisch.

Wenn – davon gehen wir sehr wohl aus – durchaus ein breiter Konsens unter den demokratischen Parteien und in der demokratischen Gesellschaft besteht, dass Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus eine nicht hinnehmbare Verhaltensweise sind, sich aber eben nach der Realität des Verfassungsalltages dieser gesellschaftliche Konsens nicht allein durchsetzt, steht der Staat, steht der Gesetzgeber in der Handlungsverantwortung, einen verfassungsorganisatorischen Rahmen zu setzen. So, wie der Einzelne im vitalen Interesse von Individuum und Gesellschaft die Umwelt schützen muss, dies aber ohne staatliche Hilfe nicht automatisch erfolgt, muss auch hier staatsverpflichtend Vorsorge getroffen werden.

Dr. Maslaton formulierte in seiner Sachverständigenstellungnahme prägnant: „Allein der sächsische Staat besitzt die materiellen und auch bildungspolitischen Mittel, um die Gesellschaft bei ihrer Aufgabe, sich vor Menschenwürde verachtenden Strömungen zu verteidigen, ausreichend zu unterstützen.“

Eben darum, ob es dieser programmatischen Hervorhebung bedarf, ob in der Verfassung klargestellt werden muss, dass aktives Handeln gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus sowie gegen Wiederbelebung und Verbreitung von nationalsozialistischem Gedankengut ein Schutzgut von überragendem Rang mit Meinungswechselunabhängigkeit darstellt, geht es in der Auseinandersetzung um den und mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf. Wir beantworten diese Frage eindeutig mit Ja. Das ist unsere Position. Eine andere Position diffamieren wir nicht, greifen sie aber sehr wohl politisch an. Was sonst?

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Schiemann, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede Folgendes klarstellen. Zunächst zu meinem Vorredner: Ich bin dankbar, dass er das nicht

wiederholt hat, was er im Rechtsausschuss in der Diskussion versucht hat.

Im Rechtsausschuss ist von den Vertretern der Linksfraktion.PDS versucht worden, eine Schwarz-WeißDiskussion herbeizuführen, die dazu beiträgt, dass diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen, zu den Guten gehören, und diejenigen, die den Gesetzentwurf nachfragen oder eine andere Meinung vertreten, zu den Schlechten. Diese Diskussion, diese Form der Diskussion muss ich für die CDU-Fraktion klar zurückweisen.

(Beifall bei der CDU)

Mit aller Deutlichkeit weise ich darauf hin, dass wir Bestrebungen, Nationalsozialismus zu verherrlichen, zu verharmlosen oder zu glorifizieren, mit aller Entschiedenheit ablehnen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft hat Mord, Völkermord, Krieg, Elend und Not in viele Teile der Welt gebracht. Der Völkermord an den europäischen Juden war der Gipfel der Perversion des Dritten Reiches. Deshalb lehnt die CDU-Fraktion alle Bestrebungen, dies zu relativieren, klar und deutlich ab. Tun wir alles dafür, dass sich diese Schande niemals wiederholt!

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der SPD, der FDP und den GRÜNEN und der Abg. Dr. Monika Runge, Linksfraktion.PDS)

Wer Gesetze ändert, muss dies klar begründen. Wer die Verfassung ändern will, unterzieht sich einem noch größeren Begründungszwang.

Waren die zurückliegenden Entwürfe der Linksfraktion.PDS zur Änderung der Sächsischen Verfassung bemüht, den 1992 erzielten Verfassungskompromiss einseitig zu ändern, so reagiert der erneute Versuch, die Verfassung zu ändern, auf ein aktuelles politisches Problem.

Das politische Problem nimmt die CDU-Fraktion äußerst ernst, besudelt es doch die Entwicklung und das Ansehen des Freistaates Sachsen. Wir haben uns deshalb auch intensiv mit dem Entwurf befasst. Dabei waren für uns zwei Fragen zu klären. Erstens: Kann man aktuell-politische Fragen mit Verfassungsänderungen lösen? Kann man politische Fragen, die im Land da sind, mit Hilfe von Verfassungsänderungen lösen? Zweitens: Welche Rechtsgrundlagen bietet die Sächsische Verfassung?

Das Grundgesetz sagt im Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dieser Satz wird oft und gern zitiert als Forderung, als Ermahnung, als Beweis der Kultur. Seit 50 Jahren steht diese Aussage von der Unantastbarkeit der Menschenwürde an erster Stelle unseres Grundgesetzes. Das ist wohl einmalig in der Welt. Es war und bleibt eine Reaktion auf die Unmenschlichkeit des Dritten Reiches.

Während der Diskussion zur Sächsischen Verfassung haben wir den Artikel 14 ebenfalls sehr lang und breit

diskutiert. Der Artikel 14 lautet gleich dem Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Wir haben dann auch während der Diskussion oder während der Anhörung verschiedene Meinungen der Experten gehört. Es ist, glaube ich, ganz wichtig festzustellen, dass die Experten Rechtsanwalt Maslaton und auch Herr Kubitz von der GdP an uns die Bitte gerichtet haben: „Ihr müsst euch diesem politischen Problem stellen!“

Es bleibt die Frage: Was haben wir bisher an Verfassungsregelungen in die Sächsische Verfassung aufgenommen?

Einmalig – und das haben Sie leider verpasst, Herr Kollege Bartl – ist, dass es eine deutsche Verfassung gibt, die im Freistaat Sachsen ihr Zuhause hat und die einmalig auf das Unwürdige des Nationalsozialismus reagiert, und zwar in der Präambel.

Die Präambel sagt deutlich: „Anknüpfend an die Geschichte der Mark Meißen, des sächsischen Staates und des niederschlesischen Gebietes, gestützt auf Traditionen der sächsischen Verfassungsgeschichte, ausgehend von den leidvollen Erfahrungen nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft, eingedenk eigener Schuld...“ usw. usf.

Innerhalb dieser Präambel gibt es kein deutsches Land, das einen vergleichbaren Auftrag hat, Nationalsozialismus abzulehnen. Uns wurde während der Verfassungsdiskussion immer vorgeworfen, wir würden beides gleichsetzen. Deutlich sagen muss ich: Wir haben niemals Nationalsozialismus mit Kommunismus gleichgesetzt, wir haben immer beides abgelehnt. Dies findet sich in der Präambel wieder.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Wenn man in manchen Reden nachschaut, findet man auch andere Beweise. Prof. Porsch hat in einer Rede – ich glaube, es war während einer Vorlesung am 17. Juni 2004 an der TU Dresden – gesagt, dass die Präambel zum geltenden Recht geworden ist. Er führte aus, dass ihm das zwar nicht so passe, aber es sei geltendes Recht im Freistaat Sachsen geworden. Das heißt, die Präambel ist materielles Recht im Freistaat Sachsen geworden – die erste Regelung, die wir in Ablehnung der Erfahrungen des Nationalsozialismus haben.

Wir haben dann – und das war immer ein großer Schwerpunkt – die Wiedergutmachung an die zweite Stelle gesetzt. Wir haben die Artikel 116 und 117 klar mit der Wiedergutmachung für die kommende Arbeit im Freistaat Sachsen ausgestaltet. Die Verfassung gibt ein klares Zeichen: Ihr müsst auch die Opfer des Nationalsozialismus so in der Gesellschaft stellen, dass das, was ihnen angetan worden ist, mit den Möglichkeiten, die eine Verfassung leisten kann, wieder gutgemacht werden kann.

In der Diskussion – dafür möchte ich mich ganz herzlich bei der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bedanken

ist noch einmal ausdrücklich auf Artikel 114, Widerstandsrecht, hingewiesen worden – eine Regelung, die ebenfalls aufgenommen worden ist und die man in diesem Zusammenhang nicht vergessen darf.

Bleibt festzustellen: Der Freistaat Sachsen hat eine Verfassung geschaffen, die weder Inhalten im Grundgesetz widerspricht noch Eingang in eine andere deutsche Verfassung gefunden hat. Die Mehrzahl der Experten sagte uns: Dies ist ein Teil dessen, was ihr zur Bekämpfung der Bestrebungen der Verherrlichung und Verharmlosung des Nationalsozialismus als Rechtsgrundlage in eurem Land habt. Ich kann nur alle auffordern, diese Rechtsgrundlagen auch im Freistaat Sachsen ernst zu nehmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit einer Aufnahme als neues Staatsziel werden wir kein Mehr an materiellem Recht schaffen. Es ist ein Versuch, politische Probleme auf dem Wege der Verfassung zu lösen. Ich glaube, dies ist nicht der richtige Weg. Die politische Auseinandersetzung muss im Tagesgeschäft geschehen. Wir müssen uns klarer davon distanzieren, was unser Land in Misskredit bringt. Ich bleibe dabei: Die Ablehnung des Nationalsozialismus gehört zum Gründungsfundament der Sächsischen Verfassung, gleichsam zu ihren Konstitutionsprinzipien. Dies ist die Grundlage, auf der wir weiterarbeiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Schuldbekenntnis, die Wiedergutmachung, alles daranzusetzen, dass sich Derartiges niemals wiederholt, und die große Beachtung der Menschenwürde bei allem Handeln in unserem Land – das ist die Grundlage, auf der wir weiter arbeiten sollten.

Als Schlusssatz: Die Vizepräsidentin des Zentralrates der Juden, Frau Charlotte Knobloch, hat uns in einer Rede mit auf den Weg gegeben: „Sie als Nachgeborene haben keine Schuld und Verantwortung an dem, was geschehen ist, aber Sie übernehmen Verantwortung, dass sich Derartiges niemals wiederholt.“

Wir haben 1992 diese Verantwortung für die Verfassungswirklichkeit in unsere Sächsische Verfassung aufgenommen.

Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich erteile der SPDFraktion das Wort; Herr Abg. Bräunig, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Fraktion glaubt nicht, dass durch eine weitere Staatszielbestimmung – mag sie nun „Antifaschistische Klausel“ heißen oder auch nicht – tatsächlich ein Fortschritt bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus erreicht wird. Diese Haltung hat nichts – dies möchte ich hier noch einmal ganz deutlich sagen – mit einem etwa halbherzigen

Bekenntnis zum Antifaschismus zu tun, sondern sie beruht ausschließlich auf rechtlichen Erwägungen.

Ich will dies gern begründen. Zunächst möchte ich deutlich sagen, dass eine Verfassungsänderung – Herr Schiemann machte es bereits deutlich – aus Respekt vor dem Verfassungswerk insgesamt nur dann erfolgen sollte, wenn in der Sache eine erhebliche Rechtsverbesserung erzielt wird, die anderweitig nicht zu erreichen ist. Jede noch so gut gemeinte Symbolik – und Ihr Ansinnen ist ja gut gemeint, aber es ist eben nur Symbolik – knüpft Erwartungen, die unsere Verfassung so nicht erfüllen kann, und führt zwangsläufig zu Enttäuschungen, die letztlich wiederum dem Verfassungswerk zugeschrieben werden und damit seine Identifikationskraft mindern.

Meine Damen und Herren! Die öffentliche Sachverständigenanhörung zu diesem Gesetzentwurf war in rechtlicher Hinsicht eindeutig. Die Linksfraktion konnte den Nachweis einer tatsächlichen Rechtsverbesserung durch die Klausel nicht führen. Demgegenüber ist jedoch deutlich geworden, dass das Anliegen des Antifaschismus, wenn auch nicht mit diesem speziellen Begriff, aber doch der Sache nach bereits fest in unserer Verfassung verankert ist. Über die Präambel hinaus ist die Sächsische Verfassung zutiefst von einer antifaschistischen Tendenz geprägt. In ihrer ganzen rechtsstaatlichen Ausrichtung verkörpert sie eine diametrale Abkehr vom Nationalsozialismus, dessen Menschen- und Gesellschaftsbild mit den Werten unserer Verfassung vollkommen unvereinbar ist.

Alle Überlegungen und Bemühungen bei der Erarbeitung der Sächsischen Verfassung waren darauf gerichtet, totalitäre Bestrebungen, insbesondere nationalsozialistische, für immer in Sachsen auszuschließen. Eine Reihe von Verfassungsnormen hat dabei den unmittelbaren Zweck, verfassungsfeindliche Bestrebungen abzuwehren. Beispielhaft – Herr Schiemann ist bereits darauf eingegangen – möchte ich hier noch einmal Artikel 14 der Sächsischen Verfassung nennen. Ich erlaube mir, Abs. 1 zu zitieren: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Abs. 2: Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen ist Quelle aller Grundrechte.“

Dieser Artikel 14 beinhaltet als konkrete Schutzpflicht das handlungsleitende Bekenntnis des Staates gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus und steht damit völlig im Widerspruch zur nationalsozialistischen Rassenlehre. Als unmittelbare Schutzpflicht geht Artikel 14 in seinen Rechtswirkungen deutlich darüber hinaus, was mit einer Staatszielbestimmung überhaupt erreicht werden kann. Es ist somit auch falsch, wenn behauptet wird, dass unsere Verfassung bisher kein klares Bekenntnis zum Antifaschismus enthält; denn ich habe dies soeben hier dargelegt.

Meine Damen und Herren. Die Linksfraktion ist mit ihrem Verfassungsanliegen sowohl im Bund als auch in anderen Ländern gescheitert, da sie in diesem speziellen Fall die Systematik von Verfassungsrechtssätzen verkennt. Dieser Mangel wird auch nicht durch den Ände

rungsantrag behoben. Wir sollten alle miteinander vielmehr deutlich machen, dass es darauf ankommt, die Verfassung des Freistaates Sachsen täglich neu mit Leben zu erfüllen, anstatt den Eindruck zu erwecken, dass sich rechtsextremistische Bestrebungen mit der Einführung einer antifaschistischen Klausel als Staatsziel bekämpfen lassen. Mit einer Stärkung bürgerschaftlichen Engagements lässt sich der Kampf gegen Rechts viel effektiver führen. Dies sollte unsere Maxime sein.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Die NPD-Fraktion erhält das Wort; Herr Abg. Apfel.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Mit einem abstrakten Feind, den man Faschismus nennt, ohne ihn konkret zu benennen, kann überhaupt kein Kampf gegen die Feinde der Demokratie aufgenommen werden.“

Mit diesem Schlusswort endete Prof. Bernd Rabehl in der Expertenanhörung zur so genannten Antifaschistischen Klausel am 26. September 2005 in seinem Plädoyer gegen den Gesetzentwurf, den selbst die PDS aus Gründen der Verschleierung kaum mehr als Antifa-Klausel bezeichnet wissen will.