Protocol of the Session on January 24, 2006

Drucksache 4/4033, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend

Auch hier ist keine Aussprache vorgesehen. Ich frage dennoch, ob ein Abgeordneter das Wort wünscht. – Das ist nicht der Fall.

Wünscht die Berichterstatterin des Ausschusses, Frau Herrmann, das Wort? – Das ist ebenso nicht der Fall. Dann schlage ich Ihnen auch hier vor, über den Gesetzentwurf artikelweise in der Fassung, wie sie durch den Ausschuss vorgeschlagen ist, zu beraten und abzustimmen, und zwar nach Geschäftsordnung § 44 Abs. 5 Satz 3. Gibt es dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung selbst.

Wir stimmen ab über das Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer "Stiftung Sächsische Behindertenselbsthilfe – Otto Perl". Wir stimmen ab auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend, Drucksache 4/4033.

Wir stimmen über die Überschrift ab. Wer der Überschrift die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Es wurde einstimmig beschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung über Artikel 1, Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer "Stiftung Sächsische Behindertenselbsthilfe – Otto Perl". Wer dem Artikel 1 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Der Artikel ist einstimmig beschlossen.

Ich lasse abstimmen über Artikel 2, Änderung des Gesetzes zur Errichtung des Sondervermögens, Ausgleichsabgabe nach dem Schwerbehindertengesetz. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Es wurde einstimmig beschlossen.

Ich lasse abstimmen über Artikel 3, Neufassung von Gesetzen. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Dem ist einstimmig zugestimmt.

Ich lasse abstimmen über Artikel 4, In-Kraft-Treten. Wer dem Artikel 4 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist das einstimmig so beschlossen.

Meine Damen und Herren! Da in der 2. Lesung keine Änderung beschlossen worden ist, kommen wir zur 3. Lesung. Ich stelle den Entwurf Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer "Stiftung Sächsische Behindertenselbsthilfe – Otto Perl" in der in der 2. Lesung beschlossenen Fassung als Ganzes zur Abstimmung. Wer dem Entwurf des Gesetzes zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist der Entwurf als Gesetz beschlossen und der Tagesordnungspunkt beendet.

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 6

2. und 3. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Einfügung eines weiteren Staatsziels in die Verfassung des Freistaates Sachsen (Artikel 12a, "Antifaschistische Klausel")

Drucksache 4/1238, Gesetzentwurf der Linksfraktion.PDS

Drucksache 4/4035, Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses

Den Fraktionen wird das Wort zu einer allgemeinen Aussprache erteilt. Es beginnt die Linksfraktion.PDS. Danach folgen CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und Staatsregierung, wenn gewünscht.

Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte, dass die Linksfraktion.PDS das Wort nimmt. Bitte schön, Herr Bartl.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den vorliegenden Gesetzentwurf, der ja in der abschließenden Sitzung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses am 16.01.2006 behandelt worden ist, wobei mit dem heute nochmals eingebrachten Änderungsantrag unserer Fraktion eine nicht unwesentliche Veränderung in der systematischen Einordnung auch in der von uns angestrebten Staatszielbestimmung erfolgen soll, hat die damalige Fraktion der PDS bereits im April 2005, mithin nahezu vor einem Jahr, in den Geschäftsgang eingebracht.

Die Bundesrepublik Deutschland und speziell auch der Freistaat Sachsen waren zu diesem Zeitpunkt nicht nur von der Tatsache beherrscht, dass kaum eine Woche verging, da nicht über neue, für unser Land beschämende Ereignisse berichtet werden musste, die einen deutlich fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Charakter trugen. Wir waren auch mit dem Wahlergebnis zu den wenige Monate vorher stattgefundenen Wahlen zum 4. Sächsischen Landtag und den Landtagswahlen in Brandenburg konfrontiert, die zeigten, dass Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus, neonazistisch geprägte Erklärungs- und Verhaltensmuster und vermeintliche Lösungswege, auch bedingt durch tief

greifende soziale Spannungen in der Gesellschaft, von einem nicht geringen Teil der Bevölkerung zumindest toleriert werden. Dies kam im Wahlergebnis zum Ausdruck.

Auch hatte zum Zeitpunkt der Einbringung unseres Gesetzentwurfes gerade die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in ihrem Bericht über Rassismus und Diskriminierung ihre Besorgnis über die Zunahme von Rechtsextremismus in Deutschland erklärt, aus unserer Sicht ein beschämendes Signal an die Politik in Deutschland wie in Sachsen, die angesichts deutscher Geschichte im 60. Jahr der Befreiung vom Faschismus gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft und insbesondere gegenüber den Staaten der Anti-HitlerKoalition in besonderer Verantwortung steht, jedwede Spielart neofaschistischer Renaissance aktiv und unnachgiebig zu bekämpfen. Nichts weniger forderte zur gleichen Zeit auch das israelische Parlament von Deutschland.

(Vereinzelt Beifall bei der NPD – Jürgen Gansel, NPD: Das ist ja maßgeblich!)

Geändert hat sich an der Situation, was den täglichen latenten Rassismus und Antisemitismus angeht, an der potenziellen Bedrohung und Gefährdung ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger durch extremistische Kräfte, an der Frontalität, mit der diese – eingeschlossen die parlamentarischen Vertreter – offen neonazistische Interpretationen von Geschichte und aktuellen Geschehnissen wiedergeben, nichts. Geändert hat sich seither nichts!

Auf der jüngsten so genannten Schulhof-CD der rechtsextremistischen Szene wird ein „15-jähriges Mädel“ bejubelt, das im Mai 1945 mit seiner Fahne gegen einen Engländer kämpft und „fällt“. Im Endrefrain wird auf die Zeiten gehofft, wo „die Zeichen des Reiches wieder gezeigt werden dürfen“. Auf der Internet-Seite der NPD Sachsen finden sich monatelang Lieder der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen, wo im Ostfeldzug Soldaten angeblich für eine bessere Welt fielen, wo offen zum Krieg und zur Wiederherstellung der früheren Grenzen aufgerufen wird. Über die Internetseite der sächsischen NPD meint Altamedia-Info über das Judentum, „dass man die inzwischen vom Judentum abhängigen Nationen die Drecksarbeit selbst machen lässt und selber so tut, als wüsche man seine Hände in Unschuld“.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Ich glaube, dass nach wie vor keine und keiner der Abgeordneten in den Fraktionen von CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die wir für unseren Gesetzentwurf gewinnen wollten und zur Stunde natürlich auch noch gewinnen wollen, gleichgültig und ohne Scham bleiben, wenn in diversen Meinungsumfragen die übergroße Mehrheit ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger, Besucher und Touristen erklärt, dass sie sich in Deutschland vor fremdenfeindlichen Übergriffen nicht sicher wähnt. Es ist in Deutschland anno 2006 möglich, dass ein zwölfjähriges Kind äthiopischer Eltern allein wegen seiner Hautfarbe durch fünf marodierende Jungnazis am helllichten Tage krankenhausreif geschlagen wird, eine Stunde lang gequält wird, und keiner in der Gemeinde, im Dorf, will davon etwas gesehen oder gehört haben.

Wir sehen anhand der aktuellen Entwicklung keinerlei Veranlassung, von unserer Auffassung abzurücken, dass es angesichts all dessen angezeigt und dringend geboten ist, im herausgehobensten Gesetz unseres Landes, der Verfassung des Freistaates Sachsen, expressis verbis festzustellen, dass eine besondere Verantwortung des Landes und seiner Bürger, durchaus im Sinne einer Jedermannspflicht ist, gegen rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische und neonazistische Verhaltens- und Argumentationsmuster offensiv aufzutreten, nicht nur in Kampagnen, nicht nur aus Anlass einschlägiger Jahres- und Gedenktage, nicht nur in Gegendemonstrationen nach dem Kalender provokativer rechtsextremistischer Aufmarschanmelder.

„Es muss“ – so stand es seinerzeit in der Gesetzesbegründung unserer Fraktion – „um mehr soziale Gerechtigkeit, Solidarität, lebensbejahende Zukunft, um die weitere Demokratisierung des Landes wie um die Verteidigung und Achtung der Würde eines jeden einzelnen Menschen gehen“.

Der Verfassungs- und Rechtsausschuss hat zu diesem Gesetzentwurf in seiner 11. Sitzung am 26. September 2005 eine Expertenanhörung vorgenommen, die nach Maßgabe der Benennungen durch die Fraktionen natürlich sehr differenzierte Auffassungen der gehörten Sachver

ständigen reflektierte. Wie zwischen und in den Fraktionen trafen auch zwischen den Sachverständigen unterschiedliche Auffassungen frontal aufeinander. Es blieben Widersprüche, die auch nicht ausgeräumt werden konnten, so etwa der Streit um die Frage, ob im Grundgesetz und in der Sächsischen Verfassung generell ein antifaschistischer Impetus angelegt sei.

Die von der CDU-Fraktion benannten Herren Professoren Backes und Jesse attackierten den Gesetzentwurf in der Folge ihres bekannten Totalitarismuskonzeptes als einseitig, wenn nicht gleichzeitig jedermann zum Kampf gegen den Kommunismus aufgerufen wird. Prof. Jesse plädierte wortwörtlich: „Die antifaschistische Klausel verdient Ablehnung aus zwei Gründen. Zum einen lässt sie eine mit der Verfassung unvereinbare antifaschistische, nicht antiextremistische Position erkennen. Zum anderen bietet die Generalklausel derart allgemeine Formulierungen, dass sie sich als Einfallstor für den Abbau wesentlicher Grundrechte eignen.“

(Vereinzelt Beifall bei der NPD)

Das ist Beifall von der NPD-Fraktion für Jesse.

(Jürgen Gansel, NPD: Auch Herr Jesse hat mal Recht!)

„Der Vorschlag der Linksfraktion.PDS sei“ – exekutiert er dann weiter – „für die demokratische Grundordnung schädlich. Indirekt bedeutet er eine Aufwertung, ja geradezu Rehabilitierung des Antifaschismus der DDR.“

Prof. Backes entdeckte, dass der Gesetzentwurf mit seinen Erläuterungen zur Zielsetzung und Begründung „den Geist einer jakobinisch anmutenden Verfassungsmilitanz atmet“. Im Anhörungsprotokoll des Plenardienstes findet sich dahinter in Klammern: „Gelächter bei den Gästen“. Ich weiß ja nicht, ob Herr Backes hier irgendetwas verwechselt. Das „Jakobinische“ ist doch allenthalben in Artikel 118 der Verfassung längst angelegt.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Was?)

Prof. Enders sieht ein Staatsziel, wonach es Verpflichtung aller im Land sein soll, rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Aktivitäten sowie deren Wiederbelebung und Verbreitung nationalsozialistischen Gedankengutes nicht zuzulassen, als „Widerspruch zum Freiheitsprinzip des Grundgesetzes“.

Prof. Schneider, für die SPD-Fraktion im Ring, sah unsere vorgeschlagene Staatszielbestimmung gar noch als Pendant zum seinerzeitigen Radikalenerlass der Bundesrepublik Deutschland, „aufgrund dessen kommunistische Lehrer vom öffentlichen Dienst ferngehalten werden sollten“. Bemerkenswert, immerhin war der Radikalenerlass eine Erfindung der damaligen Regierung Brandt/Scheel. Die SPD hatte also mitgewirkt.

Andere Gutachter sahen den Gesetzentwurf in Gänze anders, etwa der sächsische Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Matthias Kubitz, was nicht überraschen dürfte, da es bekanntermaßen die Gewerkschaft

der Polizei war, die schon 1994 auf ihrem Bundeskongress forderte, eine derartige Klausel in das Grundgesetz aufzunehmen, wobei sie sich schon damals auf den Herrenchiemsee-Entwurf des Grundgesetzes bezog.

Prof. Dressen, Leiter des Forschungsschwerpunktes Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf, begrüßte den Gesetzentwurf uneingeschränkt aus der Sicht eines Sozialwissenschaftlers und Sozialpädagogen.

Dr. Maslaton schließlich, Historiker und Jurist und stellvertretender Vorsitzender der israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig, sprach sich sehr nachdrücklich für eine derartige Staatszielregelung aus, wenngleich er den ursprünglichen Gesetzesvorschlag einer Aufnahme als Artikel 12a in die Verfassung als verfehlt bewertete und stattdessen vorschlug, diese Aufforderung an das Land und an seine Bürger just an der Stelle in die Verfassung einzuordnen, wo am deutlichsten wird, worum es mit selbiger Regelung geht, nämlich ausdrücklich hervorzuheben, dass Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und insbesondere Antisemitismus mit der Würde des Menschen und dem gleichberechtigten Daseinsrecht aller Menschen a priori unvereinbar ist.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Alle drei Auffassungen sind, und das ist unsere Überzeugung mit Dr. Maslaton, zutiefst menschenverachtend, da sie die Gleichwertigkeit aller Menschen der Definition in Abrede stellen. Diskriminierung und physische Vernichtung der Juden, der Sinti und Roma, von Menschen mit Behinderungen bis hin zu politisch anders Denkenden im Dritten Reich sind dafür das historische Beispiel in der Menschheitsgeschichte schlechthin.

Eben diesen Ansatz von Dr. Maslaton haben wir uns mit der angestrebten geänderten Fassung des Gesetzentwurfes, die vom Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss bedauerlicherweise abgelehnt wurde und die heute noch einmal als Änderungsantrag direkt in das Plenum eingebracht wird, zu Eigen gemacht.

Der neue Name des Gesetzes, den wir anstreben, ist „Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen durch Einfügung einer weiteren Staatszielbestimmung“ ohne jeden Zusatz. Der Wortlaut der Bestimmung selbst, die sich dann unmittelbar an Artikel 7 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung anschließen soll, in der es heißt „Das Land erkennt das Recht eines jeden Menschen auf ein menschenwürdiges Dasein... als Staatsziel an“, belegt, dass es gerade nicht um eine mehr oder weniger deklaratorische antifaschistische Klausel gehen soll.

Es geht um mehr: eben darum, dass als Programmsatz in der Verfassung für jeden und für jede, der bzw. die es in die Hand nimmt, nachzulesen ist, dass rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Aktivitäten sowie daneben eine Wiederbelebung und Verbreitung nationalsozialistischen Gedankengutes nicht zuzulassen sind. Das ist ein das Land wie seine Bürger und Gäste verpflichtendes Staatsziel, dessen Verwirklichung anzustreben und das Handeln danach auszurichten nach Maßgabe des Arti

kels 13 der Verfassung in der Verantwortung des Freistaates steht.

Staatsziele in der Verfassung stammen noch aus der Weimarer Reichsverfassung und verschiedenen Länderverfassungen. Sie sind zwischen den verfassungsrechtlichen Organisationsvorschriften, also dem Staats- und Organisationsrecht, und den unmittelbar subjektiv-öffentlichen Rechten in Form von Grundrechten eine gesonderte Kategorie. Sie wurden regelmäßig in der jüngeren Verfassungsgeschichte genutzt, wenn es darum ging, dass gesellschaftliche Inhalte, die zwar noch nicht bzw. wegen ihrer Inhalte auch gar nicht dazu geeignet sind, zu Grundrechten bzw. zu subjektiv-öffentlichen Rechten und Pflichten zu erstarken, aber doch eine Staatsaufgabe sein können und müssen.

Entwickelt wurde diese Verfassungskategorie am Rechtsgut der Umwelt exemplarisch.