Wünscht die CDU-Fraktion das Wort? – Nein. Die Linksfraktion.PDS? – Auch nicht. Die SPD-Fraktion? – Herr Gerlach, bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn weise ich darauf hin, dass es sich hier um einen sehr schlecht vorbereiteten Antrag handelt. Die Einengung in Ihrer Begründung auf den Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und sozialer Hoffnungslosigkeit – auch wenn Sie jetzt im Redebeitrag gesagt haben, dass es nicht ausgeschlossen werden kann; also haben Sie noch einmal deutlich abgeschwächt, was Sie im Antrag geschrieben haben – als Ursache für Suizide zeigt aber auch deutlich, worum es Ihnen geht: nicht etwa um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem zugegebenermaßen sehr komplexen Thema; nein, ich habe auch aus Ihrem Redebeitrag herausgehört, dass Sie mit existenziellen Problemen der Menschen die im eigenen Kampfblatt „Klartext“ hoch gelobte angebliche Sachkompetenz der NPD nachweisen möchten.
Nur ergibt sich leider dieser Zusammenhang, den Sie so sehr beschwören, eben nicht aus den Daten und Forschungsberichten. Es ist auch falsch, wenn Sie sagen, dass es keine verlässlichen Grundlagen gäbe, die den Zusammenhang zwischen Suizid und sozialer Perspektivlosigkeit belegten, meinetwegen auch mit Arbeitslosigkeit und
ähnlichen Dingen. Dicht daneben ist auch vorbei, sagt der Volksmund, und nicht nur der deutsche Volksmund.
Zwei Tatsachen: In den westlichen Industrieländern und auch in Deutschland gehört der Tod durch Suizid leider zu den häufigsten Todesursachen. Das ist richtig.
In den neuen Bundesländern kam es seit 1989 zum stärksten Rückgang der Suizidraten. Die Suizidraten werden immer auf 100 000 Einwohner bezogen. Es war der stärkste Rückgang bezogen auf ganz Europa, und das trotz Wertveränderungen, trotz sozialer Umwälzungen und eben auch trotz Anstiegs der Arbeitslosigkeit.
Die Zahlen: 1990 hatten wir etwa 10 %, 2003 zirka 20 % – grob gerundete Zahl – Arbeitslosigkeit, und die Suizidrate, auch grob gerundet, ging von 16 % auf knapp 9 % herunter. Es gab – das ist richtig – eine ganz leichte Erhöhung ein bis zwei Jahre nach der Wende. Diese Erhöhung, so sagen Wissenschaftler, ist sehr viel komplexer als das, was Sie hier mit der Arbeitslosigkeit zu erklären versuchen.
Niemand wird nun behaupten, dass die europäischen Länder im weltweiten Vergleich sozial hoffnungslose Gebiete sind und schon gar nicht solche einer – wie von Herrn Leichsenring gestern betitelt – „Endzeitgesellschaft“. Auch wird niemand das Problem der Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern kleinreden wollen. Die Daten passen aber nicht zu Ihren uns vorgehaltenen Vorwürfen. Leider sind die Ursachen für Suizide äußerst vielschichtig und sehr individuell.
In Deutschland haben wir jährlich – das haben Sie gesagt – etwa 11 000 Selbstmorde. Das sind mehr als tödliche Verkehrsunfälle. Mehr als 100 000 Menschen begehen jedes Jahr den Versuch, sich das Leben zu nehmen. Das höchste Risiko tragen ältere Männer und bei den Frauen die Gruppe der über 50-Jährigen. Dagegen stellt der Suizid bei den Jüngeren, den 15- bis 35-Jährigen, die zweithöchste Todesursache dar. Sachsen stellt dabei – das müssen Sie bitte auch bedenken, wenn Sie so etwas vorbringen – seit 1870 – das ist nämlich die Zeit, seitdem solche Daten erfasst werden – einen der Spitzenreiter in der Suizid-Statistik dar. Wir haben es also mit einem großen und nicht zu unterschätzenden gesellschaftlichen Problem zu tun. Das ist wohl wahr.
Soziale Bedingungen, wie das Fehlen von Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, von Kommunikation und Interaktion, sind Bestandteile des Ursachenbündels, das zum Selbstmord führt, aber bei Weitem nicht alles.
Fest steht, dass über 90 % der Menschen, die einen Suizid begehen, psychisch krank sind. Die Meisten leiden an Depressionen. Hier findet sich der wichtigste Ansatzpunkt für politisches Handeln. Hier ist Hilfe konkret möglich.
Weitere Achtungssignale sind: 80 % derjenigen, die Suizidversuche unternehmen, kündigen es vorher an. Zwei Drittel waren vorher beim Hausarzt. Das sind Daten, die man wissen sollte.
Zuallererst müssen wir diese Debatte ehrlich führen, wenn wir sie schon führen. Es hilft den von Suizid gefährdeten Menschen nicht, wenn wir auf Arbeitslosigkeit und soziale Hoffnungslosigkeit verweisen und die Debatte nicht auf die Felder lenken, die eine Verbesserung der Suizidprävention bewirken können. Es geht bei Weitem auch nicht nur um Sucht.
Einer der grundlegenden Irrtümer auch bei vielen Ärzten lautet: Wer es sagt, macht es sowieso nicht. Hier deutet sich ein weiterer Lösungsansatz an, denn dieser Satz ist falsch.
Das Augenmerk bei Konzeptionen zur Suizidprävention muss auf den depressiven und psychischen Krankheiten liegen. Das Bundesministerium für Gesundheit fördert beispielsweise das Kompetenznetz „Depression – Suizidalität". Es ist in diesem Zusammenhang nachgewiesen, dass eine Optimierung der Versorgung psychisch kranker Menschen zu einer Verringerung von suizidalen Handlungen geführt hat.
Im Freistaat Sachsen sind flächendeckend sozialpsychiatrische Dienste vorhanden. Der Freistaat fördert seit Jahren 45 % der komplementären Angebote. Weiterhin sind Krisen- und Notrufangebote vorhanden. Damit ist jedoch noch nicht alles gut. Die bisher gehörten Zahlen haben deutlich gemacht, dass das Thema in der Öffentlichkeit noch zu wenig diskutiert wird. Vielen Vorurteilen steht noch nicht genügend Aufklärung gegenüber. Aber es gibt noch viele Fakten, deren Ursachen bis heute trotz umfangreicher Studien – das erklärt auch Prof. Felber, der von Ihnen genannt wurde – nicht geklärt sind. Es bringt Wissenschaftler immer noch ins Grübeln, dass Sachsen seit mehr als hundert Jahren die höchste Selbstmordrate aufweist. Es gibt Versuche der Deutung, aber es gibt keine Erklärungen dazu.
Zurück zu Ihrem konkreten Antrag: Ihr Antrag greift viel zu kurz. Dass er ungenügend ist, hatte ich schon erklärt. Da Sie von der NPD so großen Wert auf Volks- und Schicksalsgemeinschaft legen und sich diese nach Ihren bisherigen Parteiveröffentlichungen, die mir zugänglich sind, ja wohl im „idealen Nazideutschland“ von 1933 bis 1945 entwickelt hatte, soll auch ein Blick in diese Zeit erfolgen.
Wer sich die Daten der Selbstmordraten aus den dreißiger Jahren anschaut, stellt fest, dass damals die Selbstmordrate Werte erreichte, die sie in der Folgezeit nie wieder erreicht hat. In den zwanziger und dreißiger Jahren gab es übrigens eine Ausnahme im Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Arbeitslosenzahlen und der Selbstmordrate. 1933 gab es knapp sechs Millionen Arbeitslose und die Suizidrate stieg auf Werte von über 40. Das war allerdings in der mangelhaften sozialen Absicherung und in der Verelendung vieler arbeitsloser Menschen begründet. Die Entwicklung bis 1940 brachte jedoch, obwohl die Arbeitslosigkeit drastisch zurückging, keine Verringerung der Suizidrate mit sich. Die Verringerung betrug etwa 1 %. Die Suizidraten blieben annähernd auf dem Niveau der Weimarer Republik.
Das, was Sie propagieren und was Sie auch in Ihrer Begründung des Antrages schreiben und den Menschen einreden wollen, ist weder gut für den Einzelnen noch für die Gesellschaft. Deshalb werden wir auch diesen Antrag der NPD ablehnen.
Wünscht die FDP zu sprechen? – Das ist nicht der Fall. Die Fraktion GRÜNE? – Das ist auch nicht der Fall. Die Staatsregierung? – Bitte, Frau Staatsministerin.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ein Mensch Hand an sein eigenes Leben legt, geht diesem Tun in aller Regel der Entschluss eines freien, ungebrochenen Willens voraus. Wir haben es mit einem tragischen individuellen Schicksal zu tun, hinter dem sich jedoch nicht selten eine körperliche oder psychische Krankheit verbirgt. Beide Dimensionen müssen bei denen, die von Suizid bedroht sind, in den Blick genommen werden.
Die Fakten, meine Damen und Herren, hat Herr Gerlach schon genannt. Im Jahr 2004 nahmen sich im Freistaat Sachsen 767 Menschen das Leben. Die entsprechenden Zahlen sowie die Verteilung der Suizidsterbefälle nach Alter, so wie vom Antragsteller gefordert, nach Geschlecht und Region sind über den jährlich veröffentlichten Gesundheitsbericht des Statistischen Landesamtes allgemein zugänglich. Informationen über den Beruf und den sozialen Status der Betroffenen werden aufgrund der geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen nicht erhoben. Wir haben es gerade gehört: Wenn wir hierzu eine Debatte oder eine Aussprache führen, muss die Situation deutlich skizziert werden.
Ich möchte noch einmal darauf eingehen – Herr Gerlach hat es angesprochen –, dass seit über hundert Jahren die Situation in Sachsen konstant geblieben ist, dass aber seit 15 Jahren eine stetige Abnahme zu konstatieren ist. Es ist eben nicht möglich, von einem einzelnen Vorkommnis ausgehend, wie zum Beispiel einer Insolvenz, einen monokausalen Zusammenhang mit einer Selbsttötung zu konstruieren.
Es ist bekannt, dass das Motiv für eine Selbsttötung stets einem vielfältigen Bedingungsgefüge aus psychischen, historischen und ethnischen sowie sozialen Faktoren entspringt. Dies verbietet die Beschreibung eines Suizids als nachvollziehbare, konsequente oder unausweichliche Reaktion auf ein einzelnes Vorkommnis in der Biografie des Betroffenen. Von daher sehe ich keinen Sinn darin, nach einzelnen monokausal gedeuteten Einflussfaktoren zu suchen, sondern wir verstehen es als vorrangige Aufgabe, wirksame Suizidprävention zu gewährleisten.
In Deutschland wurde bereits vor einigen Jahren ein nationales Suizidpräventionsprogramm ins Leben gerufen. Aufbauend auf den Erfahrungen anderer europäischer
Staaten wird dabei nach Möglichkeiten gesucht, die Suizidrate in Deutschland gezielt zu verringern. Der Freistaat Sachsen beteiligt sich an diesem Suizidpräventionsprogramm.
Lassen Sie mich ganz kurz einige Eckpunkte dazu darstellen. Studien, die im Rahmen des Suizidpräventionsprogramms durchgeführt wurden, zeigen, dass über 90 % der Suizide in westlichen Gesellschaften von diagnostizierbaren und behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankungen begleitet sind. Allen voran steht dabei die Depression. Ferner wurde deutlich, dass in den Wochen vor dem Suizid die Betroffenen häufiger als sonst einen Arzt aufsuchen, wobei die Suizidgefährdung offensichtlich dort noch nicht erkannt wird. Nach einem nicht erfolgreichen Suizidversuch suchen die Betroffenen aber wissentlich verstärkt nach Hilfe. Selbst dann wird das Gefährdungspotenzial häufig nicht oder nicht in vollem Umfang erkannt.
Meine Damen und Herren, um den durch Suizid gefährdeten Menschen wirklich zu helfen, müssen wir zwei Dinge vorantreiben. Erstens. Selbsttötung oder Selbsttötungsversuche dürfen in der Öffentlichkeit nicht tabuisiert oder als Schwäche oder gar Verrücktheit stigmatisiert werden. Schon ein Wandel dieser Einstellung kann Suizidgefährdete oder ihre Angehörigen entlasten. Er eröffnet Wege für eine bessere Prävention und Versorgung suizidgefährdeter Menschen. Zweitens, meine Damen und Herren, tut Aufklärung Not. Über Hintergründe von Suizidgefährdung, Möglichkeiten der Hilfe, Warnsignale und Risikofaktoren muss stärker informiert werden. Die oft bereits vorhandenen überregionalen und regionalen Hilfsangebote müssen den Betroffenen bekannt und tatsächlich auch zugänglich sein. Dafür setzen wir uns im Freistaat ein.
Nicht zuletzt ist eine einschlägige Weiterbildung der professionellen Helfer, wie zum Beispiel Ärzte und Psychologen, erforderlich. Auch das wird derzeit initiiert. Einiges von dem, was ich angesprochen habe, ist bereits als Aufgabe erkannt und umgesetzt. Im Rahmen des nationalen Suizidpräventionsprogramms sind Schritte in die richtige Richtung bereits getan worden. Für die Politik sehe ich die besondere Aufgabe darin, in der Öffentlichkeit, wo immer sich die Möglichkeit bietet, aufklärend mitzuwirken. Dazu, meine Damen und Herren, darf ich auch Sie alle aufrufen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Gerlach, wenn ich Ihre NPDPhobie nehme, dann ist das „knapp daneben“, was Sie uns bescheinigt haben, und schon fast als Kompliment zu werten.
Wenn Sie unseren Antrag richtig gelesen hätten, hätten Sie festgestellt, dass es nur Eckpunkte sind, die wir gern in diesem Bericht haben möchten. Das heißt nicht, dass er viel komplexer sein sollte. Wir haben auch vom sächsischen Suizidreport gesprochen. Wenn man im vorigen Jahr 767 Suizidtote in Sachsen hatte, wäre das allemal ein Grund, etwas intensiver nach den Ursachen zu suchen. Ich habe beispielsweise den vormaligen Staatsminister des Innern, Herrn de Maizière, zu der Selbstverbrennung in einem Hochhaus in Hoyerswerda, Drucksache 4/2596, angefragt – Sie können das nachlesen –, ob ein Zusammenhang mit Hartz IV bestehe. Das konnte er mir nicht mitteilen, weil das Sozialamt von Hoyerswerda ihm keine Auskunft erteilt habe.
Ich denke, solche Dinge sind interessant. Man sollte intensiv danach forschen, wo die Ursachen liegen, denn über 700 Tote auf diese Weise pro Jahr sind einfach zu
Ich lasse über den Antrag abstimmen. Ich rufe die Drucksache 4/3535 auf. Wer möchte die Zustimmung geben? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei einigen Stimmen dafür ist dieser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt worden.
Die Reihenfolge in der ersten Runde lautet: FDP, CDU, Linksfraktion.PDS, SPD, NPD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile der FDP-Fraktion das Wort. Herr Herbst, bitte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute sind einige kluge Zitate erwähnt worden. Ich möchte auch mit einem kurzen klugen Zitat beginnen: „Mit der Kommunalisierung würde die Kultusverwaltung zwar nicht überflüssig, aber kleiner. Wenn die Schulträger Lehrer einstellen und sie bezahlen, wäre das aus meiner Sicht ein Schritt hin zum Produkt aus einer Hand.“ Nun können Sie raten, wer das gesagt hat. Ich denke, in den Reihen rechts kommt man eher darauf. Es ist ein neuer Kollege, der seit dieser Woche bei uns sitzt. Es ist der ehemalige Kultusminister Karl Mannsfeld, der „neuer“ Abgeordneter in Ihren Reihen ist. Wo er Recht hat, hat er Recht.
Im Juli 2004 hat Herr Mannsfeld angekündigt, ein Modellprojekt zur Übertragung der Personalhoheit für Lehrer vom Land auf die Kommunen zu starten. In zwei Landkreisen und einer Kreisfreien Stadt sollte das Projekt gestartet werden. Die FDP hat das unterstützt und wird es weiter unterstützen. Allerdings ist aus dem Kabinettsbeschluss und dem Modellprojekt nichts geworden. Das Thema hat man offensichtlich in den Aktenschränken des Kultusministeriums beerdigt. Wir halten das aber für falsch. Das sage ich ausdrücklich.
Wir reden im Plenum oft über mehr Freiheit der Schulen, über Schulautonomie. Doch eine echte Autonomie, ich glaube, das ist den Meisten klar, wird es in Zukunft nicht