Protocol of the Session on November 10, 2005

An diese Entwicklung müssen wir natürlich auch – da bin ich Herrn Pecher und Herrn Albrecht dankbar – unseren Haushalt schrittweise anpassen. Wir stellen uns bereits seit einiger Zeit in Form von Strukturanpassung und Reformkonzepten darauf ein. Nicht umsonst reden wir vom Personalabbau bis 2010 in einer Größenordnung von 80 000. Nicht umsonst reden wir über Verwaltungsreform. Allerdings stehen wir noch nicht auf eigenen Beinen. Ansonsten, meine Damen und Herren, bräuchten wir den Solidarpakt nicht mehr. Das heißt auch, dass die überdurchschnittliche Förderung für den Aufbau Ost künftig beibehalten werden muss, und zwar in dem verabredeten Rahmen. Dazu gehört auch der Korb II. Ich sage das mit aller Deutlichkeit.

Wer in der Förderpolitik Ost-West-Unterschiede wegwischen will, verkennt die Wirklichkeit. Gelsenkirchen ist im Westen die Ausnahme, im Osten immer noch die Regel. In Westdeutschland lässt sich keine Region finden,

für die die typischen ostdeutschen Merkmale, nämlich extrem hohe Arbeitslosigkeit, gepaart mit geringer Wirtschafts- oder Steuerkraft, in gleicher Weise gelten. Wer dann den Wachstumsinseln, die es zweifellos in den neuen Bundesländern gibt, zu früh die Förderung entzieht, meine Damen und Herren, der schwächt das strukturschwache Umland und schadet damit genau der wachstumsorientierten Struktur- und Förderpolitik, die ja gerade von uns – ich habe das auch hier einvernehmlich gehört – gefordert wird.

Meine Damen und Herren! Leider haben wir für das Jahr 2004 eine geringe Zielabweichung beim Einsatz der SoBEZs feststellen müssen. Zwar wurden 94 % der im Jahr 2004 erhaltenen SoBEZs für Investitionen oder zum Ausgleich der kommunalen Finanzschwäche eingesetzt. Insgesamt – die Zahl ist auch schon genannt – 152 Millionen Euro aber sind durch den Freistaat und die sächsischen Kommunen nicht investiert, sondern konsumtiv verwendet worden. Herr Zastrow, Sie sind nicht nur in Form von Löhnen und Gehältern eingesetzt worden, sondern es gab auch Gesetzlichkeiten, die zu beachten waren, wie Bundesgesetze, Landesgesetze, in rein konsumtiven Positionen.

Dennoch liegt Sachsen immer noch weit vor den anderen ostdeutschen Ländern. Nach meiner Auffassung werden die zwischen rund 62 % – unser Nachbarland Brandenburg – und null Prozent – Berlin – liegen, und das seit Jahren.

(Zuruf von der CDU: Daran ist die Linksfraktion.PDS schuld! – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das Chaos hat die CDU hinterlassen!)

Auch wenn wir die Maßgaben des Solidarpaktes mit Abstand am besten erfüllen, meine Damen und Herren, möchte ich hier ganz klar sagen, dass wir Maßnahmen ergreifen müssen, die uns schnell und nachhaltig zurück zu dieser 100-prozentigen Erfüllungsquote führen. Da wollen wir hin. Dies sind wir unserem Heimatland, unserem Freistaat Sachsen schuldig, das sind wir auch den Menschen schuldig, die in diesem Land leben. Aber das sind wir auch der Solidarität des Bundes und der alten Bundesländer schuldig, denn ohne deren Hilfe könnten wir es überhaupt nicht packen.

Deswegen beteilige ich mich nicht an den Berechnungsschemen der anderen ostdeutschen Länder. Diese haben in ihren Fortschrittsberichten versucht, bestimmte Dinge einzubeziehen, um besser dazustehen. Es gibt ein klares Berechnungsschema des Bundes, das mit allen Ländern abgestimmt worden ist. Da gab es ein d’accord zwischen Ländern und Bund. Daran halten wir uns in Sachsen, seitdem es dieses Berechnungsschema gibt, und legen kein anderes zugrunde.

Gerade am Rande der Koalitionsverhandlungen in Berlin gab es in diesen Tagen wiederholt Stimmen, die angesichts der Fehlverwendung von Solidarpaktgeldern die Hilfe für den Aufbau Ost infrage stellten. Ich sage nur,

dass das eine gefährliche Diskussion ist. So heißt es in einem Artikel vom „Tagesspiegel“ vom 1. November dieses Jahres – heute haben wir den 11.11., 11 Uhr ist allerdings schon etwas vorbei, – –

(Zurufe)

Morgen erst ist der 11.11. – danke!

So heißt es in einem Artikel des „Tagesspiegels“ vom 1. November 2005, dass die moralische Legitimität der Kritiker im Westen mit jedem verschleuderten Euro zunimmt, und, meine Damen und Herren, hier müssen wir aufpassen.

Natürlich ist das so und deshalb sind wir aufgerufen, alles zu tun, um künftig die SoBEZs zweckentsprechend zu verwenden. Das ist in unserem ureigensten Interesse, denn um weitere finanzielle aufbauorientierte Interessen in der Bundeshauptstadt Berlin durchsetzen und gegenüber den westdeutschen Ländern kraftvoll vertreten zu können, brauchen wir eine klare SoBEZ-Bilanz; daran geht nichts vorbei.

Meine Damen und Herren, worin liegen die Ursachen? Erstens sinken die Einnahmen aus Steuern, Länderfinanzausgleich und Fehlbetragsbundesergänzungszuweisungen seit 2001 massiv. Sie lagen 2004 – man darf sich diese Zahl auf der Zunge zergehen lassen – um rund 1,1 Milliarden Euro unter dem Niveau des Jahres 2000,

(Holger Zastrow, FDP: Wen wundert’s?)

und das für den aktuellen Fortschrittsbericht relevante Kassenergebnis des Jahres 2004 lag um 600 Millionen Euro unter dem Haushaltsansatz. Auch das kommt hinzu. Dem stehen seit Jahren wachsende gebundene Ausgaben vor allen Dingen im konsumtiven Bereich gegenüber, an die wir nicht so ohne weiteres herankommen, es sei denn, wir verändern Landesgesetze.

Gegenüber 1995 waren die laufenden Ausgaben im Jahre 2004 um 8 % – das sind immerhin 827 Millionen Euro – höher. Verantwortlich dafür sind im Wesentlichen Personalausgaben, aber auch steigende gesetzliche Verpflichtungen oder die Erstattung für Sonder- und Zusatzversorgungssysteme, also die so genannten DDR-Sonderrenten.

Wenn die Einnahmen sinken und gleichzeitig gebundene Ausgaben steigen, bedeutet das im Ergebnis ein Absinken der kurzfristig flexibel zu gestaltenden Investitionen im Lande. Das ist leider die traurige Wahrheit.

Nun zu den Ursachen auf Gemeindeebene. Die Kommunen sind natürlich in die Verwendungsrechnung eingebunden, da die SoBEZs auch dem Ausgleich der kommunalen Finanzschwäche dienen. Auch die kommunale Investitionstätigkeit ist Gegenstand dieser Betrachtung. Im Vergleich zu 2003 sind die eigenfinanzierten Investitionen der Kommunen im Jahre 2004 deutlich zurückgefahren worden, nämlich von 31 % im Jahre 2003 auf nur noch 20 % im Jahre 2004. – Herr Albrecht hat auf einige der Ursachen hingewiesen.

Was also tun, um die SoBEZ-Mittel wieder zu 100 % zweckentsprechend verwenden zu können? Künftig müssen Land und Kommunen bei sinkenden Einnahmen auch die laufenden Ausgaben dem neuen Niveau anpassen. Das gilt nicht nur angesichts der Ergebnisse des aktuellen Fortschrittberichts und des gesetzlich festgehaltenen Rückgangs der SoBEZ-Mittel, sondern ebenso vor dem Hintergrund des Rückgangs der Bevölkerung, und das wird das schärfste Schwert sein, das auf uns trifft. Dies wird zu massiven Verlusten vor allem bei den Einnahmen aus Steuern und Länderfinanzausgleich führen – auch darauf müssen wir uns einstellen –, und aus meiner Sicht sind folgende Maßnahmen notwendig.

Das Land – wir, das Parlament – muss zum Beispiel den bereits beschlossenen zusätzlichen Stellenabbau im Landesdienst zügig und konsequent umsetzen; daran gibt es kein Deuteln. Der Bund muss den Ländern insgesamt mehr Gestaltungsspielraum bei den Ausgaben einräumen, damit der Bindungsgrad des Haushaltes sinkt. Die laufenden Ausgaben müssen auf den Prüfstand. Das ist ein Satz, den man so sagen kann, aber was er in diesem Hause bedeutet, hier in diesem Parlament, darüber dürften wir uns alle im Klaren sein. Die Kommunen sind aufgefordert, die eigenfinanzierten Investitionen zu verstärken. Darüber werden wir in den nächsten Tagen und Wochen diskutieren. Nicht umsonst habe ich die Haushaltssperre in Höhe von 120 Millionen Euro, die über die Ressorts gelegt worden war, um 60 Millionen Euro aufgehoben – aber nur die Verwendung im investiven Bereich, nicht für den konsumtiven Bereich, und ich glaube, das war ein Schritt in die richtige Richtung.

Meine Damen und Herren, mit dem Fortschrittsbericht Aufbau Ost für das Jahr 2004 hat die Staatsregierung für diesen Zeitraum eine durchaus positive Bilanz für den Solidarpakt I gezogen. Der Bericht zeigt auch, dass die finanzpolitische Sonderstellung des Freistaates unter den neuen Ländern unbestritten ist. Gleichzeitig legt er aber auch die aktuellen Strukturprobleme der Haushalte im Freistaat und seinen Kommunen offen.

Ich habe Ihnen dargelegt, dass wir hieran schnell und entschlossen arbeiten müssen, und bitte Sie daher herzlich um Ihre Unterstützung.

Bevor ich meine Rede beende, möchte ich aber noch Dank sagen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: An uns, an die gute Opposition!)

Ich möchte mich auch bei all den Bürgern Deutschlands bedanken, die sich seit 15 Jahren uns gegenüber solidarisch verhalten haben, denn ohne ihren Verzicht wäre der Aufbau Ost gar nicht möglich gewesen. Haben Sie herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU, der FDP, ganz vereinzelt bei der SPD und bei der Staatsregierung)

Gibt es weitere Wortmeldungen von den Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die

1. Aktuelle Debatte, beantragt von den Fraktionen der CDU und der SPD zum Thema „Fortschrittsbericht 2004 zum Aufbau Ost“, beendet.

Wir kommen nun zu

2. Aktuelle Debatte

Die Bedeutung der Landkreise für eine funktionierende Verwaltung

Antrag der Fraktion der NPD

Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion der NPD das Wort. Die weitere Reihenfolge: CDU, Linksfraktion.PDS, SPD, FDP, GRÜNE; die Staatsregierung, wenn gewünscht. Die Debatte ist eröffnet. Herr Dr. Müller, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Zastrow!

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das hat er nicht verdient!)

Das hat er schon verdient.

Mein Kopfschütteln in der vergangenen Aktuellen Debatte beinhaltete nicht die Notwendigkeit einer Verwaltungsreform – ich denke, darin stimmen wir überein –; das Kopfschütteln bezog sich auf diesen Vergleich mit Sachsen-Anhalt, und ich denke, der ist wirklich unzutreffend. Wie es Kollege Albrecht auch schon sagte: 1994 hat in Sachsen eine Kreisgebietsreform stattgefunden und was die generelle Anzahl von Verwaltungs- und Gebietsreformen in den letzten 15 Jahren betrifft, da dürfte Sachsen sogar bundesweit Spitzenreiter sein.

Schauen wir es uns also einfach historisch an: 1994 sind die Landkreise von 48 auf 22 verringert worden. 1998 hatten wir eine Gemeindegebietsreform, bei der von 1 622 Gemeinden durch Fusionen 546 übrig geblieben sind. Das aktuelle Strukturbild besteht aus 22 Landkreisen, sieben Kreisfreien Städten und 507 kreisangehörigen Städten und Gemeinden, davon 33 Großen Kreisstädten. – Sachsen-Anhalt ist jetzt gerade beim ersten Schritt.

Das bedeutet natürlich nicht, dass keine Verwaltungsreform notwendig wäre. Wir stimmen sicher darin überein, dass die Regierungspräsidien im Moment überflüssig sind. Es würde wahrscheinlich dem normalen Bürger nicht einmal auffallen, wenn sie von heute auf morgen verschwinden würden. Es hat sich mir bis heute beispielsweise nicht erschlossen, warum ein Regierungspräsident meine ärztliche Approbationsurkunde unterschreiben muss, denn er hat mit Medizin nichts zu tun. Wenn das an die Standesvertretung, an die Ärztekammer, delegiert würde, wäre es für mich logischer als die Unterschrift eines Regierungspräsidenten. Die Aufgaben der RPs zum Teil nach oben zu den Ministerien, zum Teil nach unten zu den Landkreisen bzw. auch zu den Standesvertretungen zu verlegen, das wäre meines Erachtens überfällig.

Aber kommen wir zu dem eigentlichen Punkt, über den wir diskutieren wollen. Bevor wir voreilig schnelle Lösungen suchen, sollten wir wirklich über die Funktion

der Landkreise für die sächsischen Regionen und den sozialen Bundesstaat diskutieren. Wenn man sich jetzt in Sachsen umhört, werden Sie es auch nicht bestreiten können, dass das „Altkreisbewusstsein“ bei der Bevölkerung bis heute noch eine ganz große Rolle spielt. Es wird in vielen Fällen immer noch in den Kreisen von vor 1994 gedacht und in der Statistik teilweise sogar, zum Beispiel in der Arbeitslosenstatistik, in die Altkreise aufgegliedert; das bringt die Presse jeden Monat.

Diese nun gerade langsam angenommenen Strukturen wieder zerschlagen zu wollen – dazu sollten wir wirklich eine inhaltlich große Debatte führen, denn Gebietsreformen, die nur am Reißbrett entstehen, werden zum einen von der Bevölkerung nicht angenommen, und zum anderen halten wir die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zumindest für kritisch. Der Artikel 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz schützt die Gemeinden und im Satz 2 steht, ich zitiere: „Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung.“

Damit ist nach herrschender Meinung nicht ein beliebiger Zusammenschluss von Gemeinden, etwa im Sinne von Verwaltungsgemeinschaften oder Zweckverbänden, gemeint, sondern der Landkreis als Schutzobjekt ist gemeint. Es geht nicht nur um den institutionellen, sondern auch um den individuellen Schutz, zumindest insoweit, als ein besonderes öffentliches Interesse nachzuweisen ist, wenn das „Individuum“ Landkreis aufgelöst werden soll. Die Abschaffung der Regierungspräsidien sollte die vorrangige Aufgabe sein, bevor die 1994 geschaffenen größeren Kreisstrukturen, die von der Bevölkerung langsam angenommen werden, wieder zerschlagen werden.

Wir als NPD-Fraktion schätzen es so ein, dass der Gesetzgeber bei der Auflösung eines jeden Landkreises das Interesse des öffentlichen Wohls nachweisen muss. Wir als eine Partei, die sich der Heimat, der Identität der Regionen verbunden fühlt, werden die kommende Debatte über die Kreisgebietsreform aufmerksam beobachten.

Den zweiten Teil übergebe ich an meinen Kollegen Leichsenring.

(Beifall bei der NPD)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Wird es gewünscht? – Das ist offensichtlich nicht der Fall.