Protocol of the Session on November 10, 2005

Nebenbei bemerkt, die Herstellung der Familienehre durch Mord ist ein Widerspruch in sich. Es offenbart sich darin ein völlig inakzeptables Menschen- und Weltbild. Es wäre eine falsch verstandene Liberalität und Rücksichtnahme, wenn wir Weltanschauungen und Traditionen tolerieren, die unser freiheitliches Menschenbild mit freier Ehepartnerwahl zur Verwirklichung der Menschenrechte bekämpfen.

Den Opfern, aber auch der Gesamtbevölkerung, sind wir im Hinblick auf ein zu verhinderndes gesellschaftliches Auseinandertriften und zur Erhaltung des sozialen Friedens geradezu schuldig, deutliche Zeichen zu setzen und jetzt entsprechend zu handeln.

Für die grundlegende Integration für ein friedliches Miteinander in gegenseitiger Achtung ist die Beherrschung der deutschen Sprache ein ganz besonders zentraler Punkt. Darauf haben wir immer in Sachsen, insbesondere auch bei den Einbürgerungen, besonderen Wert gelegt. Es stimmt mehr als bedenklich, wenn nach dem Bericht der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz zur gesundheitlichen Lage von Kindern in Berlin aus dem Jahr 2003 jedes zweite in Deutschland geborene türkische Kind bei der Einschulung so schlecht deutsch spricht, dass es dem Unterricht nicht folgen kann. Gerade die fehlende Beherrschung der deutschen Sprache verhindert oft die berufliche und gesellschaftliche Teilhabe und Anerkennung als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft in Deutschland und führt zwangläufig zur Isolierung und Gettoisierung.

Die Innenministerkonferenz hat deshalb als weitere Maßnahme zur Vermeidung von Zwangsverheiratung den Bundesinnenminister gebeten, in das in Vorbereitung befindliche zweite Gesetz zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes – vorbehaltlich einer verfassungsmäßigen Prüfung – eine Vorschrift aufzunehmen, mit der der Familiennachzug in der Regel davon abhängig gemacht wird,

dass neben der Vollendung des 21. Lebensjahres beider Ehepartner der nachziehende Ehegatte über ausreichende Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügt.

Neben der Signalwirkung, die ein eigener Straftatbestand zur Verhinderung von Zwangsehen entfaltet, müssen bei den in Betracht kommenden geschlossenen traditionellen Familienstrukturen, die eine Aufdeckung oder Anzeige der strafbaren Verhaltensweisen wesentlich erschweren, auch ergänzende Hilfeleistungen angeboten werden. Das Augenmerk mag insbesondere auch auf die Beratung und Betreuung der noch minderjährigen Mädchen gelenkt werden. Sie können wegen ihres Alters noch nicht selbstständig in Frauenhäuser fliehen. Die Beratungs- und Unterstützungsstruktur in Sachsen für Betroffene von häuslicher Gewalt sollte verstärkt die Einbindung von Ausländerbehörden und Ausländerbeauftragten in den Blick nehmen, um generell eine Verbesserung des Schutzes ausländischer Mitbürgerinnen vor häuslicher Gewalt anzustreben. Meine Kollegin Frau Dr. Schwarz hat dazu schon einige Ausführungen gemacht.

Zur langfristig erforderlichen Bewusstseinsänderung ist es vor allem erforderlich, das Thema noch mehr in die Öffentlichkeit zu tragen als bisher. Gute Anfänge sind gemacht. Die Medien haben das Thema aufgegriffen. Betroffene, wie zum Beispiel die „Frau des Jahres 2005“, Frau Sehan Attis, sind in die Öffentlichkeit gegangen und haben ihre oft bedrückende und erschreckende Geschichte erzählt.

Ich appelliere auch hier noch einmal an die Medien, verstärkt auf das Thema Integration einzugehen und gerade junge Frauen über ihre Rechte zu informieren sowie ihnen notfalls auch Mut zum Ausstieg zu machen. Mit der Herstellung von Öffentlichkeit wird das Schweigen aufgebrochen. Dann besteht auch die berechtigte Chance auf Ausgleich und Versöhnung wie bei Frau Attis. Nachdem sie jahrelang zu Hause bei ihrer streng traditionellen Familie als eingesperrte Dienerin gelebt hat, schließlich mit 17 Jahren weggelaufen war, sich anschließend in Wohngemeinschaften versteckt hat und 1984 bei einem Mordanschlag schwer verletzt worden ist, ist die Kulturkreisspaltung in ihrer Familie heute überwunden und die Versöhnung ist erfolgt. Sie muss nicht länger befürchten, wegen ihres selbstbestimmten Lebens von ihren Brüdern erschossen zu werden.

Die Landesregierung unterstützt daher den Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Wir kommen zum Schlusswort, es sei denn, es gibt noch Aussprachebedarf. Das Schlusswort hat die Koalition in der Länge von 3 Minuten. Herr Schiemann, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich für die Vielzahl der Redebeiträge ganz herzlich bedanken.

Zu einem Redebeitrag möchte ich aber Folgendes sagen: Wir hätten das Problem mit den Zwangsverheiratungen vielleicht nicht, wenn in den fünfziger Jahren die Entscheidung in Deutschland von der Wirtschaft nicht gefallen wäre, nach Arbeitskräften aus dem Ausland zu rufen. Man muss deutlich machen: In Deutschland hatte man in den fünfziger Jahren mit dem Modell der Gastarbeiterfamilien versucht, fehlende Arbeitsplätze neu zu besetzen. Man hat verpasst, eine vernünftige Integration zu betreiben. Ich glaube, für die Zukunft wird bei der Zuwanderung Integration viel notwendiger sein. Das ist schon von vielen Debattenrednern angesprochen worden. Kriminelles Handeln ist die Zwangsverheiratung, und kriminelles Handeln in Deutschland heißt, dass wir diese Zwangsverheiratung deutlich ablehnen sollen.

Ich bitte Sie um Zustimmung zum Antrag. Wir sollten auch die Kolleginnen und Kollegen, die auf Bundesebene tätig sind, für weitere gesetzliche Regelungen sensibilisieren.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Danke schön. – Wir nähern uns der Abstimmung.

Es gibt zum Antrag der Koalition einen Änderungsantrag der Linksfraktion.PDS mit der Drucksache 4/3394, der eine völlige Neufassung darstellt. Frau Ernst, Sie bringen den Änderungsantrag ein. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Vorbemerkungen. Das Erste ist: Zwangsehen haben definitiv nichts mit Multikulturalität zu tun. Das ist wirklich der größte Humbug, den ich hier gehört habe. Zwangsehen haben mit Diskriminierung zu tun und sind Menschenrechtsverletzungen, verehrte Kollegen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Zweitens, die Diskriminierung ausländischer Frauen ist hier in Deutschland häufig sehr viel stärker als zum Teil in ihrem eigenen Inland, weil es in den Herkunftsländern immer noch ihre Regularien, ihre Gesetze, irgendetwas gibt. Aber – das ist auch ein Fehler in unserem Verhalten hier in Deutschland – wir haben das häufig als Kulturproblem aufgefasst und gesagt, das gehört in den Kulturkreis hinein, das ist eben so! – Und das ist falsch.

Man muss sich kritisch mit den Diskriminierungen auch bei ausländischen Partnerinnen und Partnern auseinander setzen. Das muss man machen. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Aufgabe, die hier bislang noch nicht gelöst wurde. Dazu gehört, diese Frauen stark zu machen. Dazu gehören übrigens auch Integrationskonzepte. Ich würde mich freuen, wenn die CDU dann auch unser Integrationskonzept unterstützen würde, das wir vorgeschlagen haben. Wir müssen Frauen stark machen. Dazu gehören auch Dinge, die wir in unserem Änderungsantrag vor

schlagen, indem wir sagen, wir brauchen eine erweiterte Eheanfechtungsmöglichkeit, gerade weil es Zwangsehen gibt, gerade weil sie tabuisiert werden. Wir brauchen also diese Dreijahresverlängerung. Das halte ich für eine ganz wichtige Sache. Es wird ja noch vieles kommen, auch im Bund ist noch vieles in Arbeit. Ich denke, das kann man unterstützen.

Was man unbedingt unterstützen muss, ist der dritte Punkt im Punkt 1 unseres Antrages. Diese Frauen brauchen ein eigenständiges Wiederkehrrecht und einen entsprechenden eigenständigen Aufenthaltstitel. Das ist wirklich für diese Frauen lebensnotwendig.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich denke, das ist unstrittig, das kam auch schon von meinem Kollegen Herrn Bräunig.

Nächster Gedanke. Es gibt natürlich auch christliche Zwangsehen. Es gibt sie auch in anderen religiösen Umfeldern und wir sollten das nicht beiseite schieben.

(Peter Wilhelm Patt, CDU: Hört, hört!)

Wir sollten uns nicht über diese Dinge erheben. Überhaupt halte ich den Begriff des Kulturkreises für falsch. Was heißt denn Kulturkreis? Innerhalb von Kulturkreisen gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen dazu und unterschiedliche Lebensweisen. Legen wir solche Begriffe wie Kulturkreis und Parallelgesellschaft ab. Das sind unsinnige Begriffe, die nicht hierher passen.

(Peter Schowtka, CDU: Schwachsinn!)

Kurz und knapp, wir halten es für notwendig, dass dieses Thema etwas präzisierter angegangen wird. Wir wollen einen Bericht dazu. Wir wollen auch, dass Polizei und Justiz in die Beratungsstrukturen mit eingebaut werden und in der Lage sind, dies zu tun. Wir fordern daher auf, unseren Antrag zu unterstützen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Meine Damen und Herren! Gibt es Aussprachebedarf zu diesem Antrag? – Herr Bräunig, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden den Änderungsantrag ablehnen. Ich will das kurz begründen. Der Punkt 1 Ihres Änderungsantrages ist quasi identisch mit einem Gesetzentwurf des Bundeslandes Berlin, der am 03.06.05 in den Bundesrat eingebracht wurde, Bundesratsdrucksache 436/05. Dieser Gesetzentwurf beinhaltete die gleichen Regelungen, wie Änderung des Strafgesetzbuches und des Bürgerlichen Gesetzbuches, mit der Fristverlängerung, sowie des Aufenthaltsgesetzes. Dieser Gesetzesantrag ist abgelehnt worden.

(Uwe Leichsenring, NPD: Hört, hört!)

Es ist nicht davon auszugehen, dass eine nochmalige Initiative mit den gleichen Inhalten im Bundesrat erfolgreich sein wird. Ich hatte bereits vorhin ausgeführt, dass

sich Union und SPD in den Koalitionsverhandlungen darauf geeinigt haben, Zwangsverheiratungen verhindern zu wollen und alle rechtlichen Instrumente zu prüfen. Das wird unserer Ansicht nach auch straf-, zivil- und ausländerrechtliche Belange umfassen.

Zu Punkt 2 haben wir von der Ministerin und auch von der Ausländerbeauftragten gehört, dass keine verlässlichen Zahlen zu Zwangsehen in Sachsen vorliegen und auch nicht beschafft werden können, sodass dieser Antrag – –

(Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS)

Wir haben eine Dunkelziffer, über die aber nicht berichtet werden kann. Deswegen ist dieser Punkt entbehrlich.

Danke schön.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und der CDU)

Besteht weiterer Aussprachebedarf? – Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, mir wurde vorhin signalisiert, dass bei dem Änderungsantrag differenzierte Abstimmung erwünscht ist. Kann das noch einmal präzisiert werden? Bitte, Frau Schütz.

Wir hatten beantragt, dass bei Punkt 1 über die Unterpunkte einzeln abgestimmt wird und dass auch über Punkt 5 separat abgestimmt wird.

Ja, danke schön. Dann tun wir dies.

Wir kommen zum Punkt 1, erster Anstrich. Wer diesem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Wir machen die Gegenprobe. – Wer enthält sich der Stimme? – Mit einer Anzahl Pro-Stimmen ist der erste Anstrich mehrheitlich abgelehnt worden.

Wir kommen zum zweiten Anstrich des Punktes 1. Wer diesem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wir machen die Gegenprobe. – Wer enthält sich der Stimme? – Gleiches Stimmverhalten. Der zweite Anstrich ist abgelehnt worden.

Wir stimmen ab über den dritten Anstrich des Punktes 1. Wer diesem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wir machen die Gegenprobe. – Wer enthält sich der Stimme? – Wiederum gleiches Abstimmungsverhalten. Somit ist der dritte Anstrich abgelehnt worden.

Ich fasse die Punkte 2, 3 und 4 zusammen. Wer diesen Punkten zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Wir machen die Gegenprobe. –

Wer enthält sich der Stimme? – Wiederum gleiches Abstimmungsverhalten. Somit sind diese Punkte abgelehnt worden.