Deshalb ist es gut, dass wir uns heute dieses Themas annehmen und über Parteigrenzen hinweg darüber verständigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Schwarz, herzlichen Dank für Ihre Bemerkungen am Schluss. Denn die Penetranz der kulturellen Überheblichkeit, mit der die NPD das Thema behandelt hat, treibt mich noch einmal ans Rednerpult, die kurze Zeit zu nutzen, die wir noch haben.
Frau de Haas hat von „Selbstverständlichkeiten“ gesprochen. Ja, wir behandeln hier Probleme von ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern unter dem Aspekt unserer Selbstverständlichkeiten. Aber denken wir einmal darüber nach: Vor nicht allzu langer Zeit gab es diese Selbstverständlichkeiten auch bei uns nicht. Da sprach man vom „Heiratenmüssen“, wenn ein Kind unterwegs war. Da brachten sich junge Frauen um aus Angst, uneheliche Kinder in die Welt zu setzen. Das waren keine Ritualmorde; tödlich endeten sie trotzdem. Da hatten wir im Gesetz „Haushaltungsvorstände“, und das waren nicht die Frauen. Auch die Unauflöslichkeit der Ehe aus religiösen Gründen kann die Ehe unter Umständen zu einer Zwangsehe machen. Wir haben heute immer noch Gewalt in Beziehungen. Gewalt hält diese Beziehungen aufrecht, weil sich die Frauen nicht auszubüxen trauen. Wir mussten die Frauenhäuser schaffen.
Seien wir also nicht so überheblich! Nicht alles an diesen Selbstverständlichkeiten ist durch kulturelle Hegemonie abgedeckt. Ich glaube, es steht uns gut an, in der Debatte zu diesen Fragen auch daran zu denken.
Wenn Sie so oft gegen die Achtundsechziger polemisieren, sage ich Ihnen in aller Bescheidenheit noch etwas: Die Kulturrevolution der Achtundsechziger hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass das, was Frau de Haas als „Selbstverständlichkeiten“ bezeichnet hat, heute selbstverständlich ist.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie provozieren es immer wieder, dass ich an das Rednerpult gehe; ich hatte eigentlich nicht vor, hier noch einmal das Wort zu ergreifen.
Aber wenn ich den einen oder anderen Redebeitrag höre, dann zieht es mich fast magnetisch an das Rednerpult und ich fühle mich bemüßigt, Ihnen allen einen kleinen Nachschlag zu dem zu präsentieren, was meine Kollegin Schüßler angesprochen hat. Es verschlägt einem fast die Sprache, hier zu sehen, welche Extremform der politischen Schizophrenie bei dem einen oder anderen Abgeordneten anzutreffen ist.
Diejenigen, die ständig penetrant auf der Schalmei der „multikulturellen Gesellschaft“ blasen und keine Gele
genheit auslassen, um Multikulti-Seligkeit, „Friede, Freude, Eierkuchen“ und ähnlichen Irrsinn zu beschwören, stellen sich scheinmoralisch, mit einer unsichtbaren Packung Tränentaschentücher, an das Rednerpult und beklagen jetzt die Schattenseiten der multikulturellen Gesellschaft: die Entrechtung der Frau im Islam, Ehrenmorde, Brüder, die ihren Schwestern die Selbstbestimmung rauben.
Ich wollte Ihren Redeschwall eigentlich nicht unterbrechen; er ist auch immer ein bisschen selbstentlarvend. – Herr Gansel, wollen Sie mir nicht zustimmen, dass die Thematisierung der Situation der Frauen in islamischen Gesellschaften, die zu Zwangsverheiratungen, zu Gewalt in der Ehe usw. führt – ich füge immer hinzu: das trifft nicht nur auf islamische Gesellschaften, sondern selbst auf unsere eigene zu –, überhaupt erst möglich ist, weil wir in einer multikulturellen Gesellschaft leben?
Herr Porsch, das ist multikulturelle Dialektik der besonderen Art, auf die ich in meinem weiteren Redebeitrag auch noch eingehen wollte. – Diejenigen, die einerseits penetrant auf die Trommel der multikulturellen Gesellschaft schlagen, stellen sich jetzt hier scheinheilig hin. Das ist geradezu so, als ob sich ein Pyromane darüber wundert, dass es überall brennt. Das ist schizophren und wirklich abstoßend, weil man an Restbeständen gesunden Menschenverstandes zweifeln kann.
Diejenigen Damen und Herren, die sich jetzt über Ehrenmorde und Formen archaischer Religiosität im Rahmen eines Europa immer mehr überflutenden Islams wundern, sind diejenigen, die in den glühendsten Farben und Tönen den EU-Beitritt der Türkei fordern, eines islamischen Staates, der in fünf Jahren, im Jahre 2010, 90 Millionen Einwohner zählen wird. Dieser Staat mit 90 Millionen Einwohnern wird mit dem Tag seines EUBeitritts der einwohnerstärkste EU-Staat sein und somit im Europäischen Parlament als einzelner nationaler Staat die meisten Abgeordneten stellen. Es gibt allgemeine Schätzungen, dass unter den in der Türkei lebenden Türken nach einem EU-Beitritt die Mobilitäts- und Wanderungsbereitschaft bei zehn bis 20 Millionen Menschen liegen wird. Das sind offizielle Zahlen.
Zählen Sie alles zusammen: In fünf Jahren wird es 90 Millionen Türken geben. Dieser Staat hätte dann auch die meiste politische Macht im Europaparlament – wohlgemerkt: als nichteuropäischer Staat! Die erwartete Wanderungsbereitschaft liegt bei zehn bis 20 Millionen Türken. Und dann beklagen Sie sich über die Probleme, die eben diese Einwanderer mit nach Deutschland
Sie haben gerade dargelegt, dass 90 Millionen Türken der größte Staat in der EU wären und im Europaparlament die meisten Stimmen hätten.
Im gleichen Atemzug erklären Sie in Ihrem Redeschwall, dass 20 Millionen wandern wollen. Dann aber hätten sie keine Mehrheit mehr. Wie erklären Sie das?
Genau! Herr Günther, hören Sie ausnahmsweise meinem Kollegen Leichsenring zu. Diese Türken werden ihre türkische Staatsbürgerschaft behalten. Es zählt nämlich die Staatsbürgerschaftsanzahl. Wir kennen das Phänomen der Doppelstaatsbürgerschaft; auch das haben bestimmte politische Kreise absichtlich ins Werk gesetzt. Die türkische Staatsbürgerzahl wird bestehen bleiben. Abgesehen davon werden dann die Türken auch noch auf anderem Wege – durch das Stimmrecht, das sie in Deutschland haben – hier ihren politischen Einfluss geltend machen. So ist bekannt, dass 75 % der in Deutschland lebenden und mit Stimmrecht ausgestatteten Türken Rot-Grün wählen.
Nein, die Türkei wird der mächtigste Staat in dieser Europäischen Union sein. Ich wollte es nur noch einmal angesprochen haben. Es ist unglaublich! Diejenigen, die sich jetzt über die Misshandlung und Entrechtung von islamischen Frauen selbst in Deutschland beklagen, sind diejenigen, die weiterhin einer ungebremsten Einwanderung das Wort reden. Das ist Pyromanentum, das sich dann verwundert fragt, warum es überall im Lande lodert.
Ich und meine Fraktion sagen: Die Ausländerprobleme in diesem Land sind künstliche, importierte Probleme. Sie ließen sich durch eine ganz einfache, auch rechtsstaatlich völlig abgesicherte Ausländerrückführung im Interesse unseres Volkes beheben. Diejenigen, die für die multikul
Frau Dr. Ernst scheint sich noch für einen Redebeitrag bereitzuhalten. Ich wäre sehr gespannt, was sie zum Thema „Emanzipation, Frauenrechte und Islam“ zu sagen hätte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich vertrete mit diesem Redebeitrag meinen Kollegen de Maizière. – Die Zwangsheirat wurde auf der UNWeltfrauenkonferenz 2000 in Peking international als Menschenrechtsverletzung anerkannt. Im Juni 2001 bezeichnete die UNO die Zwangsheirat sogar als moderne Form der Sklaverei. In Deutschland gibt es, wie heute schon von meinem Kollegen Marko Schiemann angesprochen, drei Formen der Zwangsheirat; ich will sie nicht noch einmal alle aufzählen.
Wichtig ist, dass das Strafrecht bislang keinen eigenen Straftatbestand der Zwangsheirat vorsieht. 2004 wurde in § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 Strafgesetzbuch als besonders schwerer Fall einer Nötigung als Regelbeispiel die Nötigung zur Eingehung der Ehe aufgenommen. In der Polizeistatistik existiert der Begriff „Zwangsheirat“ jedoch nicht. Folglich – auch das ist heute schon hinterfragt worden – liegen der Polizei keine statistischen Angaben dazu vor. Gleiche Befragungen von Beratungsstellen, Ausländerbeauftragtem, Staatsanwaltschaften und Landeskriminalamt haben dieses ergeben. Über das genaue tatsächliche Ausmaß und die Erscheinungsformen von Zwangsheiraten hat man deshalb deutschlandweit kaum gesicherte Daten.
In Sachsen dürfte die Relevanz des Problems gegenwärtig wegen des geringen Ausländeranteils zwar wesentlich schwächer sein als in den alten Bundesländern. Gleichwohl kann auch Sachsen durch Wanderungsbewegungen davon erheblich betroffen werden. Die gelegentlich vertretene Meinung, dass mit den allgemeinen Tatbeständen wie der Nötigung und der Erpressung bereits ausreichend strafrechtliche Abwehrmittel zur Verfügung stünden, teilt die Sächsische Staatsregierung nicht. Ohne die mit einer eigenen Strafbestimmung im Strafgesetzbuch verbundene Signalwirkung ist mit einem raschen Umdenkungsprozess in den betroffenen Bevölkerungsgruppen nicht zu rechnen.
Die Staatsregierung befürwortet daher ausdrücklich den Gesetzentwurf des Bundesrates, Frau Herrmann, weil er bessere strafrechtliche Möglichkeiten bietet, weil er das Unrechtsbewusstsein in betroffenen Migrantenfamilien
durch höhere Strafandrohung verstärkt, weil er gleichzeitig auch ein Zeichen setzt: Unsere von Menschenwürde und personenbezogener Toleranz geprägte Gesellschaft ist nicht bereit, derlei Menschenrechtsverletzung hinzunehmen; es darf nicht sein, dass auf deutschem Boden unbeeindruckt gegen deutsches Recht verstoßen wird.
Durch die Zwangsverheiratung wird das Recht der Betroffenen auf selbstbestimmte Heirat, persönliche Freiheit und Menschenwürde schwerwiegend verletzt. Dies ist nicht hinnehmbar und muss von uns allen, vor allem aber von den politisch und gesellschaftlich Verantwortlichen, deutlich öffentlich geächtet werden. Insbesondere gilt es zu verhindern, dass Menschen aus anderen Ländern und Kulturen, die in Deutschland leben und sich sogar einbürgern lassen wollen, sich in Parallelgesellschaften über unsere im Grundgesetz niedergelegten freiheitlichen gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Vorstellungen rücksichtslos hinwegsetzen, sodass es sogar zu den so genannten Ehrenmorden gekommen ist.
Nebenbei bemerkt, die Herstellung der Familienehre durch Mord ist ein Widerspruch in sich. Es offenbart sich darin ein völlig inakzeptables Menschen- und Weltbild. Es wäre eine falsch verstandene Liberalität und Rücksichtnahme, wenn wir Weltanschauungen und Traditionen tolerieren, die unser freiheitliches Menschenbild mit freier Ehepartnerwahl zur Verwirklichung der Menschenrechte bekämpfen.