Protocol of the Session on November 11, 2004

Meine Damen und Herren von der PDS, wenn Sie wirklich so strikt gegen Hartz IV sind, wie Sie immer behaupten, und ein solches Gesetz nicht mittragen können, dann ziehen Sie die Konsequenz und verlassen die beiden Landesregierungen, an denen Sie beteiligt sind!

(Beifall bei der NPD)

Das Verhalten der PDS in dieser Frage ist der endgültige Offenbarungseid dieser Partei. Man setzt dröhnende Kampagnen gegen Hartz IV in Gang, ist aber gleichzeitig an der direkten Umsetzung dieser Gesetze beteiligt. Denn wer in einem solch gravierenden Fall von Sozialab

bau im Bundesrat die Option der Enthaltung wählt, muss auch die volle Verantwortung für die Folgen seines Abstimmungsverhaltens übernehmen. Die gespaltene Position der PDS zeigt wieder einmal überdeutlich, dass sie nur Opposition spielt, aber keine echte Opposition ist. Machtteilnahme ist anscheinend wichtiger als das eigene Gewissen.

(Beifall bei der NPD)

Jetzt hat die FDP das Wort. Herr Holger Zastrow.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wieso dürfen eigentlich manche Politiker etwas machen, was sich kein anderer in diesem Land erlauben kann? Nämlich puren Pfusch abzuliefern. Hartz IV ist aus unserer Sicht purer Pfusch. Es verdient nicht den Namen eines Konzeptes und es ist genau das, was sich kein einziger Unternehmer in der freien Wirtschaft erlauben könnte. Es ist genau das, was sich kein Angestellter in irgendeinem Unternehmen und kein Arbeiter in irgendeinem Unternehmen erlauben könnte, nämlich vielleicht eine gute Idee zu haben, und zwar Sozialreformen zu machen, aber am Ende etwas abzuliefern, was überhaupt nicht funktioniert, was auch jeder Fachmann vorher gesagt hat; dann vor der Sommerpause in Urlaub zu fahren, die Leute mit ihren Sorgen und Nöten acht Wochen allein zu lassen; ein Wirtschaftsministerium zu haben, in dem kein Einziger da war, der Aufklärungsarbeit machen konnte, und am Ende der Boulevard-Presse zu überlassen, die Bevölkerung aufzuklären, und damit eine Menge Leute, die von wirklicher Not betroffen sind, allein und im Stich zu lassen.

Meine Damen und Herren! Das kann nicht die Arbeit von Politikern sein. Wir alle müssen uns daran gewöhnen – und vor allem unsere Kollegen in Berlin –, dass wir hoch professionelle Arbeit abliefern müssen. Das sind wir den Menschen in diesem Land schuldig.

Herr Zastrow, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Jetzt ist es soweit, bitte.

Ist Ihnen bekannt, dass sich Ihr Bundesvorsitzender geäußert hat, dass Hartz eine notwendige, längst überfällige Reform sei, die schnellstens umgesetzt werden müsse?

Natürlich.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Mit der FDP hat er nichts zu tun! – Weitere Zurufe)

Wenn Sie mir zuhören würden, könnte ich es Ihnen erklären. Das ist mir sehr wohl bekannt. Lassen Sie mich zwei Dinge dazu sagen und ich glaube, auch Sie von der SPD werden mir Recht geben. Es gibt manchmal einen

großen Unterschied zwischen uns als sächsische Parteien und unseren Bundesparteien. Ich bin stolz darauf, dass ich hier sächsische Politik mache und oftmals eine völlig andere Position beziehe als mein Bundesvorsitzender in Berlin. Auch Sie, Herr Jurk – er ist gerade nicht da –, haben genau diese andere Position bezogen und ich glaube auch, Sie von der CDU haben eine eigene, sächsische Meinung und auch Sie – Herr Milbradt, Sie werden es bestätigen – reiben sich oft genug an der Bundespartei. Auch wir machen das.

Das Zweite ist: Es mag ja sein, dass Hartz IV als Idee – nämlich Sozialreformen durchzuführen – gut ist. Das sehen wir auch als FDP so. Übrigens: Fragen Sie irgendeinen in diesem Land, der von Sozialhilfe lebt, arbeitslos ist oder noch Arbeit hat – das soll es ja auch geben –, ob es notwendig ist, Sozialreformen in diesem Land durchzuführen, und Sie werden eine breite Zustimmung bekommen. Jeder Mensch wird Ihnen sagen: Wir brauchen Reformen. Selbst Leute, die davon betroffen sind, weil jeder weiß – und wir brauchen das Volk nicht für blöder zu halten, als es ist – –

(Lachen bei allen Fraktionen)

Ich halte das Volk nicht für blöd. Entschuldigung, wenn es jemand so verstanden hat. Tut mir Leid, ich entschuldige mich bei allen für diese Äußerung. – Trotzdem glaube ich, dass sehr viele Menschen in diesem Land genau wissen, dass es so nicht weitergeht. Sie wissen, dass wir über unsere Verhältnisse leben. Jeder kennt auch genau denjenigen in seinem Umfeld, der sich im Sozialsystem eingerichtet hat. Manche kennen auch diejenigen, die zu Unrecht bestimmte Sozialleistungen in Anspruch nehmen.

Was noch wichtig ist: dass wir ein Konzept machen, das auch wirklich zieht, und damit bin ich beim dritten Punkt. Es mag ja sein, dass Hartz IV ein Konzept ist, das im Westen funktioniert. Dort, wo es 4 % Arbeitslosigkeit gibt – in Baden-Württemberg, in München oder sonst wo –, kann das ein Konzept sein, das funktioniert. Dort, wo der Grund für die Arbeitslosigkeit tatsächlich die Vermittlungsprobleme sind, kann es funktionieren. Es funktioniert aber im Osten nicht. Dort, wo es 20 bis 30 % Arbeitslosigkeit gibt, funktioniert es nicht. Ich kann in Leipzig, wo, glaube ich, 36 Bewerber auf eine offene Stelle kommen – ich rede nicht über Niederschlesien, sondern über Leipzig, also eine Boomregion –, nicht von einem Vermittlungsproblem sprechen, sondern dort muss ich sagen: Wir haben ein Angebotsproblem.

Eines ist klar: Ich kann nicht nur fordern, dass der Gürtel enger geschnallt wird und wir uns alle immer mehr einschränken sollen, sondern ich muss den Menschen in diesem Land auch Alternativen bieten. Ich muss ihnen eine Chance geben, den Teufelskreis von Sozialhilfe und Arbeitslosigkeit jetzt endlich – und bei vielen dauert das schon viel zu lange, nämlich 14 Jahre lang – zu verlassen, und Hartz IV schafft selbst überhaupt keinen einzigen Arbeitsplatz.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)

Eine Forderung auch der FDP – deswegen hat die Bundespartei eine Verschiebung beantragt, kam aber nicht durch – würde ich mir von Hartz IV wünschen und deshalb stimmen wir dem Antrag der PDS auch zu:

(Widerspruch bei der CDU)

Liebe CDU, Sie werden mir sogar Recht geben, weil der Ministerpräsident genau denselben Satz auch sagte: Wer fordert, muss auch fördern. Genau diese Förderung, diese Anreize, damit mehr Arbeitsplätze in diesem Land entstehen und immer mehr Menschen zum Beispiel auch den Mut haben, sich selbständig zu machen, ein persönliches Risiko auf sich zu nehmen und neue Arbeitsplätze zu schaffen – genau dieser Punkt fehlt bei Hartz IV, und wir sollten als Sachsen gemeinsam dafür kämpfen, dies zu ändern.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP, der PDS und der NPD)

Ich bitte den Vertreter der GRÜNEN, Herrn Dr. Gerstenberg, das Wort zu nehmen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war bis zum letzten Beitrag hier im Saal eigentlich richtig zu greifen, dass die Luft aus dieser Diskussion heraus ist. Die Situation hat sich gegenüber dem Sommer deutlich geändert. Die Proteste und Demonstrationen haben bewirkt, dass unbegründete Ängste ausgeräumt wurden, dass mehr informiert wurde und sich deshalb auch eine ausgewogene und differenzierte Betrachtung von Hartz IV eingestellt hat. Dies hat auch dazu geführt, dass die Vorteile dieser Reform, die insbesondere Förderungsmöglichkeiten für Sozialhilfeempfänger in ganz neuer Qualität enthält, zum Tragen und in die öffentliche Diskussion gekommen sind. Die Akzeptanz ist deutlich gewachsen, das ist nachweisbar und das wissen alle im Saal, die bereit sind, Statistiken und Umfragen zur Kenntnis zu nehmen.

Das heißt aber natürlich nicht, dass dieses komplizierte und sehr schwierige Reformvorhaben damit schon in seiner endgültigen Form vorliegt. Dem Kollegen Gerlach habe ich für seine sehr ausführliche und differenzierte Darstellung sowie für den Hinweis auf das MonitoringVerfahren zu danken. Es ist Absicht, diese Reform zu begleiten und Korrekturmöglichkeiten vorzusehen.

Wir können heute schon aus Sicht der GRÜNEN sagen: Wir sehen nach wie vor Nachbesserungsmöglichkeiten. Dies betrifft die bereits erwähnten Hinzuverdienstmöglichkeiten; wir sehen aber auch Nachbesserungsbedarf bei der Anrechnung der Einkommen des Partners und außerdem – das überrascht nach der heutigen Diskussion über den Mindestlohn wirklich nicht mehr – sind die Zumutbarkeitskriterien eine Zumutung; dort muss künftig nachgebessert werden.

All das wird aber nichts daran ändern, dass Hartz IV am 1. Januar 2005 Wirklichkeit wird, und ich bitte die Populisten der PDS sowie die neuen und in diesem Wahl

kampf gestählten Populisten der FDP, dies zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich lade Sie ein, diese Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Ich lade Sie ein, zusammen mit den anderen demokratischen Fraktionen daran zu arbeiten, diese Wirklichkeit in den nächsten Monaten und Jahren ein Stück besser und gerechter zu machen, statt ihr hinterherzuhumpeln wie jetzt mit diesem Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Jetzt hat die Staatsregierung, wenn gewünscht, das Wort. – Dies ist nicht der Fall. Dann frage ich die Fraktionen, ob noch Aussprachebedarf besteht – Herr Dr. Pellmann von der PDSFraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann meinen vorbereiteten Beitrag aus Zeitgründen leider nicht mehr halten, aber ich gebe ihn auch nicht zu Protokoll, da ich das nicht für sinnvoll halte, sondern möchte auf einige wenige Dinge eingehen, die hier gesagt wurden. Die Rede war davon, dass wir zur Verunsicherung beitragen würden. Ich sage denen, die dies hier behaupten: Ich persönlich habe in einer Weise und Vielfalt in meinem Wahlkreis zur Aufklärung beigetragen – und es hat vielleicht auch zu den Wahlergebnissen beigetragen –,

(Beifall bei der PDS)

und die hier verunsichert haben, sitzen zum Teil hinter mir. Wie war es denn? Erst wurde allem zugestimmt seitens der Sächsischen – –

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Ich meine die Staatsregierung. – Erst wurde allem zugestimmt im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss. Dann wollte man plötzlich alles nicht mehr wahrhaben. Dann war laut Pressemitteilung der Staatskanzlei die Politik, die geführt wurde, sogar herzlos. Plötzlich war man dann wieder in den Schoß der großen so genannten Reformkoalition zurückgekehrt. Das ist die Wahrheit, und das hat zur Verunsicherung beigetragen – nichts anderes!

(Beifall bei der PDS und der FDP)

Eine kleine Nachhilfe für die rechts von mir Sitzenden: Vertreter meiner Partei in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern haben in ihren Regierungen gegen Hartz IV gestimmt.

(Dr. André Hahn, PDS: Mit Nein!)

Mit Nein, natürlich. – Wenn Sie es nicht wissen, das nehme ich Ihnen nicht übel, Sie müssen sowieso noch viel lernen; aber das ist wahrscheinlich zwecklos.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

Es ist üblich – das werden wir hier hoffentlich auch noch erleben, dass die SPD sich auch einmal traut, gegen die CDU zu stimmen –,

(Karl Nolle, SPD: Nie!)

dass bei Koalitionen dann Folgendes eintritt: dass man sich im Bundesrat der Stimme enthält. – Aber das werden Sie nie begreifen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das ist so simpel!)