Protocol of the Session on May 20, 2005

Ich komme dahin zurück, wo der Antrag eigentlich angesiedelt ist. Etliche Kolleginnen und Kollegen, die hier sitzen, waren in der letzten Volkskammer. Es war der Auftrag derjenigen, die in die Volkskammer hineingewählt wurden, genau an dieser Stelle äußerst sorgsam mit dem umzugehen, was dann im Sinne einer Überleitung gemacht werden sollte.

Die Verfassung der Menschen damals war eine andere. Wir haben uns damals in unzähligen Veranstaltungen dem Druck aussetzen müssen, dass gesagt wurde: Bitte macht nicht den gleichen Fehler, wie ihn die alte Bundesrepublik am Ende des Zweiten Weltkrieges gemacht hat, und geht einfach aus irgendwelchen, in sich sauberen technischen Lösungen über das ganze Politische hinweg! Man kann lange darüber diskutieren, ob die Volkskammer mit ihrem politischen Willen, der damals mit dem Gesetz ausgedrückt wurde und der die übergroße Mehrheit der Volkskammer gefunden hatte, ein Stück überzogen hat.

Es ist einiges durch Verfassungsgerichte, durch den Beitritt zum Grundgesetz korrigiert worden. Das stellen wir nicht in Abrede. Der Auftrag damals war klar und Sie probieren bis heute, dies wieder zurückzudrehen.

Sie können es sehr gern machen, so wie es mir im Wahlkampf einmal vorgelegt wurde, als ich in Chemnitz zu einer Initiative eingeladen war, um über Hartz IV zu reden. Da wurde eine Sammlung für den lieben Genossen Siegfried gemacht. Gemeint war Siegfried Lorenz, Politbüromitglied und Erster Sekretär der Bezirksleitung der SED Karl-Marx-Stadt. Dort ging es darum, dass dieser Mann so sehr in Geldnot gekommen war, weil er die vielen teuren Anwälte – ich erspare mir, die Namen des Anwalts bzw. der Anwälte zu nennen – bezahlen musste,

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU)

die ihm das viele Geld aus dem Kreuz gezogen hatten, weil er versucht hatte, sich genau in dieses Rentensystem wieder einzuklagen.

Das können Sie gerne machen, aber bitte nicht mit solchen Anträgen und nicht in dieser Form! Das ist zumindest nicht das, was mir einmal mit dem Votum, als ich in die Volkskammer gewählt wurde, als Auftrag gegeben wurde und wozu ich gern heute noch stehe.

Ich verweise auch gerne auf andere offene Problemfälle. Wenn ich schon dieses Geld hätte, das Sie hier gerne ausgeben wollen, würde ich es vorher bei den Kranken

schwestern unterbringen, denn da haben wir nach wie vor eine Lücke.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Ich würde es gerne dort unterbringen, wo wir nach wie vor eine Gerechtigkeitslücke haben. Aber das ist so, wenn man solche Systeme zusammenführt – wie bei den Reichsbahnern, Professoren neuen Rechts. Ich könnte da noch etliche aufführen. Aber genau nicht an der Stelle, die Sie hier wollen und wo die Leute auch noch namentlich aufgeführt sind.

(Beifall bei der CDU)

Als Letztes. Da Sie ja diejenigen sind, die immer wieder versuchen, uns mit allen möglichen Hartz-IV-Anträgen hier vor sich herzutreiben: Ich bin mir nicht sicher, wie Sie den vielen, die jetzt Hartz IV bekommen, erklären wollen, dass Sie den anderen, die die DDR zumindest in den finanziellen Ruin getrieben haben, einfach einmal locker diese großen Summen rüberschieben wollen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Ich erteile der NPDFraktion das Wort. Herr Leichsenring, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir können den beiden Vorrednern, Herrn Prof. Schneider und auch dem Vertreter der SPD, nur zustimmen und verzichten deshalb auf unseren Wortbeitrag. Wir werden den Antrag ablehnen. – Danke.

Bitte, Herr Dr. Martens für die FDP.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon einiges gesagt worden, was auch mir aufgestoßen ist, als ich den Antrag gesehen habe. Das Gesetz zur Änderung des Anspruchs– und Anwartschaftsüberführungsgesetzes soll, so jedenfalls der Antrag, die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erreichen. Das ist erstaunlich. Diese Anwartschaftsanpassungsgesetze für DDR-Funktionäre in Bezug auf Renten aus Zusatzund Sonderversorgungssystemen sind von der PDS von Anfang an stets bekämpft und von Ihnen, Herr Dr. Pellmann, gerade eben wieder als politisches Rentenstrafrecht bezeichnet worden. Woher auf einmal diese rührende Sorge um die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes? Diese Sorge teile ich übrigens nicht. So wie Herr Schneider es eben dargelegt hat, ist der Gesetzentwurf auch nach meiner Überzeugung verfassungsgemäß. Es geht um das Ziel, das das Verfassungsgericht ausdrücklich gebilligt hat, aus politischen Gründen überhöhte Rentenanwartschaften anzupassen. Das ist zulässig. Die von Ihnen kritisierte Typisierung ist ebenfalls nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zulässig, denn es handelt sich darum, dass die Typisierung

die Zusammenfassung bestimmter Lebenssachverhalte ist, die im Wesentlichen gleich sind, die auch eine normative Zusammenfassung erfahren. Es geht hier nicht darum, den Fehler zu machen und zu sagen, hohe Renten seien gleich überhöhte Renten, was das Verfassungsgericht beanstandet hat. Nein, es geht darum, zusätzliche Kriterien zu finden, an denen sich festmachen lässt, ob es sich um eine politisch motivierte Überhöhung handelt. Dort hat der Gesetzgeber, wie ich finde, berechtigt auf die Parallelwertung im Stasi-Unterlagen-Gesetz zurückgegriffen und diejenigen Funktionen herausgenommen, die im Betrieb der DDR gegenüber dem MfS und seinen Dienststellen weisungsbefugt waren.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Rentenminderung bei normalen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit für verfassungsgemäß erklärt. Warum sollen bitte die Weisungsgeber dieser Leute, die in den Staatsanwaltschaften, in anderen Dienststellen, in Bezirksleitungen und sonst wo saßen, ihre überhöhten Renten dann behalten können? Das vermag doch wirklich keiner einzusehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es geht hier auch nicht um irgendwelche untergeordneten Positionen – Herr Schneider hat es erwähnt. Es geht hier um Sekretäre, Erste oder Zweite Sekretäre der SEDBezirks- oder Kreisleitungen, Abteilungs-, Referatsleiter für Sicherheit oder Abteilungsleiter für Staat und Recht. Es geht um die allseits geschätzten Staatsanwälte der Abteilungen 1 für politisches Strafrecht, der Generalstaatsanwaltschaften und Bezirksstaatsanwaltschaften. Meine Damen und Herren! Hier lässt es sich kaum vermitteln, weshalb nun gerade diese Funktionäre weiter überhöhte Renten erhalten sollten.

Es ist in der Tat auffällig, dass Sie auf das Urteil vom 23.06.2004 hin so lange brauchen, bis Sie einen Vorschlag einbringen, wie er jetzt hier vorliegt. In diesem Vorschlag steht nämlich gar nichts, kein Wort, wie diese Verfassungsmäßigkeit erreicht werden soll. Herr Dr. Pellmann, Sie haben sonst auf renten- und sozialversicherungsrechtlichem Gebiet stets detaillierte, präzise Vorschläge,

(Dr. André Hahn, PDS: Gute!)

wie etwas erreicht werden kann, nur hier auf einmal nicht. Nichts, gar nichts. Warum denn? Sie wollen gar keinen Vorschlag machen, der inhaltlich ist. Es kommt Ihnen darauf an, das Gesetzgebungsverfahren hier zu verzögern, und zwar – genau so, wie Herr Schneider richtig festgestellt hat – über den 30.06.2005 hinaus,

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

weil Sie wissen, dass in diesem Fall die Begrenzung der Renten durch das dann nichtige Gesetz wegfällt und es zu ganz erheblichen Nachzahlungen in zweistelliger Millionenhöhe in Euro und mehr genau an die Gestalten kommt, die das im Rentenrecht nun wirklich nicht verdient haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD, der NPD und den GRÜNEN)

Das ist jetzt der Versuch der rentenmäßigen Genugtuung für die ehemaligen Mitglieder des ZK. Das ist ein Beitrag aus der Sendereihe „Wege zu Wissen und Wohlstand“ – als Moderator Eduard von Schnitzler.

Meine Damen und Herren! Rentenrecht ist kein politisches Strafrecht. Da gebe ich Ihnen Recht. Es gibt keinen Vertrauensschutz für ergaunerte Privilegien. Auch das ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD, der NPD und den GRÜNEN)

Danke schön. – Frau Herrmann, bitte, für die Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe meinen Vorrednern ausdrücklich Recht. Die PDS fordert in ihrem Antrag die Staatsregierung auf, im Bundesrat für eine Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes im Sinne des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes aktiv zu werden. Im Kern geht es darum, ob eine Typisierung zur Begrenzung der rentenrelevanten Entgelte für bestimmte Personengruppen überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Das Bundesverfassungsgericht hat tatsächlich die bis dahin gültige Regelung für unzulässig erklärt, weil es die Wahl der in die Rentenkürzung einbezogenen Berufsgruppen und die Wahl der maßgeblichen Entgelthöhe für ungeeignet hält, ein legitimes Ziel zu erreichen, nämlich das Ziel des Gesetzgebers, Versorgungszusagen, denen keine entsprechende Leistung zugrunde lag und die politisch motiviert waren, die Anerkennung zu versagen.

Auch die Typisierung als Methode bei der Ordnung von Massenerscheinungen darf der Gesetzgeber einsetzen, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen. Es geht also nicht darum, ob der Gesetzgeber nunmehr in seiner Neuregelung typisieren darf, sondern allein darum, ob er den Anforderungen einer Typisierung entspricht, die mit dem Grundgesetz konform gehen.

Wenn daher unser Ziel legitim ist, denen eine finanzielle Anerkennung zu versagen, die in der DDR mit physischer oder psychischer Gewalt Menschen durch das ganze längst bekannte Arsenal der Instrumente des MfS um ihre Existenz gebracht haben, dann geht es doch nur noch um die Frage, wie diese Personengruppe zu beschreiben ist. Auch ist das Bundesverfassungsgericht der Auffassung, dass der Gesetzgeber für das MfS oder AfMS davon ausgehen durfte, dass in diesem Bereich deutlich überhöhte Entgelte gezahlt wurden. Für welche Leistungen eigentlich? Für Einschüchterung, für Desinformation, für die Verbreitung von Angst? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Des Weiteren werden die Personen einbezogen, die gegenüber dem MfS weisungsbefugt waren – das ist schon gesagt worden –, rechtlich oder faktisch, also diejenigen,

die das Instrument des MfS persönlich zur Aktion gebracht haben. Wir halten den Antrag der PDS nicht nur für unmoralisch, sondern auch für politisch nicht legitim. Dagegen erfüllt das neue Gesetz nach Ansicht unserer Fraktion die Maßstäbe, die das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat. Mit der Neuregelung wird klargestellt, dass die Zugehörigkeit zu einem systemnahen Versorgungssystem nicht ausreicht, um von einem nicht durch Leistung gerechtfertigten Einkommen auszugehen. Wer zum Beispiel Berufe ausgeübt hat, die in der DDR nur in Systemnähe möglich waren, um diese unter Kontrolle zu haben, dessen Arbeitsinhalt aber nichts mit Repression zu tun hatte, dessen Rente wird nun nicht mehr durch das Gesetz begrenzt. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der SPD, der FDP und der Staatsregierung)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das war die Runde der Fraktionen; gibt es von den Fraktionen im Rahmen der allgemeinen Aussprache noch Redebedarf? – Dies ist nicht der Fall. Dann frage ich die Staatsregierung. – Frau Staatsministerin Orosz, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bitte auch hier um Verständnis, dass die Staatsregierung keinen Beitrag zur inhaltlichen Debatte leisten kann. Es ist in der Tat so, Herr Dr. Pellmann, wie Sie es gesagt hatten: Auch hierzu wird sich das Kabinett am Dienstag letztendlich zu seinem Abstimmungsverhalten bekennen. Ich bin mir aber heute schon sicher, dass in diesem Fall sehr schnell ein klares Votum getroffen werden wird. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Danke schön. – Dann bitte ich die PDS-Fraktion, das Schlusswort zu halten. Herr Dr. Pellmann, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend noch wenige Bemerkungen anfügen. Zunächst möchte ich aber festhalten: Ich habe hier einfach auch aus dem Grund gesprochen, weil ich – das kann ich Ihnen definitiv sagen – keine persönlichen Vorteile habe, und ich kenne auch niemanden in meiner Fraktion, der – wie Sie das vielleicht unterstellen – persönliche Vorteile hätte.

(Heiterkeit und Zurufe von der CDU: Aber die Wählerschaft!)

Vielleicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es auch durchaus legitim und sinnvoll, wenn zu solchen Dingen kein Jurist Stellung nimmt. Vielleicht sollten Sie sich auch das mal durch den Kopf gehen lassen. Es ist eben für uns nicht allein nur ein juristisches Problem.

(Zuruf von der Staatsregierung: Das ist wahr!)

Natürlich. Und dennoch möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen, dass das

(Unruhe bei der CDU)