Protocol of the Session on May 20, 2005

Ich bitte jetzt die namentliche Abstimmung vorzunehmen.

Wir kommen jetzt zur namentlichen Abstimmung in der 19. Sitzung am 20. Mai 2005 über Drucksache 4/0397, beginnend mit dem Buchstaben A.

(Namentliche Abstimmung – siehe Anlage)

Ist jemand nicht genannt worden? – Herr Petzold, Jürgen.

(Jürgen Petzold, CDU: Nein!)

Wir warten jetzt auf die Auszählung und ich gebe dann das Ergebnis bekannt.

(Kurze Unterbrechung)

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Mir liegt das Abstimmungsergebnis zur Drucksache 4/0397, dem Antrag der PDS-Fraktion, vor. Mit Ja stimmten 33 Abgeordnete, mit Nein 75 und kein Abgeordneter hat sich enthalten. Damit ist der Antrag mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich schließe diesen Tagesordnungspunkt und rufe auf

Tagesordnungspunkt 7

Hospizangebote

Drucksache 4/0683, Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Die Fraktionen können wieder Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: CDU, SPD, PDS, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht.

Ich erteile nun der CDU-Fraktion das Wort. Herr Abg. Krauß, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Leiden und Sterben spielen im öffentlichen Bewusstsein heute leider nur noch eine untergeordnete Rolle. Sie haben keinen Platz in der Spaß- und Leistungsgesellschaft. Sie sind eine Provokation des Fortschrittsglaubens.“

Das ist ein Zitat unserer Kollegin Christine Clauß hier von dieser Stelle aus. An dieser Situationsbeschreibung hat sich leider wenig geändert.

Das Thema Hospiz gehört für uns in die politische Debatte, deswegen wollen wir es an dieser Stelle auch diskutieren. Das Sterben kann nicht totgeschwiegen werden. Wir sind der Meinung, Sterben darf nicht in den Bereich der Medizin abgedrängt werden. Sterben ist keine Krankheit. Sterben und Sterbebegleitung gehen die gesamte Gesellschaft an,

(Beifall bei der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

denn für uns ist das Sterben ein Teil des Lebens. Sterben ist Leben vor dem Tod.

Was wünschen sich Sterbende? Diese Frage hatte die Ärzteorganisation Marburger Bund 1996 zu beantworten versucht, und sie hat vier Antworten gegeben.

Das Erste: Sterbende wollen nicht allein gelassen werden, sie wollen an einem vertrauten Ort und inmitten vertrauter Menschen sterben. Eine Umfrage besagt es: Drei von vier Menschen wollen zu Hause sterben. Doch die Realität ist anders. Man schätzt, dass rund die Hälfte der Menschen in einem Krankenhaus stirbt, weitere 25 % sterben in einem Alten- oder Pflegeheim. Wunsch und Wirklichkeit klaffen also auseinander. Den meisten bleibt ihr letzter Wunsch versagt. Es bleibt ihnen versagt, zu Hause zu sterben.

Zu dem Zweiten, das sich Sterbende wünschen: Sie wollen nicht unter Schmerzen und anderen Beschwerden leiden müssen. – Das gelingt häufig nicht. Schmerzlindernde Therapien sind in Deutschland recht selten, die Palliativmedizin steckt noch in den Kinderschuhen und sie kommt bei der Ausbildung von Ärzten fast nicht vor. Dass die Palliativmedizin ausbaufähig ist, zeigt sich, wenn man den Morphinverbrauch bei der Schmerzbekämpfung in verschiedenen europäischen Staaten einmal vergleicht. Es geht also um Opiate, die körperliche Schmerzen lindern können. Der Verbrauch ist in Deutschland wesentlich geringer als in anderen europäischen Ländern. Während in Großbritannien auf eine Million Einwohner gerechnet 30 kg kommen, sind

es in Schweden bereits 49 kg und in Dänemark sogar 83 kg. Doch in Deutschland sind es lediglich 10 kg. Es wird also deutlich: Schmerzlindernde Opiate werden in Deutschland noch viel zu selten eingesetzt.

Zum Dritten, was sich Sterbende wünschen: Sie wünschen sich genügend Raum und Hilfe für die Regelung unerledigter Angelegenheiten.

Der vierte Punkt, was sich Sterbende wünschen: Sie wollen die Frage nach dem Sinn des Lebens und Sterbens stellen dürfen. Das ist die Frage, was nach dem Leben hier auf Erden kommt. Das ist die Frage, was über den Tod hinaus trägt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie sieht die Hospizsituation derzeit in Sachsen aus? Darauf hat die Staatsregierung bereits in ihrer Stellungnahme Antwort gegeben. Das Erste, was ich sagen möchte: Wir haben Grund zur Dankbarkeit. Mindestens 400 Menschen engagieren sich in Sachsen ehrenamtlich in den Hospizdiensten. Diese Menschen haben Respekt vor den besonderen Leiden eines Sterbenden. Sie anerkennen die Würde, die der Kranke auch im Verfall bewahrt. Sie anerkennen den hohen Wert des Lebens, der durch nichts verloren geht. Hospizhelfer nehmen den anderen in seiner Schwachheit an, in seiner Gebrochenheit. Sie schenken Wärme. Sterbende wollen an der Hand eines Menschen Abschied nehmen, nicht an den Schläuchen einer Maschine.

Hospizhelfer gehen häufig eine Leidensgemeinschaft ein. Sie geben Nähe und Anteilnahme. Papst Johannes Paul II. hat es einmal bei einem Besuch in einem Hospiz so formuliert: „Die Tränen der Welt trocknen nur die, die selbst weinen können.“ Und, meine sehr geehrten Damen und Herren, Hospizhelfer können weinen.

Ich möchte jetzt bei der Beschreibung der Situation auf vier Teilbereiche eingehen. Das sind zum Ersten die ambulanten Hospizdienste, zum Zweiten die stationären Hospize, zum Dritten teilstationäre Hospize und im vierten Punkt möchte ich Ihre Aufmerksamkeit noch einmal auf die Palliativmedizin lenken.

Zu den ambulanten Diensten. In Sachsen gibt es rund 30 ambulante Hospizdienste; vor vier Jahren waren es nur 13, also weniger als die Hälfte. Wir sehen, in den letzten Jahren hat sich sehr viel entwickelt. Die Zahl ist deutlich gestiegen. Wir sehen auch, dass die Arbeit gedeiht.

Ich habe mir einmal den Jahresbericht des Christlichen Hospizdienstes in Dresden angeschaut. Dort gab es im vergangenen Jahr allein 61 ehrenamtliche Helfer. Diese 61 ehrenamtlichen Helfer haben insgesamt 3 392 Einsatzstunden geleistet, 3 392 ehrenamtliche Stunden. Man sieht also, das Angebot wird auch nachgefragt. Das Angebot wird ausgebaut. Es geht nicht mehr nur um die klassische Sterbebegleitung, sondern neue Angebote kommen hinzu, weil diese Hospizverbände einfach auch größer werden.

Zum Beispiel Trauercafés. Dort können sich Trauernde treffen. Sie können gemeinsam ihr Leid bewältigen. Sie erfahren dort Trost und stiften auch selber Trost. Ebenso wichtig sind Weiterbildungsangebote, die Hospizdienste unterhalten, vor allem für Mitarbeiter in Altenheimen und Krankenhäusern.

Zu den stationären Hospizen. In Sachsen haben wir vier stationäre Hospize: eins in Radebeul, zwei in Leipzig und seit Februar ein neues in Chemnitz. Vor vier Jahren waren es nur halb so viele, nämlich zwei. Mittlerweile gibt es auch die Initiative für ein Kinderhospiz in Leipzig. Es hat den Namen „Bärenherz“. Das wäre das erste Kinderhospiz in Sachsen. Die Initiative ist verbunden mit einem Verein in Wiesbaden, der bereits vor sechs Jahren in Wiesbaden ein Kinderhospiz allein durch Spendengelder aufgebaut hat. In Leipzig ist bereits ein Grundstück vorhanden. Der Vorstand ist auf Spendensuche. Dabei wünschen wir viel Erfolg, dass genügend Geld zusammenkommt, um dieses Kinderhospiz in Leipzig zu errichten.

Zu den teilstationären Hospizen. Tageshospize sind in Deutschland noch relativ selten. Sechs Angebote zählt man, so zumindest ein Gutachten für den Deutschen Bundestag im vergangenen Jahr. Von diesen sechs Angeboten liegen zwei in Sachsen, nämlich eins in Leipzig und das andere in Radebeul.

Zur Palliativmedizin. Ziel der Palliativmedizin ist es, ein schmerzfreies Lebensende zu ermöglichen. Es geht darum, Schmerzen zu lindern. Laut Krankenhausregister gibt es in Sachsen sechs Palliativstationen. Gerechnet auf die Einwohnerzahlen gibt es in Deutschland lediglich drei Bundesländer, die eine höhere Bettenzahl haben. Das ist ein Erfolg, den sich Sachsen auf die Fahne schreiben kann.

Ich möchte auch noch kurz auf die ambulante Palliativpflege eingehen. In Dresden wurde kürzlich ein Palliativvertrag geschlossen. Im Boot sitzen dabei die AOK Sachsen, das Dresdner Krankenhaus Sankt-Joseph-Stift, Hausärzte und Onkologen. Ihr Ziel ist es, dass zum Beispiel tumorkranke Patienten in der letzten Lebensphase keinen langen Krankenhausaufenthalt durchstehen müssen, sondern dass ihnen dieser erspart bleibt. Das ist der richtige Weg.

Zusammenfassend – wenn wir uns die Hospizsituation in Sachsen anschauen – können wir sagen: Es ist viel geschehen. Klar ist auch: Es muss noch einiges getan werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wohin wollen wir?

Erstens. Wir wollen Hospizinitiativen unterstützen. Weitere ambulante Dienste sind nötig. Das Netz muss engmaschiger werden. Während in Deutschland 4,1 % der Sterbenden von Hospizhelfern betreut werden, sind es in Großbritannien 28 %. Das heißt, diese Quote ist in Großbritannien sieben Mal höher. Gerade ambulante Dienste ermöglichen es, das Ende des Lebens in vertrauter Umgebung, im Kreise der Familie zu verbringen.

Wir brauchen auch mehr ambulante Angebote für sterbende Kinder. Sie wissen, das Besondere bei der Begleitung von sterbenden Kindern ist, dass die Eltern und die Geschwister in diese Begleitung einbezogen sind.

Wir möchten aber auch Hospizdienste ermutigen, ihre Angebote auszuweiten, zum Beispiel Trauercafés einzurichten oder Gesprächskreise für Eltern, die ihr Kind verloren haben.

Zweitens. Der Hospizgedanke muss weiter verbreitet werden, vor allem in Krankenhäusern und Altenheimen. Aber auch in der Öffentlichkeit sind die Angebote noch wesentlich zu unbekannt. Das muss sich ändern. Um den Hospizgedanken weiter zu verbreiten, sind vor allem Fort- und Weiterbildungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Krankenhäusern und Altenheimen notwendig.

Seit 1999 läuft ein Forschungsprojekt „Sterbebegleitung in Sachsen“. Ein erster Teil der Ergebnisse wurde schon präsentiert. Das Ergebnis war leider alles andere als erfreulich. Die Begleitung Sterbender hat vor allem für Krankenhäuser noch eine viel zu geringe Relevanz. Bei den Ergebnissen heißt es: Aufgrund rechtlicher Vorschriften werde Verstorbenen mehr Aufmerksamkeit gewidmet als Sterbenden.

Das macht deutlich: Wir müssen die Hospizidee gerade in Altenheime und Krankenhäuser tragen.

Drittens. Wir wollen die Palliativmedizin stärken. Die Schmerzlinderung muss zum einen in der Ärzteausbildung fest verankert werden. Fort- und Weiterbildung für Ärzte sind notwendig. Zum anderen müssen wir die Palliativmedizin auf ein gesundes finanzielles Fundament stellen. Die Palliativmedizin muss in der ärztlichen Gebührenverordnung verankert werden.

Kurzum: Es wurde viel getan, doch es muss noch mehr getan werden. Wie menschlich unser Gesundheitssystem ist, macht sich nicht an zehn Euro Praxisgebühr fest, sondern gerade daran, wie wir mit Sterbenden umgehen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Wird von der SPD-Fraktion das Wort gewünscht? – Die SPD nicht. Dann rufe ich jetzt die PDS-Fraktion auf.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Berichtsantrag der Koalitionsfraktionen zur Entwicklung der Hospizangebote in Sachsen richtet den Blick auf den häufig tabuisierten letzten Lebensabschnitt: auf das Sterben. Es ist gut, wenn wir uns als gewählte Volksvertreterinnen und Volksvertreter heute offensiv diesem Thema zuwenden. In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre Initiative. Im Angesicht von Sterben und Tod sind viele Menschen hilf- und sprachlos, eine individuelle Auseinandersetzung und Vorbereitung auf die letzte Phase des Lebens findet oftmals nicht statt. Die Endlichkeit jedes Lebens wird gegebenenfalls noch im Abschluss einer Lebensversicherung realisiert, aber darüber hinaus nicht. Gemeinhin wird ein plötzlicher Tod als gütige Schicksalsfügung verstanden, obwohl gerade dies bedeutet, dass man selbst und die nahe stehenden Angehörigen des bewussten Abschiednehmens als Teil des Trauerprozesses beraubt werden. Das friedliche Einschlafen im Kreise der Familie bleibt andererseits für immer mehr Menschen unerreichbar. Das Fehlen von Familienmitgliedern, große

regionale Entfernungen oder auch die Einweisung in ein Krankenhaus kurz vor dem Tod stehen dem entgegen.

Vor diesen sich objektiv verändernden Bedingungen wächst die Bedeutung der Palliativpflege und -medizin sowie der stationären und ambulanten Hospizarbeit; denn deren Mittelpunkt sind der sterbende Mensch und seine Angehörigen.