Protocol of the Session on May 19, 2005

(Beifall bei der FDP und teilweise bei der PDS)

Ich möchte auf Martin Dulig eingehen. Ich bin schon etwas verwundert, wie man auf der einen Seite inhaltlich Dinge vorträgt, die man mit unterschreiben kann, aber dann im praktischen Handeln davon komplett abrückt. Ich will Herrn Dulig korrigieren. Martin Dulig hat gesagt, wir wollten alle Schulen um jeden Preis erhalten. Dann haben Sie unseren Antrag nicht gelesen. Genau das steht dort nicht, sondern wir sagen, es gibt gewisse Kriterien, nach denen Schulen erhalten werden sollen, und diese definieren wir ganz klar.

Sie haben gesagt, wir wollen die Zeit haben, um die Schulnetzplanung den veränderten Bedingungen anzupassen. Genau das wollen wir auch. Da frage ich mich, warum Sie unserem Antrag nicht zustimmen können.

Meine Damen und Herren, wir haben heute eine wichtige Entscheidung zu treffen. Wir müssen uns einerseits entscheiden zwischen dem Konzept des Kultusministeriums, der CDU und offenbar auch der SPD, die meinen, nur Schulkombinate könnten die Bildungsqualität aufrechterhalten, oder dem Konzept der Oppositionspartei folgen, das sagt, wohnortnahe Schulen sind ein wesentliches Kriterium, um auch zukünftig hochwertige Bildung anzubieten. Das ist eine wichtige Entscheidung, die jeder mit seinem Gewissen vereinbaren muss. Deshalb werden wir namentliche Abstimmung beantragen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der PDS)

Meine Damen und Herren! Es ist namentliche Abstimmung beantragt worden. Wir bereiten alles vor.

(Kurze Unterbrechung)

Zur namentlichen Abstimmung in der 18. Sitzung am 19. Mai 2005 in der Drucksache 4/1555, beginnend mit dem Buchstaben G.

(Namentliche Abstimmung – siehe Anlage)

Ist jemand nicht aufgerufen worden? –

(Winfried Petzold, NPD, entschuldigt sich beim Präsidium für seine kurze Abwesenheit und wird nachträglich aufgerufen, sein Votum abzugeben. – Kurze Unterbrechung)

Meine Damen und Herren! Mir liegt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung vor zum Antrag der Fraktion der FDP in der Drucksache 4/1555: Mit Ja stimmten 45 Abgeordnete, mit Nein 62 und es gab keine Stimmenthaltungen. Damit

ist der Antrag nicht beschlossen worden und der Tagesordnungspunkt ist beendet.

Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 6

Grünes Licht für eine gemeinsame Europapolitik von Bund und Ländern

Drucksache 4/1225, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Als Erstes spricht die Fraktion der GRÜNEN; danach folgen CDU, PDS, SPD, NPD, FDP und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile nun der Fraktion der GRÜNEN das Wort; Herr Abg. Weichert, bitte.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Europapolitik in der alten Bundesrepublik gehörte seit dem Godesberger Programm der SPD von 1959 zu den Politikfeldern, die in ihrem Kern bei allen demokratischen Parteien unstrittig waren. Daran hat sich auch durch die deutsche Einheit nichts geändert. Wie weit der europapolitische Konsens reicht, zeigen die Debatte und die Abstimmung über die Europäische Verfassung in der letzten Woche im Deutschen Bundestag. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen in dieser Zeit zwei Dinge konstatieren: Erstens, der europapolitische Konsens steht mittlerweile auf sehr dünnem Eis, und zweitens, unser Föderalismus ist nicht mehr gesund; es braucht gar nicht die zuweilen schwierige europapolitische Kooperation, um festzustellen, dass Föderalismus seine verfassungsmäßige Aufgabe zurzeit nur sehr unzureichend erfüllt.

Zum ersten Gedanken:

Die Auseinandersetzungen um die Europapolitik im demokratischen Spektrum nehmen zu – ich sehe das völlig ohne Bedauern –, denn die gestrige Debatte um das so genannte Lohndumping hat gezeigt, dass Ängste und Befürchtungen in der Bevölkerung von den Demagogen aufgegriffen und schamlos für ihre perfiden Zwecke ausgenutzt werden. Ja, vielleicht ist die Tatsache, dass hier im Sächsischen Landtag die Epigonen einer menschenverachtenden Ideologie wieder Platz nehmen durften, der Ausdruck eines in der Vergangenheit großen Konsenses.

Meine Damen und Herren! Bei der letzten Erweiterungsrunde, die die EU um zehn neue Mitglieder ergänzte, waren sich alle Beteiligten dessen bewusst, dass dieser Integrationsschritt nicht so problemlos laufen wird wie die Erweiterungsrunden in der Vergangenheit. Wir alle haben uns in der Abwägung dennoch mit großer Mehrheit dafür entschieden, diesen Schritt zu gehen, denn es war und ist der einzig sinnvolle Weg, die Europäische Union als Projekt einer friedlichen Gemeinschaft mit einer hohen Lebensqualität auf unserem Kontinent weiterzuentwickeln.

Darüber hinaus dürfen wir es nicht versäumen, die Risiken zu diskutieren und den Prozess der Abwägung

deutlich zu machen, der uns zu dieser Entscheidung geführt hat. Vielleicht haben wir jetzt, wo in den einzelnen Mitgliedsstaaten die Ratifizierung der Europäischen Verfassung läuft und die nächste Erweiterungsrunde vorbereitet wird, den richtigen Zeitpunkt erwischt, um auch über den Prozess der weiteren europäischen Integration zu diskutieren. Zum Beispiel sollen Bulgarien und Rumänien 2007 Mitglied der EU werden. Meine Fraktion hat eine klare und eindeutige Meinung: Wir sagen ja.

Die EU hat eine enorme Anziehungskraft und Attraktivität. Kaum war in der Ukraine die „orange“ Revolution erfolgreich, erhallte der Ruf aus Kiew nach einem baldigen Beitritt zur Gemeinschaft. Aus meiner eigenen Erfahrung, die ich beim Aufbau und der Entwicklung der Städtepartnerschaft zwischen der Stadt Leipzig und Travnik in Bosnien-Herzegowina gesammelt habe, kann ich Ihnen berichten, dass die Europäische Union für fast alle Menschen im ehemaligen Jugoslawien Hoffnung und Ziel ist. Ein multiethnisches Bosnien, die Überwindung der Spannungen zwischen Serben, Kroaten und Bosniaken, das ist eine zutiefst europäische Aufgabe. Die EU ist nicht nur der wirtschaftliche Leuchtturm, sondern auch im Hinblick auf die Einhaltung der Menschrechte und die Durchsetzung der Demokratie das Licht, das den vernünftigen Politikern auf dem Balkan und in Osteuropa den Weg weist.

Folglich ist klar: Die Integration muss weitergehen. Das ist unsere Meinung. Damit kann und muss man sich auseinander setzen, ebenso wie über die Geschwindigkeit und die Maßnahmen im Einzelnen. Der demokratische Streit um die weitere Entwicklung Europas ist nötiger denn je.

Zum zweiten Gedanken, zum Thema Föderalismus:

Obwohl allseits bekannt ist, dass diese Säule unseres Verfassungsbaus nicht erst seit gestern deutliche Symptome einer ernsten Krankheit zeigt, sind bis heute alle Versuche fehlgeschlagen, dem Patienten eine heilende Behandlung zukommen zu lassen. Selbst bei den Aufgaben, bei denen das Grundgesetz klare Regelungen trifft, wie bei der Schul- und Hochschulpolitik, zeigen sich Bund und Länder unfähig, auf die bekannten Herausforderungen zu reagieren. Meine Damen und Herren, bei der europäischen Politik hat man das Gefühl, dass die Verfassungsorgane Bundestag und Bundesrat mit dem europäischen Taktschlag nicht mithalten können und zunehmend aus dem Rhythmus gebracht werden.

An dieser Stelle setzt unser Antrag an. Wenn schon bisher alle Bemühungen gescheitert sind, den Föderalismus für die Zukunft zu ertüchtigen, dann brauchen wir bei der europäischen Politik eine Übereinkunft, wie wir die

ses Thema künftig zwischen Bund und Ländern behandeln. Damit die europäischen Themen über Bund und Länder zeitnah hier ankommen und umgesetzt werden können, brauchen wir mehr als bisher Flexibilität und Kompromissbereitschaft, um möglichst schnell das Ergebnis durch Verantwortungsübernahme zu erreichen. Bislang herrschte in der EU das Konsensprinzip vor. Bei allem, was aus der EU kam, konnten wir sicher sein, dass es einen langen Abstimmungsprozess durchlaufen hatte. Mit der neuen Europäischen Verfassung wird im Europa der 25 künftig auch mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden. Deshalb müssen dort, wo Landesinteressen bei bevorstehenden EU-Entscheidungen betroffen sind, die Bundesländer frühzeitig einbezogen werden. Dieses Ziel lässt sich durch eine nachhaltige Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern in allen Phasen des europäischen Gesetzgebungs- und Entscheidungsprozesses erreichen.

Das ist der Grund für unseren Antrag, für den ich Sie um Zustimmung bitte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich rufe auf die CDU-Fraktion. Herr Abg. Schiemann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Natürlich klingt es gut, wenn man sich mit dem Grün befasst. Manchmal gibt es in Europa auch ein Stoppzeichen, also rot, und dennoch glaube ich, ist es vernünftig, dass man sich, auch wenn es ein Stoppzeichen gibt, nicht aus der Bahn werfen lassen darf, sondern an die Regeln hält und dann, wenn es wieder einmal grün wird, weiterfährt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, so ist es auch im Leben. Manchmal entwickelt sich etwas – dazu möchte ich deutlich die Meinungen der Koalitionsfraktionen SPD und CDU vortragen – und braucht Zeit. Ich verweise darauf, dass es im April 2005 ein Spitzengespräch zwischen den Ministerpräsidenten der Länder und dem Bundeskanzler gegeben hat. Dabei hat die Länderseite natürlich mehr Mitspracherecht gefordert. Der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder haben sich in diesem Gespräch zu ganz konkreten Zusagen entschieden. Ich glaube, dass es vernünftig war, dass man diesen Weg geht.

Aus aktuellen Gründen, die mir mit Unterstützung von Frau Kollegin Weihnert zugearbeitet worden sind, möchte ich Ihnen mitteilen, dass dieses Gespräch im Bundestag weitergeführt worden ist, denn seit dem 11. Mai liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP im Bundestag vor. Dieser Antrag fasst die Punkte, die Sie im sächsischen Antrag vorgelegt haben, zusammen und gibt Antworten auf fast alle Punkte.

Es gibt einen einzigen Punkt, der nicht beantwortet wird, so dass ich aber trotzdem der Meinung bin, dass Ihr Antrag zeitlich überholt ist. Ihre Anliegen sind auf Bundesebene so weit zusammengeflossen, dass man sagen kann, es ist voll aufgegriffen bzw. so beantwortet worden, dass sich die Koalitionsfraktionen der Position der Bundesebene anschließen können. Ich gehe davon aus, dass sich das Rad jetzt schneller gedreht hat. Ihr

vorgebrachtes gutes Anliegen ist auf Bundesebene sehr schnell aufgegriffen worden, so dass ich davon ausgehe, dass wir diesen Antrag aus unserer Sicht als erledigt ansehen können.

Ich erspare es mir, jetzt weiter Stellung zu nehmen. Ich gehe davon aus, dass der Entschließungsantrag ein Weg ist, der auf Bundesebene gegangen werden kann.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Geert Mackenroth)

Ich rufe auf die PDS-Fraktion. Herr Abg. Kosel, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kann als Beitrag zur laufenden und derzeit vor allem von der Verfassungsdiskussion geprägten Debatte über eine künftige EU verstanden werden. Und das ist gut. Auch liegt die Vermutung nahe, dass der vorliegende Antrag vielleicht ein Auftragswerk aus der GRÜNEN-Fraktion des Bundestages ist. Sei's drum! Eine gemeinsame Europapolitik von Bund und Ländern scheint nicht schlecht, aber ist diese wirklich immer und überall möglich und wünschenswert? Kommt es nicht auf den konkreten Inhalt der Europapolitik an oder auf die europapolitische Grundidee, die hinter den verfolgten Politikansätzen steht? Daran, meine Damen und Herren, scheiden sich die politischen Geister. Soll die EU ein „Europa der Vaterländer“, wie es de Gaulle vorschwebte, sein oder ein „Europa der Regionen“? Je nachdem, was den politischen Kräften vorschwebt, die sich europapolitisch artikulieren, wird auch die Haltung zu den Handlungsfähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten der einzelnen Staaten in der Europäischen Union ausfallen.

Die Rahmenbedingungen europäischer Politik bekommen gerade jetzt, da die EU größer geworden ist, einen Veränderungsschub. Der Entwurf der Europäischen Verfassung verstärkt dies noch. Bereits in Artikel 1 wird das eigentliche Problem benannt, denn diese Verfassung „begründet die Europäische Union, der die Mitgliedsstaaten Zuständigkeiten zur Verwirklichung ihrer gemeinsamen Ziele übertragen“. Ja, wenn es denn soziale, hehre zivilisatorische Ziele wären, doch die EU zielt mit ihrer Verfassung auf militärische Stärke, auf Aufrüstung, militärische Konfliktlösung und auf den so genannten freien Markt!

Wenn die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unter Verstärkung der europapolitischen Handlungsfähigkeit auf der Ebene der EU versteht, dass sich Deutschland den gerade genannten, nicht akzeptablen Zielen verschließen könnte, dann wäre das schön und gut. Doch so sieht es nicht aus. Wenn gemeint wäre, eine gemeinsame Europapolitik von Bund und Ländern öffne durch stärkere Einbeziehung von Regionen und Kommunen einem „Europa der Bürger“ den Weg, dann ließe sich darüber trefflich debattieren.

So, wie sich die EU entwickelt hat oder wie sie als vermeintlich bürokratischer Koloss in Verruf geraten ist, ist das Bestreben, das Mitspracherecht von unten, will in

der Bundesrepublik heißen, von den Bundesländern und den Kommunen aus, zu gestalten, nur recht und billig. Schließlich ist der Wunsch nach politischer Übersichtlichkeit innerhalb der Regionen in Europa, die Betonung regionaler Interessen, ein verständlicher und logischer Reflex auf Zentralisierung à la Brüssel.

Die Verteidigung und Ausweitung regionaler Kompetenzen gewinnt aus unserer Sicht an Bedeutung. Das hat viel mit der Verteidigung von Demokratie zu tun. So kann der vom demokratischen Standpunkt aus fraglichen zentralistischen Entwicklung, zu der die EU tendiert und deren Folgen für die Regionen und Mitgliedsländer bedeutsam sind, begegnet werden und zudem der Gefahr der Degradierung der Mitgliedsländer zu mehr oder minder wichtigen oder flüchtigen Vollzugsgemeinschaften. Doch die entscheidende Frage ist die: Wie hält es die EU mit der Demokratie?

Wenn wir als PDS für ein Europa der Regionen sprechen, dann nicht, weil wir die Fahnen der Region – koste es, was es wolle – hochhalten wollen, sondern weil wir unter dem Banner der Demokratie, der Gleichberechtigung und Solidarität handeln wollen.

Wenn die Antragsteller in Punkt 4 in allen Phasen der Politikgestaltung Bund und Länder zum gegenseitigen Einvernehmen bringen möchten, so spräche nichts dagegen, vorausgesetzt, es handelt sich um die Umschreibung des Prinzips der Subsidiarität. Die Subsidiarität in der EU ist und bleibt eine zentrale Frage jedweder Demokratisierung in der EU. Nur so kann mehr Transparenz und Bürgernähe in den Entscheidungsverfahren der EU erreicht werden. Das gilt auch für die Vorhaben der EU, bei denen die Länder über innerstaatliche Zuständigkeiten verfügen.