Protocol of the Session on April 19, 2005

mittels der Kofinanzierung gefragt. Viele Lücken entstehen aber gerade dadurch, dass die Kommunen die Kofinanzierung nicht mehr sicherstellen und damit Vereine vor Ort einfach nicht mehr fördern können. Zusätzlich verlangt die Rechtsaufsicht, in diesem Bereich der vermeintlich freiwilligen Aufgaben immer zu kürzen. Auch die kommunalen Finanzen – der Hinweis sei mir gestattet – sind bei der Haushaltserstellung für den Freistaat Sachsen zu berücksichtigen, wenn wir die Jugend fördern wollen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Haushalt verwaltet mal mehr, mal weniger gut den Mangel an Mitteln. Er weist uns aber keinen nachhaltigen Weg in die Zukunft der sächsischen Sozialpolitik. Daher lehnen wir als FDP den Einzelplan 08 ab.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP – Kerstin Nicolaus, CDU: Den Schluss habe ich nicht verstanden, Frau Schütz! Sie haben doch so gut geredet!)

Für die Fraktion der GRÜNEN Frau Herrmann, bitte.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sozialpolitik ist die Basispolitik der Demokratie. Deshalb muss sich eine moderne Sozialpolitik daran messen lassen, ob sie es den Menschen ermöglicht, selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu leben. Insofern ist Sozialpolitik ein Fundament, auf dem sich die politischen und die Freiheitsrechte der Bürger entfalten könnten. Dazu möchte ich Artikel 22 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Erinnerung rufen. Dort heißt es: „Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft ein Recht auf soziale Sicherheit. Er hat Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit … in den Genuss der für seine Würde und die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen.“

Soziale Rechte sind Rechte auf Teilhabe, meine Damen und Herren. Gestaltet werden diese Rechte unter anderem im Haushalt, insbesondere in den Haushaltsplänen 05 und 12, die wir gestern besprochen haben, und im Haushaltsplan 08. Wir begrüßen die Erhöhung der Mittel für den Bereich der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe im jetzt vorliegenden Ansatz gegenüber dem ursprünglichen Ansatz. Das war unbedingt nötig.

Sachsen hat nach Sachsen-Anhalt den größten Bevölkerungsverlust in Deutschland. Neben der Abwanderung, die auch in anderen Bundesländern hoch ist, zeichnet sich Sachsen durch zwei weitere Probleme aus: Im Vergleich zu den übrigen neuen Bundesländern und Deutschland insgesamt hat Sachsen bereits heute den geringsten Anteil an jungen und den höchsten Anteil an älteren Menschen. Insgesamt hat Sachsen seit der Wende 562 000 Menschen verloren; 60 % dieses Rückgangs resultieren aus dem Geburtendefizit.

Das Problem der Abwanderung ist in Sachsen nicht nur quantitativ groß, sondern bei genauerer Betrachtung qualitativ dramatisch. Es gehen die gut Qualifizierten und

besonders die jungen Frauen. Im Niederschlesischen Oberlausitzkreis kommen auf 100 Männer nur noch 83 Frauen. Logischerweise schwindet mit dem Rückgang der Zahl der jungen Frauen auch die Zukunft der Region; es werden immer weniger Kinder geboren.

Sozialpolitik in Sachsen muss sich daher zwei immensen Problemen stellen: auf der einen Seite der viel zu geringen Geburtenrate, auf der anderen Seite der wachsenden Anzahl alter Menschen. Das heißt, die Sozialpolitik muss Rahmenbedingungen schaffen, die dem zentralen Wunsch junger Frauen, Familie und Beruf zu vereinbaren, entgegenkommen.

Familienfreundlichkeit ist nicht nur ein sozialpolitisches Thema, aber Sozialpolitik ist eine der wesentlichen Flanken. Da genügen nicht Appelle, sondern da muss klug, zielgerichtet und effizient investiert werden, meine Damen und Herren. Wir können nicht wählen, welche Kinder geboren werden sollen und welche uns eher nicht so genehm sind. Jedes Kind, das in Sachsen geboren wird, ist ein Stück Zukunft, die gewonnen werden muss. Ausgrenzung können wir uns nicht leisten. Das ist ein Gebot des Respekts vor der Menschenwürde und auch ein Gebot pragmatischer Politik.

(Beifall bei den GRÜNEN und der PDS)

Der hohe und weiter wachsende Anteil der älteren Bevölkerung ist eine große Herausforderung. Am stärksten wächst der Anteil der Hochaltrigen, also der über Achtzigjährigen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung wird sich in den Jahren bis 2020 etwa verdoppeln. In diesem Alter wächst das Risiko der Pflegebedürftigkeit. Es ist richtig und wichtig, darüber nachzudenken, wie wir ältere Menschen stärker in die zu bewältigenden Alltagsprobleme einbeziehen können. Aber es ist Augenwischerei, nicht auch mit der wachsenden Anzahl der pflegebedürftigen Menschen zu rechnen. Wir brauchen Bedingungen, unter denen Menschen in Würde ihren letzten Lebensabschnitt leben können.

Vor diesen Ausführungen unsere Anträge:

Eine nachhaltige Sozialpolitik für den Bereich der Sozialund Gesundheitspolitik muss sich an zukünftigen Aufwendungen messen lassen. Wenn die Gesellschaft sparsam sein möchte, dann am besten mit einer klugen Prävention. Das ist auf Dauer immer billiger.

Wir möchten die Selbstverantwortung der Menschen stärken. Damit wird aber Sozialpolitik nicht tendenziell überflüssig, wie manche zu hoffen scheinen, sondern sie muss eine andere Perspektive erhalten. Es geht um die Mobilisierung der Ressourcen der Menschen und nicht um die Verwaltung von Defiziten.

(Beifall bei den GRÜNEN und der PDS)

Sozialpolitik in diesem Sinn muss in die Bedingungen investieren, die Menschen auch in der Not und bei Umbrüchen in die Lage versetzen, aus diesem Tal, wenn möglich gestärkt, wieder herauszukommen, ihre Ressourcen zu stärken und damit Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Das ist der Hintergrund, warum wir einen besonders starken Focus auf ein intaktes und qualitativ gutes Netz an Beratungsstellen legen. Beratung ist heute ein Schlüsselwort in den Chefetagen, und das zu Recht. Wir wollen

in Deutschland und auch in Sachsen, dass es dort normal und selbstverständlich wird, sich zu entwickeln. Auch das ist eine Form von lebenslangem Lernen und der Entwicklung der eigenen Ressourcen. Beratungsstellen sind andererseits die Drehtüren zu den Hilfesystemen. Nur wer gut informiert ist, kann sich in seiner Situation die beste Unterstützung holen.

So viel zum Kontext unserer Anträge. Zu den einzelnen Anträgen spreche ich dann noch.

Der Antrag zu den Koordinatorenstellen in Sozialstationen zielt auf die Erhaltung der unabhängigen Beratung für ein Unterstützungsangebot, das sich allein an den Interessen der Klienten orientiert und dazu auch private Anbieter einbeziehen kann.

Frühförder- und Frühberatungsstellen sind Anlaufstellen für Eltern mit behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindern im Alter von null bis sechs Jahren. Mit unserem Antrag, der angenommen wurde, haben wir erreicht, dass die Zeitspanne finanziell überbrückt wird, und zwar ohne Einschnitte bei den Trägern, bis durch eine Vereinbarung zur Regelung der Frühförderung eine Kostenaufteilung gemäß SGB IX und der Frühförderungsverordnung des Bundes für den Freistaat getroffen wird. Diese Frühförderung dient nicht nur behinderten Kindern, sich trotz der Behinderung möglichst gut zu entwickeln oder gar die Bedrohung einer Behinderung abzuwenden. Die Frühförderung trägt damit auch zur Stabilisierung der ganzen Familie bei. Sie weist einen Weg aus der Ohnmacht und Hilflosigkeit, meine Damen und Herren. Sie gibt den betroffenen Familien Vertrauen und Kompetenz zurück.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zur Schwangerschaftskonfliktberatung nur so viel: Über den Sinn dieser Beratung braucht man sich nach den Jahren der Diskussion über den § 218 nicht zu streiten. Es ist gesetzlich geregelt, dass diese Beratung angeboten werden muss, und zwar mit einem Schlüssel von eins zu 40 000. Diese Beratungsstellen bieten eine Pflichtberatung an. Das heißt auch, dass diese Beratungen kostenlos angeboten werden müssen.

Die Kürzungen für die Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen wurden mit dem Urteil des BVG begründet, dass alle Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen mit mindestens 80 % gefördert werden müssen, auch die in öffentlicher Trägerschaft, und daher nicht mehr die in freier Trägerschaft wie bisher mit 85 %. In dem Urteil steht aber auch, dass sowohl Personal- als auch Sachkosten zu 80 % gefördert werden müssen. So weit zur formalen Seite.

Vor dem Hintergrund der realen Situation und der dramatisch niedrigen Geburtenrate in Sachsen ist die Frage nach der Qualität der Beratung und der Absicherung von niederschwelliger Annahme mindestens ebenso wichtig. Die Bedarfe steigen, aber die Leistungen werden abgebaut. Dass die Bedarfe steigen, obwohl die Bevölkerung zurückgeht, ist an sich Alarmsignal genug. Wohin will dieses Land?

Zur Aids-Prävention: Obwohl der Bedarf an Beratung von HIV-Infizierten in Sachsen steigt, hatte die Staatsregierung auch hier eine Kürzung vor. Die Zahl der

HIV-Erstdiagnosen hat sich im letzten Jahr verdoppelt, insbesondere bei den unter Dreißigjährigen. Die Lebenserwartung ist dank medizinischem Fortschritt gestiegen. Wir möchten auch darauf hinweisen, dass die Aids-Beratungsstellen für die Begleitung der durch HIV Betroffenen – das sind mehr als die Infizierten, denn auch hier gibt es Familienmitglieder und Freunde – existent wichtig sind. Weit darüber hinaus leisten diese Beratungsstellen aber auch für die Prävention eine für uns alle unentbehrliche Aufgabe. Wer hier kürzt, nimmt Folgekosten in Kauf, die weit höher sind, ganz abgesehen von den sozialen und sozialpsychologischen Folgen. Deshalb haben wir eine Rücknahme der Kürzungen gefordert, wohl wissend, dass dies bescheiden ist – eine Forderung, die wir durchsetzen konnten.

Zu den beiden übrig gebliebenen Anträgen werde ich noch sprechen.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der PDS)

Ich beginne wieder bei der CDU-Fraktion. Frau Abg. Nicolaus, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir noch einige Erwiderungen zu dem von den unterschiedlichen Fraktionen Angesprochenen. Beginnen möchte ich natürlich bei der sinkenden Bevölkerungszahl. Das ist hier von Herrn Dr. Müller vorgetragen worden. Die Haushaltsansätze aber sind gleich geblieben. Es ist eigentlich lobenswert, wenn wir bei weniger Bevölkerung trotzdem bei den Haushaltsansätzen bleiben. Ich weiß nicht, was Sie da noch herumzumeckern haben.

(Beifall bei der CDU)

Es ist natürlich nicht zu verschweigen, dass es ein Problem genereller Art ist, wenn wir beklagen, dass junge Sachsen dieses Land verlassen. Ich gebe Ihnen Recht, Frau Herrmann, dass wir dann mehr oder weniger Defizite auszugleichen haben. Dieser Aufgabe werden wir uns auch zunehmend in der Sozialpolitik stellen müssen. Das ist nicht gerade das, was wir erstreben und was wir uns wünschen, denn wir wollen innovativ sein. Das sind wir durchaus mit diesem Haushalt. Das möchte ich an dieser Stelle betonen.

Die Geburtenrate, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in Sachsen niedrig. Es ist Fakt, dass dies auch für die anderen Bundesländer zutrifft. Aber in Sachsen ist sie wieder gestiegen. Aber sie ist deutschlandweit leider niedrig und dort sind wir ein Entwicklungsland. Wir müssten versuchen, hier auch bundespolitisch noch etwas Weitergehendes in Gang zu bringen. Einige Schritte sind schon getan worden. Den Weg müssen wir weiter beschreiten. Die Franzosen und die Engländer machen uns das vor. Sie haben wesentlich höhere Geburtenraten zu verzeichnen als wir. In dem Bereich können wir lernen. Wir haben schon einiges aufgenommen. Das spiegelt sich eben gerade in unserem Haushalt im Einzelplan 08 wider.

Zu dem, was Sie zum LWV gesagt haben, Herr Dr. Pellmann: Ich will noch einmal auf 1996 zurückgehen. Wir haben 1996 dieses Gesetz verändert und Sie wissen vielleicht von Ihren Kollegen – Sie waren noch nicht Mitglied des Landtages –: Der Landeswohlfahrtsverband hatte damals einen Puffer von ungefähr 420 Millionen DM. Die Kommunen haben gegenüber dem Freistaat geäußert: Okay, wir stellen uns dieser Verantwortung und gehen diese Umlagefinanzierung ein, wie Sie es dargestellt haben, einmal die Kreisfreien Städte und andererseits die Landkreise. Sie finanzieren über eine zukünftige Umlage den Landeswohlfahrtsverband und nach und nach wird der Puffer dann aufgehen oder auch nicht, weil nämlich damals die Pflegeversicherung eingeführt wurde.

Das vergessen ja viele bei der Diskussion. Die Kommunen haben sich davon effiziente Vorteile versprochen, die auch eingetreten sind. Sie haben nur nicht so lange angehalten, wie sie sich das damals versprochen hatten. Das gehört auch zur Ehrlichkeit. Sonst gerät das nämlich in die Schieflage und man könnte meinen, es sei willkürlich eine Entscheidung zuungunsten der Kommunen getroffen worden. Dass sie jetzt natürlich das eine oder andere Bedrängnis haben, das haben wir auch nie verschwiegen und uns dieser Aufgabe gestellt. Das muss das Hohe Haus auch zur Kenntnis nehmen. Es ist mit den kommunalen Spitzenverbänden ein Kompromiss geschlossen worden. Der Oberbürgermeister Ihrer Stadt ist der Chef des Städte- und Gemeindetages.

(Dr. Dietmar Pellmann, PDS: Niemals!)

Zumindest ist er im Vorstand, wie auch immer. Er hat diesen Kompromiss mitgetragen und ausgehandelt. Dann muss er auch dazu stehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es kann nicht sein, dass man dann sagt, okay, wir hatten einen Kompromiss ausgehandelt, und hinterher meint man: Das war es dann, April, April!

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Nicolaus?

Na klar, bei Ihnen, Herr Dr. Pellmann.

Frau Nicolaus, ist Ihnen bewusst, dass in diesen Gremien nach Mehrheiten entschieden wird? Die Mehrheiten sind sowohl im Landkreistag als auch im Städte- und Gemeindetag Mitglieder oder zumindest Sympathisanten Ihrer Partei. Nun habe ich keinen Grund, Herrn Tiefensee hier zu verteidigen, aber Herr Tiefensee ist dort in der Minderheit.

Fragen Sie doch einmal, wie Herr Tiefensee dort gestimmt hat. Sie werden aber große Augen bekommen! Er hat nämlich dafür gestimmt, mein Guter.

(Beifall und Heiterkeit bei CDU – Heiterkeit bei der PDS – Dr. Dietmar Pellmann, PDS: Sie waren nicht dabei!)

Ich weiß es halt, weil ich selber aus der kommunalen Familie komme. Mein SSG-Vorsitzender hat es mir gesagt. Es ist einfach so. Sie sehen mir bitte nach, dass ich so flapsig zu Ihnen war. Das war nicht böse gemeint.

(Dr. Dietmar Pellmann, PDS: Mit den Sozis konnten Sie noch nie Geschäfte machen!)

So ein Mist aber auch. Sie sind halt dunkelrot, die anderen sind hellrot, aber was soll das bedeuten?

Auf jeden Fall hat Herr Tiefensee aus seiner Verantwortung gegenüber seiner Stadt gehandelt. So sehe ich das jedenfalls. Er weiß um die behinderten Menschen und dass diese Aufgabe erfüllt werden muss. Das können wir nur gemeinsam tun. Gut.