Protocol of the Session on June 24, 2009

Der Industriekern Viskosegarnherstellung hat die Stadt nicht nur nachhaltig geprägt, sondern bildet auch heute noch ihre sozioökonomische Grundlage. Nach Auskunft des Bürgermeisters entsteht daraus insgesamt eine monatliche Kaufkraft von bis zu 400 000 Euro. Bei einem Verlust dieser Umsätze würden große Teile des Geschäfts

lebens in der Stadt austrocknen und zum Beispiel viele Läden am historischen Rathausmarkt über kurz oder lang schließen müssen.

Genau dies droht jetzt der Stadt, meine Damen und Herren, denn diese wichtige gewerbliche Grundlage soll nun der Region unwiderruflich entzogen werden. Die Hallen des Enka-Werkes sollen dichtgemacht, die Maschinen ins Ausland abtransportiert, die Beschäftigten in die Arbeitslosigkeit entlassen werden. So hat es International Chemical Investors beschlossen, ein Finanzinvestor, der gerade erst vor vier Jahren die Enka-Gruppe und damit auch das Werk in Elsterberg übernommen hat.

Die Schließung soll nicht etwa wegen hoher Verluste des Werkes erfolgen. Nein, ganz im Gegenteil: Noch Ende April dieses Jahres wurde in einem Gutachten nachgewiesen, dass das Werk hochprofitabel sei und allein in den vergangenen drei Jahren 15 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet habe. Das wurde auch vom Vorstandsvorsitzenden der Enka-Gruppe, Till Boldt, bestätigt. Nach seiner Feststellung hat das Elsterberger Werk durch hohe Qualität und wettbewerbsfähige Preise über viele Jahre zum Überleben der gesamten Enka-Gruppe mit Werken im In- und Ausland beigetragen. Trotzdem will die Finanzheuschrecke nun ausgerechnet am sächsischen Traditionsstandort Elsterberg die Viskosegarnproduktion einstellen – nein, nicht nur einstellen, sondern auch

dauerhaft verhindern, auch für den Fall, dass andere Investoren einsteigen möchten.

Warum? Hierfür dürfte es etwa folgende Gründe geben:

Erstens wollen die Eigentümer im Interesse der Profitmaximierung die Gesamtproduktion an Viskosegarn senken, und zwar durch Schließung von einem der deutschen Werke, also in Elsterberg in Sachsen oder in Obernburg in Bayern.

Zweitens ist es für den Konzern offensichtlich günstiger, Elsterberg zu schließen statt Obernburg – vielleicht, weil man von sächsischer Seite weniger politischen Widerstand erwartet oder weil die sächsischen Mitarbeiter sich billiger abspeisen lassen als die bayerischen oder wegen irgendwelcher noch unbekannter Umstrukturierungspläne, bei denen der sächsische Standort nicht ins Bild passt.

Drittens will man, wie schon erwähnt, verhindern, dass das profitable Werk in Elsterberg unter fremder Regie Viskosegarne weiter produziert und damit den verbliebenen eigenen Werken im In- und Ausland Konkurrenz macht.

Klar ist jedenfalls, dass das Elsterberger Werk nicht aus eigenen betriebsbedingten, sondern aus betriebsfremden Gründen liquidiert werden soll. Wer daran zweifelt, der sollte folgende Äußerung des Enka-Geschäftsführers zur Kenntnis nehmen. Ich zitiere wörtlich: „Es kommt aber nicht auf die Gegebenheiten am Standort Elsterberg, sondern auf die Situation der Enka-Gruppe insgesamt an.“ Mit anderen Worten: Das Betriebsergebnis und die Leistung der Beschäftigten sind für die Schließungsentscheidung genauso irrelevant wie die Bedeutung des Werkes für die Stadt oder die industrielle Struktur im sächsischen Vogtland. Wichtig sind allein die Profitmaximierungsüberlegungen internationaler Finanzhaie.

Worauf mag dieses Geschäftsgebaren wohl beruhen? Meine Damen und Herren, richtig ist selbstverständlich, dass es auf dem herrschenden globalkapitalistischen Wirtschafts- und Finanzsystem beruht. An diesem können wir hier im Landtag natürlich nicht viel ändern, so wünschenswert dies aus NPD-Sicht auch wäre.

Trotz seiner massiven Dominanz zwingt uns dieses System zum Glück nicht dazu, bei jeder kapitalistischen Fehlentwicklung einfach die Hände in den Schoß zu legen. Sowohl im Grundgesetz als auch in der Sächsischen Verfassung ist das Prinzip der Sozialpflichtigkeit des Eigentums enthalten. Dieser fundamentale Verfassungsgrundsatz ist der Globalisierung und Kapitalfreiheit entgegengesetzt, denn er verpflichtet Wirtschaft und Kapital zum Dienst an der Leistungs- und Solidargemeinschaft, nicht an den internationalen Kapitalmärkten. Er ist ein entscheidender Imperativ der Verfassung, der dem globalen Kapitalismus Einhalt gebieten kann und gerade in den uns bevorstehenden Krisenzeiten beherzigt werden sollte. Dazu bedarf es nötigenfalls des Korrektivs der Enteignung, meine Damen und Herren. Dieses ist bekanntlich ebenfalls in der Verfassung vorgesehen.

Es ist zwar klar, dass dieses Instrument nur mit äußerster Zurückhaltung eingesetzt werden sollte; aber ich frage Sie, meine Damen und Herren: Warum sollen unschuldige Dorfbewohner und Eigentümer in Heuersdorf enteignet werden können, weil ihre Eigentumsrechte den Geschäftsinteressen der Braunkohlenindustrie entgegenstehen, und international agierende Heuschrecken hingegen nicht, obwohl diese mit dem Geschäftsgebaren vorsätzlich und ohne Not eine sächsische Region zugrunde richten und ihrerseits im Begriff stehen, die Menschen in der Region zu enteignen, indem sie ihnen ihre Arbeitsplätze und ihre Industrietraditionen rauben?

(Beifall bei der NPD – Gitta Schüßler, NPD: Sehr richtig!)

In diesem Zusammenhang fallen mir die Worte von Oskar Lafontaine im Bundestag anlässlich der Beratung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes ein. Ich zitiere: „Es geht mir nicht um die Enteignung irgendwelcher Aktionäre. Es ist absolut absurd und lächerlich, so etwas hier vorzutragen. Es geht mir darum, die Enteignung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler endlich zu stoppen. Die Frage ist, warum das erst jetzt passiert und nicht viel früher passiert ist.“ Das sagte Oskar Lafontaine.

Das gilt nicht nur in Bezug auf die Enteignung der Hypo Real Estate, meine Damen und Herren von der Linkspartei, sondern auch auf unseren Enteignungsantrag gegen die International Chemical Investors. Bei diesem geht es, nach der durchaus einleuchtenden Logik ihres Vorsitzenden, ebenfalls nur vordergründig um die Enteignung der Aktionäre, während es in Wirklichkeit vielmehr darum geht, die sozioökonomische Enteignung der Elsterbergerinnen und Elsterberger zu stoppen.

Bei Entwicklungen wie in Elsterberg sind Politiker und Gewerkschaftsfunktionäre immer schnell mit häufig erstaunlich hohlen Phrasen bei der Hand. Vom Wirtschaftsminister Jurk haben wir zum Beispiel mehrmals gehört: Die Schließung des Enka-Werkes sei keine rein betriebswirtschaftliche, sondern eine politische Entscheidung und er fordere deswegen die Zahlen, quasi um zu prüfen, ob sich die Schließung auch wirklich lohnt. Das ist doch Unfug. Selbstverständlich ist die Schließung keine betriebswirtschaftliche Entscheidung, bezogen auf das Werk in Elsterberg. Aber im globalkapitalistischen Kontext lohnt sich die Schließung schon, sonst hätte man sie nicht gemacht. So einfach ist das, Herr Minister Jurk. Dagegen helfen weder gutes Zureden noch leeres Imponiergehabe, sondern nur die entschlossene Geltendmachung des Verfassungsgrundsatzes der Sozialpflichtigkeit von Eigentum und Kapital sowie die Anwendung des Korrektivs der Enteignung, wenn dies das Gemeinwohl fordert.

Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der NPDFraktion zur Enteignung der Enka-Eigentümer liegt Ihnen vor. Es liegt nun an Ihnen, die Arbeitsplätze in Elsterberg zu retten oder aber ihrer Vernichtung zuzustimmen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Von der Koalition möchte Herr Schowtka sich zu Wort melden. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist erschütternd und schamlos, wie die nationalsozialistische NPD in diesem Hohen Hause ihre populistischen Spielchen mit der Angst von Hunderten von Menschen um ihren Arbeitsplatz auf die Spitze treibt.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD, der FDP und den GRÜNEN – Jürgen Gansel, NPD: Nun halten Sie einmal die Luft an!)

Sie nutzt dafür skrupellos die Instrumentarien der parlamentarischen Demokratie, die eigentlich auf ihrer Abschussliste steht, und legt uns heute einen Antrag vor, der zum Bruch des Grundgesetzes und der Sächsischen Verfassung aufruft.

(Zuruf der Abg. Jürgen Gansel und Alexander Delle, NPD)

Meine Damen und Herren! Dabei wurde dieser Gesetzentwurf, der vom 24. März dieses Jahres datiert, in aller Eile so liederlich verfasst, dass man sich am 8. Juni noch gemüßigt fühlte, einen Änderungsantrag beizufügen, der den formaljuristischen Notwendigkeiten einer Enteignung gerecht werden sollte. Ohne dieses Machwerk eines weiteren Kommentars zu würdigen, mit dem lediglich das System des demokratischen Parlamentarismus vorgeführt werden soll, verweise ich auf den Beschluss des federführenden Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses, der den Gesetzentwurf samt Änderungsantrag mit 15 : 1 Stimmen ablehnte.

(Jürgen Gansel, NPD: Ohne ein Wort der Erklärung!)

Dieses Votum schlage ich namens der Koalitionsfraktionen auch in diesem Hohen Hause vor.

Möge es uns in der nächsten Legislaturperiode erspart bleiben, Anträge dieser Provenienz zu behandeln, die ausschließlich darauf gerichtet sind, unsere freiheitliche Demokratie zu verhöhnen, die wir uns vor 20 Jahren erkämpft haben, aber nicht dafür, dass sie von Abgeordneten wie Gansel, Apfel und anderen unerfreulichen Westimporten missbraucht wird.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Gibt es weiteren Redebedarf durch die Fraktionen? – Die NPD-Fraktion erhält noch einmal das Wort. Herr Gansel, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich erinnere mich nach einem

der bekannterweise talentierten und intellektuell sprühenden Redebeiträge von Herrn Schowtka an einen wirklich gelungenen Zwischenruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, der damals gesagt hat: „Da hat er wieder gesprochen, der Mann vom CDU-Think-Tank!“ Mit dieser erbärmlichen Rede haben Sie diesen Ruf als „Vordenker“ der christdemokratischen Landtagsfraktion einmal mehr eindrucksvoll unterstrichen, Herr Schowtka.

Dass DIE LINKE es nicht für nötig hält, zu diesem industriepolitischen Antrag zu sprechen, ist bedauerlich. Eigentlich müsste sie inhaltlich doch weitgehend mit uns auf einer Linie liegen. Da der Antrag aber von uns eingebracht wurde, ziehen es die Roten wieder einmal vor zu schweigen. Auch das ist ein Zeichen dafür, wie ernst sie es mit den Arbeitsplatzinteressen – in diesem Fall im Vogtland – nehmen.

Doch nun komme ich zu meinem eigentlichen Redemanuskript und zu dem von Herrn Schowtka immerhin gestreiften Änderungsantrag. Da die endgültige Schließung des Enka-Werkes in Elsterberg schon für den 30. Juni vorgesehen ist, müssen die in diesem Gesetz vorgesehenen Maßnahmen möglichst kurzfristig eingeleitet werden.

Die NPD-Fraktion hatte deswegen bereits am 2. April – also vor über zwei Monaten – den Antrag gemäß § 41 Abs. 3 der Geschäftsordnung des Sächsischen Landtages an den Landtagspräsidenten gestellt, das Gesetzgebungsverfahren dadurch abzukürzen, dass die 1. Lesung entfällt. Dieses eigentlich vernünftige, weil auf Zeitgewinn abzielende Ansinnen lehnte der Präsident am 22. April mit der Begründung ab, der Gesetzentwurf sei verfassungswidrig, weil er die Frage der Entschädigung der bisherigen Eigentümer nicht haarklein regele. Deswegen haben wir im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss einen entsprechenden Änderungsantrag zu unserem Gesetzentwurf eingebracht, der streng an Artikel 3 des Finanzmarktkonsolidierungsergänzungsgesetzes des Bundes angelehnt ist.

Der Änderungsantrag zum Gesetz zur Enteignung der Werks- und Produktionsanlagen der Enka International GmbH & Co. KG in Elsterberg sieht nun die Einführung der neuen Paragraphen 5, 6, 7 und 8 vor. Diese betreffen den Enteignungsakt selbst, das Verfahren, die Entschädigung sowie den Rechtsschutz. Damit könnte nun das industriepolitische Anliegen der NPD Gesetz werden, da alle näheren verfassungsrechtlichen Aspekte mit diesem Änderungsantrag gewürdigt sind.

Unsere Grundsatzposition, der Sie hier und heute zustimmen oder auch die Zustimmung versagen können und damit eine weitere Region in Sachsen abschreiben, sieht vor: Erstens, die Enteignung der Enka-Eigentümer mit dem Ziel der Weiterführung des Produktionsstandortes in Elsterberg. Zweitens, die Gründung einer landeseigenen Betriebsgesellschaft und die Überführung der bisherigen Enka-Mitarbeiter in eine vorläufige Beschäftigungsgesellschaft. Drittens, die Entwicklung eines neuen Eigentümermodells für den Produktionsstandort Elsterberg mit einer modernen Arbeitnehmermitbeteiligung. Viertens, die unbürokratische Hilfe des Freistaates Sachsen bei der

Suche nach einem langfristig orientierten Investor und die zügige Reprivatisierung des Werkes.

Meine Damen und Herren! Um einen weiteren industriellen Kahlschlag in einer sowieso schon strukturschwachen Region Sachsens zu unterbinden, bitte ich um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf samt Änderungsantrag.

(Beifall bei der NPD)

Ich kann keinen weiteren Redebedarf mehr erkennen. Gemeldet ist auch kein Redner mehr. Deshalb frage ich Herrn Schowtka, ob er noch einmal als Ausschussberichterstatter das Wort ergreifen möchte. – Das ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren! Dann schlage ich Ihnen vor, entsprechend § 44 Abs. 5 Satz 3 der Geschäftsordnung über den Gesetzentwurf paragrafenweise zu beraten und abzustimmen. Ich schlage außerdem vor, dass wir die Paragrafen, zu denen es keine Änderungsanträge gibt, zusammenfassen. – Danke. Dann verfahren wir so.

Aufgerufen ist das Sächsische Gesetz zur Enteignung von Werks- und Produktionsanlagen der Enka International GmbH & Co. KG in Elsterberg/Vogtland, Drucksache 4/15106, Gesetzentwurf der NPD-Fraktion.

Wir stimmen über den Gesetzentwurf der NPD-Fraktion ab. Ich rufe auf: die Überschrift, den § 1 Enteignungsermächtigung, den § 2 Befristung, den § 3 Zulässiger Umfang der Enteignung, den § 4 Maßgaben für die Weiterführung des Betriebes. Wer diesen Paragrafen und

der Überschrift zustimmen kann, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei Stimmen dafür ist diesen Paragrafen mehrheitlich nicht gefolgt worden.

Es gibt jetzt nach § 4 einen Änderungsantrag der NPDFraktion. Er liegt Ihnen vor in der Drucksache 4/15825. Möchten Sie dazu noch einmal sprechen? – Es geht darum, weitere Paragrafen einzufügen. Diese Paragrafen liegen Ihnen vor. Ich bitte bei Zustimmung zu dieser Nr. 1 des Änderungsantrages der NPD-Fraktion um Ihr Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei Stimmen dafür ist der Nr. 1 des Änderungsantrages der NPD-Fraktion nicht gefolgt worden.

Dann kommen wir zu § 5 des Ursprungsantrages. Hierzu gibt es wiederum einen Änderungsantrag in der Drucksache 4/15825, der vorsah, dass der § 5 der § 9 wird. Da aber die vorherige Änderung nicht bestätigt wurde, müsste sich dieser Teil erledigt haben. Ich rufe deshalb auf den § 5 Inkrafttreten in der Ursprungsfassung. Wer stimmt zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Stimmen dafür ist § 5 Inkrafttreten nicht bestätigt worden.

Meine Damen und Herren! Damit ist keiner der entsprechenden Paragrafen des Gesetzentwurfes von der Mehrheit bestätigt worden. Insofern ist die 2. Beratung abgeschlossen und die 3. Beratung entfällt. Der Tagesordnungspunkt 2 ist beendet.