Ich wage zu behaupten, dass wir in Sachsen auch diesbezüglich ein Beschäftigungsproblem haben, besonders wenn es um den Einsatz der Fachkräfte geht. Hier müssen wir uns anders aufstellen. Wenn ich die Koalitionsvereinbarung richtig gelesen habe, sollte es auch entsprechende Angebote geben. Es darf nicht sein, dass in diesem sensiblen Bereich der Anteil der Hilfskräfte gegenüber dem der Fachkräfte steigt.
Meine Damen und Herren! Auch hier stellen wir fest: Der Freistaat Sachsen hat Pionierleistungen vollzogen, was die Ausbildung von Pflegefachkräften betrifft – aber diese wandern ab. Sie kommen hier gar nicht zum Einsatz. Sie gehen woandershin und leisten dort die Arbeit.
Wir haben es heute schon an mehreren Stellen diskutiert, wir haben es auch gestern diskutiert: Es scheint ein Problem von Sachsen zu sein: Die Angebote, die wir haben, sind nicht attraktiv. Die Entlohnung ist viel zu gering und das soziale Umfeld verpflichtet auch niemanden, hier zu bleiben.
Meine Damen und Herren von der Koalition, ich denke, wir müssen hier umdenken. Wir müssen moderner sein. Wir brauchen viel mehr Angebote, damit die Leute auch tatsächlich hier bleiben.
Auf Seite 23 werden die Ausbildungszahlen ausgewiesen. Hier bleibt eine Stellungnahme der Staatsregierung offen, in welcher Relation diese Zahlen zum Bedarf stehen. Wir sind der Ansicht, dass es einen viel höheren Ausbildungsbedarf gibt, als wir derzeitig ausbilden. Allerdings gestehe ich auch, dass das eine sehr vage Behauptung ist. Nur ausreichende Untersuchungen scheint es nicht zu geben. Hier ist die Staatsregierung gefordert.
Zum Punkt 2 Planung. Es wird richtig ausgewiesen, dass die Qualitätsstandards ausgeweitet werden müssen. Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen. Leider gibt es aber keine Hinweise, nach welchen Kriterien dies erfolgen soll und ob es auch Vorstellungen gibt, diese finanziell und materiell zu untersetzen.
Die Staatsregierung hat zu Recht ausgewiesen, dass es eine zukunftsfeste Finanzierungssäule geben muss, dass das mit dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz bundesweit nicht geschaffen wurde. Hierbei hätte mich schon interes
siert: Was haben wir denn als Sachsen auf Bundesebene tatsächlich getan? Meinetwegen im Sinne einer Pflegebank, wobei es bei der derzeitigen Krise etwas fragwürdig ist, solche Begriffe wie Bank überhaupt in den Mund zu nehmen. Haben wir Rücklagen gebildet, damit die zukünftigen Aufgaben auch tatsächlich weiter geleistet werden können?
Die Auffassung der Staatsregierung, dass es kein Landespflegegesetz zu geben braucht, können wir nicht teilen. Hier möchten wir kritisch ausführen, dass die Einlassungen, die sich aus der Enquete-Kommission zur demografischen Entwicklung ergeben, falsch interpretiert werden. Gerade wenn man richtig zur Kenntnis nimmt, dass man neue Angebote braucht, ist eben in besonderer Weise ein Landespflegegesetz notwendig.
Schließlich ist es auch so, dass derzeit die freien Träger und überhaupt die Träger von Pflegeeinrichtungen nicht ausreichend Sicherheit haben in der Finanzierung ihrer Einrichtungen. So sind zum Beispiel die Regelungen zur sogenannten Investitionspauschale in Sachsen nach meinem Dafürhalten nicht ausreichend oder nicht richtig umgesetzt. Es gibt diesbezüglich mehr vorläufige Bescheide. Das ist für mich ein unhaltbarer Zustand.
Wir dürfen auch nicht vergessen: Wenn die Einrichtungen in den letzten 20 Jahren entstanden sind, dann sind sie eben auch zehn oder 15 Jahre alt und haben demnächst Sanierungs- und Investitionsbedarf. Wir halten es für sehr bedauerlich, dass es hierzu keine Aussagen gibt und auch keine Regelungen vorgenommen werden sollen.
Zum Verwaltungspersonal vermag die Staatsregierung keine Auskünfte zu geben. Über die Sozialverbände ist aber bekannt, dass der Schlüssel bei 1 : 30 liegt und die Planung eben in den Sachkosten erfolgt, aber die Vorgaben auch an den kommunalen Sozialverband, der für die Pflegesatzverhandlungen mit federführend ist, einfach nicht ausreichend sind und den Trägern nicht genügend Sicherheit geben. Also ein solches Landespflegegesetz mit den entsprechenden Regelungen ist erforderlich.
Zur Qualität. Ausweitung des Qualitätsstandards – ja, unbedingt. Das sehen wir auch so. Aber wie soll es angestellt werden?
Dann wird ausgeführt, dass es im Freistaat Sachsen Prüfungen gegeben hat. Die Ergebnisse sind ganz erstaunlich. Hier ist für uns unklar: In wie vielen Einrichtungen wurde überhaupt die Prüfung vorgenommen? Sie scheinen uns nicht lukrativ – lukrativ ist das falsche Wort –, sie scheinen einfach nicht ausreichend zu sein, weil sowohl der Medizinische Dienst der Krankenkassen, der hier mit der Prüfung der Qualitätsparameter betraut ist, und die Heimaufsicht in der Landesdirektion gar nicht ausreichend Personal haben, um die Aufgaben realisieren zu können.
Erst im Februar war in der „Freien Presse“ zu lesen, dass nur ein Fünftel aller Heime geprüft werden konnten, und es würden viermal so viele Mitarbeiter gebraucht, um die erforderlichen Aufgaben realisieren zu können.
Natürlich klingt es ganz gut, wenn es im stationären Bereich nur in 1,6 % der geprüften Einrichtungen Beanstandungen gab und im ambulanten Bereich 6,2 %. Die Dunkelziffer scheint uns aber wesentlich höher zu sein.
Meine Damen und Herren! Noch in der Januardebatte haben Sie hier im Haus gelobt, dass die Pflege durch den Medizinischen Dienst und die Heimaufsicht geprüft wird. Das Problem ist nur: Weder der eine noch der andere ist mit ausreichend Personal besetzt. Ich habe das gesagt. Damit die Leute überhaupt die Arbeit erledigen können, ist es einfach nötig, hier mehr Personal vorzuhalten.
Im Übrigen liegt die Krux weder in der Arbeit der Heime – auch wenn es durchaus ein paar schwarze Schafe geben kann –, sondern das Problem liegt tatsächlich in den Rahmenbedingungen, wie wir sie eben auf Landesebene geschaffen haben.
Die Qualität der Betreuung in Pflegeheimen ist nicht mit mehr Kontrollen zu verbessern; gute Pflege bedarf vor allem mehr Zeit und ausreichend qualifizierten Personals.
So sehen wir es als dringend und schon längst überfällig an, für Sachsen ein neues Landespflegegesetz vorzulegen, das klare Regelungen zur Qualität im stationären und im ambulanten Bereich ausführt: zur Personalausstattung und zum Fachkräfteanteil, zur Einrichtung neutraler Pflegestützpunkte, in besonderer Weise zur staatlichen Heimaufsicht und zur Interessenvertretung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen.
Gleiches gilt natürlich auch für einen Landesbedarfsplan in der Altenpflege. Aus den Antworten auf unsere Große Anfrage, meine Damen und Herren, wurde gerade im ambulanten Bereich deutlich, dass es hier viele Grauzonen gibt, die sich nicht im Geringsten mit dem im Pflegeweiterentwicklungsgesetz formulierten Grundsatz „ambulant vor stationär“ in Einklang bringen lassen.
Wenn, wie in der Koalitionsvereinbarung ausgeführt, der ambulanten Pflege nun schon ein wesentlich höherer Stellenwert eingeräumt werden soll, ist es unumgänglich, zu wissen, was in diesem Bereich wirklich passiert, und vor allem einheitliche Regelungen analog dem stationären Bereich festzulegen.
Meine Damen und Herren! Wir haben also nach der Situation in der Pflege gefragt. Wir haben von der Staatsregierung Zahlen erhalten. Wir haben mitgeteilt bekommen, wie viele Einrichtungen und Betten es gibt, wir haben ansatzweise Berichte und Kriterien genannt bekommen. Das ist ohne jeden Zweifel richtig; aber ich denke, man kann es nicht nur auf diese Strukturfragen reduzieren. Wir müssen die pflegebedürftigen und die alten Menschen viel mehr in den Blickpunkt unserer Gestaltungspolitik stellen;
denn es ist ein entscheidender Unterschied, ob ich allein von Strukturen her denke oder vom Menschen her. Im
Freistaat Sachsen sind es immerhin 130 000 Menschen, um die es derzeit geht, und die Zahlen sind steigend, das wissen wir aus den Untersuchungen hier im Sächsischen Landtag, und Sie wissen das auch alle.
Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass bei Ihnen in der Koalition, meine Damen und Herren, die Reform oftmals nur mit der Geldfrage beginnt und was ich mir leisten will, aber nicht, was ich erreichen will; und das ist, denke ich, auch das Problem der Pflegereform. So haben wir immer noch nicht den Begriff neu definiert, aber wir haben Gesetze über Gesetze geschaffen. Es muss uns doch allen gemeinsam klar sein, dass man erst einmal wissen muss, wohin man will, bevor man einen Weg dazu festlegt. Sie bauen doch schließlich auch kein Haus bis zum Dachgeschoss und beginnen dann zu überlegen, für wen und für wie viele Personen es gedacht ist.
Meine Damen und Herren! Frau Staatsministerin Clauß hatte in der Januar-Debatte ausgeführt, Pflege in Würde sei eine ethische und humanitäre Verpflichtung. In diesem Sinne, meine Damen und Herren: Es gibt noch viel zu tun, packen wir es an! Ich bin bereits jetzt auf die nachfolgende Debatte gespannt und danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielen Dank, Herr Kollege Wehner, dass Sie in unser aller Namen der Staatsministerin gute Besserung gewünscht haben. Wir wünschen alle, dass sie bald an ihren Arbeitsplatz zurückkehren kann.
Die Fraktion DIE LINKE hat in ihrer Großen Anfrage mit 83 Fragen Auskünfte von der Staatsregierung zur Situation und Perspektive der Altenpflege in Sachsen verlangt. Das ist ein guter Anlass, wieder einmal über die demografische Situation in unserem Land zu diskutieren. Sowohl in diesem Hohen Hause als auch in meiner Fraktion ist dies in den vergangenen Jahren oft und ausgiebig geschehen.
Nun weist die Staatsregierung in ihrer Antwort allerdings darauf hin, dass die Mehrzahl der erbetenen Auskünfte längst veröffentlicht und für alle zugängliche Daten sind. Sie verweist auf das Statistische Landesamt, den Heimbericht, die Berichte des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen, die Pflegestatistik, den Landesseniorenbericht und vieles mehr.
Meine Damen und Herren! Wir alle werden älter, und mit zunehmendem Alter stellt sich durchaus die Frage, ob im Falle einer Pflegebedürftigkeit bis hin zur stationären Palliativversorgung eine umfassende, qualitativ wie quantitativ hochwertige Versorgung sichergestellt ist bzw. sichergestellt werden kann.
Nach Ansicht der Linksfraktion liegt dies allerdings nicht so ohne Weiteres vor, zumindest wenn man die Begründung zur Großen Anfrage liest; denn darin heißt es – ich
zitiere –: „Die derzeitige Unterstützungs-, Betreuungs- und Pflegesituation ist qualitativ, aber auch quantitativ überwiegend unbefriedigend.“
Ich denke, gerade für die Antragstellerin sind deshalb die Antworten der Staatsregierung sehr lehrreich. Deshalb zur Erinnerung noch einmal einige Beispiele: Es gab in den letzten 18 Jahren 1,2 Milliarden Euro Fördermittel und 332 geförderte Einrichtungen – und damit so viele wie in Thüringen und Sachsen-Anhalt zusammengenommen. Die Anzahl der Heimplätze ist seit 1999 von 34 500 auf 43 500 gestiegen, ebenso die Anzahl der Pflegekräfte von circa 10 000 auf 16 000. Jährlich beginnen 1 300 bis 1 500 junge Menschen eine Ausbildung – Herr Kollege Wehner hat darauf hingewiesen – an der Berufsfachschule für Altenpflege. Dies ist nach wie vor sicher eine Ausbildung über Bedarf, selbst wenn wir mit steigendem Bedarf rechnen. Aber natürlich ist die Frage berechtigt: Reicht das auch für die Zukunft aus?
Die Statistiker erwarten in den nächsten 15 Jahren einen Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen um etwa 46 %. Das Gebot der Stunde heißt also, die Erfahrungen der letzten Jahre auszuwerten, die Zukunft – insbesondere die demografische Entwicklung – zu berücksichtigen und die Pflegeversicherung als „Teilkasko-Versicherung“ behutsam weiterzuentwickeln. Dies geschieht zurzeit auch, und ich begrüße ausdrücklich, was auf diesem Gebiet sowohl die Große Koalition in Berlin als auch die sächsische Regierungskoalition in dieser Richtung tun.
Nach den Zahlen von 2006 haben wir in Deutschland 2,12 Millionen Pflegebedürftige, die heute Leistungen von der Pflegeversicherung beziehen. Wenn wir unseren alten Grundsatz „ambulant vor stationär“ berücksichtigen, dann heißt das natürlich auch, dass der Bereich der häuslichen Pflege eine bedeutende Rolle spielt. Die Fachleute sagen uns, dass 80 % der Pflegebedürftigen zu Hause gepflegt werden und nur etwa 20 % zurzeit in stationären Einrichtungen.
Die häusliche Pflege durch die eigenen Kinder wird in den kommenden Jahren aufgrund der sinkenden Geburtenzahlen rapide abnehmen. Ich muss bei dieser Gelegenheit immer an ein Wort denken, das der ehemalige Leiter des Statistischen Bundesamtes in einem Interview sagte: „Ich weiß, dass für die Sicherheit im Alter Kinder notwendig sind. Aber Kinder mögen die anderen haben, mir genügen Rechtsansprüche.“ – Das ist eine falsche Illusion, genau wie die Aussage, die Renten seien sicher. Wir müssten eigentlich längst wissen, dass nichts sicher ist, weder der Euro noch die deutschen Sozialsysteme. Das Einzige, was wirklich Sicherheit bietet, sind in meinen Augen stabile Familienstrukturen.
Bei dieser Gelegenheit denke ich an ein kleines Erlebnis, das ich gemeinsam mit Frau Kollegin Simon hatte, als wir vor einiger Zeit an einem EU-Kongress in Berlin teilnahmen. Dort haben die Vertreter der südeuropäischen Länder uns Deutsche und die Nordeuropäer ganz vehe
ment kritisiert. Sie haben gesagt: Alte und Kinder gehören in die Familie und nicht in die Hand des Staates.
Nun kann man natürlich fragen: Warum gibt es überhaupt die traditionelle Familie, eine Familie mit Kindern, in der Vater und Mutter verheiratet sind, zusammenhalten und ein Elternteil keiner Erwerbstätigkeit – wenigstens einige Jahre – nachgeht? Doofe Frage, werden Sie vielleicht sagen. Das finde ich aber nicht. Man könnte auch auf die Idee kommen, dass es dieses traditionelle Familienmodell deshalb gibt, weil es irgendwelchen sentimentalen Romantikern eingefallen ist oder weil irgendwelche Religionsführer sich in diese reaktionäre Idee vernarrt haben.
Meine Damen und Herren! Vor allem existiert dieses Familienmodell doch wohl, weil es existenziell notwendig ist, um das Fortkommen und Überleben des Nachwuchses sicherzustellen und die daran Beteiligten gegenseitig abzusichern und weil sich dieser Verband als der lebensfähigste, kleinste, solidarische menschliche Zusammenschluss bewährt hat. Natürlich steht im Zentrum die Liebe zwischen den Ehepartnern. Wer wird das vergessen? Wird jedoch die existenzielle Notwendigkeit zur Familiengründung restlos beseitigt, dann ist es folgerichtig, dass die Familie untergeht
Meine Damen und Herren, wir sind uns sicher darin einig: Versicherungen können keine Sicherheit geben. Nichts anderes erleben wir derzeit im Zeichen der demografischen Selbstaufgabe, die für die westlichen Industrienationen ja so kennzeichnend ist. Eines ist dabei frappierend: Je komfortabler das soziale System ist und je umfangreicher Betreuungsangebote ausfallen, umso nachhaltiger sind die Auflösungserscheinungen der jeweiligen Familienstrukturen. Anstelle des solidarischen Schutzverbandes Familie tritt der Staat. Je bereitwilliger er mit immer neuen Lockangeboten, Prämien, Betreuungen segensreich zur Stelle ist, um vermeintlich strauchelnde Familien zu stützen, desto stärker beschleunigt sich gerade deren Auflösungsprozess.
Zurück zur Großen Anfrage. Ich schlage unserer Sozialministerin vor, ein Sorgentelefon einzurichten, bei dem sich sowohl Pflegepersonal als auch Pflegefälle Rat, Trost und Hilfe holen können, so wie wir es schon einmal als Sorgentelefon im ländlichen Raum mit sehr großem Erfolg eingerichtet hatten. Leider musste es aus Kostengründen eingestellt werden. Aber ich weiß, dass einige Bereiche der Diakonie so etwas mit großem Erfolg weiter betreiben. Ich sehe es als eine wesentliche Ergänzung zu unseren Diskussionen zur Frage von Pflegestützpunkten.