Meine Damen und Herren! Seit Tausenden von Jahren gelang es den Menschen in der Regel, ihr Geld auszugeben, und das ist heute nicht anders. Das Problem liegt also nicht darin, dass die Möglichkeiten für den Geldumlauf nicht gegeben sind, sondern darin, dass die Menschen immer weniger Geld haben. Es ist übrigens gerade der Abbau von Bürokratie in Gestalt von Kontrollmechanismen und staatlichen Eingriffsmöglichkeiten des Bank- und Finanzsystems – den Sie, meine Damen und Herren von der FDP, jahrzehntelang himmlisch orchestriert haben –, der in den nächsten Monaten dafür sorgen wird, dass die Menschen kein Geld mehr haben werden, um es nachts um 4 Uhr an Autowaschanlagen ausgeben zu können.
Dass zum Beispiel nicht alle Naturschutz und Baurecht berührenden Veränderungen, die von Bürgern vorgeschlagen wurden, auch vernünftig sein müssen, zeigt aus Sicht der NPD zumindest der Vorschlag, die bestehenden Baumschutzsatzungen außer Kraft zu setzen und es in das Ermessen der Eigentümer von Grundstücken bis zu 1 000 Quadratmeter zu legen, ob diese die dort befindli
chen Bäume fällen oder nicht. Wir halten es ebenso wie die GRÜNEN nicht für eine überflüssige Regelungswut, wenn derartigen Möglichkeiten enge Grenzen gesetzt werden.
Natürlich sieht es auf den ersten Blick recht dürftig aus, wenn von den rund 1 800 Vorschlägen aus der Bürgerschaft nur 400 von der Kommission zum Vorschriftenabbau befürwortet wurden und von diesen wiederum nur 10 % übrig blieben. Die Gründe dafür wurden bereits mehrfach genannt; die meisten liegen wohl auf Bundes- bzw. Europaebene. Wir müssen ja nicht beim gescheiterten Paragrafenpranger aufhören. Betrachten Sie es, meine Damen und Herren von der FDP, doch als Ansporn, hier im Landtag mit Gesetzentwürfen und Änderungsanträgen mitzuhelfen, Schneisen in das Dickicht der Bürokratie zu schlagen!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Forderung nach Demokratieabbau ist populär. Bürokratie gilt als das Wachstumshemmnis und Bürgerärgernis schlechthin. Aber die Vorstellungen über Bürokratie und darüber, was das eigentlich sein soll, sind höchst diffus, und jeder kann dort seinen ganz persönlichen Ärger mit der Verwaltung hineinpacken. Man ist sich irgendwie einig: Die Beamten und die zu vielen Gesetze sind an allem schuld.
Doch was verbirgt sich dahinter? Die Forderung nach Demokratieabbau ist Ausdruck eines neoliberalen Gesellschaftsverständnisses, das diejenige Instanz, die von uns Bürgern zur Gewährleistung des Allgemeinwohles legitimiert ist, bewusst diskreditiert,
und – Herr Zastrow, hören Sie zu! – diese Institution heißt Staat. Die populistische Forderung nach Demokratieabbau verdeckt diesen Angelpunkt der Diskussion, nämlich: Was und auf welche Weise soll der Staat regeln, um dem vom Parlament im Auftrag der Bürgerinnen und Bürger definierten Allgemeinwohl zum Durchbruch zu verhelfen? Denn, meine lieben Herren und meine Dame von der FDP, es gibt nicht nur Überregulierung, sondern auch Unterregulierung, dies hat die Finanzmarktkrise gerade dramatisch gezeigt.
Die FDP aber macht weiter wie gewohnt. Sie hat noch nicht gemerkt, dass ihr ihr politisches Geschäftsmodell abhanden gekommen ist,
wie meine Fraktionsvorsitzende Antje Hermenau bereits zu Recht angemerkt hat. Ich habe den Verdacht: Wer so populistisch Bürokratieabbau – was auch immer das sein soll – fordert, der möchte eigentlich die Aufgabe des Staates zur Gewährleistung des Allgemeinwohles und dessen Rückbindung an das Parlament aufgeben. In diesem Licht ist bereits der Debattentitel in gewohnter FDP-Manier verkürzt und dumm. Der sogenannte Paragrafenpranger des gewesenen Justizministers de Maizière und seines Nachfolgers Mackenroth war ein von vornherein völlig ungeeignetes und populistisches Instrument. Dass der Paragrafenpranger scheitern würde, war abzusehen, und das ist auch gut so.
Wenn das die FDP heute bedauert, zeigt sie nur, dass sie sich mit den Gescheiterten gemeinsam auf diesem intellektuellen Holzpfad befindet. Der Paragrafenpranger ist keine verpasste Chance für Bürokratieabbau – ich zitiere Herrn Prof. Dr. Jann, Professor für Politikwissenschaften an der Uni Potsdam –: „Eine Fokussierung der Reformbemühungen auf die Reduzierung von Rechtsvorschriften ist eher kontraproduktiv. Eine entsprechende Tonnenideologie ist einer modernen Gesellschaft nicht angemessen, setzt den Beteiligten die falschen Anreize und fördert einen höchst kurzfristig Erfolg versprechenden Entbürokratisierungspopulismus.“ Und weiter: „Bürokratische Gesetze entstehen nicht, weil Bürokraten sich langweilen und sich überlegen, wie sie den Bürger oder die Unternehmen ärgern können. Vielmehr sind sie Ergebnis legitimer und vernünftiger gesellschaftlicher Interessen. Es ist auch kein Zufall, dass den konservativ-neoliberalen Deregulierern stets Vorschriften zum Schutz der Umwelt einfallen, wie etwa das Recht der Kommunen, Baumschutzsatzungen einzuführen. Unter dem Deckmantel des Demokratieabbaues wird daher in der Regel der Umbau der Gesellschaft im neoliberalen Sinne versteckt.“
Jetzt, meine Damen und Herren, nach dem Scheitern des Paragrafenprangers, soll die Verpflichtung an die Ministerien gelten, etwa 25 % der Vorschriften abzuschaffen. Der sogenannte Quickscan im Auftrag der BertelsmannStiftung hat ergeben, dass kein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Normen und den Bürokratiekosten für Unternehmen besteht. Rechtsbereinigung muss also immer mit einer Aufgabenkritik verbunden werden.
Es ist bekannt, dass 2007 im Freistaat Sachsen 30 Gesetze und 47 Rechtsverordnungen erlassen wurden. Zugleich wurden aber angeblich Verwaltungsvorschriften um 50 % reduziert. Ich frage mich, ob die Anzahl der Vorschriften, die Anzahl der Textseiten oder die Anzahl der Paragrafen reduziert wurde. Daran sieht man, wie vordergründig diese ganze Debatte ist.
Diese Rechtsbereinigung hat aber für die Verwaltungsmodernisierung eine höchst begrenzte – ich würde sogar sagen: bis überhaupt keine – Wirkung. Zudem sind die durch Landesvorschriften verursachten Bürokratiekosten zu vernachlässigen. Im SKM – wieder so eine furchtbare Abkürzung –, das heißt hier: Standardkostenmodell-Scan Landesrecht, einem Pilotprojekt zur Demokratiemessung,
stellt Justizminister Mackenroth fest, dass landesrechtlich veranlasste Informationspflichten ganze 1 % der bei sächsischen Unternehmen verursachten Bürokratiekosten verursachen. Die Abschaffung von Rechtsnormen ist das ungeeignete Mittel.
Im Übrigen hat es diese Koalition eben gerade bei der Verwaltungsreform – ich muss sagen: bei der sogenannten Verwaltungsreform – versäumt, eine echte Kritik staatlicher Aufgaben und auch der Ablauforganisation in den Behörden vorzunehmen. Stattdessen hat der Freistaat Demokratie abgeschafft und sich auf Kosten der Kreise finanziell saniert. Solange nicht die Potenziale demokratischer Beteiligung der Bürger gehoben werden, bleiben die Forderungen nach Bürokratieabbau weiterhin nur hohle Phrasen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Bräunig, das war eine bemerkenswerte Rede. Dem Paragrafenpranger – was haben Sie gesagt? – ist nicht ganz der große Erfolg beschieden gewesen? Das Verfahren war nicht immer optimal? Aber von Scheitern wollten Sie an dieser Stelle nicht sprechen? – Hallo! Es ist nicht eine einzige Forderung des Paragrafenprangers umgesetzt worden.
1 877 Vorschläge – am Ende eine Mini-Änderung der Bauordnung, ja, okay –, aber was, wenn nicht das, ist Scheitern?
Sie sind auf ganzer Linie gescheitert, geben Sie es zu. Ich meine, erfunden hat es ja nicht die SPD, das zumindest muss ich Ihnen zugute halten.
Wie ernst es die Staatsregierung mit ihrer Entbürokratisierungskampagne genommen hat, sieht man beispielsweise daran, dass es jetzt zum Beispiel eine „Verwaltungsvorschrift über Verwaltungsvorschriften“ gibt. Sie erlaubt Rückschlüsse darauf, in welchem Ressort welche Verwaltungsvorschrift anzuwenden ist. Das ist das, was vom Paragrafenpranger am Ende übrig bleibt. Das, meine Damen und Herren, ist mir zu wenig.
Herr Schiemann, zu der Wahlkampfschmonzette, die Sie hier geboten haben, vielleicht auch noch ein Wort. Wenn Sie reden, dann ist natürlich alles, was wir hier machen, immer und stets populistisch. Ich werde vielleicht irgendwann einmal recherchieren und durchzählen, wie oft Sie uns das hier schon vorgeworfen haben. Ich will ganz klar sagen, dass wir ein Vorbild haben. Dieses Vorbild kommt aus Ihren Reihen. Bis vor einiger Zeit saß derjeni
ge noch hier mit auf der Regierungsbank. Der „Papa“ des Paragrafenprangers ist Herr de Maizière. Lassen Sie mich kurz zitieren, was er am 04.02.2003 zur Einführung des Paragrafenprangers gesagt hat. Zum Ersten hat er gesagt: „Alle Bürger, Unternehmen und Verbände im Freistaat sind aufgerufen, Vorschriften zu benennen, die geändert oder abgeschafft werden sollen. Wer sich immer schon über den Paragrafendschungel beklagt hat, kann jetzt beweisen, dass er konstruktiv zu einer sinnvollen Rechtsbereinigung beitragen kann.“
Kurz danach, im September 2004, sagte er Folgendes, und ich kündige Ihnen, Herr Schiemann, schon an, dass Sie das Lob, das Sie vorhin an mich gesendet haben – ich habe es bemerkt, weil ich es selten bekomme –, als es um die Frösche ging, wahrscheinlich gleich wieder zurücknehmen müssen. Er sagte also: „Dem Paragrafenpranger, den ich im Februar letzten Jahres gestartet habe, liegt die Überlegung zugrunde, dass eine Entbürokratisierung von innen heraus durch die Verwaltung selbst schnell an ihre Grenzen stößt. Wer einmal eine Regelung geschaffen hat, weil er sie für nötig, für sachgerecht hielt, tut sich schwer, sie später als überflüssig wieder aufzuheben. Hierzu gibt es ein geflügeltes Wort: ‚Wer einen Sumpf trocken legen will, darf nicht die Frösche fragen.’ Die Frösche sind beim Vorschriftenabbau die Politik und die Verwaltung.“
Meine Damen und Herren! Dieser Ausspruch ist nicht von Jürgen Martens, sondern von Ihrem eigenen Parteifreund. Das finde ich hoch interessant.
Sie haben vorhin davon gesprochen, dass Entbürokratisierung für Sie eine Herzenssache ist. Sie hatten mit eben diesem Paragrafenpranger, mit dem Sie in den Wahlkampf gegangen sind und Stimmen gesammelt und wahrscheinlich einige sogar bekommen haben, die Chance zu beweisen, wie ernst Ihnen Entbürokratisierung ist. Sie haben den Beweis angetreten, dass es Ihnen damit nicht ernst ist. Deswegen kann ich Sie, Herr Schiemann, auch nicht ernst nehmen, mit allem Verlaub, wenn Sie jetzt nach eben diesem Scheitern schon wieder ankündigen, dass Entbürokratisierung natürlich Herzenssache dieser Regierung ist. Das ist nicht ernsthaft und auch nicht seriös, Herr Schiemann!
Ich hätte beim besten Willen nicht gedacht, dass ich einmal sagen muss, dass uns Brüssel in Sachen Bürokratieabbau eine ganze Länge voraus ist. Aber selbst die Oberbürokratisierer des gesamten Kontinents haben inzwischen erkannt, dass es genauso, wie sie es seit Jahren machen, eben nicht weitergehen kann. Sie haben, anders als die Sächsische Landesregierung, gehandelt. Sie haben vor zwei Tagen diese urige sogenannte „Gurkenverordnung“, die den Krümmungsgrad von Gurken in der EU geregelt hat, gemeinsam mit 26 weiteren ziemlich kaputten Regelungen zu Obst und Gemüse, die es in
Europa gegeben hat, zurückgenommen. Es ist mittlerweile schon so weit gekommen, dass wir sagen müssen: Von Brüssel lernen heißt siegen lernen!
Meine Damen und Herren! Das hat diese Staatsregierung ganz allein zu verantworten. Sie können Bürokratieabbau einfach nicht.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist richtig, ich habe zu früh gelobt. Ich kann nur eins sagen: Wer immer auf den Fröschen herumhaut, der sollte selbst einmal schauen, was er alles nicht richtig gemacht hat.
Ich glaube, der Freistaat Sachsen hat nicht nur Wahlkampfreden vernommen. Der Freistaat Sachsen hat sich seit den Neunzigerjahren sehr deutlich und engagiert mit vielen Menschen in diesem Land um weniger bürokratische Entscheidungen bemüht. Schnelle Investitionsentscheidungen in diesem Freistaat Sachsen sind nur möglich gewesen, weil die bürokratischen Hürden hier niedriger waren.
Wir haben den Investoren Hilfe gegeben, damit die Flächen sehr schnell genutzt werden konnten, damit Vermessungen sehr schnell durchgeführt werden konnten und die Flächenübergänge einen Vorrang im Grundbuchamt hatten. Das sind alles Elemente, die mit der Unterstützung der Finanzkraft für die Investitionen ausschlaggebend waren.
Herr Zastrow, Sie haben kein Recht, diese Arbeit vieler Menschen im Freistaat kleinzureden. Das Recht spreche ich Ihnen schlichtweg ab!