Protocol of the Session on November 12, 2008

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Das ist der größte Witz! – Beifall bei der Linksfraktion)

Es ist doch alles andere als gerecht, den Schuldenabbau vor den notwendigen Ausbau des Bildungs- und Forschungspotenzials zu stellen. Es ist doch alles andere als gerecht, wenn in diesem Land, in dieser oder jener Kommune die Schulen in ihrer Bausubstanz verfallen oder es hinten und vorn an Lehrern fehlt – im Sinne der Generationengerechtigkeit und der zu sichernden Bildung. Es ist doch alles andere als gerecht, wenn mit der Beseitigung der prinzipiellen Möglichkeit der Neuverschuldung das Sozialstaatsgebot nicht mehr durchgesetzt werden kann –

(Beifall bei der Linksfraktion)

der soziale Ausgleich, harmonische Verhältnisse in der Verteilung in diesem Lande –, das hat doch dann nichts mit Gerechtigkeit zu tun.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Nach der Konzeption Ihres Gesetzes würden die Aufgaben zur Gewährleistung der sozialen Daseinsfürsorge, für sozialen Ausgleich und für die Gewährleistung des gesamtgesellschaftlichen Gleichgewichtes im Bedarfsfall nicht mehr über eine vertretbare Kreditaufnahme seitens des Staates erfüllt werden können. Das gibt uns aber der Artikel 94 auf. Sie können den Artikel 95 nicht ändern, ohne bei Artikel 94 etwas zu machen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Sehr richtig!)

Es ist doch auch Ihnen klar, Kollege Zastrow, dass der derzeitige verfassungsrechtliche Status quo – das heißt die Artikel 109 und 115 auf Bundesebene bzw. Artikel 94 und 95 auf Landesebene – nie ausgeschlossen hat, dass man keine Schulden aufnimmt bzw. Schulden abbaut. Das behindert doch die jetzige Gesetzeslage überhaupt nicht. Wir haben das doch über Jahre nicht gemacht. Dieses Parlament hat in über drei Doppelhaushalten keine Neuverschuldung eingestellt. Das ging doch; wir kamen doch zurecht! Jetzt sind wir in einer Zeit, in der die Frage tatsächlich steht, ob wir in den nächsten zwei Jahren ohne Neuverschuldung zurechtkommen werden.

Kollege Dr. Rößler, es wundert mich natürlich, wenn Sie meinen, dass man die Not damit abwenden kann, dass man das nicht über eine Verfassungsänderung macht, wie es die FDP will, sondern über das Haushaltsbegleitgesetz für zwei Jahre. In der Situation ein Neuverschuldungsverbot qua Haushaltsbegleitgesetz mit einfacher Mehrheit im Landtag zu beschließen ist zumindest wesentlich unehrenhafter als das, was die FDP will. Sie will wenigstens eine Verfassungsänderung mit zwei Dritteln.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Verfassung des Freistaates Sachsen hat immense Vorkehrungen gegen leichtfertige Neuverschuldung durch Kreditaufnahme seitens des Staates geschaffen. Artikel 95 bestimmt eindeutig, dass die Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushalt veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten dürfen. Von diesem Grundsatz sind Ausnahmen nur zulässig, wenn es zur Abwehr einer Störung des gesamtgesellschaftlichen Gleichgewichtes erforderlich ist. Wir sagen: Eine solche Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes scheint uns ins Haus zu stehen. Deshalb kommt Ihr Gesetzentwurf zur Unzeit.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Der Gesetzentwurf blendet zudem die wesentlichen Ursachen der Staatsverschuldung aus. Einerseits geht es um die gravierende Erosion der Einnahmenbasis des Staates, die durch die neoliberale Steuerpolitik der Regierung Kohl eingeleitet wurde, unter der Regierung Schröder weiter forciert wurde und auch unter der Regierung Merkel mit steuerlichen Privilegien auf private Vermögen von Spitzenverdienern in großen Unternehmen fortgesetzt wird. Der halbherzige Kompromiss zur Erbschaftsteuer spricht in jüngster Zeit ja Bände. Des Weiteren hat die Entscheidung der Regierung Kohl, die deutsche Einheit in hohem Maße auf Pump zu finanzieren, um so privaten Reichtum zu schonen – zum Beispiel: Investitionspflichtabgabe – zu einem erheblichen Anwachsen der Staatsverschuldung geführt. Von 1969 bis 2006 ging der Anteil der von Steuern gedeckten öffentlichen Ausgaben von 95,5 % auf 87 % zurück, einfach in der Konsequenz, weil das große Vermögen geschont worden ist. Das sind die Ursachen dafür, dass sich – –

(Beifall bei der Linksfraktion – Volker Bandmann, CDU: Vor allem das SED-Vermögen ist …!)

Und das der Blockparteien, Herr Bandmann! Das haben Sie jetzt noch, wir haben es abgegeben. – Das sind die Ursachen dafür, dass sich die Verschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden seit 1991 mit 1 Billion 400 Milliarden Euro, auf 2005 bezogen, um 144 % erhöht hat. Verfehlte Steuerpolitik und die aktuelle Forderung nach einem strengeren Staatsverschuldungsrecht sind mithin zwei Seiten derselben Medaille einer Politik der Schwächung des Sozialstaates. Deshalb kommt das für uns nicht infrage.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wir bestreiten mitnichten die Notwendigkeit, dass eine Finanzverfassung über haushaltsrechtliche Stabilisatoren verfügen muss, die helfen sollen, Haushaltskrisen zu bewältigen. Dann jedoch muss das vor allem auf der Einnahmenseite berücksichtigt werden. Die Schuldenbremse destiniert eben nur die Ausgabenseite der Haushaltspolitik, ohne die Einnahmenseite zu stabilisieren. Deshalb ist das Konstrukt im Ansatz einfach verkehrt.

Summa summarum: Auf der Geschäftsgrundlage des Veräußerungsvertrages der Sachsen LB mit der badenwürttembergischen Landesbank stehen dem Freistaat im

Jahr 2009 und folgende gravierende Unwägbarkeiten ins Haus: die Fälligkeit der 2,75 Milliarden Euro in einer nicht feststellbaren, nicht vorhersehbaren Situation nach der Verpflichtungszusage, die weiteren 344 Millionen Euro aus den Finanzmarktstabilisierungsmaßnahmen und entsprechend den jüngsten Botschaften wirtschaftliche Wachstumsraten für 2009 in Höhe von allenfalls 0,2 %, sprich: Stagnation in der Wirtschaft.

Angesichts dessen können wir nicht erkennen, dass in irgendeiner Form Handlungsrechtfertigung für das Gesetz der FDP besteht. Deshalb meinen wir: Es wäre politisches Harakiri, jetzt in den Artikel 95 einzugreifen – weder auf dem Wege des Gesetzes der FDP noch im Haushaltsbegleitgesetz. Zu dieser Baustelle kommen wir später.

Danke schön.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile der SPD-Fraktion das Wort; Herr Pecher, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe sehr genau mitgeschrieben, was Herr Zastrow in seinem Eingangsstatement gesagt hat. Er spricht von leeren Worthülsen, von keiner Kompromissfähigkeit und davon, dass man im März schon diesen Gesetzentwurf eingebracht hätte. Man muss einmal deutlich sagen, Herr Zastrow, dass an Ihnen vorbeigegangen zu sein scheint, dass diese Regierung, diese Koalition seit 2006 keine Schulden macht und dass sie Schulden zurückführt, dass sie tilgt.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Sie schreiben in Ihrer Begründung: „Diese von der Großen Koalition in den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts getroffenen Regelungen wurden in den letzten Jahrzehnten bis auf Länder mit solider Finanzpolitik wie Sachsen vielfältig umgangen.“ – Sagen Sie einmal, für wen Sie diesen Gesetzentwurf machen!

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Sachsen – das schreiben Sie selbst – macht eine solide Finanzpolitik, Sachsen macht keine Schulden, und deshalb machen Sie so einen Gesetzentwurf.

Ich will auf noch etwas eingehen. Sie erwecken den Eindruck, als wären Schulden in Sachsen aus was weiß ich für Gründen entstanden. Aber man muss doch einmal deutlich fragen, was aus diesen zwölf Milliarden Euro, die wir als Verschuldung haben, gemacht worden ist. In den letzten 20 Jahren ist damit hier ein Land aufgebaut worden!

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Diese Schulden sind in bestem Sinne Investitionen in dieses Land. Man kann bei anderen Bundesländern durchaus über Teile diskutieren, wobei ich nicht dazu neige, anderen Steine ins Feld zu schmeißen. Aber Fakt ist, dass mit diesem Geld in Sachsen ein Land aufgebaut wurde. Daher ist es unredlich und auch heuchlerisch, wie

Sie hier mit diesem Gesetzentwurf agieren. Herr Rößler hat es angesprochen: Wir haben ja auch in vielfältiger Weise für die Zukunft vorgesorgt, Stichwort Generationsfonds. Einen dreistelligen Millionenbetrag führen wir jedes Jahr im Haushalt in diesen Generationsfonds ein. Im Haushaltsbegleitgesetz steht, dass wir noch einmal einmalig 300 Millionen Euro hineingeben werden, damit wir in diesem Generationsfonds die Lasten für die Zukunft senken können. Von daher sage ich noch einmal, dass Ihr Gesetzentwurf heuchlerisch ist.

(Beifall bei der SPD und CDU)

Was haben wir nun getan? Wir haben mit dem Haushaltsbegleitgesetz einen Gesetzentwurf eingebracht, wie man in Zukunft festschreiben kann, dass keine Kredite aufgenommen werden können, die über die Investitionsgrenze im Haushalt gehen, und wir haben dazu klare Tilgungsregelungen aufgenommen. Man kann darüber trefflich diskutieren, ob das ausreichend ist oder noch schärfer oder noch weniger sein soll und ob diese Regelung noch in einer anderen gesetzlichen Anpassung erfolgt. Fakt ist, dass wir eine gesetzliche Regelung gemacht haben, und Fakt ist – da beziehe ich mich auch auf Kollegen Bartl –, dass das, was hier vorgelegt worden ist, verfassungsrechtlich scheinheilig ist und auch nicht geht.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Ich möchte noch einmal kurz zusammenfassen. Wir halten die Artikel 94 und 95 der Verfassung, was die Rahmengebung betrifft, ordnungspolitisch für sinnvoll und ausreichend, und wir halten unseren Gesetzentwurf praktisch für zielführend, dass Sachsen auf dem richtigen Weg ist, nämlich keine weiteren Schulden zu machen, dass wir tilgen wollen. Ich sage noch einmal: Unser Gesetzentwurf ist präziser, praxisnäher, flexibler, kurzum: lebensnäher und damit auch ehrlicher.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Ich erteile der Fraktion der NPD das Wort; Herr Dr. Müller, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Zastrow, ganz so negativ wie die Statements der drei Vorredner wird meines nicht ausfallen; denn angesichts der aus der Finanzmarktkrise auch für die Haushalte erwachsenden Belastungen und der aktuellen Beratung zum Doppelhaushalt ist es aus Sicht der NPD-Fraktion durchaus ein treffender Zeitpunkt, um über den vorliegenden Gesetzentwurf zu einem Neuverschuldungsverbot zu befinden.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass hinsichtlich der bundesrepublikanischen Finanzverfassung beispielsweise mit Blick auf die Artikel 109 und 115 Grundgesetz sowie auf die in der entsprechenden Landesverfassung in Sachsen zum Beispiel die Artikel 93 und 95 sehr häufig eine Diskrepanz zwischen Verfassungsanspruch und Verfas

sungswirklichkeit herrscht, was die Begrenzung der Nettoneuverschuldung betrifft.

Prof. Kittner teilte in der Sachverständigenanhörung zum Gesetzentwurf mit, dass der Bund allein von 1991 bis 2005 in sieben Fällen und die Länder in 68 Fällen die Kreditobergrenzen nicht eingehalten haben. Weil Verfassungsgerichte zwar Urteile hierzu fällen, aber diese schwer vollstrecken können, sind die Wiederholungstaten auch so häufig. Von daher kann das Ziel des Schuldenabbaus von denen, die dies politisch wirklich anstreben, wohl nur über eine stärker greifende Selbstbindung erreicht werden.

Wer an der Expertenanhörung teilgenommen oder, wie ich, als Nichtausschussmitglied des VREA das Protokoll hierzu gelesen hat, bekam einen kurzen Abriss über die diversesten Aspekte, unter denen die staatliche Schuldenaufnahme beleuchtet werden kann oder besser sollte, unter denen somit der vorliegende Gesetzentwurf bewertet werden muss. Dabei wurden die parlamentarischen Möglichkeiten zur periodenübergreifenden Zukunftsvorsorge, die Entscheidungsfindung mit Fernwirkung, die Frage des intergenerativen Lastenausgleichs oder die antizyklische Konjunkturpolitik ins Betrachtungsfeld geführt.

Die Frage ist hier: Wurde dies mit der kreditfinanzierten Ausgabenpolitik überhaupt bisher erreicht? Kann ein solcher Zusammenhang zwischen politischer Zielvorgabe und vorgenommener Fiskalpolitik überhaupt hergestellt werden? Dankenswerterweise führte uns hierzu die Expertenanhörung den Umstand vor Augen, dass speziell im Freistaat Sachsen seit 1991 nicht nur Schulden in Höhe von 11,4 Milliarden Euro aufgenommen wurden, sondern im selben Zeitraum zusätzlich Zinslasten in der gleichen Größenordnung zu schultern waren. Das bedeutet folglich nichts anderes, als dass selbst unter Zugrundelegung eines für kommende Generationen nutzbringenden Investitionsbegriffs, was reine Theorie ist, nichts erreicht wurde, außer den ohnehin die Souveränität extrem beschneidenden Bindungsgrad der Haushalte noch weiter anzuheben.

Die Realisierung einer konstanten Investitionsquote wurde bezüglich intergenerativer Haushaltspolitik als Alternative zu kreditfinanzierten Zukunftsprojekten vorgestellt. Unabhängig davon, wie weit die Länder in der Lage sind, im klassischen Sinne konjunkturpolitisch oder überwiegend nur strukturpolitisch zu handeln, sollte das Instrument der Konjunktur, die Ausgleichsrücklagen, Bestandteil der Diskussion sein.

Dies klingt alles recht überzeugend, meine Damen und Herren. Aber leider dürfte uns allen auch bewusst sein, dass die knappe Kassenlage eine Umsetzung außerordentlich schwierig macht. Nichtsdestotrotz wird man sich dem künftig stellen müssen, womit sich gleichzeitig die Frage stellt, ob dies im vorliegenden Gesetzentwurf gelingt.

Wenn auch Prof. Kraben von der Fakultät der Rechtswissenschaften der Universität Hamburg den Gesetzentwurf mit Blick auf die Artikel 93 und 95 der Sächsischen

Verfassung nicht ganz widerspruchsfrei sieht, was auch nachvollziehbar erscheint, stellt die NPD-Fraktion dennoch fest, dass eine wirkungsvolle Selbstbindung aus ihrer Sicht zustimmungsfähig ist. Ebenso befürwortet die NPD-Fraktion einer Verpflichtung, außerordentliche Einnahmen der Schuldentilgung zuzuführen, was die Zinsbelastung künftiger Haushalte und damit ihren Bindungsgrad reduziert. Da eine gewisse Selbstbestimmung des Landeshaushaltes verbleiben soll, würde die NPD-Fraktion einer Ausnahmeregelung aufgrund einer qualifizierten Zweidrittelmehrheit inklusive Tilgungsplan zustimmen, wenngleich auch nach nationaldemokratischer Ansicht in erster Linie ein Abbau der Brüsseler Fremdbestimmung gerade im Finanz- und Wirtschaftsbereich wieder für mehr fiskalpolitische Flexibilität sorgen würde.

Es wäre wünschenswert, der Gesetzentwurf ginge noch auf eine Eingrenzung des Investitionsbegriffs, zeitliche Eingrenzung vorgesehener Tilgungspläne, konkrete Ausnahmetatbestände und Nachweispflichten zum zwingenden Finanzbedarf ein, wie es einige Sachverständige empfahlen. Aus den jetzt genannten Gründen wird dementsprechend die NPD-Fraktion diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern sich der Stimme enthalten.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.