Protocol of the Session on October 16, 2008

Sehen wir uns die Wirklichkeit jenseits ideologischer Scheuklappen an!

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Noch einmal: Unter Menschen ohne Papiere werden im Allgemeinen Migranten verstanden, die sich ohne ein Aufenthaltsrecht hier aufhalten und deren Existenz den Ausländerbehörden völlig unbekannt ist. Dass über diesen Personenkreis weder eine Statistik erhoben werden kann noch eine seriöse Schätzung möglich ist, versteht sich aus meiner Sicht von selbst.

Wird solch ein Migrant von der Polizei aufgegriffen oder erlangt eine Ausländerbehörde aufgrund einer Mitteilung nach § 87 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes von dessen Existenz Kenntnis, dann kann er entweder ein Asylverfahren anstrengen oder er wird, wenn er nicht unmittelbar zurückgeführt werden kann, in Anlehnung an das Asylverfahren nach § 15a des Aufenthaltsgesetzes einem Bundes

land zugewiesen und genießt dann natürlich auch die Rechte eines Asylbewerbers. All das erscheint mir weder unmenschlich noch als ein Menschenrechtsverstoß. Es ist geltendes Recht, an das nach unserer Verfassung alle staatliche Gewalt gebunden ist.

Ihnen, Frau Ernst, steht es natürlich jederzeit frei, Anträge zur Änderung des geltenden Rechtes zu stellen und in Berlin durchzusetzen, wenn Sie das für richtig halten, inklusive einer Stichtagsregelung, die allerdings nach meiner Auffassung das Problem nicht löst. Ob Sie dafür Mehrheiten finden werden, erscheint mir zweifelhaft. Solange das nicht der Fall ist – da bitte ich um Nachsicht –, müssen wir uns nach unserer Verfassung an geltendes Recht halten.

(Zuruf der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion)

Stellen Sie eine Frage, denn dann kostet das nicht meine Redezeit. – Also, solange das so ist, müssen wir uns an geltendes Recht halten.

Noch einmal zur Homepage und zu den heute erhobenen konkreten Forderungen nach Gesundheitsversorgung und Arbeitnehmer- und Bildungsrechten dieses Personenkreises. Erster Punkt: Gesundheitsversorgung. Von öffentlichen Institutionen werden pro Jahr circa 30 bis 40 Versorgungsfälle Illegaler gemeldet. Daneben werden, ganz fraglos, private Ärzte und Krankenhäuser, die nicht der Meldepflicht öffentlicher Stellen unterliegen, Illegale medizinisch versorgen. In diesen wenigen Fällen, Frau Herrmann, nach einem Fonds, das heißt nach einer Mitfinanzierung durch den Steuerzahler, zu rufen erscheint mir etwas wirklichkeitsfremd, jedenfalls für Sachsen. Auch Migranten, die sich hier unberechtigt aufhalten, genießen umfassenden Krankenschutz nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, vorausgesetzt, die Ausländerbehörde, das Sozialamt kennt die Person. Vor diesem Hintergrund halte ich den Vorwurf, dass in Sachsen in puncto Gesundheitsvorsorge den Illegalen Menschenrechte vorenthalten werden, für unredlich.

Zweiter Punkt: Arbeitnehmerrechte. Wegen der Zuständigkeit des Bundes kann ich Ihnen keine näheren Ausführungen über den Umfang der Beschäftigung von Migranten ohne Aufenthaltstitel machen. Ich will aber versichern, dass auch Menschen ohne Aufenthaltsrecht über grundlegende Arbeitnehmerrechte verfügen und ein Arbeitsvertrag natürlich nicht nichtig ist, Herr Bräunig, Sie wissen das, wenn auch die Durchsetzung der Rechte aus einem Arbeitsvertrag – möge er mündlich, schriftlich oder faktisch geschlossen worden sein – eben zwangsläufig mit der Entdeckung verbunden ist; denn auch Gerichte sind möglicherweise meldepflichtig.

Lassen Sie mich schließlich nicht unerwähnt lassen, dass die Beschäftigung von Ausländern zu ausbeuterischen Arbeitsbedingungen ein Straftatbestand ist. Frau Ernst, das ändert nichts an der Situation unserer Migranten, schützt sie aber gleichwohl durch unsere Rechtsordnung.

Dritter Punkt: Recht auf Bildung. Die Schulpflicht erstreckt sich auf alle Kinder – das ist gesagt worden –, die

im Freistaat Sachsen wohnen, unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status. Ausgeschlossen sind nur Kinder, die im Rahmen des Asylverfahrens kurzzeitig bis zu ihrer Zuweisung in ein Wohnheim in einer Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht sind.

Aufgrund der Anknüpfung der Schulpflicht an den Wohnort gibt es keinen Widerspruch zu der gesetzlichen Pflicht, nach der öffentliche Stellen, also auch Schulen, einen illegalen Aufenthalt in Deutschland zu melden haben; denn die Mitteilungspflicht schränkt das Recht auf Bildung nicht ein. Ich habe mir soeben vom fachlich zuständigen Mitarbeiter des Innenministeriums versichern lassen, dass auch der Schulbesuch in Sachsen nicht die Vorlage einer Meldebestätigung voraussetzt. Auch hier wird der aufenthaltsrechtliche Status von schulpflichtigen Kindern in der Regel nicht nachgefragt. Ich rege aber an, dass Sie sich noch einmal im Innenausschuss über diese Problematik unterhalten sollten, wie der Vollzug des Ausländerrechts hier in Sachsen in diesem Punkt gehandhabt wird.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich abschließend nach der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von der Herkunft, fragen. Die vorliegende Anfrage suggeriert ein humanitäres Problem. Daneben gibt es gelegentlich und manchmal durchaus eklatante Rechtsverstöße. Dies zu verschweigen wäre unredlich. Um auch nur auf gefühlte Sicherheitsdefizite unserer Menschen zu reagieren, haben wir zum Beispiel in den zurückliegenden Monaten erfolgreich ein dichtes Kontrollnetz entlang des 30-Kilometer-Gürtels zur Bundesaußengrenze aufgebaut. Meldungen über auf frischer Tat gefasste Straftäter rechtfertigen diese Maßnahme.

Menschen ohne Papiere sind fraglos ein Problem, aber sie fallen nicht vom Himmel. Sie sind sehr häufig Opfer, oft aber auch regelrecht Kunden von Schleusern, die ihnen viel Geld und manchmal auch die Papiere abnehmen.

Ich sage es noch einmal: Kein Ausländer braucht Angst vor einer Abschiebung zu haben, wenn er tatsächlich verfolgt ist. Unbegrenzte Zuwanderung können wir nicht akzeptieren. Ebenso wenig ist es inhuman, wenn in Deutschland jeder Ausländer, gleichgültig ob er ein Aufenthaltsrecht hat oder nicht, einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenversorgung, auf Schulbesuch sowie umfangreiche Arbeitnehmerrechte hat. Nein, meine Damen und Herren, wir schützen die Menschenrechte der Menschen ohne Papiere.

Gleichzeitig nehmen wir, unter anderem entsprechend polizeilicher Erkenntnisse, die Sorgen und Nöte der beispielsweise an der sächsischen Außengrenze lebenden Menschen in den Blick und belegen damit nachdrücklich, dass unser Staat seine Bürgerinnen und Bürger schützt. Das muss so sein und das ist gut so.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Prof. Dr. Georg Unland)

Meine Damen und Herren! Ich rufe jetzt die beiden Entschließungsanträge auf. Wir beginnen mit dem Entschließungsantrag der Fraktion der GRÜNEN, Drucksache 4/13583. Ich bitte um Einbringung; Frau Herrmann, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Antrag enthält neben der Feststellung, dass Menschen ohne Aufenthaltsstatus ihre sozialen Rechte nicht ohne Angst vor Abschiebung wahrnehmen können – das ist hier von den verschiedenen Rednern auch ausgeführt worden –, eine Reihe von Handlungsempfehlungen für die Staatsregierung.

An dieser Stelle beschränken wir uns tatsächlich auf die Regelungen der dringendsten humanitären Fragen. Deshalb haben wir die weitergehenden Überlegungen, wie unter Umständen eine Legalisierung für bestimmte Bereiche in Zukunft erreicht werden könnte oder wie Konzepte dafür aussehen könnten, auch nur in einem Punkt erwähnt.

Mit diesem Entschließungsantrag wollen wir sicherstellen, dass alle Menschen in Sachsen Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung erhalten. Es ist unser Anliegen, dass Kinder Kita und Schule besuchen können.

Die CDU-Fraktion im Bundestag hat sich in dieser Frage bewegt, verweist jedoch auf die Widerstände in den Ländern.

Es ist deutlich geworden, dass auch Herr Staatsminister Mackenroth ein Teil dieses Widerstandes ist, indem er betont, dass Kinder in Sachsen durchaus, ohne ihren Aufenthaltsstatus aufdecken zu müssen, die Schule besuchen können. Es gibt aber keine einheitliche Regelung in Sachsen. Wenn eine Schule das in einer gewissen Art und Weise handhabt, dann ist das damit verbunden, dass sich ein Schulleiter und die Lehrerin zu dieser Handhabung entschließen.

Wir wollen, dass es wie in anderen Bundesländern praktiziert und von der Übermittlungsfrist abgesehen wird. Das sollte dann auch den Schulen mitgeteilt werden. Sachsen sollte hierbei wie Nordrhein-Westfalen auf der Bundesebene positiv auftreten und sich dem Votum parteiübergreifender Stimmen anschließen.

Zudem möchten wir den Schutz vor ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen verbessern. Solange Gerichte die Daten weitergeben, ist eine Verfolgung von Ausbeutung nicht gegeben. Wir sind der Meinung, dass das nicht hinnehmbar ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich hatte vorhin erwähnt, dass es angesichts der geringen Kenntnisse der Staatsregierung wichtig ist, dass eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben wird. Ich gebe Frau Dr. Ernst recht, dass wir uns überlegen müssen, was die Ursachen von irregulärer Migration sind. Genau diese Frage wollten wir mit der Großen Anfrage beantwortet haben. Nur wenn wir die Ursachen kennen, können wir auf die Ursachen einwirken. Es ist bereits von

Herrn Bräunig ausgeführt worden, dass die Strukturen der Grund dafür sind, dass sich Menschen im Land irregulär aufhalten. Wenn wir die Ursachen kennen, können wir an den Strukturen etwas ändern. Deshalb fordern wir diese Studie.

Um die Situation Illegalisierter zu verbessern, sind zudem Initiativen auf Bundesebene nötig, wie zum Beispiel eine Initiative auf Abschaffung der Übermittlungspflicht. Diese Meldepflicht führt nicht dazu, dass irreguläre Migration verschwindet. Sie führt nur dazu, dass diese Menschen im Schatten leben und dass ihnen grundlegende Menschenrechte verwehrt sind. Das ist nicht allein meine persönliche Meinung. Ich habe vorhin einen ehemaligen Verfassungsrechtler erwähnt, der eine ähnliche Meinung dazu hat. Das hat nichts mit Rechtsunkenntnis zu tun.

Die bisherigen Bleiberechtsregelungen sind so restriktiv, dass sie das Gegenteil bewirkt und Menschen in die Illegalität gedrängt haben.

Zum Schluss meiner Rede möchte ich mit einem Zitat von Elie Wiesel enden. Ich habe mir überlegt, ob ich das machen sollte. Aber es ist so oft von illegalen Menschen die Rede gewesen, dass ich mich entschlossen habe, meine Rede doch mit diesem Zitat zu beenden. Gerade die Erinnerung an den Holocaust und das Wissen darum, was es heißen kann, Menschen keine Aufenthaltspapiere zu geben, sollte uns dazu bewegen, uns für diese Menschen und ihre Rechte starkzumachen. Elie Wiesel sagte: „Ihr“, die sogenannten illegalen Ausländer, „solltet wissen, dass kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?“

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Gibt es Redebedarf zum Entschließungsantrag? – Frau Dr. Ernst, bitte.

Wir halten diese Maßnahmen sicherlich für wünschenswert, aber doch zu kurz gegriffen. Ich glaube, dass es notwendig ist, dass von Sachsen in dieser Frage ein deutlicher Ruf in Richtung Änderung der Gesetzgebung ausgehen muss. Insofern sind das viel zu kleine Schritte. Sie unterliegen dem Glauben, damit die Illegalisierung gewissermaßen zu normalisieren. Das halte ich für schwierig. Es muss wirklich ein deutlicher Schritt in Richtung Legalisierung vorgenommen werden. Wir haben mit dem Antrag ein wenig Bauchschmerzen und werden uns der Stimme enthalten.

Herr Seidel, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir als Koalition haben damit natürlich größere Bauchschmerzen, wie Sie bereits wissen. Die Punkte, die

Sie, Frau Herrmann, genannt haben, würden zum einen zu Rechtsverstößen führen, zum anderen gibt es schon Weichenstellungen, wie uns das Frau de Haas und der Minister bereits dargestellt haben. Ich denke dabei insbesondere an die Erfüllung der Schulpflicht. Von der Meldepflicht wollen wir auch nicht abgehen.

Meine Damen und Herren! Wir haben in Deutschland eine Asylpolitik, wir haben ein Asylbewerbergesetz und ein Asylbewerberleistungsgesetz, die den Verfolgten umfassenden Schutz gewähren. Wir sind in Europa eines der Länder, die das meiste machen, was insbesondere die Kriege im ehemaligen Jugoslawien

(Beifall bei der CDU)

und die Aufnahme der Menschen hier bewiesen hat. Wir tun also eine Menge. Wir haben seit dem Jahre 2005 das Zuwanderungsgesetz. Auch diesbezüglich ist eine legale Zuwanderung nach Deutschland besser möglich. Ich bin der Meinung, dass diese Entschließungsanträge diesen Zweck nicht erfüllen.

Frau de Haas sagte, eine irreguläre Regelung ist eine Herausforderung an den Rechtsstaat. Ich möchte nicht, dass wir hier Schleusen aufmachen, die illegales Handeln weltweit befördern. Dpa meldet heute: „Die Bundespolizei hat“ heute „am Donnerstag in Leipzig drei mutmaßliche Schleuser verhaftet. Es wurden 16 Wohnungen in Leipzig und eine Autovermietung in Döbeln durchsucht, teilte die Bundespolizei mit. Bei den Verhafteten handelt es sich um zwei Asylbewerber und einen Deutschen mit ausländischen Wurzeln. Sie sollen als Mitglieder einer von Leipzig aus gesteuerten Schleuserorganisation Autos und Fahrer besorgt haben, um Iraker illegal nach Europa zu bringen. Bereits vor der Aktion in Leipzig wurden laut Bundespolizei acht Fahrer und 65 Iraker an der illegalen Einreise nach Deutschland gehindert.“

(Beifall bei der NPD – Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion: Was erzählen Sie da?)

„Es waren 200 Beamte im Einsatz. Die Verdächtigen sitzen in U-Haft.“

Meine Damen und Herren! Ein Zuviel auf dieser Strecke kann auch dazu führen, dass immer mehr Menschen von derartigen Schleusern mit viel Geld nach Deutschland gelockt werden, und das wollen wir nicht.

(Beifall bei der CDU)

Herr Bräunig, bitte.