Protocol of the Session on May 30, 2008

Es muss auch bei der Regierung endlich die Einsicht greifen, dass Hartz IV nicht nur gescheitert ist, sondern zu einem explosionsartigen Anwachsen von Armut geführt hat. Deshalb bleibt es bei unserer Forderung: Hartz IV muss weg!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Krauß, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte meiner Rede drei Vorbemerkungen vorwegschicken.

Die erste Bemerkung: Der Dritte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung liegt uns noch nicht vor, sondern es gibt nur eine Kurzdarstellung, die wir haben, geschweige denn, dass die Bundesregierung darüber geredet hätte. Insofern ist es etwas verfrüht, diesen Bericht auszuwerten. Deshalb wird auch die Staatsregierung nicht zu dem Thema sprechen.

Besser wäre es gewesen, wir hätten über den Sächsischen Sozialbericht gesprochen, der sehr ausführlich ist und sehr viel Futter für die Diskussion enthält.

(Beifall bei der CDU)

Die zweite Bemerkung zur Armutsdefinition: Als arm wird in diesem Bericht definiert, wer 60 % des Durchschnittsnettoeinkommens bezieht. Das heißt, wer weniger als 938 Euro netto hat, gilt als arm.

Diese Definition muss man hinterfragen dürfen, denn es geht dabei nicht um einen absoluten Wert. Für diejenigen, die Mathematiker sind oder das jetzt nachvollziehen können, ist eines klar: Würde man den Hartz-IV-Satz um 40 oder 80 Euro anheben oder würden mehr Leute in Arbeit kommen, führte es dazu, dass mehr Leute arm sind. Das zeigt, wie absurd eigentlich dieser Armutsbegriff ist.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben derzeit einen Wirtschaftsaufschwung. Wir können heute in der Zeitung lesen: Wir haben 40 000 Arbeitslose weniger in Sachsen. Die Folge bei diesem Armutsbegriff also wäre, dass die Armut steigt, weil wir 40 000 Arbeitslose weniger haben. Insofern ist es wohl legitim nachzufragen, was das für eine Definition ist.

Sie haben zu DDR-Zeiten einfach gesagt, es gibt keine Armut. Sie haben sich das ein bisschen leicht gemacht.

Herr Hahn, wenn ich einmal bei der DDR bin: In der DDR galten 45 % der Rentner als einkommensarm. Heute

sind es gerade einmal 2 %, die Grundsicherung beziehen. Damals war es also fast jeder Zweite, aber heute ist es nur jeder Fünfzigste. Da hat es in den letzten Jahren eine ganz deutliche Verbesserung gegeben.

(Beifall bei der CDU – Lachen bei der Linksfraktion)

Dritte Vorbemerkung: Arbeitslosengeld II und Grundsicherung gibt es aus dem Grund, dass keiner in Armut fällt.

(Zurufe von der Linksfraktion)

Ich darf um mehr Aufmerksamkeit bitten.

Das ist gut so. Wir haben uns in Deutschland dafür entschieden, dass die Leistungsfähigen stärker zum Sozialstaat beitragen als diejenigen, die nicht leistungsfähig sind. Das können Sie auch dem Bericht entnehmen. Die unteren 50 % tragen mit 6 % durch Steuern zu den Einnahmen des Staates bei, die 50 % mit höherem Einkommen tragen mit 94 % bei. Das ist richtig so, denn die Leistungsfähigen sollen ihrer sozialen Verantwortung nachkommen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Krauß?

Herr Kollege, wissen Sie, wie viel Prozent des gesellschaftlichen Gesamtvermögens die 10 % der Reichsten besitzen?

Herr Porsch, ich habe deutlich gemacht, wenn wir sagen, von den unteren 50 % zahlen 40 % keine Einkommensteuer.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Weil sie kein entsprechendes Einkommen haben!)

Nein, weil sie Einkommen haben, aber zu wenig verdienen. Das ist legitim. Dass man dann sagt, dass diejenigen mit einem höheren Einkommen 94 % bezahlen, ist doch richtig, wenn sie ihrer sozialen Verantwortung in dem Sinne nachkommen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Sie haben meine Frage nicht beantwortet.)

Ich habe sie inhaltlich beantwortet, Herr Porsch.

Kommen wir also zum Bericht oder was wir davon wissen. Wir haben dort nämlich positive Nachrichten. Die physische Form der Armut ist gesunken, also die Zahl der Menschen, denen es richtig dreckig geht. Da denke ich vor allem an die Obdachlosen. Die Zahl der Obdachlosen sank in dem Berichtszeitraum um mehr als die Hälfte. Wir haben 276 000 Obdachlose weniger und das ist aus meiner Sicht eine der positiven Nachrichten. In Deutschland muss niemand ohne Obdach, Kleidung oder Essen leben.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Wir haben hier Hilfsangebote. Bei Armut geht es aber nicht nur um die physische Armut, sondern darum, dass es Menschen gibt, die fühlen, sie gehören nicht mehr dazu. Sie fühlen sich von der gesellschaftlichen Entwicklung abgehängt, weil sie keine Chance sehen, dass sich ihr Leben verbessert. Es fehlt ihnen der Wille, mit ihrer eigenen Hände Arbeit ihr Leben zu verbessern. Ziel der Politik muss es dort sein, dass jeder Mensch am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann.

Wir haben in Sachsen zwei Gruppen, die vor allem von Armut betroffen sind. Das sind die Alleinerziehenden. Klar ist, wenn man alleinerziehend ist, fehlt der zweite Partner, der sich um die Kinder kümmert und Einkommen nach Hause bringt. Wir haben als zweite Gruppe die Langzeitarbeitslosen. Es geht auch aus dem Bericht hervor: Wenn die Eltern Arbeit haben, sinkt das Armutsrisiko auf nur 4 %. Herr Hahn, damit ist eines klar, richtig ist eben: Sozial ist, was Arbeit schafft!

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Wenn die Arbeit gut bezahlt ist! – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Es gibt auch geistige Armut! – Jürgen Gansel, NPD: Arm trotz Arbeit!)

Wir haben seit 2005, seitdem die CDU an der Regierung beteiligt ist, festzustellen, dass die Zahl der Arbeitslosen von fünf Millionen auf mittlerweile 3,3 Millionen gesunken ist.

(Beifall bei der CDU)

Wir haben die höchste Zahl an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen mit über 40 Millionen. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist in Sachsen deutlich gesunken, und zwar um 21 400, also vor allem die Langzeitarbeitslosen, denen Sie jetzt absprechen, dass sie am gesellschaftlichen Aufschwung durch den Wirtschaftsaufschwung teilhaben. Es bleibt dabei: Wer Amut verhindern will, der muss Arbeit schaffen. Das wollen wir auch tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile das Wort der Fraktion der SPD. Herr Dulig, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fakten aus dem Armutsbericht sind von meinen Vorrednern bereits genannt worden. Der Bericht mit Daten von 2005, der jetzt ausgewertet vorliegt, die Daten, die 2008 erhoben werden, werden erst 2010 ausgewertet sein; das sollte man an dieser Stelle mit einführen.

Ich nehme trotzdem den Bericht zur Grundlage, um auf Sachen hinzuweisen, die mir besonders wichtig sind. In Deutschland lebt nach dem Bericht jeder achte Mensch in Armut. Das sind rund zehn Millionen Frauen, Männer und Kinder. Besonders in Gefahr, selbst arm zu werden, sind Arbeitslose, Alleinerziehende und Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung. Aber nicht nur die Gruppe der Armen ist größer geworden. Die Gefahr, selbst arm zu

werden, hat sich deutlich erhöht. Auch die Zahl derjenigen, die trotz Arbeit auf staatliche Hilfe angewiesen sind, wächst immer weiter.

Alles in allem ist ein weiterer Anstieg der Armut und eine weiter zunehmende Spaltung der Gesellschaft erkennbar. Es gibt in Deutschland immer mehr Arme, immer mehr Reiche, aber immer weniger Menschen in der Mittelschicht.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Wer hat denn das verursacht?)

Diese eindeutigen Ergebnisse des Berichts, vor allem aber die Kritik am Bericht, haben in Deutschland eine kontroverse, aber wenig interessante politische Diskussion ausgelöst. Schon die Kritik ist mit Vorsicht zu genießen. Sie fußt immer darauf zu behaupten, dass die Daten im Bericht entweder unter- oder übertrieben sind. Die Übertreiber – hier sei beispielhaft Hans-Werner Sinn vom IfoInstitut München genannt –

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

versuchen zu beweisen, dass es in Deutschland viel weniger Armut gibt, als der Bericht behauptet, dass die Bundesregierung also maßlos übertreibt. Dann werden allerlei Zahlenspiele angestellt und unter dem Strich kommt heraus: In Deutschland sind nicht 13 %, sondern lediglich 4 % arm.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Un-Sinn!)

Vertreter der Untertreiber sind wiederum der Auffassung, dass die Zahl der armen Menschen in Deutschland noch viel höher liegt als im Bericht berechnet, dass die Bundesregierung die Situation also beschönigt. Da wird aus einer Quote von 12 % Kindern in Armut im Bericht eine Quote von 26 % errechnet. Jetzt treten die üblichen politischen Verdächtigen von konservativ bis sogenannt „links“ auf den Plan, aber nur zu dem Zweck, auf der Grundlage der jeweils genehmen Kritik altbekannte Positionen zu wiederholen.

Dabei machen sie aber unterschwellig sehr deutlich, was für sie Armut wirklich bedeutet: Für den, der sich ein Foto von Hans-Werner Sinn in den Spind klebt, darf der Staat höchstens mit christlichen Almosen helfen. Das sind auch die, die bei der Agenda 2010 im Bundesrat ernsthaft versucht haben, die Arbeitslosengeld-II-Bedarfssätze noch weiter abzusenken! Heute will davon niemand mehr etwas wissen, aber vergessen darf man es nicht. Armut bezieht sich in diesen Gedankenwelten nur auf materielle und soziale Kategorien. Dass es auch Armut an Bildung, Armut an Kultur und Armut an Lebenschancen gibt, wird dort nicht zur Kenntnis genommen. Nach dieser Haltung sind die Menschen sogar selbst daran schuld, wenn sie arm sind.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Das haben wir gerade von Ihrem Vorredner gehört!)