Protocol of the Session on April 18, 2008

Sie sollten sich schon überlegen, ob die bisherige Förderpraxis auch den Anforderungen entspricht. Ich denke da an die vielerorts bestehenden Wegweiser für die Menschen mit Behinderungen. Diese müssen fortgeschrieben werden, denn sie sind doch zugleich auch Bestandsaufnahme über die Barrierefreiheit. Die gesammelten Erkenntnisse sollte man zur Grundlage für die weitere

schrittweise Schaffung von Barrierefreiheit im Territorium nehmen. Dazu ist nicht viel Aufwand erforderlich.

Wir hatten in unserem Antrag vorgeschlagen, einen Wettbewerb auf dem Weg zur barrierefreien Kommune auszuschreiben. Zugegeben, hier haben wir uns etwas vertan. Es hätte im ersten Punkt in Punkt 2 Satz 2 unseres Antrages richtig heißen müssen: Dabei ist der in SachsenAnhalt im Jahre 2003 erstmals ausgelobte Wettbewerb auf dem Weg zur barrierefreien Kommune auch im Freistaat Sachsen als wichtige Motivation für das Land und die sächsischen Kommunen zu installieren. Ich meine, wenn in Sachsen-Anhalt ein solcher Wettbewerb erfolgreich durchgeführt werden kann, muss dies doch erst recht im Freistaat Sachsen möglich sein!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! In der Sächsischen Schweiz gibt es eine wunderbare Initiative: Dort wurden die Wanderwege auf ihre Rollstuhlfahrertauglichkeit geprüft. Ein aktiver Rollstuhlfahrer ist dort durch die Gegend gezogen und hat einen Plan gestaltet. Den Plan gibt es. Aber dieser kann nicht veröffentlicht werden, weil die Kosten für die Broschüre nicht aufgebracht werden können. Ich frage mich, wo sind wir hier eigentlich? Wieso ist so etwas nicht möglich?

(Beifall bei der Linksfraktion und der Abg. Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)

Meine Damen und Herren! Barrierefreiheit bedeutet, dass Gegenstände, Medien und Einrichtungen so gestaltet sein müssen, dass sie von jedem – unabhängig von einer eventuell vorhandenen Behinderung – uneingeschränkt benutzt werden können. Die genaue Definition finden Sie in § 4 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen oder auch im Sächsischen Integrationsgesetz.

Ihre Einschätzung, Frau Staatsministerin, dass der Mitteldeutsche Rundfunk seit Jahren seinen Zuschauerservice für Gehörlose und Schwerhörige ausgebaut habe, habe ich sehr wohl zur Kenntnis genommen. Es ist aber nicht ausreichend, wenn gehörlose und schwerhörige Zuschauer täglich nur 06:45 Uhr aktuelle Informationen aus den drei Ländern des Sendungsgebietes erhalten können. Ich halte es für diskriminierend, wenn dieser Personenkreis nicht mit jedem anderen – ohne Hörbehinderung – zu den üblichen Sendezeiten gemeinsam Nachrichtensendungen verfolgen kann.

(Beifall bei der Linksfraktion, der FDP, den GRÜNEN und des Abg. Peter Wilhelm Patt, CDU)

Meine Damen und Herren! Schauen wir uns einmal um, wie es in der Welt ist. Kanada nimmt weltweit den ersten Rang bei der Untertitelung von TV-Programmen ein. In den USA wurde bereits 1990 durch ein Behindertengesetz die Untertitelung auf allen öffentlich-rechtlich produzierten Sendungen zur Vorschrift. In der Schweiz wird täglich eine der abendlichen Ausgaben der Nachrichten live in Gebärdensprache übersetzt. Auch in Frankreich, Schweden, Norwegen und Großbritannien gibt es analoge

Regelungen. Ich meine, was dort möglich ist, muss doch auch bei uns möglich sein – natürlich auch beim MDR.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Fernsehen sollte man sich nicht über Gebührenerhöhung, sondern mehr darüber Gedanken machen, wie Angebote unterbreitet werden können, damit gehörlose und schwerhörige Zuschauerinnen und Zuschauer chancengleich die Sendungen verfolgen können.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Herr Sagurna, nehmen Sie dies doch mit in Ihre Verhandlungen. Auch mit Blick auf die demografische Entwicklung ist das Thema der Barrierefreiheit stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken. Laut aktueller Statistik – wie man jetzt aus der jüngsten Pressemitteilung des Statistischen Landesamtes des Freistaates Sachsen entnehmen konnte – waren 2007 in Sachsen 23,6 % der sächsischen Bevölkerung 65 Jahre und älter. Bis zum Jahr 2020 wird aufgrund der steigenden Lebenserwartung und des Nachrückens stärker besetzter Jahrgänge diese Altersgruppe auf 28,5 % anwachsen. Deshalb müssen alle daraus erwachsenen Herausforderungen an eine barrierefreie Gestaltung des Alltags langfristiger und nachhaltiger ausgerichtet werden. Das gilt zum Beispiel für den Bereich des Wohnens, in dem eine Anpassung an neue Bedürfnisse immer notwendiger wird.

Natürlich kommt eine barrierefreie Gestaltung nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch älteren Menschen zugute. Aber vorhanden muss dieser Wohnraum eben sein.

Meine Damen und Herren, nach § 50 Abs. 1 der Sächsischen Bauordnung muss in Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnung eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein. Wie sieht aber die Realität aus? Diese Erfordernisse werden ebenfalls nicht beachtet. Erheblich oder außergewöhnlich gehbehinderte Menschen – wie zum Beispiel Querschnittgelähmte oder DoppelOberschenkelamputierte – kommen gar nicht ins Haus oder zum Aufzug, weil der Weg dorthin auch nur über Treppen führt. Frau Staatsministerin, wie soll ich denn das verstehen? Ich zitiere: „Die Förderung von Wohnungsangeboten ausschließlich für eine Gruppe von potenziellen Nutzerinnen und Nutzern birgt die Gefahr, dass Überkapazitäten in einem Teilbereich geschaffen werden.“ Na hallo! Genau das ist das Problem: Sie denken nicht an morgen. Sie sehen in den behinderten Menschen eben auch nicht den „Normalen“. Sind Sie oder auch andere der hier anwesenden Abgeordneten nicht auch alle irgendwann potenzielle Nutzer dieses Wohnraumes? Wie denken wir denn über diese Dinge nach?

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Hand aufs Herz! Haben Sie alle Ihre häusliche Umgebung so gestaltet, dass Sie auch im Alter mit den nicht unüblichen Gebrechen zurecht

kommen würden, oder ist für Sie klar, dass Sie lieber die häusliche Umgebung verlassen und in ein Heim gehen?

Lassen Sie es mich klar sagen: Alle Gebäude müssen stufenlos – gegebenenfalls mit einem Aufzug oder einer Rampe – erreichbar sein. Untere Türanschläge und Schwellen sind grundsätzlich zu vermeiden. In jedem Sanitärraum und in jeder Sanitäranlage – sowohl für Damen als auch für Herren – ist mindestens eine für Rollstuhlfahrer benutzbare Toilettenkabine einzuplanen.

(Beifall der Abg. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion)

Es ist vor allem wichtig, dass in unserem Land alles dafür getan wird, dass Steuermittel nur für Maßnahmen eingesetzt werden, die im weitesten Sinne keine Barrieren errichten sondern abbauen helfen. Wir haben unseren Antrag recht breit und umfangreich gefasst und ihn auch ausführlich schriftlich begründet. Das konnte jeder lesen. Möglicherweise haben Sie noch weitere Ideen zur Ergänzung des Anliegens. Sie sind herzlich eingeladen und ich habe die herzliche Bitte: Springen Sie über Ihren Schatten und stimmen Sie dem Antrag zu! Es kommt uns allen zugute.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion und der Abg. Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)

Die SPD-Fraktion, bitte. Ach, Entschuldigung, natürlich CDU; Herr Krauß, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind als Koalitionsfraktion dankbar, dass wir über dieses wichtige Thema der Barrierefreiheit diskutieren können, da es für uns ebenfalls ein sehr wichtiges Thema ist.

Wir wollen die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben. Das ist auch die Auffassung der Staatsregierung. Herr Wehner hat bereits erwähnt, dass wir uns in vielen Dingen einig sind. Zudem hat er auch gesagt, dass es bei der Staatsregierung, ich zitiere, „viele gute Ansätze“ gibt. Ich sehe das genauso.

Wir haben in Sachsen eine ganze Menge erreicht. Ich denke dabei zum Beispiel an den Anteil behinderter Beschäftigter im Staatsdienst, bei denen wir mittlerweile eine Quote von 5,09 % im vergangenen Jahr hatten.

Man muss vor allem das SMS loben, weil dort die Quote besonders hoch ist. Wir haben einen Beauftragten der Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Auch ihm sei für seine Arbeit herzlich gedankt.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion und der Staatsregierung)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Barrierefreiheit lässt sich nicht in einer Dekade erreichen, wie es im Antrag der PDS steht.

(Caren Lay, Linksfraktion: DIE LINKE!)

DIE LINKE. Irgendwann merke ich es mir auch noch, dass es „DIE LINKE“ heißt.

(Heinz Lehmann, CDU: Wenn sie nicht wieder anders heißt!)

Ja, das ist die Gefahr. Ich hoffe, dass sie dann nicht wieder anders heißt.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Keine Sorge! – Christian Piwarz, CDU: Das sagen Sie immer!)

Wie gesagt, in einer Dekade lässt sich das nicht machen, sondern das erfordert kontinuierliche Arbeit.

Herr Wehner hat richtigerweise einige Beispiele aus der Praxis genannt, die nicht im staatlichen Bereich liegen, wie die Arztpraxis oder die Kneipe. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir sagen, es gibt da jemanden, der von oben alles vorschreibt, oder – das ist in der Demokratie der bessere Weg – wir versuchen diese Leute zu überzeugen. Das ist natürlich ein schwieriger Weg, wenn man sich auf die Mühen der Ebene einlassen muss. Aber, ich denke, das ist der richtige Weg. Wir müssen die Menschen davon überzeugen, dass Barrierefreiheit ein wichtiges Thema ist und dass das nicht nur den Staat, sondern uns alle angeht.

Was alles schon getan wird, hat die Staatsregierung ausführlich dargelegt. Vielen Dank dafür, dass die Frau Staatsministerin so ausführlich dazu Stellung genommen und viele Dinge angesprochen hat, die wichtig sind. Es gibt einige Punkte, die sich schon erledigt haben und die schon aufgegriffen worden sind.

Herr Wehner hat schon gesagt, dass Sie sich zum Beispiel bei dieser barrierefreien Kommune – Sie haben es so ausgedrückt – „etwas vertan“ haben. Dem kann ich zustimmen, dass das so ist. Das wird auch einer der Gründe sein, weshalb wir dem Antrag nicht zustimmen.

Wir haben Förderrichtlinien, in denen die Barrierefreiheit mit bedacht ist. Auch das hat die Staatsregierung ausführlich dargelegt. Wir denken, dass das der richtige Weg ist und dass man überall dort, wo gebaut wird, darauf achtet, dass man behindertenfreundlich baut.

(Horst Wehner, Linksfraktion: Behindertengerecht!)

Richtig, behindertengerecht. Denn das dient nicht nur den Behinderten, sondern zum Beispiel auch den Rentnern oder jungen Familien. Wenn jemand im Rollstuhl in sein Haus hineinfahren oder aus dem Zug aussteigen will, dann wird er das gleiche Problem haben wie jemand, der mit dem Kinderwagen unterwegs ist. Herr Wehner, ich denke aber, dass dem auch die Frau Staatsministerin zustimmt, weil vorhin der Eindruck entstanden ist, als ob das nicht so wäre. Für uns ist klar, dass eine Wohnung, die

behindertengerecht gestaltet ist, auch für andere – gerade im Seniorenbereich – nutzbar und sinnvoll ist.

(Zuruf der Staatsministerin Helma Orosz)

Ja, der Satz ging noch weiter, aber ich denke, wir haben es an dieser Stelle klargestellt, und da gibt es dann keine Meinungsverschiedenheiten.

Barrierefreiheit betrifft auch öffentliche Gebäude, denn nur so ist Teilhabe möglich. Die Sächsische Bauordnung ist angesprochen worden, bei der auch der Landtag seinen Anteil daran hat, dass dort die Behindertengerechtheit Eingang gefunden hat. Damit hat der Landtag deutlich gemacht, dass man beim Bauen darauf achten muss.

Ich bedanke mich bei Herrn Staatsminister Jurk für die Bemühungen im Tourismus, dass man schaut, wie man die Zielgruppe behinderter Menschen für unseren Tourismus in Sachsen erschließen kann. Die TMGS ist ein Beispiel, wo es tolle Initiativen gibt, diese Menschen anzusprechen.

Auf einen Teilbereich möchte ich ausführlicher eingehen: die Kommunikation. Dazu möchte ich aufzeigen, was alles schon erreicht worden ist. Herr Wehner hat schon einige Beispiele im positiven wie im negativen Sinne gebracht. Ich denke, dass man das zur Ergänzung aus diesem Bereich darstellen sollte, um ein allumfassendes Bild zu bekommen.