Protocol of the Session on April 17, 2008

Es wurden wichtige Reformen auf den Weg gebracht. Das steht zweifelsohne fest.

Jetzt frage ich mich natürlich, was das Konzept der NPD ist. Dazu haben Sie überhaupt nichts gesagt. Das Konzept, das Sie auch hin und wieder einmal vortragen, lässt sich in zwei Worten zusammenfassen: Ausländer raus! Das ist Ihr Konzept, um unseren Sozialstaat zu verändern, mit Sicherheit nicht im positiven Sinne.

(Jürgen Gansel, NPD: So sehen wir das nicht ansatzweise, Herr Krauß!)

Welche Konzepte haben Sie sonst, um mehr Arbeitsplätze auf den Weg zu bringen? Jetzt bleibe ich aber einmal bei dem Konzept, das Sie haben, nämlich Ihre zwei Worte: Ausländer raus! Wir haben in Sachsen einen Ausländeranteil von 2 %. Auch wenn man alle Ausländer rauswerfen würde, könnte man die Arbeitslosenquote von 14 % nur geringfügig senken. Ich darf einmal daran erinnern, dass wir innerhalb eines Jahres weit über 2 % Senkung der Arbeitslosenquote hatten. Das Konzept würde nicht funktionieren. Würde man sich aber auf das Gedankenexperiment einlassen und sagen, was passiert, wenn wir alle Ausländer rauswerfen, dann müsste man als Erstes an die Ärzte denken, denn wir haben 1 000 ausländische Ärzte in Sachsen.

(Jürgen Gansel, NPD: Weil deutsche Ärzte auswandern!)

Dann frage ich, was wäre, wenn wir diese 1 000 Ärzte nicht mehr hätten. Man kann einmal umrechnen, wie viele Krankenhäuser das betrifft. In einem Krankenhaus arbeiten durchschnittlich 60 Ärzte in Sachsen. Das hieße, wir müssten 16 Krankenhäuser schließen. Bei uns würde die medizinische Versorgung zusammenbrechen, wenn wir das machen würden, was Ihre Vorschläge für den Sozialstaat sind.

(Jürgen Gansel, NPD: Da müssten Sie dafür sorgen, dass deutsche Ärzte aus dem Ausland zurückkommen!)

Wie gesagt, die deutsche Bevölkerung hat so etwas nicht verdient. Meine Damen und Herren von der NPD! Sie haben heute wieder gezeigt, dass Sie bis auf zwei Worte

kein Konzept haben. Sie haben gezeigt, dass es Ihnen nicht um die Menschen geht,

(Dr. Johannes Müller, NPD: Das stimmt doch gar nicht, Herr Krauß!)

und Sie wollen lediglich die Arbeitslosen für Ihre nationalsozialistische Idee missbrauchen, und das werden wir nicht mitmachen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich erteile das Wort der Linksfraktion. Frau Lay, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dieser reißerischen Themenstellung glaubt die NPD offenbar, endlich einmal einen originellen Treffer landen zu können. Wenn man allerdings schon auf Jahrestage abstellt, dann sollte man doch der Chronistenpflicht etwas genauer Rechnung tragen. Peinlich für die NPD: Sie hatte den in Rede stehenden Gedenktag glatt um einen Monat verschlafen, denn als Geburtsstunde der in Rede stehenden Agenda 2010 gilt nämlich die Bundestagsrede des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, und die war am 14. März 2003.

(Dr. Johannes Müller, NPD: Das habe ich gesagt!)

Dies zum Vorspann. Nun zur Sache. Meine Fraktion hat sich bereits kritisch mit der Agenda 2010 und den zu erwartenden Auswirkungen befasst, als die NPD noch in dunklen Hinterzimmern saß.

(Zurufe von der NPD)

Wir gehörten im Sommer und Herbst 2004 zu den Aktivisten des Widerstandes gegen die Hartz-Gesetze auf den sächsischen Straßen. Wir haben dafür gestritten, dass diese Demonstrationen nicht von den Nazis missbraucht werden konnten. Danach waren wir es auch, die in diesem Hohen Hause immer wieder die dringenden sozialen Probleme thematisiert und auf die unsozialen Folgen der Agenda 2010 hingewiesen haben. Nun tun Sie nicht so, als seien Sie, die NPD, es gewesen, die hier die Stimme für die sozial Schwachen erhoben hätten; das ist mitnichten so!

(Jürgen Gansel, NPD: Sie haben sich im Bundesrat enthalten!)

Wir haben das getan, als Sie noch mit braunem Klamauk den Freistaat Sachsen bundes- und weltweit in Verruf gebracht haben. Insofern braucht es im Sächsischen Landtag keinen Anstoß der NPD, dass wir hier unsere prinzipielle Haltung gegen Hartz IV und die Agenda 2010 thematisieren.

Obwohl ich es von diesem Pult aus schon mehrfach getan habe, möchte ich heute noch einmal unsere prinzipiellen sozialpolitischen Gegensätze zur NPD deutlich machen; denn in dieser Frage unterscheiden wir uns in der Tat von

der NPD wie Feuer und Wasser. Zusammengefasst noch einmal die folgenden Belege:

Die NPD beschreibt hier lediglich die Zustände – wir hingegen benennen die wirklichen Ursachen. Diese liegen bekanntlich in einem völligen Missverhältnis bei der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. Die Schuldigen sehen Sie in den Ausländern, die den Deutschen angeblich die Arbeitsplätze streitig machen.

(Alexander Delle, NPD: Sie haben gar keine Ahnung von dieser Problematik!)

Wie ein Blick in die Geschichte Ihrer Vorgängerpartei zeigt, als sich die Nazipartei mit den Großkonzernen verband, stellen Sie auch heute nie die Frage der notwendigen Umverteilung von oben nach unten.

Während wir die Verbesserung der Lebenslagen für alle fordern, wollen Sie dies nur für Deutsche.

(Beifall bei der NPD – Zuruf von der NPD: Natürlich!)

Unsere Forderung etwa nach einem gesetzlichen Mindestlohn ist nicht an eine nationale Herkunft gebunden, sondern ausschließlich an dem Grundsatz orientiert: Gute Arbeit und gerechter Lohn für alle.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Für uns, meine Damen und Herren, gilt auch der alte Grundsatz: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Deshalb geißeln wir es auch, dass in Deutschland Frauen bis heute im Durchschnitt 20 % weniger verdienen als Männer. Von Ihnen war dazu noch nie ein Wort zu hören.

Während Sie von der NPD die Lebenslagen nur benennen und für Ihre nationalistischen Ziele instrumentalisieren, unterbreiten wir seit Jahr und Tag realistische und finanzierbare Vorschläge zur Abwendung von Armut.

(Gitta Schüßler, NPD: Alternativer Haushalt?!)

Wir haben ein durchgerechnetes Steuerkonzept, wir haben ein gerechtes Rentenkonzept und mit dem Vorschlag für eine Bürgerversicherung auch ein Konzept für eine alternative und sozial gerechte Gesundheitspolitik. Von Ihnen war von Konstruktivität an dieser Stelle noch nie zu hören. Das setzt nämlich Sachkompetenz und Fleiß voraus, und davon kann man von Ihnen sicherlich nichts erwarten.

Deshalb sei Ihnen abschließend noch einmal ins Stammbuch geschrieben: Für Sie ist das Soziale stets dem Nationalen oder Nationalistischen untergeordnet. Insofern missbrauchen Sie schamlos die Nöte der Menschen in unserem Land. Das ist alles, was man von der Sozialpolitik der NPD zu halten hat – nämlich nichts!

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich frage die FDP. – Die Fraktion GRÜNE? – Dann hat die NPD das Wort; Herr Gansel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon verräterisch, dass diese NPD-Debatte über die Verarmung immer mehr Deutscher vor fast leeren Parlamentsrängen stattfindet; die sozialpolitische Gleichgültigkeit der etablierten Parteien ist also physisch zu greifen. Und dass sowohl Herrn Krauß als auch Frau Lay bei einer sozialpolitischen Debatte im Jahr 2008 nichts Besseres einfällt, als den mausetoten Adolf Hitler wieder aus der Gruft hervorzuholen, ist wirklich ein sozialpolitisches Armutszeugnis, für das einem eigentlich die Worte fehlen.

(Beifall bei der NPD)

Frau Lay, Sie haben doch in Ihrem Mitarbeiterstab sicherlich viele fleißige Mitleser unserer Parteipublikation. Sie müssen nur in eine einzige Ausgabe unserer Parteizeitung „Deutsche Stimme“ hineinlesen,

(Zurufe der Abg. Caren Lay und Dr. André Hahn, Linksfraktion)

um zu erfahren, dass wir die Kritik an der Agenda 2010 oder an den sozialen Fehlentwicklungen in diesem Land insgesamt keineswegs auf die Ausländerfrage reduzieren, sondern dass wir schon seit Langem eine ganzheitliche Globalisierungskritik verfechten und uns beispielsweise eindeutig gegen die Unternehmensteuerreform der Großen Koalition in Berlin ausgesprochen haben, dass wir eindeutig gegen Steuerentlastungen für Großverdiener und gegen Steuerbelastungen von Kleinverdienern sind.

Auch steuerpolitisch wissen wir also sehr wohl, wo wir anzusetzen haben; und da setzen wir nicht wie die Große Koalition in Berlin bei den Besserverdienern als Steuerprofiteuren an, sondern wir wollen ganz klar die Familien und die Geringverdiener entlasten. Von daher reduzieren wir die sozialen Verwerfungen keineswegs auf die Ausländerfrage.

Die Agenda 2010 ist aber in der Tat ein anschauliches Beispiel dafür, dass Entnationalisierung zwangsläufig zu Entsolidarisierung führt. Nur wenigen ist nämlich bekannt – und die Medien hüten sich, dies auszusprechen –, dass das rot-grün-schwarze Sozialraubprogramm mit der Hartz-IV-Regelung letztlich Einsparvorgaben der Europäischen Union im fernen Brüssel folgt. Der Begriff Agenda 2010 ist nämlich angelehnt an die Europäische Agenda 2010 und den sogenannten Lissabon-Prozess. Im Jahr 2000 beschlossen die europäischen Regierungen in Lissabon, die Europäische Union bis zum Jahr 2010 zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt“ zu machen.

Nach Auffassung der herrschenden Neoliberalisten erfordert dies die rabiate Senkung der Sozialausgaben in den einzelnen Länderhaushalten. Hartz IV muss deshalb auch in diesem Fremdbestimmungszusammenhang der Europäischen Union gesehen werden.

Die NPD hält die ganze Konstruktion der Hartz-IVGesetze mit dem Arbeitslosengeld II auf dem statischen

Armutsniveau von 347 Euro im Monat für unsozial und sittenwidrig.

Grundfalsch ist erstens, dass das Arbeitslosengeld II unabhängig vom früheren Arbeitseinkommen als einheitliches Hungergeld gezahlt wird. Grundfalsch ist zweitens, dass selbst jahrelange Einzahler in die Arbeitslosenversicherung nach zwölf Monaten mit dem ALG II abgespeist werden, was einem Beitragsdiebstahl gleichkommt. Grundfalsch ist drittens, dass vor dem Bezug des ALG II alle Ersparnisse des Arbeitslosen – und im Rahmen der sogenannten Bedarfsgemeinschaften auch des Lebenspartners – aufgebraucht werden müssen, was die Sparsamen unter den Anspruchsberechtigten bestraft. Grundfalsch ist viertens, dass die Zumutbarkeitsregeln für die Arbeitsaufnahme drastisch verschärft wurden – unabhängig von Qualifizierungsgrad und Wohnortnähe –, sodass das System nur noch fordert, ohne zu fördern. Grundfalsch ist fünftens, dass die für die Mietkosten der ALGII-Empfänger zuständigen Kommunen Zwangsumsiedlungen in Billigwohnungen anordnen können und die Betroffenen damit noch aus ihrem vertrauten sozialen Umfeld herausgerissen werden.

Besonders beschämend aber ist es nach NPD-Auffassung, dass gerade die Kinder unter den Hartz-IV-Gesetzen zu leiden haben. Nach Angaben des Deutschen Kinderschutzbundes leben in diesem eigentlich reichen Land mittlerweile 2,5 Millionen Kinder bis 18 Jahren auf Sozialhilfeniveau, weil ihre Eltern in Langzeitarbeitslosigkeit gefangen sind und Hartz IV deren Einkommenssituation weiter verschlechtert hat. Erst am 14. April berichteten die „Dresdner Neuesten Nachrichten“ von einer Studie, derzufolge mehr als 120 000 Kinder unter 15 Jahren allein in Sachsen in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften und damit in Armut aufwachsen. Danach müssen die Bezieher von Arbeitslosengeld II mit monatlich 208 Euro alle Ausgaben des Lebensunterhaltes ihres Kindes bestreiten.