Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir es jetzt mal der Ideologie entkleiden, stellt sich die Frage: Was ist Zeitarbeit und welche Rolle spielt die Zeit- und Leiharbeit? Es sind über 600 000 Arbeitsplätze in Deutschland. Das ist eine Größenordnung von 1,5 % der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze, um die es hier geht. Es ist kein kleiner Anteil von Menschen, die aus der Arbeitslosigkeit genau bei diesen Zeitarbeitsfirmen Arbeit finden, sondern ein sehr großer Anteil. Ich lese eher von Zahlen, die bis in die Größenordnung von 60 % reichen. Diese Menschen kommen aus der Arbeitslosigkeit hinein in einen Job, hinein in eine in vielen Fällen dauerhafte Beschäftigung. Dazu gibt es unterschiedliche Angaben. Bis zur Hälfte der Beschäftigten sind wohl ein Jahr später noch im dauerhaften Arbeitsverhältnis.
Wenn ich mir das anschaue und sehe, dass es natürlich auch in der Wirtschaft sinnvoll ist, um die Flexibilität zu erreichen, die ansonsten aufgrund unserer rechtlichen Gegebenheiten nicht da ist, dann halte ich das für eine interessante Lösung. Da sind einmal die Lastspitzen, die Sie sogar anerkennen, aber da sind eben auch die Spezialisten auf Zeit.
Seit anderthalb Jahrzehnten frage ich: Was tut unsere Arbeitsverwaltung bezüglich der Qualifizierung von Schweißern, NC-Maschinenbedienern, Werkzeugmachern usw.? Bisher gibt es über die staatliche Arbeitsverwaltung quasi kein Ergebnis. Aber was lese ich, wenn ich die Anzeigen der Leiharbeitsfirmen betrachte? Dort sind plötzlich gerade Fachleute dieser Qualifikation im Angebot. Und warum sind sie im Angebot? Weil man eben das Arbeitskräftereservoir ordentlich gescreent hat, weil man Leute in der Hoffnung einstellt, sie qualifizieren zu können, und weil man damit Leuten einen Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt bietet, den sie sonst einfach nicht hätten.
Ich bitte vor allen Dingen immer wieder zu sehen, dass es hier um ganz konkrete Chancen für Menschen geht. Ich denke zum Beispiel an den Endfünfziger-DV-Fachmann aus Dresden, der hier nichts gefunden hat. Für die Leiharbeitsfirma, für die er tätig ist, arbeitet er eben im Erzgebirge.
Wie ist nun Leiharbeit organisiert? Es gibt in der Größenordnung reichlich 8 000 Unternehmen in Deutschland. Es gibt drei Tarifverträge in dem Feld. Ein großer Teil der Leiharbeit geschieht tarifgebunden. Es gibt unterschiedliche Verbände, die aktiv sind. Die Vielfalt der Bedingungen ist tatsächlich nicht so ohne Weiteres in einer kurzen Diskussion zu fassen. Es geht um Leute vom Hilfsarbeiter bis zum hoch qualifizierten Experten.
Es ist das Ziel, dass Leiharbeitnehmer möglichst unter Bedingungen tätig werden können, die andere festangestellte Arbeitnehmer im Zielbetrieb ebenfalls vorfinden.
Meine Damen und Herren! In vielen Fällen ist es eine Frage der Motivation, inwieweit man da eine Schere aufgehen lässt. Es wird sicher negative Beispiele geben, wo es große Differenzen gibt. Aber ich denke, man wird auch das relativieren und in der Praxis genauer hinschauen müssen, wie die Dinge aussehen.
Meine Damen und Herren! Man wird realistischerweise einige wirtschaftliche Sachverhalte berücksichtigen müssen. Wenn ich zum Beispiel einen großen Anteil Wiedereinsteiger aus der Arbeitslosigkeit habe, was macht dann normalerweise die Arbeitsverwaltung, wenn sie einen Betrieb findet, der sich darauf einlässt? Sie bietet lange gleitend wirtschaftliche Hilfen dafür, dass die Tätigkeit des Menschen dort möglich wird, weil er eben nicht vom ersten Tag an die volle Produktivität hat. Auch das muss sich wirtschaftlich in dem widerspiegeln, was die Leihfirmen ihrerseits anbieten können.
Deutlich ist, dass es hier nicht um „hire and fire“, sondern um Dauerbeschäftigungen geht, nicht im Zielbetrieb, sondern beim Leiharbeitgeber. Wenn da Lücken in der Verwendung auftreten, weil eben das Zielunternehmen möglicherweise die Arbeitskräfte nur für eine kurze Frist in Anspruch nimmt und nicht sofort eine Weiterverwendung möglich ist, muss die Lohnsumme trotzdem für diese Zeit erwirtschaftet werden. Wenn der Qualifikations- und Rekrutierungsaufwand nicht unbeträchtlich ist, vor allem wenn es um hochqualitative Angebote geht, dann wird sich das auch wirtschaftlich niederschlagen müssen. Soweit muss man realistisch sein.
Aber das Ziel muss sein – darin stimme ich mit Ihnen überein –, dass die Schere nicht zu weit auseinandergeht.
Was ist aber der Weg? Der Weg ist Tarifautonomie. Es ist ganz einfach so, dass die Vielfalt des Konditionengefüges, das man dort in der Praxis vorfindet, nicht ohne Weiteres
durch administrative staatliche Regelungen zu ordnen ist. Dafür ist das Leben in der Praxis viel zu bunt.
Meine Damen und Herren! Was darf auf keinen Fall passieren? Auf keinen Fall darf das passieren, was Frau Lay gerade als Allheilmittel angepriesen hat: nur kurzfristige Verwendung, keine wiederholte Verwendung im gleichen Zielunternehmen und dergleichen mehr.
Frau Lay, ich kann Ihnen sagen, dass wir schon seit einigen Jahren, nämlich seit der letzten rot-grünen Bundesregierung, ein gutes Beispiel haben, wie so etwas funktioniert. Nehmen Sie das Teilzeit- und Befristungsgesetz. Dort haben wir genau die Situation, dass ein befristeter Arbeitsvertrag zwei Jahre dauern darf und dann Schluss ist. Dann kann man sich vielleicht noch einmal eine Runde mit einer Schwangerschaftsvertretung oder Ähnlichem durchmogeln, aber danach ist wirklich Schluss.
Sie haben, meine Damen und Herren, im eigenen Nahbereich ein Beispiel dafür, wie sich das auswirkt. Alle zwei Jahre machen wir einen Haushalt, demnächst wieder. Dort gibt es die wunderbaren befristeten Stellen. Jedes Ressort ist zufrieden, wenn es wenigstens noch ein paar dieser befristeten Stellen retten kann. Aber was passiert in der Praxis mit diesen befristeten Stellen? Dort arbeiten sich Leute ein, entwickeln eine hohe Qualifikation und Zuverlässigkeit, sind also nahezu unabdingbar notwendig für den Arbeitsprozess, und trotzdem muss der öffentliche Arbeitgeber sie wieder an die Luft setzen, weil die zwei Jahre abgelaufen sind. Wem ist denn damit genützt, meine Damen und Herren?!
Sie spenden hier quasi einen Segen mit der Keule, die diejenigen, die Zielgruppe Ihrer Segnungen sein sollen, letztendlich erschlägt. Das ist die Realität.
Was ist nun zu tun, liebe Frau Lay, wenn Sie die Leiharbeit möglichst eindämmen wollen? Was ist zu tun?
Ich habe einen guten Vorschlag: Flexibilisieren wir doch das Arbeitsvertragsrecht! Machen wir mehr befristete Möglichkeiten für die Praxis wirksam!
Wenn ich vorschlage, kündigungsschutzrechtliche Regelungen zu flexibilisieren, haben wir auch dort sofort eine sehr wirksame Begrenzung der Möglichkeit von Leiharbeit.
Vielleicht sollten Sie ganz einfach überlegen, in dieser Richtung voranzugehen. – Ich bedanke mich, Frau Präsidentin. Das war mein Beitrag. Wir lehnen den Antrag der PDS-Fraktion ab.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich etwas zur Geschichte der Leiharbeit sagen. Wir hatten in der Bundesrepublik alter Prägung lange Zeit ein Verbot von Leiharbeit. Erst 1967 gab es dazu ein Urteil, das sogenannte Aida-Interimsurteil, das sich damit auseinandergesetzt hat, ob eine Überlassung von Arbeitnehmern überhaupt möglich und zulässig ist. Nach diesem Urteil sind Arbeitgeber verpflichtet worden, dass sie bestimmte Kriterien erfüllen müssen, wenn eine solche Überlassung angedacht ist.
Erst auf Basis dieser Debatte hat es 1972 das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz gegeben. In diesem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz von 1972 gab es praktisch ein Verbot der Leiharbeit. Dieses Verbot wurde an eine behördliche Erlaubnis geknüpft. Es hat also sehr reglementiert und eingeschränkt gewirkt.
Heute, das haben meine Vorredner schon gesagt, gehört Leiharbeit in vielen Bereichen zur Realität. Es gibt viele Betriebe, die auf Leiharbeitnehmer zurückgreifen. Die Zahl hat sich in den vergangenen Jahren verdreifacht. Im Moment gibt es eine Entwicklung, die zumindest aufhorchen lassen sollte: Fast jeder zweite neue Job war im vergangenen Jahr ein Leiharbeitsjob. Eine Statistik von 1996 sprach davon, dass wir circa 180 000 Beschäftigte im Bereich der Leiharbeitsbranche hatten. 2001 waren es 350 000. Nach den mir vorliegenden, neuesten Zahlen, die auf einer Schätzung von Ende 2007/Anfang 2008 basieren – Kollege Rasch, insofern eine Korrektur aus meiner Sicht –, sind es nicht 600 000, sondern 800 000 Arbeitnehmer in der Republik. Das sind also noch mehr, als die Zahlen aussagten, die wir bisher hatten. Bundesweit gibt es circa 13 500 Leiharbeitsunternehmen. Darunter sind die großen, die am Markt bekannt sind. Ich möchte hier keine Schleichwerbung machen; der Werbeblock kommt später. Sie sind Ihnen allen bekannt. Es gibt mehrere Tausend kleinere Unternehmen, die sich mit Leiharbeit beschäftigen.
Wenn man sich die ostdeutsche Situation anschaut, muss man feststellen, dass gerade in den ostdeutschen Bundesländern der Anteil der Leiharbeit überproportional groß ist. In der Tat gibt es keine verlässlichen Zahlen, es gibt Schätzungen von Verbänden, Institutionen, Gewerkschaften und Sozialpartnern. Sie gehen davon aus, dass es in Sachsen zwischen 20 000 und 30 000 Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern gibt. Trotz eines durchaus
nachvollziehbaren Aufschwungs in dieser Branche ist das im Vergleich zu den Nachbarländern immer noch recht wenig. Das muss man eingestehen.
Aus der Branche heraus gibt es den Hinweis, dass das Potenzial, das im Moment bei einem Umsatzvolumen von 12 Milliarden Euro im Jahr liegt, noch gesteigert werden kann und wird. Durchaus zu Recht wird darauf hingewiesen, dass es in England oder Holland einen Anteil gibt, der bei 5 % der Arbeitnehmer liegt. Im Moment sind es in der Bundesrepublik 1,4 % der versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Die Leiharbeitsbranche sagt, sie will diesen Anteil erhöhen.
Im Moment ist der größere Anteil dieser Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer im Bereich der Metallindustrie angesiedelt. Circa 70 % der Betriebe aus der Metall- und Elektroindustrie greifen darauf zurück. Im Bereich des verarbeitenden Gewerbes gibt es generell einen sehr hohen Anteil von 40 % Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern. Die Tendenz ist steigend.
An der einen oder anderen Stelle – darauf hat Kollege Rasch hingewiesen – sagen Leiharbeitnehmerinnen oder Leiharbeitnehmer, dass sie diese Arbeit als eine Art Durchgangsphase betrachten. Sie haben damit einen speziellen Wunsch und manchmal persönliche Planungen verbunden. Ein Teil dieser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer glaubt, damit die Brücke in den ersten Arbeitsmarkt – also zur Festanstellung – schlagen zu können. Aber das ist das Entscheidende: Der sogenannte Klebeeffekt – das heißt, diejenigen, die in den Betrieb kommen, können hängen bleiben und gehen in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis über – ist sehr gering. Ich denke, genau das ist das Problem.
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung – es ist sicherlich kein Gewerkschaftsinstitut, das kann man ihm nicht vorwerfen – spricht davon, dass es nur 10 bis 15 % sind, die dort hängen bleiben. Darin liegt aus meiner Sicht das Problem. Natürlich ist es richtig, dass es einen Teil von Beschäftigtengruppen gibt – Ingenieure, Betriebswirte, Schweißer oder andere –, die mit dem Stellenangebot der Arbeitskräftevermittler in der Verleihbranche eine Perspektive finden. Das will ich gar nicht abstreiten. Man muss sich jedoch ansehen, zu welchen Bedingungen.
Damit komme ich zu dem Teil, der aus meiner Sicht schwierig ist. Es gibt positive Effekte, aber es gibt auch eine Reihe von Problemen. Als Erstes muss ich benennen, dass die ursprüngliche Überlegung, dass man damit Umsatzspitzen abfangen und flexibel auf die Auftragslage reagieren wollte, gerade dazu nicht mehr genutzt wird. Es war ja der Ansatz, mit der Hartz-I-Reform – Kollegin Lay hat das kurz ausgeführt – zu versuchen, im Rahmen eines solchen Instrumentes Arbeitslose, die es schon längerfristig sind, zu integrieren und ihnen einen Zugang zum Markt zu eröffnen.
Wenn man sich genau anschaut, wie die Entwicklung war, muss ich denen recht geben, die sagen, es hat dazu geführt, dass die Tarifverträge unterlaufen worden sind. Es
hat im Wesentlichen dazu geführt, dass die Löhne in den Betrieben, die auf Leiharbeitnehmer zurückgegriffen haben, abgesenkt worden sind. Das ist klassische Lohndrückerei. Da stimme ich ausdrücklich denen zu, die das vorgetragen haben. Es geht natürlich im Kern um den Kündigungsschutz und um den Abbau von Kündigungsschutz. Es geht auch darum, dass man versucht, die Mitbestimmungsrechte in den Betrieben damit zu unterlaufen.
Das Entscheidende ist für mich vor allem, dass der Ansatz zu sagen, dass klein- und mittelständische Betriebe die Chance haben sollten, diese Spitzen abzufangen, nicht eingetreten ist. Gerade Großbetriebe versuchen damit ihre Belegschaft immer wieder aufzustocken. In dem Bereich, Kollege Rasch, ist gerade nicht die Mehrheit tarifgebunden. Ich weiß nicht, woher Sie das haben, dass Sie die Äußerung treffen können, die Mehrheit der Beschäftigten sei tarifgebunden. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Ein großer Teil von Betrieben stockt seine Belegschaft auf. Der Teil, der aufgestockt wird, stellt manchmal sogar die Mehrheit der Belegschaft dar. Sie sind nicht tarifgebunden und haben diese Regelung nicht. Den Zusammenhang herzustellen, dass man damit die Tarifautonomie und die Tarife stärkt – ich würde mich freuen, wenn dem so wäre. In der Realität ist dem nicht so; denn auch die Bereiche, in denen es Tarifverträge gibt – die großen Verleihfirmen –, sind nicht die Mehrheit.
Ich will also damit sagen, dass man schauen muss, worum es im Kern geht. Das ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die ich nicht gutheißen kann. Wir als Sozialdemokraten haben uns in unserer Fraktion lange mit dem Thema beschäftigt. Wir sind der Auffassung, dass das auch benannt werden muss. Es kann nicht gut und richtig sein, wenn zum Beispiel im Verlagsbereich Leiharbeitsgesellschaften bewusst mit dem Ziel gegründet werden, Redakteure anzustellen, die unterhalb des bestehenden Tarifvertrages, der für diese Branche gilt, die Zuarbeit für die Tageszeitungen leisten. Man versucht dann über das Deckmäntelchen der Flexibilisierung diese Leiharbeitnehmer zu nehmen. Im Kern geht es darum, dass man sich vor einem regulären Beschäftigungsverhältnis drücken will. Man will sich vor einem regulären Beschäftigungsverhältnis drücken und versucht, über dieses Instrument Lohndumping und Tarifflucht klassisch zu betreiben. In der Tat ist es so, dass die Entgelte, die gezahlt werden, zwischen 20 und 40 % unterhalb der Entgelte liegen, die in den Betrieben normalerweise gezahlt werden müssten. Dass das zu Spannungen führt, ist doch ganz klar. Deshalb müssen wir uns damit auseinandersetzen, welches Klima in den Betrieben entsteht. Genau darauf zielt auch die Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Sie hat sich genau diesem Grundtrend genähert und feststellen können: