Protocol of the Session on January 25, 2008

Genau diese Ignoranz, genau diese völlige Abstraktion dessen, was die Praktiker und einschlägigen Wissenschaftler bundes- und landesweit sagen – nämlich: es gibt keinen vernünftigen Grund, am Jugendstrafrecht herumzubasteln –, das ist es, was uns die Frage aufdrängt: Woher nehmen Sie die Notwendigkeit und das Recht, als Justizminister des Freistaates nun von Sachsen aus herumzuzündeln?

2002 verabschiedete die 2. Jugendstrafrechtskommission Vorschläge für eine Reform des Jugendstrafrechtes, die im Grundsätzlichen nichts von dem, was Sie für gut heißen, als richtig erachtet. Im September 2007, das ist gerade einmal vier Monate her, tagte in Freiburg der 27. Jugendgerichtstag, der sich klipp und klar dafür aussprach, den § 105 des Jugendgerichtsgesetzes nicht anzutasten respektive das Jugendstrafrecht in allen Fällen, in denen dies unter Mitwirkung der Jugendgerichtshilfe wegen Reifeverzögerungen oder sonstigen im Jugendgerichtsgesetz klar geregelten Voraussetzungen vom Recht sprechenden Jugendrichter für notwendig erachtet wird, weiter anzuwenden.

Dieser Jugendgerichtstag, immerhin die Versammlung von Menschen, die Tag für Tag mit zwar straffällig gewordenen Jugendlichen und Heranwachsenden praktisch umgehen, die sich hineinknien, die mit ihnen arbeiten, empfiehlt – im Gegensatz zu dem, was Sie wollen, Herr Staatsminister – ein einheitliches Sonderstrafrecht für junge Erwachsene von 18 bis 25 Jahren nach jugendrechtlichen Grundsätzen, und zwar mit der Begründung, dass sich die Jugendphase erheblich verändert und ausgedehnt hat, eben durch längere Schul- und Berufsausbildung, längeres Verbleiben in der Familie, spätere Familiengründung usw. usf.; eingeschlossen auch viel größere soziale Instabilitäten wegen der fehlenden beruflichen Perspektiven, Ausbildungsplatzknappheit etc. Umso mehr müsse – so der Jugendgerichtstag – ein variables Konzept des Jugendgerichtsgesetzes die Besonderheiten des Jugendlichen- und Heranwachsendenalters berücksichtigen und folgerichtig auf Heranwachsende ausdehnen.

Das ist das Problem, das wir letzten Endes bei der Sache haben. Wenn der 27. Jugendgerichtstag im September 2007 sagt, dass sich strafrechtliche Elemente grundsätzlich nicht eignen, nachträglich grundlegende Versäumnisse anderer Sozialisations- und Integrationsinstanzen auszugleichen, dass sich Jugendkriminalrechtspflege aktiv deutlich und öffentlichkeitswirksam gegen Versuche verwahren muss, sie für Fehlentwicklungen in anderen Politikfeldern in Haftung zu nehmen, verstehen wir nicht, warum unser Justizminister nach einem repressiven Instrumentarium im Jugendstrafrecht ruft.

Exakt im Maßstab dieser durchgängigen Vorhaben ist für uns der Anlass gegeben, heute die Debatte aufzurufen und nach diesem Konzept zu fragen. Wir fragen: Woher nehmen Sie angesichts dessen und auch unter dem Aspekt, dass am 1. Januar 2008 ein Änderungsgesetz zum Jugendstrafrecht in Kraft getreten ist, welches der Bundesgesetzgeber verabschiedet hat und das eindeutig vorschreibt, dass sich die Maßnahmen der Justiz immer am Erziehungszweck zu orientieren haben, die Berechtigung, über die Einrichtung von Erziehungslagern nachzudenken, die übrigens die Nazis ins deutsche Jugendstrafrecht eingeführt haben, obwohl es – das müsste Ihnen auch bekannt sein – ein Quellenmaterial gibt, nämlich den 2. Sicherheitsbericht der deutschen Bundesregierung aus dem Jahr 2006, wonach auf der Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen, die auch die Evaluation der Erfah

rungen, die die USA in ihren militärisch ausgerichteten Erziehungslagern gesammelt haben, belegt ist, dass diese Bootcamps überwiegend negative und keineswegs Rückfall mindernde Auswirkungen auf das spätere Verhalten junger Krimineller haben? Woher nehmen wir diese Notwendigkeit, wenn wir wissen, dass sich die Kriminalitätsbelastung in Deutschland von 1997 bis 2006 um 4,3 % reduziert hat und insbesondere auch die Jugendkriminalität im gleichen Zeitraum tendenziell rückläufig ist?

Ich gehe jede Wette ein, Herr Staatsminister, Sie hätten vor sieben Jahren als Vorsitzender des Deutschen Richterbundes mit Gewissheit eine andere Meinung in den Medien vertreten, wohl wissend, dass ganz selbstverständlich die Änderung des Strafrahmens mitnichten zu irgendeiner Korrektur in der Strafanwendung führen muss.

Es ist Tatsache, dass letzten Endes bei 100 000 Anklagen im Jahr 2006 nur 91 Angeklagte in der höchsten Strafkategorie von fünf bis zehn Jahren verurteilt wurden. Bei Heranwachsenden kamen nur 4 % der Täter in die Nähe der Höchststrafe. Warum muss ich nach einem Strafmaß von 15 Jahren rufen, wenn das jetzt mögliche Höchststrafmaß nur so selten von denjenigen verhängt wird, die als unabhängige Richter Recht sprechen?

Deshalb ist unsere Auffassung, dass wir mit dem Instrumentarium, das wir haben, viel sorgfältiger umgehen müssen. Herr Staatsminister, ich habe zum Thema Ausreizen der vorhandenen Möglichkeiten eine Frage. Wir haben im Jugendgerichtsgesetz einen § 44. Der besagt, dass bei einem Jugendlichen, bei dem wegen des Charakters und der Schwere der Tat eine Jugendstrafe infrage kommt, im Regelfall der Jugendstaatsanwalt oder der Jugendrichter bereits die Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsstadium vornehmen soll. Das steht so im Jugendgerichtsgesetz. Das hat sich doch der Bundesgesetzgeber seinerzeit nicht ausgedacht, weil er meinte: Die haben einfach zu viele freie Spitzen. Er war vielmehr der Überzeugung, dass für einen Jugendlichen, der am Freitag eine Straftat begeht und am Dienstag früh um zehn Uhr vor dem Staatsanwalt erscheinen muss, der ihm in der Besprechung die Leviten liest und ihm verdeutlicht, was das Jugendstrafrecht hergibt und was er als Staatsanwalt mit ihm alles anstellen kann und was alles folgen kann, dieses 30- bis 40-minütige Gespräch zehnmal wirksamer ist, als wenn sie ihn an drei Wochenenden bei irgendeinem Freizeitarrest in einen Raum einsperren, wo niemand mit ihm redet, nichts passiert und nicht interveniert wird.

Ich habe mit dem Anstaltsbeirat von Chemnitz vor einem Vierteljahr die neue, für die weiblichen Jugendlichen in Chemnitz geschaffene Arresteinrichtung besichtigt. Sie wurde mit der Konsequenz geschaffen, dass der Anteil von Plätzen für gefangene Mütter mit Kleinkindern reduziert werden musste. Dort kommen die Jugendlichen am Freitag an und werden in einen Raum eingewiesen. Dann sind sie von Freitag bis zum Sonntagabend in diesem Zimmer. Darin stehen ein Bett und ein einfacher Schrank sowie ein Tisch. Es gibt früh, mittags und abends

ein gemeinsames Essen. Ansonsten sitzen sie in dem Raum. Wenn sie auf Toilette wollen, müssen sie klingeln. Unten sitzen zwei Bewacher, die die Tür dann automatisch öffnen. Dann gehen sie zur Toilette und danach wieder in ihren Raum. Dort sitzen sie weiter bis zum Sonntagabend. Erklären Sie mir doch einmal, woher dort die erzieherische Wirkung kommen soll? Die schlafen sich einmal ein Wochenende aus.

Alle, die dabei waren, die Mitglieder des Beirates, die Vertreter der JVA, die Psychologen, sagen, dass das völlig nutzlos ist. Aber Sie rufen nach längerem und häufigerem Arrest. Das sind am Leben und der Erfahrung vorbeigehende Ideen, die wir nicht begreifen.

Warum wenden unsere Staatsanwälte und unsere Richter diese Möglichkeit des Erziehungsgesprächs mit den Beschuldigten im Ermittlungsstadium nicht an, Herr Minister? Das sieht PEBB§Y nicht vor. Als Sie Arthur Andersen & Co., eine Wirtschaftsprüfungsfirma, durch die Botanik gejagt haben, um zu prüfen, wo es noch irgendwelche Reserven bei der Justiz gibt, man einsparen und die Richter- bzw. Staatsanwaltspensen überarbeiten könnte, wurde festgelegt, dass ein Staatsanwalt in Zukunft für einen Diebstahl 40 Minuten Zeit für die Anklage hat, während ein Jugendrichter für ein Diebstahlsverfahren 1 Stunde und 20 Minuten von der Eröffnung des Verfahrens bis zum Urteil bekommt. In diesen Zeitrahmen muss nun die ganze Jugendgerichtspflege hineingepresst werden. Dabei haben Arthur Andersen & Co. nur vergessen, dass es zum Beispiel den § 44 im Strafgesetzbuch gibt, nach dem der Jugendstaatsanwalt eine halbe oder Dreiviertelstunde vorsehen müsste – und zwar jeden zweiten Tag –, in der er solche Erziehungsgespräche führen kann. Wenn das durchgesetzt würde, könnten uns viele Kosten, zum Beispiel im Strafvollzug, erspart bleiben. Ich bin davon überzeugt – da greife ich ausnahmsweise auf meine Erfahrungen als Jugendstaatsanwalt zu DDR-Zeiten zurück –, dass das Gespräch des Staatsanwalts mit dem jugendlichen Straftäter, bei dem einfach interveniert wird, in aller Regel, wenn es sofort nach der Tat erfolgt, mindestens dreimal so nutzbringend ist, als ihn irgendwann wegzusperren.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Fraktion der GRÜNEN. Frau Abg. Herrmann, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen heute hier miteinander über eine vernünftige Kriminalpolitik, über vernünftige Jugendkriminalrechtspflege sprechen – im Gegensatz zu der Debatte, die Herr Koch angezettelt hat und die einzig und allein das Ziel hat, Wahlkampfstimmen zu fangen.

Das Motto des Herrn Koch ist simpel: Wie in früheren Wahlkämpfen in den USA, aber auch in Deutschland zu beobachten, fungiert das Thema „Öffentliche Sicherheit“ als Stimmenfänger, und das recht erfolgreich. Warum ist das so? Dieses Spiel funktioniert deshalb so gut, da in

Zeiten gefährdeter äußerer und persönlicher sozialer Sicherheit, in Zeiten, da die Angst um den Arbeitsplatz grassiert, da manche befürchten, dem Spagat von Familie und Beruf nicht gewachsen zu sein, um nur zwei Beispiele zu nennen, in unsicheren Zeiten also in der Bevölkerung ein großer Wunsch nach innerer Sicherheit besteht.

Die soziale Unsicherheit führt zu einer neuen „Lust am Strafen“. Das ist ein Ausdruck, den Prof. Fritz Sack geprägt hat. Er ist Kriminologe an der Uni Hamburg und wird im Übrigen am 16. April auf Einladung des Dresdner Gesprächskreises „Jugendhilfe und Justiz“ hier in Dresden sein.

Auch Frau Merkels Äußerung in der „Bild am Sonntag“ vom 6. Januar: „Wir brauchen wieder das Gefühl erlebter Sicherheit“ bestätigt diese These. Von da aus sind wir dann ganz schnell bei John Major, der gesagt hat: „Mehr verurteilen, weniger verstehen!“ – Genau vor diesem Populismus haben alle Sachverständigen in der Anhörung hier im Landtag im Mai 2005 gewarnt. Alle! Da sind wir nämlich dann auch ganz schnell bei generalpräventiven Maßnahmen.

Deshalb, Herr Mackenroth, spielen Sie mit den Ängsten der Bevölkerung, wenn Sie auf den „Koch-Zug“ aufspringen. Seriöse Kriminalpolitik ist das nicht. Strafverschärfungen sind – da sind sich Wissenschaft und Praxis einig – kontraproduktiv. Ich bin mir sicher, dass Sie das im Übrigen auch wissen. Die Kriminalität wird dadurch nicht gesenkt, die Rückfallquote auch nicht.

(Karl Nolle, SPD: Warum nicht?)

Die GRÜNE-Fraktion wird daher dem Antrag der Fraktion DIE LINKE gegen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts zustimmen und ich bin sehr gespannt auf die kriminalpolitische Konzeption der Staatsregierung. Bisher ist für mich das Konzept, so Sie eines haben, nicht erkennbar.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

In unserem Antrag schlagen wir Ihnen einen möglichen Weg vor. Unser grünes Konzept könnten Sie in Ihr Konzept aufnehmen. Es könnte heißen: Stärkung der Jugendhilfe, Verbesserung der Kooperation zwischen Jugendhilfe, Polizei und Staatsanwaltschaft. Diese Aufgaben sind mühsam, aber sie sind erfolgreich.

Wir schlagen Ihnen hier ein ganz konkretes Projekt vor. Wir wollen es auf Sachsen ausweiten, wollen damit Strukturen verändern und Professionen vernetzen. In Dresden hat sich dieses Projekt IPP – Interventions- und Präventionsprojekt für straffällig gewordene Kinder, Jugendliche und Heranwachsende – in den letzten Jahren etabliert. Die Erfahrungen mit diesem Projekt zeigen, dass dieser Weg zum Erfolg führt. Nur lässt sich dieses Projekt eben nicht mit einer Schlagzeile verkaufen, wie zum Beispiel „Strafen rauf und Steuern runter!“ Aber dieses Kooperationsprojekt zwischen Polizeidirektion und Jugendamt ist evaluiert, das heißt, seine Wirksamkeit ist mit wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen.

Genau das ist auch für die Verwaltungsvorschrift „Jugendliche Intensivtäter“ (JunI) zwingend notwendig, und zwar bevor dieses Verwaltungsvorschrift auf das ganze Land übertragen wird. Da erwarten wir dann auch mehr als Ihre dürftigen Angaben in der Presseerklärung, Herr Staatsminister.

Wir haben uns jedenfalls zur Sacharbeit entschieden und diesen Antrag deshalb vorgelegt. Zum Antragspunkt 1: Zum Heranwachsen von Kindern und Jugendlichen, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehören schwierige Situationen – das wissen wir alle –, gehören Krisensituationen. Die Kinder und Jugendlichen erleben Hoch- und Tiefphasen und die Frage ist: Wie viel Unterstützung bekommen sie, wie viel Halt und Anerkennung in der Familie, in der Schule, in der Gesellschaft?

Wenn Jugendliche straffälliges Verhalten zeigen, so ist dies zumeist Ausdruck einer akuten kritischen Lebenssituation. Problematisch ist dann häufig, dass die Auseinandersetzung mit der Tat insbesondere bei Jugendlichen zeitnah erfolgen muss, damit sie wirkt. In Dresden hat sich gezeigt: In der Vergangenheit gab es das Problem, dass viele hilfebedürftige Jugendliche, insbesondere Kinder, die als Straftäter auffällig geworden sind, vorher überhaupt keinen Kontakt mit dem Jugendamt hatten, obwohl sie diesen dringend gebraucht hätten. Es gab einfach keinen Zugang für sie. Die Jugendgerichtshilfe wurde erst nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens einbezogen und das ist aus fachlicher Sicht viel zu spät.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Polizei, Justiz und Jugendhilfe haben verschiedene Aufgaben, auch in der Kriminalprävention. Während sich die Polizeiarbeit an den Straftaten orientiert, steht der junge Mensch bei der Kriminalprävention durch die Jugendhilfe im Vordergrund. Die Projekte, die wir in unserem Antrag genannt haben, verbinden diese unterschiedliche Herangehensweise.

Ziele des von uns favorisierten IPP, des Projektes für straffällig gewordene Kinder, Jugendliche und Heranwachsende, sind erstens Krisenintervention, zweitens Hilfe in einer akuten kritischen Lebenssituation, drittens Verhinderung sozialer Ausgrenzung und Stigmatisierung, viertens schnelle, unmittelbare Reaktion auf delinquentes Verhalten, fünftens informelle Erledigung von Strafverfahren, Schaffen von Voraussetzungen zur Einstellung des Verfahrens, sechstens Eröffnung von Lebensperspektiven und siebentens Vernetzung von Angeboten und Hilfen. Das große Ziel, das über allem steht, ist selbstverständlich die Vermeidung von weiteren Straftaten.

Diese Ziele werden in Dresden dadurch verwirklicht, dass strukturelle Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass das Jugendamt anlässlich einer Straftat von Kindern und Jugendlichen so früh wie möglich einbezogen wird. Dies geschieht dadurch, dass der betroffenen Person nach der Vernehmung angeboten wird, mit einem Sozialarbeiter dieses Projektes zu sprechen. Die Polizei muss die Informationen im laufenden Ermittlungsverfahren an das Jugendamt geben.

Die im letzten Jahr stattgefundene Evaluation durch die TU Dresden hat ergeben, dass das Projekt gut funktioniert und eine Ausweitung auf andere Städte angezeigt ist. Schon im Jahr 2003 hat das Bundesjustizministerium dieses Projekt als vorbildhaftes Projekt für ganz Deutschland ausgezeichnet. Wenn wir also in Dresden ein ausgezeichnetes, ein bewährtes Projekt haben, sollte dies Anlass genug sein, es auf ganz Sachsen auszuweiten.

Zum Antragspunkt 2: Wenn wir aus unserer Großen Anfrage im letzten Jahr erfahren, dass die Jugendkriminalität erfreulicherweise sinkt, dann haben wir daraus auch erfahren, dass ein kleiner Teil von jugendlichen Straftätern eine überproportional große Anzahl von Straftaten begeht. Genaue Zahlen liegen uns dazu nicht vor.

Die Staatsregierung hat nun im Dezember 2006 eine Verwaltungsvorschrift zur Behandlung von jugendlichen Mehrfach- und Intensivtätern erlassen und diese zunächst in Dresden und Zwickau umgesetzt und will sie jetzt auf ganz Sachsen erweitern. Informationen, wie diese Verwaltungsvorschrift wirkt, liegen dem Landtag nicht vor. Wenngleich der Ansatz, Mehrfach- und Intensivtäter vor einer kriminellen Kariere zu bewahren, indem zum Beispiel ihre Strafsachen bevorzugt bearbeitet werden, Polizei, Justiz und Jugendhilfe vernetzt arbeiten, sicherlich ein guter Ansatz ist, gibt es zu dieser Juni-Vorschrift, doch viele Fragen. Was passiert, wenn es sich um Bagatelldelikte handelt? Kann eine Etikettierung als junger Intensivtäter da nicht sogar kontraproduktiv sein? Alle Fachleute sind sich darin einig – das hat mein Vorredner auch gesagt –, dass Jugendkriminalität in den allermeisten Fällen eine vorübergehende Episode ist.

Jetzt möchte ich einmal von Herrn Staatsminister Mackenroth absehen und mich zur anderen Seite wenden, an Frau Staatsministerin Orosz und Herrn Flath. Deren Arbeit im Bereich der effektiven Kriminalprävention ist nämlich ganz genauso gefragt, insbesondere dann, wenn Jugendliche mehrfach und intensiv straffällig werden. Das geschieht ja nicht über Nacht und ohne Ursachen. Ich möchte hier ausdrücklich sagen, dass ich damit – nicht dass mir das wieder vorgeworfen wird – nicht die individuelle Verantwortung negiere. Diese ist unbestreitbar da. Aber es gibt Ursachen, die Jugendliche auf diese Bahn bringen, und diese Ursachen liegen in der Familie, in der Perspektivlosigkeit, in der Arbeitslosigkeit usw. Das sind Auslöser für Jugendkriminalität.

Herr Flath, habe ich gehört – er hat ein Interview gegeben –, sieht die Ursachen für Jugendgewalt nicht zuletzt in Defiziten in der elterlichen Erziehung. Nachzulesen in der „Sächsischen Zeitung“ vom Dezember 2007. Höchst fragwürdig ist hingegen, was er dagegen vorschlägt, nämlich ein Betreuungsgeld. Ich bin auch dafür, Elternkompetenzen zu stärken. Aber wie dies mit einer Prämie von 150 Euro im Monat geschehen soll, das mag mir Herr Flath bei Gelegenheit mal erklären.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Mittel, die das Jugendstrafrecht bereithält – das hat mein Vorredner ausgeführt – sind ausreichend und vielfältig. Das Problem ist nur, dass diese Mittel nicht überall vorgehalten werden. Das heißt: Wir müssen der Jugendhilfe ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, damit diese Möglichkeiten, vor allem die ambulanten Maßnahmen – das kann man auch aus unserer Großen Anfrage sehen –, dann auch überall vorgehalten werden und damit ein Richter überhaupt in der Lage ist, zum Beispiel zu einem sozialen Trainingskurs zu verurteilen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirksame Prävention setzt an den Ursachen an. Funktionierende Projekte zu fördern und auszubauen, das ist ein Schritt; bestehende Vorschriften zu evaluieren und eventuell nachzubessern ein anderer. Wenn Ihnen die Kriminalprävention wirklich am Herzen liegt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann stimmen Sie unserem Antrag zu.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Freya-Maria Klinger, Linksfraktion)

Die CDUFraktion, Herr Abg. Schowtka.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um es gleich vorwegzunehmen: Wenn es auch der zurzeit in Deutschland tonangebenden Diktatur der Political Correctness widerspricht, wir lassen es uns nicht nehmen, über Probleme, die die Menschen im Lande bewegen, nachzudenken und sie laut anzusprechen.

(Beifall bei der CDU)

Und das auch, wenn Wahlen anstehen, die entweder auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene in einem Föderalstaat wie unserem eigentlich dauernd stattfinden. Zwar dürfen wir in Deutschland einen signifikanten Rückgang der allgemeinen Kriminalität registrieren, auch wenn es einem angesichts der Abendprogramme des öffentlichen und privaten Fernsehens, wo das Blut nur so fließt, anders vorkommt.

Wirklich erschreckend ist der steile Anstieg der registrierten Jugendkriminalität um weit über 100 % im Vergleich zu 1995. Bei Gewaltkriminalität, das heißt gefährlicher Körperverletzung, Raub und anderen Delikten, beträgt die Zunahme sogar das Dreieinhalbfache. Darauf muss eine verantwortungsbewusste Politik reagieren, und das nicht erst seit den spektakulären Ereignissen in München, Berlin, Frankfurt und anderswo.

(Alexander Delle, NPD: Das gab es schon vor 20 Jahren!)

Um Unterstellungen und Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich den CDU-Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag, Volker Kauder, zitieren: „Nicht Ausländer sind unsere Feinde, sondern Kriminelle. Deren

Hohngelächter dürfen wir uns nicht länger gefallen lassen!“

(Heinz Lehmann, CDU: Ja, ja!)