Protocol of the Session on January 15, 2020

(Abg. Dörr (AfD) )

ren, obwohl beispielsweise der Umzug nach Nordrhein-Westfalen von vielen Familien als Belastung empfunden worden ist. Aber wenn man die Pensionsregelungen der Bergleute und so weiter ansieht, kann man das wohl sagen, dass die sozialen Voraussetzungen der Abfederung ganz hervorragend waren.

Als wir dann den Wandel im Stahlbereich durchführen mussten, konnten wir das nur so gut - um bei Ihren Worten zu bleiben, Herr Ministerpräsident -, weil wir auf eine Sozialgesetzgebung zurückgreifen konnten, die ganz anders war. Ich nenne einmal die Regelung der Arbeitslosenversicherung, also die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, die damals noch von einem gewissen Norbert Blüm verteidigt worden ist - mit dem ich heute noch im Gespräch bin -, der stolz darauf ist, dass ältere Arbeitnehmer drei Jahre lang ordentliches Arbeitslosengeld beziehen konnten. Dann kam die Arbeitslosenhilfe, die dann noch Jahre weiterlief.

Auf diese beiden Regelungen konnten wir aufbauen, als wir den sozialen Wandel in der Stahlindustrie bewältigt haben. Ich muss darauf hinweisen, dass diese beiden Regelungen nicht mehr vorhanden sind und dass, wenn wir heute den Wandel vor uns haben, die Frage ist, was mit denen ist, die letztendlich den Wandel nicht so ohne Weiteres werden bewältigen können.

Ich stand kürzlich beispielsweise bei einer Versammlung von Halberg Guss und habe mit älteren Arbeitnehmern geredet, insbesondere mit denen, denen man zugesagt hatte, sie würden eine Abfindung bekommen, die sich darauf verlassen haben, die aber jetzt gar nicht mehr auf die Voraussetzungen zurückgreifen können, auf die die älteren Stahlarbeiter beispielsweise zurückgreifen konnten. Die stehen jetzt ziemlich verloren da.

Ich glaube, wir müssen - das ist jetzt nicht eine billige Polemik, um irgendwie eine Kritik an Ihnen zu äußern oder an irgendeinem meiner Vorredner - uns klarmachen, dass heute der soziale Wandel unter ganz anderen Bedingungen stattfinden wird, als er in früheren Jahren stattfand, weil das Soziale in unserer Gesellschaft zurückgedrängt worden ist. Das beginnt nun einmal bei Löhnen, bei Renten und bei sozialen Leistungen. Zu sozialen Leistungen habe ich bereits einiges gesagt.

Es ist vor einiger Zeit im ZDF beispielsweise ein Film - ich kann den jedem nur empfehlen - über die Verwerfungen im Niedriglohnsektor gesendet worden, ein hervorragender Film, in dem viele Beispiele genannt worden sind, wie Menschen leben müssen, die in unsicheren Arbeitsverhältnissen ihren Alltag

bewältigen müssen, Paketboten beispielsweise. Das sind ganz schlimme Zustände, die da sind. Da nützt dann auch der Mindestlohn nichts mehr, wenn nicht mehr kontrolliert wird. Dann nützt eben vieles nicht mehr, wenn einfach Arbeitszeiten nicht mehr angerechnet werden. Dann kommen die letztendlich auf einen Durchschnittslohn von 6 Euro oder weniger.

Das ist die Realität in unserem Lande. Mit dieser Realität haben wir uns auseinanderzusetzen. Deswegen habe ich gefragt: „Wer ist ‚wir‘?“, wenn Sie sagen: „Wir können den Wandel?“ Können diese Menschen, die unter dieser Deregulierung des Arbeitsmarktes der letzten Jahre zu leiden haben, den Wandel noch für sich bewältigen? Das ist für uns ich nehme an, sogar für alle in diesem Hause - doch die entscheidende Frage! Denn wenn wir es ernst meinen mit Solidarität und Zusammenhalt, müssen wir doch an die denken, denn sie sind diejenigen, die am meisten betroffen sind von dem, was jetzt auf uns zukommen wird und was hoffentlich nicht so schlimm sein wird, wie der ein oder andere befürchtet. Deshalb wäre also dringend notwendig, wenn wir den sozialen Wandel gut bewältigen wollen, die Deregulierung des Arbeitsmarktes zurückzunehmen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Es ist nicht unmöglich, auch wiederum soziale Regelungen für den Arbeitsmarkt einzuführen, die die Bewältigung des Wandels für viele Einzelne viel leichter ertragen ließen, als das gegenwärtig der Fall ist.

(Beifall von der LINKEN.)

Das ist unser entscheidender Punkt. Ich kann nur empfehlen, wenn Sie sagen, Sie wollen den Wandel bewältigen, einmal die Ausführungen des Soziologen Reckwitz nachzulesen - der keiner politischen Richtung zuzuordnen ist, soweit ich das weiß -, der sagt, der zentrale Wert der Selbstverwirklichung hat die Werte, von denen Sie sagen, sie würden hier noch existieren, mittlerweile in der Gesellschaft abgelöst. An dieser Stelle kann ich sogar dem Kollegen Dörr zustimmen, als er vom Formtief der Demokratie sprach und sagte, das Formtief der Demokratie hat das Aufkommen der AfD erst möglich gemacht. So sagte er es hier. In diesem Punkt hat er recht.

Ich sage hier noch einmal, was man unter Demokratie versteht. Man kann es ja gar nicht oft genug sagen. Das ist die Definition aus der Antike. Demokratisch ist eine Gesellschaft, in der sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. Wenn wir die Verwerfungen am Arbeitsmarkt sehen, wenn wir die Entwicklung der sozialen Leistungen sehen, die Entwicklung der Löhne und so weiter und so fort, dann setzen sich in unserer Gesellschaft die Interessen der

(Abg. Lafontaine (DIE LINKE) )

Mehrheit nicht mehr durch aufgrund fehlerhafter politischer Entscheidungen. Ja, sie setzen sich nicht mehr durch.

(Beifall von der LINKEN.)

Ich sehe, dass hier ein Kollege den Kopf schüttelt. Dem muss ich sagen, wenn beispielsweise 40 Prozent der Haushalte geringere Einkommen haben als in den Neunzigerjahren, meinen Sie dann ernsthaft, die Interessen der Mehrheit der Gesellschaft setzen sich durch? Wenn wir millionenfacher Altersarmut entgegensehen, was niemand bestreitet, der seine Sinne noch zusammenhat, meinen Sie dann ernsthaft, die Interessen der Mehrheit der Gesellschaft setzen sich durch? Wenn wir von millionenfacher Altersarmut reden, dann betrifft das viele Saarländerinnen und Saarländer, die von diesem Wandel betroffen sein werden, weil die Regeln nicht mehr ausreichen, um ihnen eine auskömmliche Rente zu sichern. Das sagen selbst die Kommissionen, die die Bundesregierung eingesetzt hat. Wie reagieren wir denn darauf?

Deswegen habe ich auf die guten Regelungen der Bergarbeiter und der Stahlarbeiter hingewiesen, an denen ja einige hier noch mitwirken konnten. Ich nehme das für mich in Anspruch. Das war das Entscheidende des Wandels, den wir durchgeführt haben. Auf dieser Grundlage haben wir uns dann verpflichtet gesehen, den strukturellen Wandel auch in anderen Bereichen zu suchen, beispielsweise in der Informatik.

Aber was sich mittlerweile in den Dienstleistungen entwickelt hat, meine Damen und Herren, das muss doch jeden, der sozial engagiert ist, zutiefst beunruhigen und müsste ihn eigentlich veranlassen, alles dafür zu tun, dass diese Verwerfungen am Arbeitsmarkt, diese Verwerfungen bei den Löhnen und später bei den Renten, beseitigt werden. Das ist doch unser Auftrag!

(Beifall von der LINKEN.)

Wir können uns doch nicht damit zufriedengeben, dass 60 Prozent der Gesellschaft einigermaßen gut lebt unter dem Wandel der letzten Jahre. Ich zum Beispiel bedauere zutiefst, dass diese Werteorientierung der Gesellschaft sich entscheidend gewandelt hat, was im Übrigen auch Grundlage für die Veränderung des Wahlverhaltens der Bevölkerung ist. Wenn der zentrale Wert nicht mehr Gemeinschaft ist, Solidarität oder Zusammenhalt, wenn der zentrale Wert Selbstverwirklichung ist, ja wo kommen wir denn da hin? Wie orientieren sich denn da viele, wenn sie zu entscheiden haben? Dann wird nur noch das eigene Interesse im Vordergrund stehen

und dann werden die Werte der Gemeinschaft weiter zurückgedrängt werden.

Natürlich gibt es immer noch hervorragende Beispiele. Das ist überhaupt keine Frage. Natürlich sind wir immer noch dankbar dafür, dass sich Menschen sozial engagieren. Aber ich glaube nicht, dass wir an den Analysen der modernen Soziologie einfach vorbeigehen können und sagen, das interessiert uns alles nicht. Wer sich mit dem Alltag der Menschen hier an der Saar auseinandersetzt, der trifft eben nicht nur auf die eine Seite, die wir loben und preisen, der trifft auch auf die andere Seite, von der ich eben sagte, sie sollte uns zu denken geben. Sie beschreibt im Grunde genommen die große Herausforderung der nächsten Jahre, die vor uns liegt.

Ich will es betonen: Ich sage das nicht, um irgendjemandem ans Bein zu treten. Ich sage das hier, weil es mich umtreibt, weil ich aus familiären Verhältnissen komme, in denen das nach dem Kriege noch eine Rolle gespielt hat, als die sozialen Sicherungssysteme bei Weitem noch nicht so gut waren wie in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Was wir Rheinischen Kapitalismus genannt haben, hat dazu geführt, dass es eine gut ausgebaute soziale Sicherung gab. Ich habe Norbert Blüm erwähnt und könnte auch Hans Katzer nennen. Als die sozialliberale Koalition die Rentengesetzgebung verbessert hat, haben sie noch eins draufgesetzt und wollten die Renten noch weiter erhöhen. Ich erwähne das, um deutlich zu machen, dass damals das gesellschaftliche Klima ganz anders war und dass die Konsequenzen, die die Politik daraus gezogen hat, ebenfalls ganz andere waren.

Natürlich sollten wir auf die Tradition unseres Landes und auf die Tradition des Zusammenhalts stolz sein. Wir haben immer wieder gesagt, dass bei uns das Vereinsleben stärker ist als in anderen Ländern. Wir haben auch immer darauf verwiesen, dass gerade in den Gebieten, in denen Kohle und Stahl dominierten, dieses Vereinsleben regelrecht blühte und den Zusammenhalt begründet hat. Im Übrigen ist das keine Entwicklung, die allein in Deutschland festzustellen ist. Es gibt eine amerikanische Soziologin namens Hochschild, die ähnliche Entwicklungen im gesamten Amerika dargestellt hat. Sie hat insbesondere begründet, warum die Leute damals zur Tea-Party gegangen sind. So kann man eben auch die Frage aufwerfen, warum sich manche verlassen und abgehängt fühlen und warum sie ein Formtief der Demokratie, wie Sie es formuliert haben, festgestellt haben.

Ich möchte die Begriffe Solidarität, Gemeinschaft und Zusammenhalt aufgreifen. Sie sind nicht mehr

(Abg. Lafontaine (DIE LINKE) )

unverbrüchlicher Teil der saarländischen Identität. Aber wenn ich ein politisches Kurzprogramm beschreiben sollte, dann wäre darin festzuhalten, dass sie wieder stärker Teil der gesellschaftlichen Identität werden sollten, denn nur dann werden wir den Zusammenhalt so gestalten können, dass das Wir, von dem Sie gesprochen haben, Herr Ministerpräsident, auch gerechtfertigt ist.

(Anhaltender Beifall von der LINKEN.)

Nächster Redner in der Aussprache ist der Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Ulrich Commerçon.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! 100 Jahre Saarland, das ist vielleicht ein Grund zum Feiern, in jedem Falle im Wortsinne. Das heißt nämlich auch, ein Datum und ein Ereignis zum Anlass zu nehmen, um innezuhalten und des Datums zu gedenken. In diesem Sinne ist das Datum sicherlich ein Grund, im Saarland zu feiern. Es ist aber vor allem ein Anlass, zurückzuschauen, zu schauen, woher man kommt und wo man steht. Es ist ebenfalls eine Gelegenheit zu sagen, wo man hin will.

Es ist bemerkenswert, wie viel Geschichte in ein so kleines Fleckchen Erde in so kurzer Zeit hineinpasst. Es geht um saarländische, deutsche, französische, deutsch-französische und europäische Geschichte und auch um Weltgeschichte. Es ist bemerkenswert, wie sehr diese Geschichte unser Land und uns kollektiv geprägt hat, wie in nur 100 Jahren eine ganz eigene saarländische Mentalität entstehen konnte. Bundesaußenminister Heiko Maas hat am vergangenen Freitag darauf hingewiesen, dass unsere Großeltern in ihrem Leben fünf verschiedene Pässe gehabt haben können, ohne auch nur einmal den Wohnsitz zu wechseln. Wenn so etwas wie die eigene Staatsangehörigkeit so häufig wechselt, treten andere identitätsstiftende Elemente an deren Stelle. Die ganz eigene saarländische Identität ist schließlich auch Resultat einer besonderen Geschichte, die in diesen Tagen vielen von uns in Erinnerung gerufen wird.

Wären wir damals geboren, also heute so alt wie unser Saarland, würden wir vielleicht klarer sehen auf das, was uns bis heute prägt. Als Kinder hätten wir unter internationaler Verwaltung gelebt, mitten in einem Europa egoistischer Nationalstaaten. Das war und ist bis heute ein völkerrechtliches Novum und

doch saarländische Realität nach dem Ersten Weltkrieg. Wir hätten die Abstimmungskämpfe erlebt, die Politisierung und Polarisierung der damaligen Zeit. Heute scheint es leicht, die 90 Prozent zu verurteilen, die damals für „Heim ins Reich“ stimmten. Die Konsequenz der Entscheidung bedeutete für viele Saarländerinnen und Saarländer Vertreibung, Verfolgung und Tod.

Lassen Sie uns in dieser Stunde aber an diejenigen denken, die im Saargebiet verzweifelt versuchten, sich Hitler zu entziehen, Jüdinnen und Juden, Antifaschistinnen und Antifaschisten, Intellektuelle und viele andere mehr. Der Ministerpräsident hat in seiner Rede die Schuld angesprochen, die auch wir Saarländer damals auf uns geladen haben. Er hat Recht, der 13. Januar 1935 ist kein Tag der Freude. Die Zeit zwischen 1935 und 1945, diese „10 statt 1.000 Jahre“, wie es einmal in einer Ausstellung im Saarbrücker Museum am Schloss hieß, war auch in unserem Land die schrecklichste der Geschichte.

Wir wären, wenn ich unser Gedankenspiel fortführe, Zeitzeugen der Verfolgung und Vernichtung gewesen, wären als jugendliche Flakhelfer oder junge Soldaten in den Krieg hineingezogen worden, der im Übrigen kein Bürgerkrieg war, wären als junge Frauen an der Heimatfront in der Rüstungsproduktion eingesetzt gewesen und hätten um unsere Väter und Geliebten gebangt, die irgendwo auf der Welt auf andere Menschen geschossen hätten oder von anderen Menschen erschossen worden wären. Diese Verstrickungen in Schuld, deren Aufarbeitung niemals enden darf, die wir immer wieder in Erinnerung rufen müssen, müssen auf alle Zeit Verpflichtung für uns sein zum lauten und deutlichen „Nie wieder!“ und zum entschlossenen und mutigen „Wehret den Anfängen!“.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Der Weg nach dem Zweiten Weltkrieg in die Bundesrepublik 1955/1957 ist von großer Bedeutung. Das deutsche Wirtschaftswunder wäre ohne saarländische Kohle und saarländischen Stahl nicht möglich gewesen. Wer hätte gedacht, dass gerade die Montanindustrie, der deutsch-französische Zankapfel über Jahrhunderte, Grundlage für die Entwicklung des Europas ist, wie wir es heute kennen. Wo über Jahrhunderte die Erde mit dem Blut von Deutschen und Franzosen getränkt wurde, herrscht Frieden. Welch wunderbare Geschichte und ein Grund, sich zu freuen! Die Montanindustrie schuf Arbeit und bescheidenen Wohlstand. Die Arbeit wirkte immer als Religionen und Nationalitäten übergreifender Kitt. Unter Tage sind alle Gesichter schwarz. Da war

(Abg. Lafontaine (DIE LINKE) )

es egal, ob der Kollege Deutscher, Franzose, Italiener, Türke, Pole oder gar Pfälzer war.

(Vereinzelt Heiterkeit.)

Der saarländische Zusammenhalt ist auch Resultat unserer Montangeschichte, er setzt sich bis heute fort. Nirgendwo hat das Ehrenamt einen so hohen Stellenwert, nirgendwo engagieren sich nach wie vor so viele Menschen in Vereinen, Gewerkschaften und Parteien. Auch heute, in einer Zeit, in der es anscheinend immer mehr um das Ich geht - Herr Kollege Lafontaine, da stimme ich Ihnen zu -, zählt aber im Saarland, und darüber haben wir sicherlich Einvernehmen, immer noch ein bisschen mehr das Wir. Wir sollten das nicht geringschätzen. In einer Zeit, in der jeder seine eigene Wahrheit im Internet verbreitet, braucht es Konstanten, Orte der Begegnung, wo Menschen zusammenfinden.

Im Saarland war das immer ein bisschen einfacher, weil die Distanzen so kurz sind. Wo jeder jeden kennt, ist der Fremde plötzlich ganz nah. Das hat auch die Politik bis heute geprägt. Kurze Distanzen zu politischen Mandatsträgern jeglicher Couleur im demokratischen Spektrum haben im Saarland Tradition. Das schafft Vertrauen und Verständnis untereinander und ist auch ein Grund, warum die Saarländerinnen und Saarländer gegen Versuchungen politischer Extremisten etwas immuner zu sein scheinen als andere. Das ist aber nicht gottgegeben. Da gibt es keine Ewigkeitsgarantie. Wir müssen aufpassen, denn das ist in Gefahr, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich glaube, damit ist auch aufgelöst, was Kollege Lafontaine gesagt hat: Ja, wir müssen aufpassen, dafür müssen wir jeden Tag streiten. Das ist keine Selbstverständlichkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall von den Regierungsfraktionen und bei der LINKEN.)

Ich will auch mein Kopfschütteln erklären. Es bezog sich nicht auf das, was Sie ansonsten gesagt haben, Herr Lafontaine, ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, dass mir diese alte, durchaus geläufige Definition von Demokratie in unserer Zeit leider etwas zu kurz greift. Wenn Demokratie lediglich die Durchsetzung der Interessen der Mehrheit ist, dann ist das im Zweifel eine Durchsetzung der Interessen der Mehrheit zulasten der Minderheiten. Zu einer modernen Demokratie - darauf bezog sich mein Kopfschütteln, Herr Lafontaine - gehört auch der Schutz der Minderheiten. Nichts anderes wollte ich an dieser Stelle sagen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen - Abg. La- fontaine (DIE LINKE) : Das stimmt, das ist selbstverständlich.)

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass diese saarländische Art des Umgangs kein Relikt der vergangenen Zeit ist, sondern auch ein Beispiel für andere sein kann. Darauf sollten wir nicht nur stolz sein, sondern das ist auch unsere Richtschnur für heute und unser Wegweiser nach vorne. Das gilt es zu bewahren.

Das ist keine einfache Aufgabe angesichts der politischen, ökonomischen und ökologischen Veränderungen unserer Zeit. Der Automobil- und der Stahlsektor in unserem Land stehen vor einer Jahrhundert-Herausforderung. Die gegenwärtige Krise ist von einer Größenordnung, dass sie das Saarland bis ins Mark trifft. Es geht nicht weniger als um den industriellen Kern unseres Landes. Sowohl im Automobilbereich als auch im Stahlbereich kommen gemeinsame Ursachen zum Tragen, wie eine insgesamt abflauende Wirtschaft, weltweite Handelskonflikte, die Digitalisierung und vieles andere. Es sind aber auch ganz spezifische Problemlagen, die jedoch in beiden Industriesektoren in ihrer Summe eine enorme Schlagkraft entfalten.

Dem müssen wir gemeinsam und entschlossen entgegentreten. Unternehmen und Beschäftigte müssen an einem Strang ziehen und dabei Hand in Hand mit den Akteuren der Politik ein zukunftsweisendes und tragfähiges Konzept zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes entwickeln und letztlich umsetzen.

Um diesen internationalen Herausforderungen von heute gerecht zu werden, können wir nicht ausschließlich auf Strategien von gestern setzen. Die Wirtschaft im Saarland muss sich breiter aufstellen. Auch daran müssen wir arbeiten; das kommt mir häufig in unserer Diskussion zu kurz. Die Industrie muss sich diversifizieren und neue Zukunftsfelder erschließen. Es darf nicht so bleiben, dass wir auch in Zukunft, in den nächsten 100 Jahren, immer wieder nur von ganz wenigen monolithischen Strukturen abhängig sind. Wir müssen Diversifizierung anstreben.

Wir sind uns bewusst, dass unsere Industrie von Faktoren weit jenseits der Grenzen des Saarlandes, der Bundesrepublik und auch Europas abhängig ist. Deshalb ist es notwendig, die internationalen Rahmenbedingungen so auszugestalten, dass den Unternehmen wieder mehr Handlungsspielraum für Investitionen zukommt, nicht zuletzt durch gleiche Wettbewerbsbedingungen am globalen Markt.

(Abg. Commerçon (SPD) )