Protocol of the Session on August 28, 2019

Vor vier Jahren bei der Stichwahl um den Landkreis Neunkirchen haben nur 26 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.

Direktwahlen alleine sind also offensichtlich nicht die Lösung. Eine Demokratie ohne Wähler funktioniert nicht. Wenn nun künftig die Ortsvorsteher direkt gewählt werden sollen, wie es die AfD vorschlägt, ist das auf der einen Seite durchaus nachvollziehbar. In einem kleinen Ort kennen sich die Menschen besser, sie können die einzelnen Bewerberinnen und Bewerber deutlich besser einschätzen, als es in einer größeren Stadt der Fall ist. Andererseits, Herr Dörr, erhält ein Ortsvorsteher, der direkt gewählt wird, deshalb nicht mehr Einfluss. Der Ortsvorsteher ist ja meist der erste Ansprechpartner in einem Ortsteil. Egal, was in einem Ort nicht funktioniert oder bemängelt wird, der Ortsvorsteher bekommt es als einer der Ersten zu hören. Man erwartet, dass er sich der Sache annimmt und sich kümmert.

Die Möglichkeiten eines Ortsvorstehers sind begrenzt. Meist ist er der Vermittler zwischen dem Bürger und der Stadtverwaltung. Er kennt die Ansprechpartner und weiß, wen er in welchen Fällen kontak

(Abg. Thielen (CDU) )

tieren muss. Aber schon jetzt kennen die Menschen vor Ort ihre Politiker im Ortsrat. Und in den wenigsten Fällen kandidieren hier parteiunabhängige Bewerberinnen und Bewerber. Ich bezweifele auch, dass sich unabhängige Bewerber als Ortsvorsteher bewerben würden, wenn man die Möglichkeiten sieht, die ein Ortsvorsteher hat, und zwar erst recht, wenn er nicht einmal eine Partei in den Räten hinter sich hat. Es würden sich also auch bei Direktwahlen meist diejenigen durchsetzen, die eine größere Partei im Rücken haben und im Ort bekannt sind.

Die Parteien sagen ja auch meist schon vor den Wahlen, wen sie als Ortsvorsteher aufstellen wollen. In der Regel wird auch mit diesen Personen auf Plakaten geworben, wie zum Beispiel „Stefanie Busch Ihre neue Ortsvorsteherin“ oder „Thomas Wolf - Ihr Ortsvorsteher“. Den ganz großen Vorteil durch eine Neuregelung erkenne ich deshalb nicht. Viel wichtiger wäre ein Konzept für mehr Demokratie in den Kommunen insgesamt. Es wurde ja schon angesprochen. Dazu gehören zum Beispiel EinwohnerEntscheide, Einwohner-Fragestunden und öffentliche Sitzungen der Gremien. Dazu gehören auch ein Wahlrecht für Menschen ab 16 Jahren und Jugendbeiräte mit Mitspracherecht. Wir werden den Antrag aus diesen Gründen ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall von der LINKEN.)

Für die SPD-Landtagsfraktion hat nun der Abgeordnete und Ortsvorsteher Dr. Magnus Jung das Wort.

(Heiterkeit bei der SPD.)

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Tagesordnungspunkt stellt für mich zunächst einmal die Gelegenheit dar, all den Ortsvorsteherinnen und Ortsvorstehern, die in den letzten Tagen in ihren Dörfern gewählt worden sind, ganz herzlich zu gratulieren und Erfolg für die Arbeit zu wünschen, die in den nächsten fünf Jahren vor ihnen liegt, die wichtig und auch sehr umfangreich ist.

(Beifall.)

Der Ortsvorsteher und die Ortsräte zählen zu den Erfolgsgeschichten der Demokratie im Saarland. Dabei waren sie ursprünglich gar nicht vorgesehen. Als 1974 die Gebiets- und Verwaltungsreform im Saarland in Kraft trat, wurde zunächst gar nicht daran gedacht, auf der dörflichen Ebene noch demokratische Institutionen vorzuhalten. Aber der Wille der Bevöl

kerung, dass jedes Dorf für sich selbst sprechen kann, war so groß, dass in dem damaligen Gesetzgebungsverfahren noch Änderungen eingebracht wurden. Ursprünglich sollten sie nur fünf Jahre lang gelten, aber man hat schnell gemerkt, dass es sich bewährt, deshalb sind die Ortsvorsteher und die Ortsräte auch heute noch wichtige Institutionen in der Kommunalpolitik.

Auf dem Papier haben sie nur recht wenig zu sagen. Sie müssen gehört werden, aber die wesentlichen Entscheidungen fallen formal in den Gemeinderäten und im Stadtrat. In Wirklichkeit sind Ortsvorsteher und Ortsräte aber das engste Bindeglied zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und ihrer Kommune. Dass wir das sehr schätzen und es uns sehr wichtig ist, erkennt man vielleicht auch daran, dass in unserer SPD-Fraktion im Moment fünf Mitglieder auch Ortsvorsteherinnen oder Ortsvorsteher sind. Es sind Kollege Reinhold Jost, Kollege Reiner Zimmer, Kollegin Christina Baltes und Kollegin Isolde Ries, die ich gefragt habe, ob ich sie in diese Reihe als Ortsvorsteherin aufnehmen darf, da sie ja Bezirksbürgermeisterin ist und somit für vier Dörfer zuständig ist. Auch ich bin seit zehn Jahren Ortsvorsteher in Kastel.

Ortsvorsteher sind diejenigen, die als Erste mitbekommen, wenn es irgendwo im Dorf Probleme gibt. Ich habe einmal gesagt, ich kenne jedes Straßenloch in Kastel mit Namen, weil ich es schon so oft an die Gemeindeverwaltung gemeldet habe. Ortsvorsteher sind niedrigschwellige Anlaufstellen. Sie sind diejenigen, die im Dorf auch Streit zwischen Vereinen, Bürgerinnen und Bürgern oder in der Nachbarschaft schlichten. Sie sind diejenigen, die das Dorf nach innen und nach außen repräsentieren. Dazu gehören zahlreiche Aktivitäten wie Gratulationen zu achtzigsten oder neunzigsten Geburtstagen oder zur Goldenen Hochzeit, zu denen der Ortsvorsteher auch erwartet wird, Veranstaltungen wie Sankt Martin, der Seniorentag, der Neujahrsempfang, der Volkstrauertag und Vereinsjubiläen.

Das dörfliche Leben wird sehr stark von Ortsvorstehern und Ortsratsmitgliedern geprägt. Ortsvorsteher sind Projektentwickler und Dorfmanager. Sie mobilisieren das kommunale Ehrenamt beispielsweise bei der Pflege öffentlicher Anlagen, aber auch im sozialen Bereich. Das ist alles mit sehr viel Arbeit verbunden. Deshalb sind die Ortsräte für die Ortsvorsteher auch so wichtig. Kein Ortsvorsteher und keine Ortsvorsteherin kann das alles alleine leisten, sondern ist auf die Zusammenarbeit im Team angewiesen.

Deshalb bin ich froh, dass sich im Saarland weit über 1.000 Bürgerinnen und Bürger in den Ortsräten

(Abg. Georgi (DIE LINKE) )

engagieren. Diese Ortsräte haben auf dem Papier natürlich auch wenig zu sagen, aber sie sind - wie ich schon sagte - in der Praxis wichtige, unverzichtbare Akteure und durchaus einflussreich. Ihre wichtigste Aufgabe ist allerdings die Wahl des Ortsvorstehers oder der Ortsvorsteherin. Wenn man jetzt dem Vorschlag der AfD folgen würde, dann würde man die Ortsräte in ihrer wichtigsten Funktion entmachten. Am Ende läuft dies auf die schon bekannte Diskussion hinaus, dass man die Ortsräte dann auch gleich ganz abschaffen könnte. Wenn sie formal nichts mehr zu entscheiden hätten, wozu bräuchte man sie dann noch? Das, Herr Dörr, bedeutet, Ihr Vorschlag würde nicht m e h r Demokratie bringen - so wie Sie behauptet haben -, sondern weniger.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Das, was Sie wollen, führt zu weniger kommunalem Ehrenamt, bedeutet deshalb auch weniger Impulse und führt zu einer Schwächung der Dörfer. Das können wir als SPD nicht wollen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Sie haben eine Parallele zur Wahl der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister beziehungsweise der Landräte gezogen. Wenn es dort möglich wäre, könnte es hier ja auch möglich sein. Sie beweisen damit noch einmal, dass Sie wesentliche Kernstrukturen des kommunalen Selbstverwaltungsgesetzes nicht verstanden haben. Es ist eigentlich schade, dass man, wenn man so lange in kommunalen Gremien mit dabei war, nicht verstanden hat, was die wesentlichen Grundlagen sind. In der kommunalen Selbstverwaltung sind sowohl der Bürgermeister als auch der Rat getrennte Institutionen, Selbstverwaltungsorgane. Sie werden auf der Gemeindeebene oder der Kreisebene von den Bürgerinnen und Bürgern getrennt voneinander direktdemokratisch legitimiert. Das macht auch Sinn.

Bei den Ortsräten und Ortsvorstehern ist es anders. Sie sind keine Organe der kommunalen Selbstverwaltung, sondern gehören zusammen und erfahren deshalb auch eine gemeinsame demokratische Legitimierung durch die Bürgerinnen und Bürger bei der Ortsratswahl, denn wenn die Bürgerinnen und Bürger ihren Ortsrat wählen, wissen sie auch ganz genau, dass es dabei um den Ortsvorsteher oder die Ortsvorsteherin geht.

Besonders absurd wäre es, wenn der Ortsvorsteher oder die Ortsvorsteherin das Amt vorzeitig beenden würde, aus welchen Gründen auch immer. Dann müsste in kleinen Dörfern oder in Stadtteilen von Saarbrücken solitär die Urwahl eines Ortsvorstehers

oder einer Ortsvorsteherin durchgeführt werden. Wie gering dabei die Wahlbeteiligung wäre und was das an demokratischer Legitimation bedeuten würde, kann man sich ja wohl vorstellen.

Was steckt also hinter Ihrem abstrusen Vorschlag am heutigen Morgen? Ich glaube, es ist die antiparlamentarische Grundhaltung der AfD und der mangelnde Respekt vor den demokratischen Institutionen, wenn Sie sagen, Ortsräte müssen nicht bestimmen.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Dem haben Sie heute in Ihrer Rede auch noch die Krone aufgesetzt, indem Sie hier behauptet haben, Gesetze, die auf Bundes- oder Landesebene beschlossen werden, seien ein Abbau direkter Demokratie.

(Zuruf des Abgeordneten Dörr (AfD).)

Das haben Sie wörtlich so gesagt, ich habe es mitgeschrieben. Damit verwehren Sie uns als Parlament die demokratische Legitimation. Sie glauben nicht daran, dass wir das Recht hätten, Gesetze zu verabschieden. Damit stehen Sie außerhalb der Verfassung unseres Landes und des Grundgesetzes. Vielen Dank!

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Der Fraktionsvorsitzende der AfD-Landtagsfraktion, Josef Dörr, hat noch einmal um das Wort gebeten. Bitte schön, Herr Dörr!

Also Herr Jung, das weise ich zuerst einmal direkt und klar zurück. Ich habe gesagt, dass alle Gesetze, zum Beispiel die, die vom Land gemacht werden und die die Gemeinden zu etwas verpflichten, auf Dauer ein schleichender Abbau sind. Wenn das übertrieben wird ‑ ‑ Wir alle wissen, dass wir ein Problem in den Gemeinden haben, weil Bund und Land sie zu Dingen verpflichten, die sie nicht bezahlen können. Aber jetzt zur Sache. Es sind wenige Argumente vorgebracht worden, die unserem Antrag widersprechen. Am sachlichsten war Herr Georgi, am unsachlichsten war Herr Thielen.

(Abg. Renner (SPD) : Oberlehrer! - Lautes Sprechen.)

Er hat nur mit Schlagworten operiert. Herr Dr. Jung hat zumindest einmal aus eigener Erfahrung ein paar Beispiele gezeigt, was der Ortsvorsteher noch alles machen kann. Er hat dabei allerdings auch klar

(Abg. Dr. Jung (SPD) )

gezeigt, dass er wegen eines Kanaldeckels 100-mal zur Gemeinde gehen und das dort beantragen muss, weil eben die Kompetenzen jetzt nicht mehr bei den Orten sind, die früher Gemeinden waren, mit Bürgermeister, mit Gemeinderat. Das hat nicht die AfD abgeschafft.

(Anhaltende Zurufe von der SPD.)

Lassen Sie mich doch bitte einmal zu Ende reden. Ich habe im Gegensatz zu Ihnen nur wenig Redezeit. - Das hat nicht die AfD abgeschafft, und die AfD will auch nicht die Ortsräte abschaffen. Das können höchstens die Mehrheitsfraktionen in den Gemeinderäten machen. Wir würden das nicht machen, wir wollen nur die Stellung des Ortsrats, des Ortsvorsitzenden ein wenig stärken,

(Zuruf von den Koalitionsfraktionen: Schwächen!)

indem er von der Bevölkerung gewählt wird.

Ein paar Dinge, die Herr Thielen hier angeführt hat, sind geradezu lachhaft, zum Beispiel dass Neuwahlen stattfinden müssen, wenn jemand aus dem Amt scheidet. Das ist doch bei Bürgermeistern ganz genauso! Wenn der aus dem Amt scheidet, muss neu gewählt werden. Man hat ja versucht, das zu bündeln, indem man die Amtszeiten von acht auf zehn Jahre gehoben hat, damit das mit den Gemeinderatswahlen gleich ist. Dennoch klappt es nicht 100prozentig, weil Bürgermeister aus Altersgründen während der Legislaturperiode ausscheiden werden. Das ist zum Beispiel auch ein Grund, weshalb die Ortsvorsteher in der Regel länger im Amt sind. Sie müssen natürlich viel arbeiten und bekommen wenig Geld dafür, aber auf der anderen Seite gibt es für sie keine Altersbeschränkung, im Gegensatz zu den Bürgermeistern.

(Sprechen.)

Bei denen gibt es eine Altersbeschränkung und wir haben hier auch schon gefordert, dass man das abschaffen soll. Bei den Ortsvorstehern gibt es das nicht, das heißt, der Ortsvorsteher kann so lange dort bleiben, solange er eben gewählt ist. Das ist in der Regel ein bisschen länger als bei Bürgermeistern. Der Ortsvorsteher Lang von Bliesransbach beispielsweise ist in den Ruhestand getreten, der hatte die Altersgrenze schon seit Längerem überschritten, aber er hat seine Sache anscheinend ordentlich und auch gerne gemacht und war dann eben länger tätig.

Das ist aber nicht das Thema. Das Thema, Herr Thielen, ist auch nicht die Teamarbeit, das muss ein Bürgermeister ganz genauso machen. Wir haben auch Bürgermeister, die von Haus aus keine Mehr

heit haben. Ich komme aus der Gemeinde Quierschied, da gibt es den Bürgermeister Maurer, der ist ohne CDU, ohne SPD und ohne jede andere Partei angetreten und wurde gewählt. Der hat also keine Hausmacht, aber er macht einen guten Job und hat den Gemeinderat hinter sich. Das hat also damit überhaupt nichts zu tun.

Ich habe mir hier noch eine ganze Menge andere Dinge aufgeschrieben, die ich leider nicht mehr ansprechen kann, weil meine Redezeit vorbei ist. Danke schön!

(Beifall von der AfD.)

Es sind keine weiteren Wortmeldungen eingegangen. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der AfD-Landtagsfraktion, Drucksache 16/945. Es wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Inneres, Bauen und Sport zu überweisen. Wer für die Annahme des Gesetzentwurfs Drucksache 16/945 in Erster Lesung unter gleichzeitiger Überweisung an den Ausschuss für Inneres, Bauen und Sport ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Wer ist dagegen? Wer enthält sich der Stimme? - Ich stelle fest, dass der Gesetzentwurf Drucksache 16/945 in Erster Lesung mit Stimmenmehrheit abgelehnt ist. Zugestimmt hat die AfD-Landtagsfraktion, dagegen gestimmt haben die CDU-, die SPD-, die DIE LINKELandtagsfraktion sowie die fraktionslose Abgeordnete.